ADB:Würth, Joseph Edler von
[132] Frankfurt am Main stattfanden, wählte ihn der Wahlbezirk Josefstadt zum Abgeordneten. Er begab sich sogleich dorthin, wo sich Schmerling als Abgeordneter, dann für kurze Zeit als Vorsitzender des Bundestages und endlich als Minister und Präsident des Reichsministeriums an der Seite des Reichsverwesers Erzherzog Johann befand. Zwischen Schmerling und W. bildete sich bald ein inniges Freundschaftsverhältniß. Ihn, den er bald zu seinem Unterstaatssecretär ernannte, Andrian und Mühlfeld, nennt Schmerling als die einzigen in Niederösterreich gewählten Abgeordneten, welche die Wichtigkeit der in Frankfurt bevorstehenden Verhandlungen richtig zu beurtheilen vermöchten.
Würth: Josef Edler von W., Rechtsgelehrter, Mitglied der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Unterstaatssecretär im ersten Reichsministerium. Er wurde 1817 in Wien geboren, studirte Jurisprudenz an der Universität daselbst und erlangte die juristische Doctorwürde. 1847 wurde er zum Rathsprotokoll-Adjunkten bei der obersten Justizstelle ernannt, und als 1848 in Wien die Wahlen für die deutsche Nationalversammlung zuAls Mitglied der Nationalversammlung gehörte W. mit Karl Biedermann, mit Georg Beseler, dem Bruder des schleswig-holsteinischen Statthalters Wilhelm, mit Gabriel Rießer, dem glänzenden Redner aus Hamburg, mit Robert v. Mohl, Fallati, Rümelin aus Stuttgart, Alfred v. Arneth aus Wien, Heinrich Laube aus Preußisch-Schlesien, jedoch gewählt von dem böhmischen Wahlkreis Elbogen, dem Club „Augsburger Hof“ an.
W. war der tüchtigste und treueste Mitarbeiter Schmerling’s in dessen schwerem Amte; zu den schwierigsten Arbeiten, zu den heikelsten Verhandlungen und in den intimsten Angelegenheiten verwendete ihn sein Chef; auch als muthvoller Redner trat er mehrere Male auf. So stand er ihm bei den Verhandlungen über die Excesse gegen die preußischen Soldaten in Mainz, über den Malmöer Waffenstillstand und bei dem daraus sich ergebenden Septemberaufstand wacker zur Seite. Schwierig wurde die Stellung Schmerling’s, Würth’s und der österreichischen Abgeordneten überhaupt, als im Parlamente die österreichische Frage zur Verhandlung kam, die Frage der verfassungsmäßigen Vereinigung der habsburgischen Monarchie mit dem deutschen Staate, der an die Stelle des deutschen Bundes zu treten hatte. Am 20. October 1848 begannen im Frankfurter Parlamente die Verhandlungen über die Paragraphen 2 und 4 des Reichsverfassungsentwurfes, welche tief in das Wesen des österreichischen Staates eingriffen und ihm, falls sie Gesetzeskraft erhielten, den Dualismus aufzwangen. Neben anderen Oesterreichern wie Wiesner, Arneth, Berger, Giskra, Sommaruga ergriff gegen diese Paragraphen auch W. das Wort; er erklärte die Annahme derselben sei gleich der Ausschließung Oesterreichs aus Deutschland, jedoch wenn man einige Modificationen in dem vorliegenden Entwurfe der Reichsverfassung vornehme, könne an den Beitritt Oesterreichs in den Bundesstaat gedacht werden.
Die Gegensätze spitzten sich jedoch immer schärfer zu. Das Schmerling’sche Programm, ein Staatenbund mit Oesterreich, und das Programm Gagern’s, das kleindeutsche mit der, wenn auch noch unausgesprochen, preußischen Spitze, und Oesterreich nur in einem völkerrechtlichen Verhältniß zu Deutschland, standen sich schroff gegenüber. Ueber Schmerling’s Antrag sollten Unterhandlungen mit Oesterreich begonnen werden. Die maßgebenden Clubs der Nationalversammlung billigten diesen Vorschlag, erklärten jedoch, Schmerling dürfe dabei nicht betheiligt sein. Das bestimmte ihn zum Rücktritt, weil er auf keine Majorität im Parlamente mehr rechnen konnte. Schmerling und sein Unterstaatssecretär W. baten den Reichsverweser um Enthebung von ihren Stellen, die ihnen am 16. December gewährt wurde; Heinrich v. Gagern wurde zum Ministerpräsidenten, zum Minister des Aeußern und Innern ernannt.
W. blieb in Frankfurt, behielt sein Abgeordnetenmandat bei und wurde von Schmerling, der nunmehr wieder österreichischer Bevollmächtigter beim Reichsverweser war, zu den wichtigsten Geschäften und Sendungen verwendet. Als es noch einmal (vom 11.–13. Januar 1849) in der Paulskirche zu [133] lebhafter Debatte über das Verhältniß Oesterreichs zu Deutschland kam, ergriff W. wieder das Wort: „Deutschland ohne Oesterreich ist ein jämmerliches, zerstückeltes, ohnmächtiges Deutschland, ohne natürliche Grenzen, des österreichischen Schutzes bedürftig, in allen Handelsbeziehungen von Oesterreich abhängig.“ Dem gegenüber entwirft er das glänzende Gemälde eines mit Oesterreich vereinigten Deutschlands. „In der österreichischen Armee besitzt Deutschland ein Hauptmittel der Propaganda des Deutschthums, durch die Verbindung mit Oesterreich wird die deutsche Streitkraft vermehrt, der Strom der deutschen Auswanderung nach Osten, wo noch für viele Millionen Raum ist, geleitet, kurz, ein Weltreich geschaffen, welches die höchsten Wünsche der Nation befriedigen muß.“ Sodann trat er gegen Preußen auf: „Preußen will sich ebensowenig der Centralgewalt unterordnen, zeigt eine ebenso geringe Opferwilligkeit wie Oesterreich, es behandelt die Reichscommission ebenso verächtlich, wie Fürst Windischgrätz und theilt mit Oesterreich die Vorliebe für die Vereinbarungstheorie, welchen Standpunkt übrigens die meisten deutschen Regierungen, insbesondere jene Sachsens, Bayerns und Hannovers gleichfalls festhalten.“
Noch einmal suchte Schmerling nach einem Auswege in der immer brennender werdenden Frage des Verhältnisses Oesterreichs zu Deutschland. Er entschloß sich, den Mann, der sein unbedingtes Vertrauen genoß und es auch im vollsten Sinne des Wortes verdiente, eben W., nach Wien zu senden. Dort sollte er (Januar 1849) über die Zustände, wie sie sich in Frankfurt gestaltet hatten, authentischen Bericht erstatten und auf baldige positive Erklärungen dringen. Diese Mission blieb jedoch ziemlich resultatlos, denn in Wien warf im Ministerium Schwarzenberg-Stadion die centralistische Verfassung, die dann am 4. März 1849 erschien, ihre Schatten bereits voraus. Daher konnte das, was W. nach seiner Rückkehr nach Frankfurt über die in Wien gemachten Wahrnehmungen und über die Auffassung berichtete, die er bei Schwarzenberg und dessen Umgebung inbezug auf die deutschen Angelegenheiten gefunden, auf Schmerling nur äußerst entmuthigend wirken. – Und nachdem kurz darnach die Verfassung Vom 4. März erflossen war, folgte Schmerling seiner Ueberzeugung, daß dadurch Oesterreichs Eintritt in den deutschen Bundesstaat vereitelt sei und gab seine Entlassung als Bevollmächtigter bei der Centralgewalt, weil „Oesterreichs deutsche Provinzen sich infolge der Verfassung vom 4. März nicht mehr an dem deutschen Bundesstaate betheiligen können und daher für die Fortführung seines Amtes die rechtliche Basis fehle“.
W. folgte dem Beispiele seines Herrn und Meisters und trat ebenfalls aus dem Parlamente; er begründete diesen Schritt mit der Berufung auf die österreichische Reichsverfassung und schrieb in der Austrittserklärung: „Meine Hoffnung und mein Wunsch liegt darin, daß die künftigen Beziehungen zwischen Oesterreich und dem übrigen Deutschland so innig als irgend möglich geregelt werden mögen; dafür in Oesterreich zu wirken, soll mir stets eine heilige Pflicht sein“, welche Eingabe vom Parlamente mit außerordentlichem Beifall aufgenommen wurde.
Diese Bethätigung Würth’s auf dem Gebiete der Politik war nur die eine Seite seines Wirkens. Nicht minder Bedeutendes leistete er in seinem eigenen Berufsleben, in der Justiz, und zwar sowohl in der Praxis als auf dem Felde der Wissenschaft. Nach der Rückkehr von Frankfurt nach Wien trat er wieder in den Staatsdienst, wurde zum Oberlandesgerichtsrath ernannt und dann vom Justizminister Schmerlinq als Referent ins Ministertum berufen. Als solcher erhielt er den ebenso ehrenvollen als schwierigen Auftrag, den Entwurf einer Strafproceßordnung auszuarbeiten. In ungemein [134] kurzer Zeit vollendete er 1849 diese umfangreiche Arbeit, welche in der That mit unwesentlichen Aenderungen bereits am 17. Januar 1850 durch die kaiserliche Sanction Gesetzeskraft erhielt.
Sehr bedeutend, weit ausgreifend und tiefgehend sind Würth’s wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft, namentlich der Strafjustiz. Man kann ihn als den Reformator des Gefängnißwesens in Oesterreich bezeichnen. Schon 1843 unternahm er eine neunmonatliche Reise durch Deutschland, Frankreich, England, Schottland, Belgien und die Schweiz, um eingehende Studien über die verschiedenen Gefängnißsysteme zu machen und mit Fachmännern auf diesem Gebiete sich zu berathen. Als Ergebniß dieser Reise veröffentlichte er das Werk: „Die neuesten Fortschritte des Gefängnißwesens in Frankreich, England, Belgien und der Schweiz“, Wien 1844. Es hatte zur Folge, daß schon 1846 Pläne für ein auf 800 Gefangene berechnetes, nach dem Isolirungsprincipe entworfenes Zellengefängniß in Wiener-Neustadt ausgearbeitet wurden, und daß, nachdem W. seit 1849 Referent im Justizministerium war, durch eine kaiserliche Entschließung ausgesprochen wurde, daß alle künftigen Neubauten von Gefängnissen nach dem Grundsatze der Einzelhaft aufgeführt werden sollten.
Weitere Beiträge Würth’s zur rechtsswissenschaftlichen Litteratur sind die Aufsätze: „Rechtsfall über die Frage: Welches Vorzugsrecht der Nationalbank auf die bei ihr verpfändeten Effecten im Falle eines Concurses über den Verpfänder zustehe“ (in Wagner’s Zeitschrift für die österreichische Rechtsgelehrsamkeit 1844, Bd. I, 65), „Das Staatsrecht von Wiener-Neustadt aus dem XIII. Jahrhundert“ (ebenda 1846, I, 203, 265, 353; auch im Sonderabdruck erschienen, Wien 1846); „Rechtsfälle über die Frage, ob bei einer von Vermächtnissen überstiegenen Verlassenschaft die Legatare auf den Schätzungswerth derselben beschränkt sind“ (in Wildner’s „Jurist“ III, 453); „Criminalrechtsfälle zur Erläuterung der Lehre vom Betruge“ (ebenda V, 73); „Ueber die Grenzen der richterlichen Beurtheilung bei Gutachten von Sachverständigen im Strafverfahren“ (ebenda VII, 420); „Ueber das Rekursverfahren gegen die criminalgerichtlichen Beschlüsse zur Einleitung einer Criminaluntersuchung“ (ebenda VIII, 86).
Von all diesen bemerkenswerthen Arbeiten ist besonders die über das Stadtrecht von Wiener-Neustadt hervorzuheben, indem W. in dieser den Boden der Rechtsgeschichte betritt, welche bis dahin gerade in Oesterreich lange vernachlässigt war, und hinweist, wie ersprießlich und nothwendig es sei, gegenüber der bloß dogmatischen und hermeneutischen Jurisprudenz der geschichtlichen Entwicklung des Rechtes bei wissenschaftlichen Untersuchungen und Darstellungen Raum zu gönnen. Er zeigt dabei eine umfassende Kenntniß der germanistischen Litteratur und hat die österreichischen und deutschen Stadtrechte emsig benützt.
Den von ihm ausgearbeiteten Entwurf einer Strafproceßordnung begründete er durch eine wissenschaftliche Leistung; er veröffentlichte die Schrift: „Die österreichische Strafproceßordnung vom 17. Jänner 1850 erläutert und in Vergleichung mit den Gesetzgebungen des Auslandes dargestellt“, Wien 1850, welche nicht nur von der Fachkritik günstig aufgenommen, sondern auch von namhaften Strafrechtslehrern benützt und in Motivenberichten von Strafproceßentwürfen in Deutschland verwendet wurde. In der letzten Zeit seines Lebens verfaßte er einige Abhandlungen und kritische Vergleichungen, welche in der „Oesterreichischen Gerichtszeitung“ erschienen, und seine letzte Arbeit war eine „Rechtshistorische Studie über das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten“ (ebenda 1854).
W. war seit dem 7. Juni 1845 mit Karoline geborene Freiin v. Sacken [135] vermählt, welche ihm schon nach achtjähriger Ehe durch den Tod. (9. April 1853) entrissen wurde. Er starb, erst 38 Jahre alt, am 17. Januar 1855 zu Wien.
- Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich LVIII, 23–232. Wien 1889. – Arneth, Anton Ritter v. Schmerling. Episoden aus seinem Leben. Wien 1895. – Springer, Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden. 2 Bde. Leipzig 1863, 65. – v. Zwiedineck, Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches 1806–1871. II. Bd. Stuttgart und Berlin 1903. – Heinrich Laube, Das erste deutsche Parlament II. III. Leipzig 1849. – Dr. Joseph Edler v. Würth (Oest. Blätt. f. Lit. u. Kunst. Beil. z. Wien. Ztg. 1855, Nr. 7).