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ADB:Beseler, Georg

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Artikel „Beseler, Georg“ von Rudolf Hübner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 445–472, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beseler,_Georg&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 07:36 Uhr UTC)
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Beseler: Georg B., Rechtsgelehrter, wurde geboren am 2. November 1809 zu Rödemis bei Husum. Seine Familie stammte aus Hamburg. Sein Vater, Cai Hartwig B., war königlich dänischer Kammerrath und Deichinspector für das Herzogthum Schleswig; seine Mutter war eine Tochter des Chirurgen Jahn in Flensburg. Er hatte sechs Geschwister; am nächsten stand ihm sein um drei Jahre älterer Bruder Wilhelm, „in der Jugend seine beste Stütze, später sein treuester Freund“. Nach dem frühen Tode der Eltern nahmen sich Geschwister der Mutter der verwaisten Kinder an: der Syndikus Jahn[WS 1] in Kiel, Vater des bekannten Archäologen Otto Jahn, und die verwittwete Stadtvögtin Jürgensen in Flensburg. Georg wurde zunächst bei einem Lehrer in Husum in Pension gegeben, dort ging er auf die Lateinschule; nach der Confirmation wurde er in Schleswig bei guten Bürgersleuten untergebracht, um die dortige Domschule zu besuchen. In den autobiographischen Aufzeichnungen, die er in hohem Alter niedergeschrieben und veröffentlicht hat („Erlebtes und Erstrebtes. 1809 bis 1859“. Berlin 1884), hat er mit knappen, lebensvollen Strichen die frohen Tage der Jugend geschildert, das strebsame und doch freie Leben in der Schule, die, ohne durch pedantische Disciplin und Prüfungszwang, zu fesseln, das Beste, was die Schule zu bieten vermag, in reichstem Maaße zu erwecken wußte: Freude am Lernen und Drang nach weiterer Bildung; die schönen oft bei der Tante in Flensburg zugebrachten Ferienzeiten, in denen der gesunde, früh durch Seeluft und Nordweststürme gestählte Knabe sich mit Freude dem Leben in der freien Natur hingab. Ohne äußeren Abschluß – die Noth des Abiturientenexamens war unbekannt – verließ er dann die Schule und wurde Michaelis 1827 an der Kieler Universität als studiosus iuris immatriculirt. Er schwankte zwischen dem Studium der Geschichte und dem der Rechtswissenschaft. Wenn er sich zu diesem entschloß, so bestimmten ihn äußere Gründe, nicht innere Neigung. Die juristischen Vorlesungen zogen ihn nicht im geringsten an; Thibaut’s Pandektenlehrbuch war ihm sogar ein Gräuel; nur Dahlmann’s Vorträge machten auf ihn Eindruck. Ueberhaupt aber ließ er, wie er selbst erzählt, das Studium zunächst ziemlich Nebensache sein; als Mitglied der Burschenschaft genoß er mit vollen Zügen die Freuden des Studentenlebens; der Burschenschaft und dem Jahn’schen Hause schreibt er es zu, daß dieses „Bummelleben“ nicht in Rohheit versank. Nach dem Schluß des vierten Semesters raffte er sich energisch auf; dem Rathe seines Freundes Kierulff folgend [446] begab er sich nach München und dort hat er ein für ihn äußerst eindrucksvolles und wichtiges Jahr verlebt. Für seine juristische Zukunft war es entscheidend, daß Georg Ludwig v. Maurer’s Vorlesungen sein lebhaftes Interesse für das deutsche Recht weckten; im Augenblick fesselte ihn allerdings noch mehr Stahl’s Vorlesung über die Methode der römischen Juristen. Außerdem aber erweiterte er seinen Gesichtskreis auch nach anderen Richtungen: er war ein eifriger Zuhörer Schelling’s, den er auch persönlich kennen lernte, und in dessen Haus sah er die künstlerischen Größen des damaligen München, Thorwaldsen und Cornelius; mit Genuß und Verständniß gab er sich dem Studium ihrer Werke und der Kunstsammlungen hin. Eine Donaufahrt nach Wien, von wo er zu Fuß durch Steiermark und das Salzkammergut zurückwanderte, beschloß die Münchener Zeit. Im Herbst 1830 kehrte er nach Kiel zum Abschluß der Studien zurück. Michaelis 1831 bestand er das vor den beiden Obergerichten abzulegende Staatsexamen mit gutem Erfolg. Damit war ihm die Justizlaufbahn in den Herzogthümern geöffnet, denn eine weitere Prüfung gab es nicht. Seine Absicht ging dahin, sich in Kiel als Advocat niederzulassen. Wider alles Erwarten traten dem unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg. Zum ersten Mal griff die Politik in sein Schicksal ein und sogleich in empfindlichster Weise. Gerade zu jener Zeit (Herbst 1830) hatte Jens Uwe Lornsen eine hochgehende politische Bewegung in den Herzogthümern entfacht und die staatsrechtliche Zusammengehörigkeit Schleswig-Holsteins und den Gegensatz der Herzogthümer zu dem unter der lex regia stehenden Königreich Dänemark zum politischen Glaubensbekenntniß der deutschen Patrioten erhoben. B. hatte sich an der von Lornsen hervorgerufenen Agitation persönlich nicht betheiligt, obwol er ihm nahe stand, aber jene Anschauungen vertrat auch er mit vollster Ueberzeugung. Nun übersandte ihm die Regierung zugleich mit der Anzeige, daß sein Gesuch um eine Advocatenbestallung angenommen und diese ausgefertigt sei, in üblicher Weise das Formular des von den Advocaten zu vollziehenden Homagialeides. In diesem Formular (B. hat das ihm übersandte Exemplar lebenslang aufbewahrt und es in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 1 abgedruckt) verpflichtet sich der Schwörende eidlich dem König von Dänemark zu unbedingter Treue. Diesen Eid zu leisten schien B. unmöglich. Denn er schloß die Anerkennung der absoluten Königsherrschaft in sich, und diese galt ja nur in Dänemark auf Grund der lex regia, nicht in den nach eigenen Verfassungsrechten zu regierenden Herzogthümern. So verweigerte er den Eid; auch das Zureden der Freunde, Lornsen’s selbst und Hegewisch’s, konnte ihn in seinem Entschluß nicht wankend machen.

Die Advocatur mußte er daran geben; er wandte sich der akademischen Laufbahn zu. Schon vorher, um die Zwischenzeit bis zur Erledigung des Gesuches um Zulassung zur Advocatur auszufüllen, hatte er Repetitoria eröffnet; diese setzte er nun in erweitertem Umfange fort; daneben vertiefte er durch eifriges Studium nordischer und deutscher Rechtsquellen seine Kenntnisse und verfaßte seine Dissertation („De iuramento partium cum consacramentalibus in Slesvico-Holsatia abrogato“, Kiliae 1833), auf Grund deren er 1833 promovirt wurde. Gleich darauf habilitirte er sich und begann mit dem Sommersemester 1833 zu lesen und zwar über schleswig-holsteinisches Privatrecht. Da traf ihn ein neuer Schlag: der König hatte die für die Habilitation nothwendige Bestätigung des Doctordiploms verweigert, und so wurde seine Vorlesung amtlich geschlossen. Zum zweiten Mal erlitt er Schiffbruch, auch die Universitätslaufbahn und damit überhaupt jede Zukunft in seinem engeren Vaterlande wurde ihm unmöglich gemacht. Ein heftiges Nervenfieber ergriff ihn, aber er beugte sich nicht. Lieber gab er die Heimath daran, als daß er [447] das einmal für Recht Erkannte verleugnete. Er entschloß sich zu dem Versuche, auswärts – schon damals dachte er vor allem an Preußen – die Lehrthätigkeit wieder aufzunehmen und sich zunächst die Wege dazu durch eine größere litterarische Leistung zu ebnen. Er begab sich im Herbst 1833 nach Göttingen, um dort auf der Bibliothek die nöthigen Quellenstudien für sein geplantes Werk anzustellen. Ein glücklicher Stern führte ihn dorthin. Nur ein Jahr blieb er dort; aber es gelang ihm nicht nur, sein wissenschaftliches Ziel in glänzender Weise zu erreichen, sondern vor allem, in einem Kreise von Menschen heimisch zu werden, deren Bekanntschaft und Freundschaft zu den schönsten Besitzthümern seines Lebens wurde. Durch Hegewisch empfohlen trat er bei Dahlmann ein. Schon der Empfehlungsbrief (abgedruckt bei Springer, Dahlmann 1, 409) mußte für ihn das günstigste Vorurtheil erwecken. Denn wenn Hegewisch ihn darin als tüchtig von Kopf und Kenntnissen schilderte, als einen respectablen Charakter, der eine ungewöhnliche Energie bewiesen habe, indem er durch jene Eidesverweigerung eine sichere Aussicht auf gutes Fortkommen opferte; wenn er ihn ein Kieler Product von dem Samen nannte, den die Kieler Blätter ausgestreut hätten: wie hätte nicht dadurch sofort Dahlmann’s lebhaftestes Interesse erweckt werden sollen. Auf dieser Grundlage wurde ein Freundschaftsbund errichtet, der aus Beiden trotz des Altersunterschieds treueste Gesinnungsgenossen und, als die Verhältnisse es fügten, auch tapfere Kampfgenossen machte; ohne Schwanken hat er bis zu Dahlmann’s Tode bestanden und schließlich einen schönen Ausklang in dem Nachruf gefunden, den B. dem geschiedenen Freunde und Meister widmete (Unsere Zeit 6 [1862], 68–70). Er berichtet hier, daß er ihn in dem Göttinger Jahr täglich gesehen habe. Wie viel er diesem Verkehr verdankte, bezeugte er dadurch, daß er das Werk, das er in Göttingen zur Vollendung brachte, den ersten Band seiner „Lehre von den Erbverträgen“ (Erster Theil: Die Vergabungen von Todeswegen nach dem älteren deutschen Rechte. Göttingen 1835) mit herzlichen Worten Dahlmann widmete. Nicht minder warm gedachte er in dem Vorwort der gütigen Unterstützung, die ihm Jacob Grimm, sein „vielgeliebter Lehrer“ hatte zu Theil werden lassen; auch zu ihm und Wilhelm und ihrem Hause trat er ebenso wie zu dem Dahlmann’schen in engste persönliche Beziehungen. Nimmt man dazu den Verkehr mit Albrecht, Richthofen, Thöl und Anderen, so begreift man, welche langwirkende Eindrücke er von Göttingen mit fortnahm, als er die Stadt Herbst 1834 verließ; nur ungern ließ man ihn ziehen; im Dahlmann’schen Familienkreise zeigte sich eine schmerzliche Lücke; noch längere Zeit hallt in den Briefen die Klage über den Verlust, der Wunsch des Wiedersehens nach (Springer).

B. begab sich, da er in Berlin als einstiger Sprecher der Burschenschaft Schwierigkeiten erwarten zu müssen glaubte, nach Heidelberg, um sich dort auf Grund des zu Weihnachten 1834 ausgegebenen Werkes über die Erbverträge zu habilitiren. Auch in Heidelberg traf er anregende Menschen, Thibaut, Schlosser, Baumstark, Karl Hegel; vor allem knüpfte er mit Gervinus ein inniges Freundschaftsverhältniß an. Seinem Ziel aber, Eröffnung der akademischen Thätigkeit, stellten sich auch hier noch Hindernisse in den Weg. Nachdem er, wie das verlangt wurde, zum zweiten Male promovirt worden war und sich habilitirt hatte, verweigerte diesmal die badische Regierung die Bestätigung, weil er nicht die gehörige Zeit praktischer Beschäftigung nachgewiesen habe. Diese neue unerwartete Hemmung machte den sonst so starken und sicheren Mann völlig muthlos; er ging schon mit dem Gedanken um, die Jurisprudenz an den Nagel zu hängen und noch jetzt ein neues Studium, das des Forstfachs, zu beginnen, als endlich auf Grund von Attesten, die aus Schleswig beschafft worden waren, die Regierung ihre Ansprüche als erfüllt erklärte und die Bestätigung [448] ertheilte. So konnte er denn nun endlich, im Sommer 1835, ohne daß eine neue Unterbrechung dazwischen kam, des erreichten Erfolges froh, die Lehrthätigkeit beginnen.

Nur ein froh verlebtes Sommersemester hindurch übte er sie in Heidelberg aus. Im Sommer 1835 bereits erging an ihn der Ruf, eine außerordentliche Professur in Basel zu übernehmen; besonders auf Dahlmann’s Zureden leistete er ihm Folge; im Herbst siedelte er über; bald wurde die außerordentliche in eine ordentliche Professur verwandelt. Er hat zwei Jahre Basel angehört. Seine Vorlesungen dort, die er mit einer öffentlichen Antrittsrede „über die Stellung des römischen Rechts zu dem nationalen Recht der germanischen Völker“ (Basel 1836; wieder abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 3) eröffnete, erstreckten sich auf Pandekten und deutsches Privatrecht. Daneben arbeitete er den zweiten Band seiner Erbverträge aus. Er wurde Mitglied der juristischen Gesellschaft und hielt in ihr einen Vortrag „über Rechtswissenschaft, Theorie und Praxis“ (handschriftlich vorhanden). Vor allem aber benutzte er auch hier wieder die Gelegenheit, offenen Auge den Umkreis seiner Anschauungen zu erweitern. Er hat es später öfters, zunächst schon in der bald nach dem Fortgang von Basel niedergeschriebenen Vorrede zum zweiten Band der Erbverträge, öffentlich ausgesprochen, wie dankbar er jener guten Stadt für die dort gesammelten Erfahrungen gewesen und geblieben sei, denn dort habe er aus eigner Anschauung die Vorzüge einer freien Rechtsverfassung kennen gelernt. Den Sohn dithmarsischen Landes heimelte das Schweizer Gerichts- und Gemeindewesen an, in dem er das alte deutsche Schöffenthum in moderner Gestalt erkannte. Besonderen Eindruck machte auf ihn die Hegung einer Landesgemeinde in Unterwalden, der er beiwohnte. Daß er auch in Basel persönliche Bekanntschaften förderndster und angenehmster Art machte und daß er als rüstiger Wanderer die Schönheiten des Landes zu genießen wußte, wird man begreiflich finden. Ebenso aber auch, daß er sich schnell entschloß, dem Ruf in die Heimath zu folgen, der aus Rostock, auf hauptsächliches Betreiben Dahlmann’s, an ihn erging. Im Herbst 1837 verließ er die Schweiz. Sein Rückweg führte ihn über Göttingen. Kaum war er dort angelangt, als die Katastrophe der Göttinger Sieben erfolgte. Sie machte den tiefsten Eindruck auf ihn, stand er doch zu fast Allen von ihnen in nahesten Beziehungen und theilte er doch mit ihnen durchaus die Gesinnung, die sie zu ihrer That bestimmte. Er hat noch unmittelbar unter der Einwirkung des Erlebnisses von Rostock aus eine Schrift zur Vertheidigung der Freunde herausgegeben: „Zur Beurtheilung der sieben Göttinger Professoren und ihrer Sache“ (Rostock 1838; wieder abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 5); nach Springer’s Urtheil wirkte sie von den selbständigen Schriften über die Angelegenheit am meisten und besten. Sie ist in Briefform gehalten; der Verfasser fingirt als Adressaten einen auf seinem Landgut lebenden Major außer Diensten, der wie einst im Felde so jetzt im Frieden seine vaterländische Gesinnung bethätigt hat, nämlich durch Betheiligung an der Nationalsubscription für die Göttinger, und der nun als Gegendienst eine nähere Charakteristik jener Männer zu erhalten wünscht. So wird denn jeder der Sieben ausführlich beschrieben; man sieht aus diesen zum Theil begeisterten Schilderungen, welche Weite der Anschauungen und Kenntnisse B. der nahe Verkehr mit jenen Männern eingetragen hatte; nicht allzu häufig wird ein Jurist so warme, aus innerer Ueberzeugung quellende Worte gefunden haben, um Werke wie Grimm’s Deutsche Grammatik oder die Historik von Gervinus zu charakterisiren. Daß er mit besonderer Vorliebe bei Dahlmann und dessen Politik verweilte, ist erklärlich genug. Die Schilderungen von Ewald und Weber entwarfen auf seine Bitten die Rostocker Collegen Hävernick und Stannius. [449] Aber die Briefe enthalten zugleich eine Beurtheilung des Falles selbst. Theils werden die Gesichtspunkte auseinandergesetzt, die ihr allein zu Grunde gelegt werden dürfen, theils werden entgegenstehende Ansichten, wie sie zumal in einigen Preßerzeugnissen zu Tage traten, kritisirt und zwar äußerst scharf. Dabei findet sich die Gelegenheit zu Ausführungen allgemeinerer Art, wie z. B. über die Stellung der deutschen Universitäten und ihrer Angehörigen, über die geschichtliche Bedeutung Göttingens und das grade durch Männer wie die Sieben dort dem alten Hofrathston gegenüber neu eingeführte frischere Leben. Besonders interessant vom biographischen Standpunkt aus sind die lebhaften, sicherlich mit Absicht ein wenig übertriebenen Bemerkungen des fünften Briefes, in denen unter kurzer Charakterisirung der Rechtsentwicklung in Deutschland auf die Thatsache hingewiesen wird, daß bei uns der Jurist so häufig einseitig, pedantisch, spitz sei, daß man sich bei uns recht sehr vorzusehen habe, wenn man einen Juristen fragen wolle, was Recht sei. In diesen Sätzen sprechen sich Ueberzeugungen aus, die, wie zu zeigen sein wird, B. stets erfüllt, ja ihm geradezu seinen wissenschaftlichen Charakter verliehen haben; sie bilden zu einem guten Theil in jedem seiner größeren Werke den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Gedankenuntergrund. Hier in den Briefen verräth er uns, wie sehr ihn diese Dinge persönlich berührt, wie sie ihn zeitweis von der Beschäftigung mit unserem Recht geradezu abgestoßen hätten: es würde ihm, wenn er in den ganzen Wirrwarr sehe, oft zu Muthe wie Fausten in der Hexenküche; zuweilen habe er nicht übel Lust, gleich dessen hitzigem Gefährten all die Büchsen und Retorten mit dem Wedel zusammenzuschmeißen; er wolle es im Vertrauen sagen, daß er bei dem Studium der Jurisprudenz mehr Mühe gehabt habe, den Menschen zu bewahren, als den Juristen großzuziehen. Man wird schon hieraus ersehen, daß ein lebendiger, ja leidenschaftlicher Geist aus diesen Briefen spricht; sie sind die einzige Schrift Beseler’s, auf die man wenigstens an manchen Stellen die Bezeichnung geistreich anwenden möchte.

Die hannoversche Regierung versuchte für seinen Freimuth Rache zu nehmen und die mecklenburgische Regierung zu bewegen, ihn wegen der Veröffentlichung der Schrift sogleich wieder abzusetzen. Aber es gelang ihr nicht.

Mit der Niederlassung in Rostock im Herbst 1837 beginnt eine Periode ruhiger Gelehrtenthätigkeit, die anhielt, bis die politischen Wogen der deutschen Revolution auch B. vom Schreibtisch und Katheder auf den Kampfplatz des Parlaments riefen. Denn daß er zu Ostern 1842 Rostock mit Greifswald vertauschte, bedeutete keine beträchtliche Aenderung der Lebens- und Arbeitsweise. In diesem Rostocker und Greifswalder Jahrzehnt legte B. vor allem den sicheren Grund seiner wissenschaftlichen Stellung. Er vollendete sein großes Werk über die Erbverträge, dessen zweiten Band er gleich nach seiner Ankunft in Rostock (November 1837) ausgehen lassen konnte (Zweiter Theil, erster Band: allgemeiner Theil, der Erbeinsetzungsvertrag im Allgemeinen. Göttingen 1837), dessen dritten er in Rostock ausarbeitete und 1840 erscheinen ließ (Zweiter Theil, zweiter Band: besondere Arten des Erbeinsatzungsvertrages; der Erbverzicht; Anhang. Göttingen 1840). Das abgeschlossene Werk erwarb sich außerordentliche Anerkennung; am meisten werden seinen Verfasser die wenn auch in manchen Hauptpunkten abweichenden, so doch für ihn äußerst ehrenvollen und glänzenden Besprechungen erfreut haben, die Albrecht veröffentlichte (in den Gött. gel. Anzeigen 1835, St. 54, 55 und in den Krit. Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft 1842, S. 321–353).

Weitere Ziele steckte er sich in der 1843 erschienenen Schrift „Volksrecht und Juristenrecht“ (Leipzig 1843). Auf ihren Inhalt soll später genauer [450] eingegangen werden. Hier sei nur so viel bemerkt, daß er in ihr gewissermaßen ein wissenschaftliches Glaubensbekenntniß ablegte. Die Lehre der historischen Schule von der Entstehung des Rechts, die Frage, ob sie ausreiche, die gegenwärtigen Rechtszustände Deutschlands zu erklären, die Untersuchung, ob nicht der Jammer dieser Rechtszustände durch eine zweckentsprechende Ausgestaltung nationaler Rechtsgedanken geheilt und also der künftigen Rechtseinheit Deutschlands durch Reformen des Privatrechts und besonders auch des Proceßrechts und der Gerichtsverfassung vorgearbeitet werden könne und müsse, das waren die Probleme, die in dieser Schrift behandelt wurden. Und zwar behandelt wurden in einer eigenthümlichen, der Sache vielleicht nicht durchaus dienlichen Form. Das zweifellos hervorragend gut geschriebene Buch, das, wie man sieht, vor allem praktische Zwecke verfolgte, auf eine Verbesserung der deutschen Rechtspflege einwirken wollte, ist ein Mittelding zwischen einer auf weitere Kreise berechneten Programmschrift und einer strengen rechtshistorischen und dogmatischen Erörterung einzelner für die Endabsichten des Verfassers entscheidender Punkte. Dadurch erklärt sich einerseits die eine breitere Wirkung erschwerende Umständlichkeit des Vorgehens, und andrerseits die nun doch nicht erschöpfende und auch nicht mit der erforderlichen wissenschaftlichen Kühle angestellte Behandlung der Detailfragen: die rechtsgeschichtlichen und dogmatischen Untersuchungen sind nur für ganz bestimmte Zwecke vorgenommen, werden wenigstens dem Leser nur soweit mitgetheilt, als jene Zwecke es erheischen. So erhalten diese Ausführungen etwas apodiktisches, und der beständig auf sein hohes Ziel gerichtete Blick des Verfassers übersieht auch wohl Lücken und Widersprüche in ihnen, die freilich für das Erreichen jenes Zieles unerheblich sind, aber bei nachprüfender Betrachtung nicht unbeachtet bleiben konnten. Alles das wird es erklären, daß die Wirkung der Schrift keine geringe war. Es mußte Eindruck machen, wenn man in Worten, wie man sie seit Thibaut’s warmherzigem Appell vom Jahre 1814 nicht vernommen hatte, die an das deutsche Volk gerichtete Mahnung erschallen hörte, sein deutsches Recht nicht über dem fremden zu vergessen, wenn man den hervorragenden gelehrten Juristen für volksthümliches Recht und volksthümliche Rechtspflege eintreten, für Beseitigung der Schranken kämpfen sah, die das Rechtsbewußtsein des gemeinen Mannes von dem Recht der gelehrten Richter trennten.

Aber ebenso erklärlich war es, daß die wissenschaftlichen Kritiker auf die logischen Schwächen der Schrift hinwiesen. Und nicht verächtliche Recensenten traten auf. Puchta, der die Lehre der historischen Schule vom Gewohnheitsrecht begründet hatte, wandte sich in einer ausführlichen Kritik (Jahrbücher f. wiss. Kritik, Jahrg. 1844, 1. Band, S. 1–30; auch als Sonderabdruck bei Besser in Berlin erschienen) gegen die Grundpfeiler der Beseler’schen Lehre, gegen die Annahme eines besonderen dem Volksrecht gegenüberstehenden Juristenrechts, in der er einen Rückschritt gegenüber der von ihm zur Herrschaft erhobenen Doctrin erblickte. Reinhold Schmid umgekehrt machte es B. zum Vorwurf, daß er sich noch längst nicht genügend aus dem Banne der historischen Schule befreit habe; auch nahm er ihm gegenüber das römische Recht in Schutz und erklärte es für wichtiger, die juristische Methode zu verbessern als ältere deutsche Rechtsinstitute neu beleben zu wollen (Kritische Jahrbücher f. deutsche Rechtswissenschaft, 8. Jahrg., 15. Band, 1844, S. 385–420). Carl Georg v. Wächter kritisirte in seiner Schrift über das gemeine Recht (Gemeines Recht Deutschlands insbesondere Gemeines deutsches Strafrecht. Leipzig 1844, S. 184–204) Beseler’s allerdings ziemlich anfechtbare Gegenüberstellung von unbedingt und bedingt gemeinem Recht und seine Erörterungen über die Bedeutung der Reception. Am schärfsten, oder wie B. sagt, am grimmigsten, erhob sich gegen ihn in einer [451] eigenen Abhandlung sein alter Göttinger Freund Thöl. B. macht der Thöl’schen Kritik den Vorwurf einer scharfsinnig nörgelnden Weise; und man wird zugeben müssen, daß der eigentliche Hauptinhalt der Beseler’schen Schrift, ihr wesentlich praktischer Zweck, ihr warmes Eintreten für nothwendige Reformen, vor allem die wenn auch noch unklare so doch darum nicht minder verdienstliche und zukunftsreiche Hervorhebung gewisser bisher unbeachtet gebliebener deutscher Rechtsbegriffe von Thöl vollkommen übersehen wurden. Thöl’s scharfer Verstand legte an die dogmatischen Ansichten Beseler’s den rein logischen Maßstab an, mit dem ausgesprochenen Zweck, den von B. angebotenen neuen Begriffen den Eingang zu wehren („Volksrecht. Juristenrecht. Genossenschaften. Stände. Gemeines Recht.“ Rostock und Schwerin 1846). Er war sicher auch hier öfters überscharf; aber man kann wol fragen, ob ohne derartige scharfe Entgegnungen B. dazu gelangt wäre, an seinen Ansichten später diejenigen Modificationen vorzunehmen, die ihnen erst zu ihrem weitreichenden Einfluß verholfen haben.

B. sah sich nur durch Puchta’s Kritik zu einer Entgegnung veranlaßt („Volksrecht und Juristenrecht. Erster Nachtrag. G. F. Puchta.“ Leipzig 1844). Er suchte in ihr die einzelnen von Puchta erhobenen Vorwürfe der Reihe nach zu widerlegen und hielt mit Entschiedenheit seine Rechtslehre aufrecht, die er der historischen als eine nationale entgegenstellte. Aber seine Antikritik war weniger eine sachliche Auseinandersetzung als eine höchst leidenschaftliche, persönliche Polemik. Man wird kaum unbedingt behaupten können, daß Puchta dazu Anlaß gegeben hatte. Puchta hatte gewiß nicht ohne Selbstbewußtsein (B. nannte es Hochmuth) gesprochen; am schärfsten wol gegen die praktischen Vorschläge betreffend die Einführung der Schöffengerichte, bei welcher Gelegenheit er es einen schwer zu entschuldigenden Leichtsinn genannt hatte, zu behaupten, es herrsche gegen die mit Juristen besetzten Gerichte eine allgemeine Mißstimmung. Offenbar aber verwundete und empörte es B., daß Puchta, eins der Häupter der historischen Schule, in völliger Kühle über die Fragen hinwegging, die ihn selbst so heftig bewegten, deren praktische Lösung ihm für die Zukunft des deutschen Volkes als Aufgabe von dringendster Wichtigkeit erschien. Statt dessen zu sehen, wie sie durch rein begriffliche Erörterungen als unberechtigt, als nicht vorhanden abgethan wurden, das schmerzte und verletzte ihn, wie ihn auch der kühle und für jene praktischen Punkte unempfängliche Dank schmerzte und verletzte, den ihm Savigny schrieb (der Brief abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 7). So erklärt es sich, wenn er in seiner Antikritik der gegnerischen Meinung jede Berechtigung absprach und kurzweg erklärte, man könne ihn nicht widerlegen, denn für ihn kämpfe die Macht der Wahrheit, die in ihm lebendige Ueberzeugung, daß es sich um die höchsten Interessen der Nation handle. So erklärt sich die Leidenschaftlichkeit der Ausfälle gegen Puchta, die in der am Schluß nach Lessing’schem Vorbild angefügten persönlichen Ansprache sich zu Sätzen steigern wie folgendem: „Sie haben geglaubt, in eitler Verblendung über die Ihnen zu Gebote stehenden Hülfsmittel mit hohler Sophistik und kleinlichem Witz einen Mann niedertreten zu können, dem es um die Wahrheit Ernst ist …; wenn Sie nicht ganz in Hochmuth und Selbstsucht versunken sind, so müssen sie jetzt fühlen, daß Ihr Angriff mißlungen ist“.

B. ließ diesem ersten gegen Puchta gerichteten Nachtrag zu seinem Buch keinen weiteren folgen. Er sah ein, daß er hitziger als nöthig geworden war; er kam, „von Natur zu persönlichem Streit wenig aufgelegt, zu dem Entschluß, statt sich im Einzelkampf zu verbeißen, lieber durch eine neue Leistung seine Ansichten tiefer zu begründen und weiter zu entwickeln“. So entstand das Hauptwerk Beseler’s, das geraume Zeit hindurch die führende Stellung in der germanistischen Dogmatik einnahm: das „System des deutschen Privatrechts“ („System des gemeinen [452] deutschen Privatrechts“. Erster Band. Leipzig 1847. Zweiter Band. Ebenda 1853. Dritter Band. Berlin 1855. Zweite Auflage in einem Bande. Berlin 1866. Dritte Auflage, ein Band in zwei Abtheilungen. Berlin 1873. Vierte Auflage, ebenso. Ebenda 1885). Der erste Band gehört noch ganz der ersten Greifswalder Zeit an; er erschien 1847.

Neben diesen großen Werken verdanken auch noch eine Reihe kleiner Arbeiten dem Rostock-Greifswalder Jahrzehnt ihre Entstehung. In der Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, in deren Redaction er 1845 neben Reyscher und Wilda eintrat, veröffentlichte er 1845 in dem ersten von ihm mitredigirten Bande (dem neunten der Zeitschrift) die wichtige Abhandlung „von den Testamentsvollziehern“ (Band 9, 1845, S. 144–228); daselbst im zehnten Bande 1846 die „über die gerichtliche Auflassung in dem mecklenburgischen Hypothekenrecht“ (Band 10, 1846, S. 105–138). Gelegentlich übte er auch den Beruf des Recensenten; so zeigte er in den Berliner Jahrbüchern f. wissenschaftliche Kritik (Jahrg. 1839, 1. Band, Sp. 209–214, 217–229) die Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts von Phillips an, in den Kritischen Jahrbüchern f. deutsche Rechtswissenschaft (8. Jahrg., 16. Band, 1844, S. 581–598) in einer sehr ausführlichen Besprechung Runde’s deutsches eheliches Güterrecht.

Neben der schriftstellerischen nahm die Lehrthätigkeit ihren regelrechten Fortgang. Seine Vorlesungen erhielten einen festen, in gleichmäßiger Folge durchmessenen Kreislauf: in Greifswald las er über deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Privatrecht und deutsches Staatsrecht; dazu kamen Vorlesungen über Landwirthschaftsrecht an der Akademie Eldena. Bemerkenswerth ist es, daß er neben den Vorlesungen bereits in Greifswald juristische Uebungen einzurichten begann, die er dann mit Staatshülfe in ein deutschrechtliches Seminar umbildete; es war das Vorbild für manche ähnliche Einrichtungen anderwärts.

Es lag in Beseler’s zu praktischer Bethätigung besonders befähigten Natur, nicht im Lehrberuf allein seine akademischen Pflichten zu erblicken. Er betheiligte sich mit Vorliebe an dem corporativen Leben der Universität. Zumal in Greifswald nahm er in dieser Beziehung eine einflußreiche Stellung ein. Er war erst durch wiederholtes Bitten des Ministers Eichhorn dazu bewogen worden, Rostock zu verlassen; er that es nur, weil ihm der Minister mittheilte, daß er besondere Zwecke mit der Berufung verfolge, daß er durch ihn neues Leben in Greifswald zu erwecken wünsche. In der That gelang es B., zumal die juristische Facultät durch die Berufung von Männern wie Planck, Otto Mejer, Windscheid, Bekker u. A. ansehnlich zu heben. Sicherlich aber war es nicht die Gunst des Ministers, der er schon 1841 die Verleihung des Titels eines Geheimen Justizrathes verdankte, was ihm Ansehen verschaffte, sondern in erster Linie seine Achtung und Ehrfurcht gebietende, Vertrauen erweckende Persönlichkeit; zwei Mal stand er in Greifswald als Rector an der Spitze der Universität. Und weit über die Universität hinaus erstreckten sich seine Interessen und sein Einfluß. Sein Lebensziel und -zweck, für deutsches Recht und für die Verbesserung der deutschen Rechtszustände zu wirken, suchte er zu fördern, wo immer die Gelegenheit sich bot. In dieser Absicht übernahm er die Mitredaction der genannten deutschrechtlichen Zeitschrift, betheiligte er sich vor allem auch an den Germanistenversammlungen zu Frankfurt a. M. und Lübeck 1846 und 1847, auf denen die Frage der Reform des deutschen Rechts fast den breitesten Raum einnahm. In Frankfurt war er neben Reyscher Vicepräsident der juristischen Section; auf seinen Antrag beschäftigte man sich mit dem Plane, eine Sammlung der neuesten deutschen Gesetze von 1815 zuveranstalten, den man dann freilich in Lübeck fallen lassen mußte; er [453] gehörte der Commission für die Geschworenengerichte an und wurde in Lübeck in die Commission gewählt, die man zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs betr. die ehelichen Güterrechte niedersetzte. Zur weiteren Verfolgung dieser hoffnungsfreudig begonnenen Arbeiten ist es ja nicht gekommen. Aber einer Natur wie B. war wie jede andere so auch diese Gelegenheit willkommen, mit seinen Gedanken vor die Oeffentlichkeit zu treten. In diesem Sinne suchte er denn auch stets Fühlung mit der Praxis zu gewinnen und zu behalten; er begrüßte die Verlegung des mecklenburgischen Oberappellationsgerichtes von Parchim nach Rostock mit Freude; er nahm in Rostock und Greifswald mit Eifer an den Verhandlungen der Spruchcollegia der Facultäten Theil und begann damit, einzelne vom germanistischen Standpunkt aus interessante Erkenntnisse in der Zeitschrift f. deutsches Recht zu veröffentlichen (Band 9, 1845, S. 487–496: Uebertragung des Eigenthums der Waare durch Aushändigung des Conossements; Band 18, 1858, S. 294–300: Das Setzen eines Schiffes zu Gelde). Endlich setzte bereits in Rostock die wichtige und einflußreiche Thätigkeit ein, die er durch Ertheilung von Rechtsgutachten ausübte; es mag hier die umfangreiche Eingabe genannt werden, die er für die Gutsbesitzer bürgerlichen Standes in Mecklenburg an den Landesherrn verfaßte (Rostock 1841, wieder abgedruckt als Anlage 6 in „Erlebtes und Erstrebtes“); sie enthält eindringende rechtshistorische Untersuchungen über die Entwicklung der mecklenburgischen „Ritterschaft“.

Fügen wir hinzu, daß B. aus seiner 1839 mit Emilie Karsten geschlossenen Ehe reiches und ungetrübtes häusliches Glück erblühte, so sieht man, daß jenen stillen Rostocker und Greifswalder Universitätsjahren nichts an innerer und äußerer Befriedigung fehlte. Sie gingen 1847 zu Ende und ein neuer Lebensabschnitt, der aufregendste, thatenreichste, ruhmvollste begann.

Von jeher hatte B. an den öffentlichen Dingen den lebhaftesten Antheil genommen; der raschere Gang, den die Ereignisse seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. annahmen, steigerte seine Theilnahme auf das höchste. Zunächst lag ihm, wie erklärlich, das Schicksal seiner Heimath, die Zukunft Schleswig-Holsteins, am Herzen. In ihrem Dienst war es, daß er das Werk seines Freundes Lornsen über „die Unionsverfassung Dänemarks und Schleswig-Holsteins“ veröffentlichte (Jena 1841), das ihm dieser kurz vor seinem Tode „vertrauensvoll zur getreuen Hand“ übergeben hatte; einleitungsweise versah er es mit einer schönen Charakteristik des trotz allen Mißgeschicks bis zuletzt von Zukunftsglauben erfüllten Patrioten; so erzielte die Schrift eine außerordentlich tiefe politische Wirkung in den Herzogthümern. Selbständig griff er in den immer hitziger werdenden Streit der Meinungen zum ersten Mal mit dem Vortrage ein, den er auf dem ersten Germanistentag zu Frankfurt über die schleswig-holsteinische Angelegenheit hielt (gedruckt in den Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt a. M. 1847, S. 18–32). In diesem Vortrage, der der erste der auf der Versammlung gehaltenen war und durch sein Thema wie durch die entschiedene Sprache auch diesen Germanistenverhandlungen sogleich jenen der damaligen Zeit überhaupt eigenthümlichen, in einer Verbindung von Wissenschaft und Politik beruhenden Charakter aufprägte, unterzog er das dem berüchtigten Königsbrief zu Grunde liegende, von der dänischen Regierung verbreitete Commissionsgutachten einer eingehenden kritischen Prüfung; auf das schlagendste wurde die dänische Behauptung widerlegt, daß das Herzogthum Schleswig jemals in das Königreich incorporirt worden sei. Immerhin bezweckte der Vortrag nur eine lediglich wissenschaftliche Erörterung der Frage; er war noch kein Stück rein praktischer Politik.

In sie trat B. damit ein, daß er die in Greifswald auf ihn gefallene Wahl zum Abgeordneten des deutschen Volkes für die Frankfurter Nationalversammlung [454] annahm. Er hat in jenem an Talenten und Charakteren so reichen ersten deutschen Parlament eine hervorragende Stellung eingenommen und wiederholt durch seinen Einfluß wichtige Entscheidungen herbeigeführt. Vor allem bedeutend war sein Antheil an der Ausarbeitung der Reichsverfassung. Er war eine der Stützen der „erbkaiserlichen“ Partei, er gehörte zum rechten Centrum, dem sog. Casino; er bildete mit Dahlmann, neben dem er im Parlament saß, mit Droysen, mit dem er eine Zeit lang zusammen wohnte, und mit Waitz jene Gruppe von Professoren, die, wie er später sagte („Erlebtes und Erstrebtes“ S. 62), dafür verantwortlich gemacht zu werden pflegte, wenn es in den parlamentarischen Arbeiten nicht nach Wunsch ging. Doch die Geschichte hat längst ihr Urtheil dahin gesprochen, daß, wenn in Frankfurt überhaupt etwas erreicht wurde und einer glücklicheren Zukunft wichtige Vorarbeiten geliefert worden sind, dies der keineswegs unpraktischen Thätigkeit jener Gelehrten und ihrer Genossen verdankt wird. Am 18. Mai zog B. mit Dahlmann in die Paulskirche ein, sprach sogleich am folgenden Tage zu dem Raveaux’schen Antrage, der bekanntlich sofort die Frage nach dem Verhältniß zwischen Frankfurt und den Regierungen der Einzelstaaten aufrollte, eilte mit Dahlmann noch am gleichen Tage nach Darmstadt, um Heinrich v. Gagern zur Uebernahme des Präsidiums zu bewegen, und trat dann in den Verfassungsausschuß ein, um hier als „treuester und wichtigster Genosse Dahlmann’s“ (Springer) zu wirken. Wenn man die von Droysen herausgegebenen, allerdings nur bis in den October 1848 reichenden Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses durchblättert, so tritt einem die überaus eifrige und unverdrossene Thätigkeit entgegen, die B. hier entwickelte. Laube und Haym haben sie lebendig geschildert; Haym hebt hervor, wie der Greifswalder Professor die eigentliche Seele aller Verhandlungen gewesen sei; einen unerschöpflichen Schatz juristischer und staatsrechtlicher Kenntnisse habe er mitgebracht, und sein treffendes Urtheil, den größten Verhältnissen gewachsen, sei so wenig ermüdet wie seine Arbeitskraft an den kleinsten Dingen, an den häklichsten Fragen. Er bewies das zunächst in der vom 25. Mai bis zum 10. Juni andauernden Berathung der Grundrechte. Täglich griff er in die Discussion ein, sei es mit kurzen Bemerkungen, sei es in ausführlichen Darlegungen, wie er denn z. B. Gelegenheit nahm, die ihn auch wissenschaftlich besonders nahe berührenden Fragen des Genossenschaftswesens, der fideicommissarischen Befugniß des Adels, des nothwendig zu verstärkenden Laienelements in der Rechtsprechung eingehend zu erörtern. Nach dem Schluß der Berathungen wurden B. und Droysen beauftragt, das durch die Discussionen und Abstimmungen gewonnene Resultat zu redigiren; ihre Vorlage (bei Droysen als Anlage 4 abgedruckt) wurde dann noch einmal im Ausschuß durchgesprochen und darauf endgültig wiederum von B. und Droysen redigirt (Anlage 5); B. verfaßte zu diesem definitiven Entwurf der „Grundrechte des deutschen Volkes“ den eingehenden motivirten Bericht (dieser auch in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 8 abgedruckt). Nun aber begann für B. die Hauptarbeit; denn er wurde vom Ausschuß als Berichterstatter über die Grundrechte für das Plenum bestellt. Damit trat er denn, wie Laube sagt, in eine Kampfesarbeit ein, die länger denn ein Vierteljahr anhielt, und ganz geeignet war, auch einen kräftigen Mann zu zerreiben. Aber er bestand den Kampf mit deutscher Nachhaltigkeit und Zähigkeit, wie ihn nur ein Mann bestehen konnte, der mit gründlichen und mannichfaltigen Kräften der Bildung und mit seltener Ruhe des Gemüths ausgestattet war (Laube). Unermüdlich und unerschütterlich war er in seiner Vertheidigung der Vorlage nach rechts und nach links; bald in einleitender Rede die Discussion eröffnend, bald in kurzen Zwischenbemerkungen Irrthümern und Verdrehungen entgegentretend, [455] bald zum Schluß eines Abschnitts die Ergebnisse der Debatten ausführlich und objectiv zusammenfassend. Mit einer großen Eröffnungsrede (abgedruckt bei Mollat S. 100–106) legte er am 3. Juli den gesammten Entwurf der Grundrechte vor; dann sprach er im Lauf der Verhandlungen insbesondere über das Reichsbürgerrecht (am 17. Juli), ganz besonders ausführlich und eindringlich am 2. August über den Art. II, § 6 betreffend die Gleichheit vor dem Gesetz, wobei er sich gegen Jacob Grimm’s Rede vom vorigen Tage wandte, die die Abschaffung des Adels empfohlen hatte (Beseler’s Rede abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 9); später folgten noch größere Reden über Preßfreiheit (18. August), über Kirche und Staat (28. August und 8. September), über Unverletzlichkeit des Eigenthums (28. September), Enteignung und Ablösung (5. October), Lehen, Fideicommisse und Stammgüter (12. October).

Wie man sieht, gebührt B. an der Feststellung der oft verspotteten Frankfurter Grundrechte ein hauptsächliches Verdienst. Gewiß wurde mit ihrer lang sich hinziehenden Berathung viel kostbare Zeit verschwendet; aber die mächtige Strömung, die Deutschland ergriffen hatte, verlangte gebieterisch, daß der nach langer Unterdrückung aufathmenden Nation ein bestimmtes Maaß von Freiheitsrechten gesichert wurde. B. und seine Gesinnungsgenossen haben das ihrige gethan, um utopischen Bestrebungen gegenüber das Erreichbare zum Maßstab zu machen. Mit Recht konnte es B. in seinem Rückblick auf eine Thätigkeit, die ihm zunächst wenig Dank eingetragen hat, aussprechen, daß jene Grundrechte, die Grundrechte des rechten Centrums, nicht zum wenigsten seine Grundrechte, im wesentlichen in die modernen deutschen Verfassungen übergegangen seien, auch in die preußische, und daß, wenn jene Verhandlungen nicht in Frankfurt stattgefunden hätten, man später bei der Begründung des norddeutschen Bundes ihnen schwerlich würde aus dem Wege haben gehen können.

Inzwischen bereitete der Verwaltungsausschuß weitere auf die eigentliche Reichsverfassung bezügliche Vorlagen vor. B. wurde mit Dahlmann und Mittermaier in eine Vorcommission gewählt, um einen Entwurf über den Umfang der Centralgewalt auszuarbeiten; sie legten ihren Entwurf dem Ausschuß am 8. Juli vor (bei Droysen Anlage 6). Man berieth ihn in eingehenden Debatten, in denen sich B. besonders ausführlich zu den Fragen über die Militärhoheit, das Associationswesen, die Gesetzgebungsgewalt des Reichs, das Steuer-, Münz- und Bankwesen äußerte, bis zum 18. September. In diesen Debatten wurde der Entwurf der Vorcommission so stark umgestaltet, daß sie, nunmehr durch Soiron und Droysen verstärkt, eine Neuredaction vornehmen mußte. Auf diese Weise entstanden die Entwürfe der beiden ersten Abschnitte der Reichsverfassung: das Reich und die Reichsgewalt. Sie standen im Ausschuß vom 26. September bis zum 3. October zur Verhandlung. In diesen Abschnitten lagen die über die Zukunft des Parlaments und Deutschlands entscheidenden Fragen beschlossen: der wesentlich von Droysen aufgestellte und redigirte Abschnitt das Reich enthielt „die Frage an Oesterreich“; der die Reichsgewalt betreffende die Bestimmung über das Reichsoberhaupt. Kein Wunder, daß sie schon in der Vorcommission und im Ausschuß einen lebhaften Streit der Meinungen erregten; im Plenum verursachten sie die heftigsten Kämpfe. Zunächst trat bei der Berathung des Umfangs des Reichsgebiets die schleswig-holsteinische Angelegenheit von neuem gebieterisch in den Vordergrund. B. hatte schon am 16. September seinen Standpunkt genommen, in jener erregten Debatte, in der der Malmöer Waffenstillstand auf der Tagesordnung stand, und in der Dahlmann der Versammlung die Worte zugerufen hatte, die Ehre Deutschlands stände auf dem Spiel. B. hatte für die Bestätigung des Waffenstillstands gestimmt, so schwer es ihm [456] wurde, sich von Dahlmann zu trennen; aber ihm hätte die Nichtgenehmigung den Bruch zwischen Frankfurt und Berlin, das Scheitern des Verfassungswerkes, die äußerste Gefährdung von Schleswig-Holstein bedeutet. Jetzt rechtfertigte er seinen Standpunkt in einer längeren Rede (am 19. October; abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 10); er vertheidigte den § 1 der Vorlage, dessen Wortlaut die künftige Regelung der schleswigschen Verhältnisse vorbehielt. Ungleich wichtiger und schwieriger war die Regelung des künftigen Verhältnisses zwischen Oesterreich und dem Reich. Der Entwurf des Ausschusses hatte die Frage kühn und so, wie die spätere Geschichte es auf blutigem Wege vollzogen hat, gelöst. Aber man mußte auf die heftigste Erbitterung der großdeutschen Parteien, auf einen möglichen Untergang des ganzen Verfassungswerkes gefaßt sein, wenn man sogleich in diesem Sinne vorgehen wollte. Daher entschloß man sich zunächst zu laviren, einestheils vor der Entscheidung dieses Cardinalpunktes möglichst viele spätere Theile der Verfassung unter Dach und Fach zu bringen, andrerseits durch persönliche Bearbeitung möglichst viele Mitglieder dem Standpunkt des rechten Centrums anzugliedern, um mit diesen verstärkt dann auch an die alles entscheidende Oberhauptsfrage herantreten zu können. Denn B. und seine Freunde wußten von Anfang an, daß hier, an der Frage nach der Einigung Deutschlands unter preußischer Spitze, in der sie die allein mögliche Lösung erkannten, sich die Scheidung der Geister vollziehen würde und müsse. Freilich erforderte es die Politik, daß sie so lange als möglich mit diesen ihren letzten Gedanken zurückhalten mußten. Wie peinliche Lagen sich daraus ergaben, mußte B. selbst in den mit dem Obersten v. Griesheim geführten Erörterungen über den von ihm und Dahlmann ausgearbeiteten „stramm unitarischen“ Entwurf über die militärischen Einrichtungen empfinden und ebenso in einem Gespräch, das er mit dem berühmten französischen Staatsmann Alexis de Tocqueville hatte, der sich von ihm über seine und seiner Partei letzte Ziele unterrichten lassen wollte. B. war es, der einige der erwähnten Vorbereitungshandlungen mit Glück und Geschick zur Ausführung brachte. Er wußte einige 40 Mitglieder des linken Centrums zu bewegen, in ein näheres Cartellverhältniß zum Casino und dem in Verfassungsfragen zu ihm haltenden Landsberg zu treten und damit die Constituirung einer 221 Mitglieder zählenden Reichspartei (Weidenbusch) zu ermöglichen (B. hat die von Biedermann gegen seine Darstellung dieser Verhandlungen erhobenen Einwürfe ausdrücklich zurückgewiesen in den Preußischen Jahrbüchern 54. S. 80 ff.). Die Verhandlungen über den Verfassungsentwurf im Plenum nahmen infolge dieses Schrittes einen gedeihlichen Fortgang; mit beträchtlichen Majoritäten wurden die beiden auf Oesterreich gemünzten Paragraphen des Entwurfs angenommen. Nun aber gab Oesterreich selbst seine Antwort auf die an seine Adresse gerichtete Frage: der Reichstag von Kremsier erklärte die unbedingte Einheit des Kaiserstaates als erste Richtschnur der österreichischen Politik. Damit waren jene bereits angenommenen Verfassungsparagraphen gegenstandslos geworden; sie versagten außerdeutschen Ländern den Eintritt in das Reich, und Oesterreich erklärte eine staatsrechtliche Trennung seiner Territorien für unmöglich. So blieb nur eine Lösung übrig, diejenige, die die erbkaiserliche Partei vertrat: Ausscheiden Oesterreichs aus dem Reich. In diesem Sinne mußte jetzt die Entscheidung herbeigeführt werden. Es war das unmöglich, so lange der Reichsminister v. Schmerling, ein unbedingter Anhänger der Staatseinheit Oesterreichs, die Geschäfte leitete. Man mußte ihn zu stürzen suchen. B. übernahm die undankbare Aufgabe, in der Fraction des Casino gegen Schmerling ein Mißtrauensvotum zu Stande zu bringen; nach hartem Kampfe wurde es angenommen; am folgenden Tage (16. December) schied Schmerling von seinem Posten; Gagern [457] übernahm das Ministerpräsidium. Damit hatte man sich zwar, wie man wol voraussah, in Schmerling einen heftigen Gegner geschaffen, aber, und darin lag ein großer Erfolg, das Reichsministerium dem österreichischen Einfluß entrissen. Und nun konnte man denn an die Entscheidung „der Frage an Oesterreich“ herantreten. Gagern selbst führte sie herbei: er legte dem Parlament sein berühmtes Programm vor, das dem von Kremsier entgegentrat, den Nichteintritt Oesterreichs als nothwendige Folge der Ereignisse aussprach, statt dessen aber eine besondere Regelung des Unionsverhältnisses Oesterreichs zu Deutschland der nächsten Zukunft vorbehielt. In den leidenschaftlichen Debatten, in denen über Gagern’s Vorlage gekämpft wurde, bezeichnete Beseler’s Rede vom 13. Januar 1849 einen Höhepunkt; es machte einen gewaltigen Eindruck auf die Versammlung, dem sich auch die Linke, obwol sie es in starkem Gelächter zu verbergen suchte, nicht entziehen konnte, als selbst B., der sonst so nüchterne, kühle Redner, zu flammenden Worten hingerissen wurde: „Es ist Sturm in der Luft“, so rief er, „Feinde sind ringsum, das Schiff ist in Gefahr! Legen wir Reff in die Segel! Nageln wir die Flagge an den Mast! Heinrich Gagern auf dem Hinterdeck und wir werden den Sieg gewinnen! Und wenn die Welt voll Teufel wäre, es wird uns doch gelingen!“ Gagern gewann den Sieg, wenigstens die Annahme seines Programms.

Der Abschnitt „das Reich“ war erledigt, andere Abschnitte der Verfassung gleichfalls bereits in Angriff genommen worden, wobei insbesondere die Mediatisirung der Selbständigkeit der kleineren deutschen Staaten heftig erörtert wurde; B. griff als Berichterstatter des Verfassungsausschusses mit einer großen Rede in die Debatte über diese Frage ein (5. December).

Die Hauptsache aber war nunmehr die Reichsoberhauptfrage. Der Verfassungsausschuß hatte in langen Debatten die beiden auf sie bezüglichen Abschnitte des Verfassungsentwurfs („das Reichsoberhaupt“ und „der Reichsrath“) fertiggestellt, in denen B. nach den großen Reden Dahlmann’s, Droysen’s, Briegleb’s die umständlichste und eindringendste Ausführung aller der Gründe gegeben hatte, die seine Partei für den Erbkaiser und gegen den Turnus und die Trias einzutreten bestimmten, dabei besonders auch die von Waitz angeregten Bedenken beleuchtend und widerlegend. Nun wurde B. vom Ausschuß auch für diese Abschnitte zum Berichterstatter bestellt. Am 15. Januar 1849 legte er sie dem Plenum vor; am 19. Januar wiederholte er im Plenum in großer Rede alles das, was er im Ausschuß zur Vertheidigung ausgeführt hatte. Bekanntlich fiel die Entscheidung über das Oberhaupt noch nicht in der ersten Lesung. Man berieth zunächst die Bestimmungen über den Reichsrath, die B. am 26. Januar erläuterte. Dann nahm man die bisher zurückgestellten Paragraphen der Grundrechte wieder auf; B. ermahnte in den Debatten vom 8. bis 15. Februar, in denen sie erörtert wurden, wiederholt, den politischen Inhalt der Grundrechte nicht mit Bestimmungen über die Verbesserung der socialen Zustände zu vermischen (Haym). Darauf folgte die Berathung des Wahlgesetzes: B. vertheidigte in größerer Rede am 27. Februar seinen Antrag, für das Wahlrecht einen Census aufzustellen, dafür aber die öffentliche Wahl einzuführen. Er drang mit seinen Antrag nicht durch. Bemerkenswerth aber ist seine Rede darum, weil er infolge des spöttischen Verhaltens der Linken, die ihn verhöhnte, als er von germanischer Freiheit redete, einen bei ihm sonst selten vernommenen persönlichen Ton anschlug und davon sprach, wie er als Mann der Wissenschaft durch die Wissenschaft für die Nation zu wirken gesucht habe; er sei Einer von den Professoren, die länger leben würden im Munde des Deutschen Volkes als viele von den Mitgliedern der Linken. Diese Worte, die ihm der gerechte Zorn über das ungebührliche Benehmen der radicalen Parteien [458] in den Mund gab, trugen ihm lauten Beifall auf der Rechten und im Centrum ein; Carl Vogt allerdings begann seine Gegenrede mit der unhöflichen Wendung, die Versammlung möge nicht fürchten, daß er eine von Selbstlob geschwängerte Rede über Professoren halten werde.

Nun kam die zweite Lesung der Verfassung heran. Welcker’s berühmter Antrag vom 12. März 1849 schien schneller als man hoffen konnte, die brennendste Frage zur Entscheidung bringen zu sollen; es war ein ungeheurer Triumph für die Parteien des preußischen Erbkaiserthums, daß dieser Gegner, durch die österreichische octroyirte Verfassung aller Illusionen über das erträumte Großdeutschthum beraubt, in seiner großen, gewaltigen Rede seinen Abfall von Oesterreich, seinen Uebergang in das preußische Lager erklärte. Vom 17. bis 22. März fand die hinreißende Debatte über Welcker’s Antrag auf das erbliche preußische Kaiserthum statt: Rießer erwies sich nach Beseler’s Urtheil als größter Redner der Versammlung. Jedoch der Antrag, der am 12. März seiner Annahme gewiß gewesen wäre, wurde am 22. verworfen. Kein Wunder, daß im Weidenbusch tiefe Niedergeschlagenheit herrschte; aber wie Gagern und Welcker selbst, so warnte auch B. die Parteigenossen vor Verzweiflungsschritten, insbesondere vor dem von Einzelnen vorgeschlagenen Erlaß einer Adresse an das Volk. Es folgten die aufregendsten Tage. Am 27. März wurde über das Vetorecht des Kaisers verhandelt. Das absolute Veto wurde entgegen dem Beschlusse der ersten Lesung mit 90 Stimmen Majorität verworfen, das bloß suspensive angenommen. Auch dies war eine unerwartete Niederlage für die Kaiserpartei. Die Erbitterung der Erbkaiserlichen stieg zur äußersten Höhe, alles stürmte in den Weidenbusch, Muthlosigkeit ergriff die Versammelten; es waren, wie Laube sagt, diese Mittagsstunden im Weidenbusch unwidersprechlich die traurigsten der an Enttäuschungen so reichen Zeit. Da trat B. auf den Rednerplatz und bat um Gehör. Man schwieg, man hörte ihn. Er leugnete nicht, daß Grund vorhanden sei zu tiefster Trauer um das Vaterland. Aber muthlos solle nie eine Schaar von dritthalbhundert deutschen Männern sein. Der endliche Sieg sei nicht unmöglich; die Abstimmung über die entscheidende Frage stehe noch bevor; werde das Erbkaiserthum erlangt, so sei der feste Punkt für die nationale Entwicklung gewonnen. Und, so schloß er, wenn die Erblichkeit fällt, so lassen Sie uns für Lebenslänglichkeit, ja für Zwölfjährigkeit stimmen, damit die Nation sieht: nicht wir sind Schuld am Vereiteln jeder Hoffnung.

So richtete er die Seinen auf, wendete eine Auflösung dicht vor der letzten Schanze ab, die schlimmer gewesen wäre, denn Alles (Laube); am Nachmittage des 27. März wurde der Erbkaiser mit 267 gegen 263 Stimmen angenommen. Am nächsten Tage war die Kaiserwahl. Aber nun kam die bittetste Enttäuschung. B. gehörte der Wahlbotschaft an, die das Parlament nach Berlin schickte, um Friedrich Wilhelm IV. die vollzogene Wahl anzuzeigen. Er traf am 2. April in Berlin ein, wurde noch am Abend dieses Tages zusammen mit Gabriel Rießer (Simson, der Führer der Abordnung, war erkrankt) vom Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg empfangen, der ihnen die Versicherung gab, der König werde die Kaiserkrone annehmen. Er that es nicht, er lehnte sie in nicht mißzuverstehender Weise ab. „Unser schwer geschaffenes Werk war zerschlagen und klirrend fielen die Scherben zu Boden.“ So B. in seinen Erinnerungen („Erlebtes und Erstrebtes“ S. 89). Er ließ sogleich die Hoffnung fahren, daß die deutsche Frage jetzt noch ihre Lösung finden könne. Mit knappen ernsten Worten sprach er das an des erkrankten Simson Stelle den Mitgliedern eines Berliner patriotischen Vereins aus, der die Frankfurter Deputation mit einer ziemlich schwülstigen Ansprache begrüßte: der weitere [459] Verlauf der Dinge stehe in Gottes Hand; er wolle nicht verhehlen, daß er nicht ohne große Besorgniß in die Zukunft blicke. Unwillig kehrte er nach Frankfurt zurück; es folgten „unsäglich traurige Wochen“. – Erfolglos bemühte er sich, eine Vertagung der Versammlung durchzusetzen; wenigstens vor übereilten, revolutionären Schritten suchte er sie abzuhalten und mahnte in einer großen Rede am 4. Mai energisch zu verfassungsmäßigem Handeln. Am 19. Mai bestieg er die Tribüne der Paulskirche zum letzten Mal; an die Bekämpfung der gegnerischen auf die Beseitigung der Centralgewalt gerichteten Anträge knüpfte er eine Rechtfertigung der Kaiserpartei und ein letztes Wort der Zuversicht über die zukünftige Entwicklung der deutschen Geschichte (Haym). Dann fand im Weidenbusch die ernste Debatte statt, die den Entschluß zum Austritt für die meisten Mitglieder der Partei zur Reife brachte. Beseler’s fast erschöpfende Entwicklung der Frage gab an diesem Tage für die Mehrzahl den Ausschlag. Freilich am nächsten Tage sprach Dahlmann dagegen. Keiner ja war inniger, persönlicher mit dem nun als vergeblich sich erweisenden Versuch der Reichsgründung verbunden, keinem mußte der Verzicht auf ihn schwerer werden. Dann aber entwickelte Droysen in großer Rede von den höchsten und allgemeinsten Gesichtspunkten aus noch einmal, was zu thun Pflicht sei. So beschloß man den Austritt. „Es war ein ergreifender Moment“, so beschreibt B. selbst die Scene (im Nachruf an Dahlmann und in „Erlebtes und Erstrebtes“ S. 91), „als die Mitglieder nach Unterzeichnung der von Max v. Gagern verfaßten Austrittserklärung sich trennten“. Dahlmann saß einsam im Nebenzimmer; er konnte sich nicht entschließen, zu unterschreiben, so große Hoffnungen zu Grabe zu tragen. B. trat zu ihm, um ihm Lebewohl zu sagen. Dahlmann sah ihn traurig an, dann stand er rasch, lebhaft erregt auf: „in so schlimmen Zeiten kann nur Einigkeit uns helfen“, sagte er und ging hin, um seinen Namen unter die Austrittserklärung zu setzen.

Damit hatte die Frankfurter Periode ihren Abschluß gefunden. An dem Nachspiel der Frankfurter Tragödie, wie B. die Versammlung in Gotha nennt, nahm auch er, obwol ihm die Einladung unerwünscht kam, auf die dringende Bitte des Generals v. Radowitz Theil. Ebenso war er Mitglied des am 20. März 1850 eröffneten Erfurter Parlaments, und zwar als Abgeordneter eines mecklenburgischen Wahlkreises; er betheiligte sich jedoch nur spärlich an den von Anfang an wenig aussichtsreichen Verhandlungen; nur ein Mal kam es zwischen ihm und Stahl zu einer scharfen principiellen Auseinandersetzung.

Um so eifriger war seine Thätigkeit in der preußischen zweiten Kammer, in die er trotz seiner Sehnsucht nach Rückkehr zur akademischen und litterarischen Thätigkeit auf das dringende Verlangen seiner politischen Freunde eintrat und der er als Vertreter des fünften Merseburger Wahlkreises, des Mansfelder See- und Gebirgskreises, vom August 1849 bis zum Mai 1852 angehörte. Er schloß sich der sog. Fraction Helgoland an, in der er zahlreiche Freunde und Gesinnungsgenossen, wie Otto Camphausen, v. Patow, Wentzel, Harkort, Alfred v. Auerswald, v. Saucken-Julienfelde antraf. Auch den Abgeordneten v. Bismarck, der auf der äußersten Rechten saß, lernte er damals kennen: „wir haben die Größe dieses Mannes damals nicht erkannt, wenn auch seine hohe Begabung, seine streitbare Art, sein sanglanter Witz sich bemerkbar genug machten“ („Erlebtes und Erstrebtes“ S. 96). In der Kammer war man bei Beseler’s Eintritt mit der Revision der Verfassung vom 5. December 1848 beschäftigt. Er betheiligte sich wiederholt und zwar öfters mit größeren Reden an den Debatten (so am 22. October 1849 über die Zusammensetzung der ersten Kammer, am 25. Januar 1850 über die königliche Botschaft, betreffend die Revision der [460] Verfassung). Außerdem aber fand er Gelegenheit, als Radowitz der Kammer seinen Rechenschaftsbericht über die deutsche Politik der Regierung ablegte und dabei den zwischen Oesterreich und Preußen abgeschlossenen Vertrag über die Einsetzung einer provisorischen Bundescommission (das sog. Interim) bekannt machte, in einer ausführlichen Rede die in jenem Vertrage vollzogene Preisgabe des von der Regierung früher eingenommenen Standpunktes anzugreifen und dabei noch einmal das Verhältniß zwischen den beiden deutschen Großmächten und die von seiner Partei in Frankfurt für die Regelung dieses Verhältnisses erstrebte Lösung auf das eingehendste darzulegen („Erlebtes und Erstrebtes“, Anlage 12). Freilich, seine Warnungen waren ohne Erfolg: die preußische Politik verließ die Bahnen des Jahres 1848 definitiv, setzte vielmehr den mit dem Interim betretenen Weg fort, der in kurzer Frist nach Olmütz führte. B. hat auch noch in den beiden folgenden Sessionen in großen allgemeinen politischen Reden seine Stimme gegen diese neupreußische Politik erhoben: am 10. April 1851 sprach er über den Eintritt Preußens in den reactivirten Bundestag; am 30. Januar 1852 vertheidigte er den von ihm gestellten Antrag, das Verhältniß der Bundesversammlung zur preußischen Verfassung betreffend; aber sein Antrag wurde abgelehnt, und er gab es nunmehr auf, die auswärtige Politik Preußens mit einer doch nutzlosen Kritik zu begleiten. Dafür bemühte er sich, wenigstens für die innere thätig zu sein und hier so viel wie irgend möglich der vordringenden Reaction Widerstand entgegenzusetzen. In diesem Sinn bekämpfte er die Preßpolitik der Regierung (15. Januar 1851) und machte er die Ausweisung Haym’s, des Redacteurs der Constitutionellen Zeitung, zum Gegenstand einer Interpellation, die er in einer scharfen Rede begründete (22. November 1850); in diesem Sinne verlangte er die Vorlage eines Gesetzentwurfs über Ministerverantwortlichkeit (1. Februar 1851), die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit (5. April 1851), betheiligte er sich insbesondere an den lange sich hinziehenden Verhandlungen über die vorläufige Verordnung vom 3. Januar 1849, die das mündliche und öffentliche Verfahren mit Geschworenen in Untersuchungssachen eingeführt hatte (2. bis 19. März 1852), setzte er der Kammer eindringlich die Bedeutung der Familienfideicommisse auseinander (24. März 1852), unterzog er in großer Rede die Reactivirung der Kreis- und Provinzialstände einer scharfen Kritik, wobei er nicht umhin konnte, die gesammte Politik des Ministeriums Manteuffel noch einmal auf das gründlichste zu verurtheilen (10. Mai 1852). Sein Unmuth über die Führung der öffentlichen Angelegenheiten wurde immer größer; er stimmte völlig dem harten Urtheil bei, das Max Duncker damals in seiner zündenden Broschüre: „Vier Monate auswärtiger Politik“ über Preußen fällte; B. hatte das Manuscript juristisch revidirt, um es vor dem Angriff der Staatsanwaltschaft zu sichern. Er hatte schon 1851 mit Duncker, Simson, Vincke das Mandat niederlegen wollen; wenn er es noch ein Jahr beibehielt trotz der immer hoffnungsloser werdenden Stimmung, so geschah es hauptsächlich, weil ihm die Erledigung einer parlamentarischen Arbeit wirklich am Herzen lag, nämlich die Abfassung des Preußischen Strafgesetzbuches. Und er hatte die Genugthuung, hauptsächlich durch seine Thätigkeit den Abschluß dieses wichtigen, seit 1826 in Gang befindlichen, bereits vor der Revolution der Vollendung nahe gewesenen Gesetzgebungswerkes herbeigeführt zu sehen. Er wurde zum Vorsitzenden der Commission der zweiten Kammer ernannt, die zur Berathung des vom Justizminister Simons vorgelegten, von Bischoff als Commissar vertretenen Entwurfs eingesetzt wurde. Seiner geschickten und energischen Leitung verdankte man es, daß die Berathung in 37 Sitzungen vom 4. Januar bis zum 3. März 1851 zum Ende geführt wurde. Auf seine zuerst einiges Erstaunen hervorrufende Veranlassung stellte die Commission den [461] Antrag auf En bloc-Annahme des Entwurfs im Plenum; und der Antrag wurde angenommen: zweite Kammer und Herrenhaus ertheilten dem Gesetz, wie es aus den Commissionsberathungen hervorgegangen war, ohne Aenderung ihre Zustimmung. Damit hatte Preußen einen bedeutenden gesetzgeberischen Erfolg errungen, der auch für die Zukunft entscheidend wurde: das Preußische Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 bildet die Grundlage und Quelle unseres Reichsstrafgesetzbuches. B. führte das von ihm in den parlamentarischen Hafen gesteuerte Werk auch in die Wissenschaft ein, indem er es mit einem ausführlichen Commentar veröffentlichte, der es sich hauptsächlich zur Aufgabe stellte, seinen Inhalt nach den während der Revision entstandenen Materialien zu erläutern („Commentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und das Einführungsgesetz vom 14. April 1851. Nach amtlichen Quellen.“ Leipzig 1851).

Nun aber zog er sich vom activen politischen Leben völlig zurück; im Frühjahr 1852 nahm er die Lehrthätigkeit wieder auf; in ihr und in der Förderung seiner litterarischen Pläne suchte und fand er in den traurigen Zeiten der Reaction Befriedigung und Trost. Mit großer Energie führte er zunächst in verhältnißmäßig kurzer Zeit sein „System des deutschen Privatrechts“ der Vollendung entgegen: 1853 erschien der zweite, 1855 der dritte und letzte Band. Dann ergriff er sogleich einen noch größeren litterarischen Plan: nämlich in Verbindung mit anderen Rechtslehrern eine ausführliche Geschichte des deutschen Rechts zu schreiben. In einer eingehenden Denkschrift (Stellen daraus mitgetheilt in „Erlebtes und Erstrebtes“ S. 108, 109) entwickelte er die leitenden Ideen dieses auf sechs Bände berechneten Grundrisses oder Handbuchs, in dem den Rechtsquellen, dem Staatsrecht, Privatrecht, Proceßrecht, Strafrecht, Kirchenrecht je eine besondere Abtheilung zugewiesen wurde. Er gewann eine Reihe namhafter Gelehrter zu Mitarbeitern, Merkel und Stobbe für die Rechtsquellen, Planck für den Proceß, Wilda für das Strafrecht, Richter für das Kirchenrecht; sich selbst behielt er das Staatsrecht vor. Leider aber gerieth das Unternehmen ins Stocken; nur Stobbe’s Geschichte der deutschen Rechtsquellen gelangte zur Ausführung; auch Planck’s viel später erschienenes deutsches Gerichtsverfahren im Mittelalter geht auf jenen Plan zurück. B. selbst begann eifrig mit den Vorarbeiten für das Staatsrecht; jedoch, obwol er in Greifswald bereits die Ausarbeitung in Angriff genommen hatte, blieb das Werk ungeschrieben; er schiebt die Schuld auf die mit der Versetzung nach Berlin unvermeidlich verbundenen Störungen, den Wiedereintritt in das parlamentarische Leben und die sonstigen vielfachen durch die Berliner Stellung bedingten Verpflichtungen.

Es gehörte mit zu den Zeichen einer neu beginnenden Epoche, daß der Prinzregent Männer wie B. und Droysen an die Berliner Universität berief. Im Frühjahr 1859 leistete B. dem ehrenvollen Rufe Folge; so angenehm die Greifswalder Verhältnisse für ihn gewesen waren – den Höhepunkt der letzten dort verlebten Jahre hatte das im October 1856 gefeierte vierhundertjährige Universitätsjubiläum gebildet, bei dem er, damals Decan der juristischen Facultät, vom König und vom Prinzen von Preußen durch huldvolle Gespräche ausgezeichnet wurde (vgl. „Erlebtes und Erstrebtes“ S. 112–114) –, mit innerer Befriedigung und in dem erhebenden Bewußtsein, an einer aufstrebenden Bewegung theilnehmen zu können, trat er doch nunmehr in den politischen und wissenschaftlichen Mittelpunkt des Staates ein. Wenn auch die Zeit größerer wissenschaftlicher Thaten für ihn vorüber war, so entfaltete er doch in den fast 30 Jahren, die er Berlin angehörte, eine nach den mannichfaltigsten Richtungen hin höchst einflußreiche und bedeutungsvolle Wirksamkeit. Naturgemäß stand die Universität und an ihr die Lehrthätigkeit im Vordergrund seiner Interessen. [462] Der Kreis seiner Vorlesungen war im wesentlichen der gleiche wie in Greifswald: er las über deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Privatrecht und Handelsrecht, deutsches Staatsrecht; daneben gelegentlich öffentlich über die Geschichte der Reception des römischen Rechts in Deutschland und über das Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika; außerdem setzte er die in Greifswald begonnenen germanistischen Uebungen fort, in denen er mit besonderer Vorliebe die mittelalterlichen Rechtsbücher, insbesondere den Sachsenspiegel, interpretiren ließ, und eine große Anzahl von Schülern in den Geist des deutschen Rechtes einführte. Noch in den achtziger Jahren erfolgte eine Neuorganisation dieser Uebungen durch die nach einem von ihm ausgearbeiteten Plane vorgenommene Gründung eines germanistischen Seminars, dessen geschäftsführender Director er wurde. Auch in Berlin widmete er aber seine Kräfte neben der Lehrthätigkeit mit besonderer Vorliebe der administrativen Wirksamkeit in der Selbstverwaltung der Universität. Seine Geschäftsgewandtheit, sein besonnenes Urtheil, seine unbeugsame Charakterfestigkeit sicherten ihm unter den Collegen aller Facultäten eine hochangesehene Stellung; drei Mal, 1863, 1866 und 1880 übertrugen sie ihm die Leitung der Universität; in jedem seiner Rectorate feierte er in würdevoller Rede das Gedächtniß des Stifters (Festrede vom 3. August 1863 über die Gesetzgebungsarbeiten unter Friedrich Wilhelm III.; vom 3. August 1866 über die Vorbereitung der Einigung Deutschlands unter Preußen; vom 3. August 1880 über das bürgerliche Gesetzbuch). „Nicht minder sahen die jüngeren Berufsgenossen, sahen auch die Beamten der Universität zu ihm mit niemals wankender Zuversicht empor“ (Gierke). Speciell der juristischen Facultät kam die ausgebreitete Thätigkeit zu gute, die er als Mitglied des Spruchcollegiums entwickelte: im Mai 1859 durch Heffter eingeführt übernahm er im November 1875 als Ordinarius den Vorsitz. Ungemein zahlreich sind die von ihm erstatteten Referate, einige von ihnen Arbeiten beträchtlichen Umfangs. Gerade diese eine Verbindung mit der Rechtspraxis herstellende Thätigkeit war ihm besonders werthvoll und wichtig, zumal wenn es sich um Fragen aus den Specialrechten des deutschen Privatrechts, vor allem um das Privatfürstenrecht, das Recht der Lehen, Fideicommisse und Stammgüter handelte; hatte er ja seit den Erbverträgen gerade diese Materien besonders eingehend durchforscht. Daher galt er denn auch hier für den kundigsten Berather und in zahlreichen Fällen wurde er nicht nur als Mitglied des Spruchcollegiums, sondern auch privatim als Gutachter angerufen. So ist sein Urtheil in einer Reihe wichtiger und interessanter Rechtssachen von maßgebender Bedeutung geworden. Als Beispiel möge der große zwischen Waldeck-Pyrmont und Oldenburg schwebende Rechtsstreit über die Succession in die Grafschaft Holzappel genannt sein, in dem er 1868 und 1872 sehr umfangreiche Gutachten für das Spruchcollegium erstattete: sein für den Kläger (Waldeck) günstiges Urtheil fand zu seiner Freude in dem Erkenntniß des Reichsgerichts vom 19. April 1887 (Entscheidungen in Civilsachen Band 18, Nr. 42) endgültige Bestätigung. Von Gutachten, die er privatim verfaßte, seien genannt: die für die oldenburgische Regierung in der Bentinck’schen Angelegenheit 1859 und 1860 verfaßten drei Erklärungen, das am 6. Mai 1863 dem Ministerpräsidenten Herrn v. Bismarck erstattete Rechtsgutachten über die Ansprüche des preußischen Königshauses auf die Nachfolge in Braunschweig und Hannover, ein gleichfalls Bismarck erstattetes Rechtsgutachten über die eventuelle Competenz des Bundes, Erbfolgestreitigkeiten zwischen deutschen Fürstenhäusern zu entscheiden, vom 24. November 1863; die große am 5. Januar 1883 abgeschlossene Denkschrift über die schwarzburg-stolbergische Erbverbrüderung; das Rechtsgutachten für die Gräfin Kielmannsegge vom 2. April 1884 über die Frage, ob sie als Besitzerin des Stein’schen Familienfideicommisses [463] Sitz und Stimme auf dem Communallandtage habe, u. A. Nicht nur bei der Entscheidung streitiger und zweifelhafter Fragen bediente man sich seines Rathes; man nahm seine Mitwirkung auch bei der Errichtung von Statuten in Anspruch, wie das z. B. seitens des Grafen von Stolberg-Wernigerode bei der Aufstellung seines Hausgesetzes 1875 geschah. Alle diese zum Theil auch wissenschaftlich bedeutungsvollen Arbeiten sind ungedruckt; durch den Druck veröffentlicht wurde das dem Verein der deutschen Standesherren erstattete „Rechtsgutachten über die Frage: ob in Privat-Injurien-Klagen gegen deutsche Standesherren diesen das Recht auf Austräge zusteht, und was zu geschehen hat, um dasselbe geltend zu machen“ (Donaueschingen 1880).

Neben dieser umfangreichen praktisch-litterarischen Thätigkeit ließ B. aber auch die rein wissenschaftliche Schriftstellerei keineswegs gänzlich ruhen. Die in Greifswald begonnenen und zunächst in Berlin fortgesetzten rechtsgeschichtlichen Studien für die geplante Geschichte des deutschen Staatsrechts verwerthete er, als er die Aussicht jenes große Werk zu schreiben aufgeben mußte, wenigstens zu mehreren einzelnen Abhandlungen. Drei von ihnen widmete er als Festgaben für die Jubiläen von Savigny („Zur Geschichte des deutschen Ständerechts.“ Berlin 1860), von Bethmann-Hollweg („Der Neubruch nach älterem deutschen Recht“ in den Symbolae Bethmanno-Hollwegio oblatae. Berolini 1868, S. 1–22), von Homeyer („Ueber die Gesetzeskraft der Kapitularien“ in den Festgaben für Gustaf Homeyer zum 28. Juli 1871. Berlin, S. 1–25); zwei andere veröffentlichte er in der Zeitschrift f. Rechtsgeschichte („Die deutschen Kaiserurkunden als Rechtsquellen“, Band 2, 1863, S. 367–409; „Der Judex im bayerischen Volksrecht“, Band 9, 1870, S. 244–261). In den preußischen Jahrbüchern gab er in Band 43, 1879, S. 490–500 eine eingehende Besprechung von H. Schulze’s Hausgesetzen der regierenden deutschen Fürstenhäuser unter dem Titel „Zum deutschen Fürstenrechte“; in der Wiener Zeitschrift f. das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart veröffentlichte er im 5. Bande, 1878, S. 540–556 einen Aufsatz über „die Familie des hohen Adels als corporative Genossenschaft“. Dem Anfange der Berliner Zeit endlich gehören zwei Abhandlungen rein historisch-publicistischen Charakters an („Der Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852 in seiner rechtlichen Bedeutung geprüft.“ Berlin 1863 und „Die englisch-französische Garantie vom Jahre 1720.“ Berlin 1864), in denen er vom völkerrechtlichen Standpunkt aus zwei für das Verhältniß zwischen Dänemark und Schleswig bedeutungsvolle Ereignisse untersuchte, beide Male mit dem gleichen Ergebnisse: den Vertrag von 1852 sowol als die Garantie von 1720 erklärte er für contra bonos mores und also nichtig.

Diese Schriften führen uns zu B. dem Politiker zurück. Bald nach seiner Uebersiedlung nach Berlin wandte er sich, wenn auch zunächst nur vorübergehend, wieder activ der Politik zu, indem er die am 25. October 1860 im 4. Berliner Wahlbezirk mit großer Majorität auf ihn gefallene Wahl zum Abgeordneten annahm. In der am 14. Januar 1861 eröffneten Session trat er sogleich bedeutungsvoll hervor, indem er als Berichterstatter der Adreßcommission gewählt die von dieser vorgeschlagene Antwort auf die Thronrede in einer größeren Einleitungsrede begründete (4. Februar) und dann noch wiederholt in der Adreßdebatte verschiedene wichtige Fragen der allgemeinen Politik, die auswärtigen Angelegenheiten, die deutsche, die schleswig-holsteinsche Frage erörterte (5.–8. Februar 1861). Auch im Fortgang der Session ergriff er noch öfters das Wort. Charakteristisch für ihn waren besonders seine Bemerkungen über das Handelsgesetzbuch, in denen er dem verstorbenen Bischoff einen warmen Nachruf widmete und seiner Hoffnung auf künftige völlige Rechtseinheit in Deutschland kräftigen Ausdruck gab (31. Mai), und dann vor allem die Aeußerungen, mit denen er am 28. Mai zu der die [464] Situation beherrschenden Frage Stellung nahm, nämlich zur Militärreorganisation: er erkannte die Schädlichkeit eines Conflictes wohl und beantragte daher, der Regierung entgegenzukommen und einen Theil der verlangten Kosten im Ordinarium zu bewilligen. Wenn er unter lebhaftem Bravo rechts mit den Worten schloß, es gehöre nicht bloß diplomatische Geschicklichkeit und guter Wille dazu, um große nationale Fragen zu einem glorreichen Ausgange zu bringen; es gehöre dazu eine glückliche Hand und vor allem Charakterstärke und Energie; Gott gebe, daß sie in Preußen nie vermißt werden, so ahnte auch er sicherlich damals nicht, wie nahe der Erfüllung diese Wünsche waren. Aber von der Größe der Gegenwart, von der Wichtigkeit der zu treffenden Entscheidungen war auch er durchdrungen. Jedoch ihm erschien die von Vincke geleitete Politik der liberalen Parteien, die nothwendig in den Conflict hineinführen mußte, verkehrt und schädlich; da er aber als Liberaler alten Schlages auch den Conservativen sich nicht anzuschließen vermochte, so gab er sein Mandat wieder auf. So hat er denn die entscheidenden Jahre der Reichsgründung nur als Zuschauer miterlebt, aber, wie kaum zu erwähnen nöthig ist, mit dem wärmsten Antheil und Stolz, mit neidloser Bewunderung Andere, Größere das Werk vollführen sehen, an das er einst, vergeblich, seine beste Kraft gesetzt hatte. Nicht, wie so manche seiner schleswig-holsteinischen Landsleute, abseits grollend, sondern mit steigendem Verständniß, von steigender Dankbarkeit für die Gaben des Genius erfüllt hat er Bismarck’s Thaten begleitet. Erst 1874 kam er durch die Uebernahme eines Reichstagsmandats wieder in unmittelbare Berührung mit den Staatsgeschäften. Aber er hatte sein lebhaftes Interesse an der Reichsverfassung und an streitigen Fragen des Reichsstaatsrechts schon vorher schriftstellerisch bekundet: einmal durch Erörterungen über „die Reichstagskompetenz“, die ihn in einen litterarischen Conflict mit Zachariae und Bähr führten (National-Zeitung vom 4. und 28. Juni 1871; Preußische Jahrbücher Band 28, 1871, S. 184–194), und ferner durch eine Erörterung über „das Reichsmilitärgesetz und das Budgetrecht“ (Preußische Jahrbücher 33, 1874, S. 589–601). Er hat dem Reichstag während seiner 2., 3. und 4. Legislaturperiode, in den Jahren 1874–1881 angehört. Sein Eintritt fiel mit den ersten Septennatsverhandlungen zusammen. B. trat in den Kreisen der nationalliberalen Fraction, der er sich angeschlossen hatte, energisch für das Septennat ein. Aus geschäftlichen Gründen, die ihn in einen Gegensatz zu dem Fractionsvorstand brachten, schied er dann im Herbst 1874 bereits aus der Partei wieder aus. Aber wenn er auch infolge dessen nicht mehr in der Lage war, auf die Parteipolitik Einfluß zu üben, und darum z. B. bei den Wahlen für die große Justizcommission auffallender Weise sich übergangen sehen mußte, so hat er doch zumal an der technischen Ausgestaltung der speciell juristischen Materien der Reichsgesetzgebung auf das förderlichste und sachverständigste mitgewirkt. So z. B. an der Strandungsordnung (16. März 1874), dem Gesetz betreffend den Markenschutz (11. November 1874), dem Bankgesetz (18. November 1874), dem Gesetz betreffend das Alter der Großjährigkeit (15. December 1874), an dem Wuchergesetz (7. Mai 1880) u. A. Besonders hervorzuheben ist sein Eintreten für die Handelsgerichte. Dem von ihm gemeinschaftlich mit Goldschmidt eingebrachten Antrag und der großen Rede, mit der er ihn am 17. November 1876 vertheidigte, verdankt man es, daß die von den Fachjuristen bereits zu Wege gebrachte Unterdrückung dieser mit Laien besetzten Gerichte wieder rückgängig gemacht werden konnte. Lebhaft betheiligte er sich auch an den Kämpfen um die Einführung des Socialistengesetzes (16. October 187Z), so auch an den Debatten über das Tarifgesetz; besonders war es die sog. Franckenstein’sche Clausel, die ihm verfassungsrechtliche Bedenken erregte; er begründete sie in einer großen Rede am 9. Juli 1879, die er auch gesondert [465] erscheinen ließ („Rede gegen den Schutzzoll vom 9. Juli 1879.“ Berlin). Fürst Bismarck erhob sich zu einer ausführlichen Widerlegung der Beseler’schen Ansicht, daß durch jene Klausel die Finanzhoheit des Reiches verloren ginge, da „der Herr Vorredner jemand sei, auf dessen Mitwirkung ich seit langer Zeit habe rechnen können, und den ich persönlich hochschätze und verehre“. Auch B. hatte bereits früher einmal Gelegenheit gehabt, seiner Hochschätzung und Verehrung für den Kanzler Ausdruck zu geben: wenige Tage vor jener berühmten Sitzung, in der das Kullmann’sche Attentat zu der drastischen Scene zwischen Bismarck und Windthorst führte, rief B. nach einem brutalen Angriff Windthorst’s gegen den Kanzler jenem zu, daß er gern fünf Jahre seines Lebens darum geben würde, wenn er dadurch den Fürsten für die Leitung der Reichspolitik erhalten könnte (24. November 1874). So fühlte sich denn auch Bismarck durch Beseler’s Bekämpfung seiner Zoll- und Finanzpolitik keineswegs verletzt, er begrüßte B. vielmehr nach dessen Rede mit den freundlichen Worten: „Kommen Sie her, alter Kriegskamerad, geben Sie mir die Hand!“ (Nach den authentischen Aufzeichnungen bei Poschinger 2, 330.) Immerhin vermochte B. dem Umschwung in der inneren Politik Bismarck’s nicht recht zu folgen; „er hielt es schlechthin für verderblich für das politische Leben, wenn der Maßstab für den Patriotismus der Partei oder des Einzelnen an deren wirthschaftliche Ueberzeugungen gelegt werden sollte“; es wurde ihm schwer, den mehr idealistischen Standpunkt der Frankfurter Zeit, dessen damalige Berechtigung unbestreitbar war, mit dem durchaus realistischen der Gegenwart vertauscht zu sehen, dessen geschichtliche Nothwendigkeit er – erklärlich genug – verkannte. So fühlte er doch trotz allem eine gewisse Gegensätzlichkeit zwischen sich und den Männern der neuen Zeit, vor allem Bismarck selbst; eine Gegensätzlichkeit, die aber eben hauptsächlich nur in seinem subjectiven Gefühl sich bemerkbar machte. So konnte er wol gelegentlich (in der Sitzung vom 13. März 1877) in einer gewissen Gereiztheit sich für verpflichtet halten, sich gegen die „herbe Kritik“ zu wenden, die der Reichskanzler gegen die Frankfurter Versammlung ausgesprochen habe, und für sie, für die damalige jugendliche, unfertige, aber ideale Stimmung mildernde Umstände zu plaidiren, worauf Bismarck sofort entgegnete, daß, wenn sich in seine Erwähnung des Frankfurter Reichstages irgend ein Anflug von Herbigkeit gemischt habe, dies durchaus gegen seinen Willen geschehen sei, daß er im Gegentheil den Bestrebungen der damaligen Majorität seine Achtung und Anerkennung ausspreche. Schließlich führte jene Gegensätzlichkeit allerdings doch noch zu einem heftigen Zusammenstoß, und zwar im Herrenhaus. B. war auf Präsentation der Berliner Universität am 30. Januar 1875 in das preußische Herrenhaus berufen worden; seit dem 14. Februar 1882 bis zum Schluß der am 3. Januar 1887 berufenen Session bekleidete er die Würde eines Vicepräsidenten. Auch in dieser Körperschaft betheiligte er sich eifrig an den Arbeiten; zumal an den vorwiegend juristischen Gesetzentwürfen hat er in der Debatte, vor allem in den Commissionen und als Berichterstatter im Plenum mitgewirkt. So an der Vormundschaftsordnung, der Provinzialordnung für die älteren Provinzen, dem preußischen Ausführungsgesetz zum deutschen Gerichtsverfassungsgesetz, an der juristischen Studienordnung, an dem Gesetz betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten und vielen anderen. Auch vertrat er in den Etatsberathungen wiederholt energisch die Interessen der Universität Berlin und drang auf Schaffung von mehr Raum durch Errichtung eines eigenen naturhistorischen Museums. Vor allem betheiligte er sich seit seinem Eintritt an den Debatten über die kirchenpolitischen Gesetze. Schon 1875 hielt er zu dem Gesetzentwurf betreffend die Einstellung der Leistungen [466] aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen eine längere Rede, in der er, charakteristisch für ihn, den Satz des Sachsenspiegels anführte, daß der Papst unser Land- und Lehnrecht nicht kränken dürfte (1. April); 1880 legte er zu dem Gesetzentwurf betreffend die Bestreitung der Kosten für die Bedürfnisse der Kirchengemeinden auf dem linken Rheinufer unter Anführung von Stellen aus Grimm’s Weisthümern die alte deutsche Rechtsanschauung über den Gebrauch der Kirchenglocken auseinander (30. Januar). Er war keineswegs ein unbedingter Anhänger der Falck’schen Kirchenpolitik, deren Tendenz er zwar zustimmte, deren einzelne Schritte aber durchaus nicht seinen Beifall hatten, wie er denn beispielsweise manche zu Gunsten der Altkatholiken gestellte Forderungen in vertraulichen Kreisen als geradezu unerträglich für römische Katholiken bezeichnete (Poschinger). Ebensowenig war er jedoch später mit der Wendung der Regierungspolitik, insbesondere mit dem Eingehen auf die Vermittlung des Bischofs Kopp einverstanden. Er gab seinem Unmuth besonders lebhaften Ausdruck in einer großen Rede am 2. Juli 1883, in der er als guter Protestant gegen die „höchst traurige“ Gesetzesvorlage der Regierung Verwahrung einlegte und es aussprach, daß bei der Erwägung der von der Regierung beabsichtigten Schritte sein Herz mit Bekümmerniß und Bitterkeit gefüllt sei, ähnlich wie in dem unglücklichen Herbst des Jahres 1850. Doch die Revision der sog. Maigesetze nahm ihren Fortgang; Fürst Bismarck legte dem Herrenhaus im Frühjahr 1886 eine vierte kirchenpolitische Novelle vor, in der insbesondere die Erziehung der Geistlichkeit vom Staat preisgegeben wurde. Auch an diesem Gesetze übte B. eine ernste Kritik (12. April); obwol durch das Zugeständniß der Anzeigepflicht von Seiten der Curie eine entgegenkommende Gesinnung bewiesen und daher auch von der Commission die Annahme des Gesetzes empfohlen worden war, erklärte B., seine protestantische Wahrhaftigkeit verbiete ihm, in einer Frage von solcher Wichtigkeit seine Ueberzeugung zu verleugnen; er müsse gegen die Gesetzesvorlage stimmen. Darauf rechtfertigte Fürst Bismarck in einer außerordentlich großen und großartigen Rede seine Politik und bewirkte damit die Annahme der Vorlage im Herrenhaus. Beseler’s Kritik und Bismarck’s Rechtfertigung hielten sich diesmal in durchaus sachlichem Tone. Ein Jahr später jedoch, als die fünfte Novelle dem Herrenhaus vorgelegt wurde, erfolgte der persönliche Zusammenstoß zwischen ihnen. Die neue Vorlage, die mit den Trümmern der Maigesetze bis auf wenig bedeutende Reste gründlich aufräumte, insbesondere dem Ordenswesen wieder breiteren Raum gab, gelangte am 23. März 1887 zur Berathung. Auch jetzt wieder sprach B. eindringlich gegen die Genehmigung; er sah gegenüber rein persönlichen Freundschaftsbezeugungen von römischer Seite wesentliche Hoheitsrechte des Staates geopfert, beklagte die Lahmlegung des Universitätsstudiums durch die Priesterseminare, kritisirte die inbezug auf Anzeigepflicht und Strafgewalt gemachten Concessionen und tadelte insbesondere die das protestantische Gefühl verletzende Wiedereinführung des Ordenswesens; auch er wünsche den kirchlichen Frieden, so schloß er, aber nicht nur einen dauerhaften, sondern einen ehrenvollen. In diesen Worten lag ein schwerer, verletzender Tadel der preußischen Politik. Und Bismarck empfand das Verletzende der Kritik äußerst scharf, empfand es vielleicht um so schärfer, als er im Grunde seiner Seele das gleiche protestantische Bewußtsein wie sein Gegner lebendig fühlte. Aber, so sagte er in der Erwiderung, zu der er sich augenblicklich nach dem Schluß der Beseler’schen Rede erhob, er könne weder eine confessionelle, noch eine vom Parteistandpunkt influenzirte Stellung einnehmen, noch eine juristische; seine Stellung sei eine rein politische. Und nun ließ er seinem Gegner eine Abfertigung zu Theil werden, so scharf, wie sie nur aus jener Annahme erklärlich ist, daß in der That auch bei ihm Beseler’s Worte [467] eine verwundbare Stelle seines Innern getroffen hatten, was er aber weder sich noch Anderen zugestehen weder wollte noch durfte. Er habe in seinem Leben mehr Friedensschlüsse als diesen noch in nuce befindlichen abgeschlossen, so sagte er; nie habe er dabei jedermann befriedigt: namentlich glaube er nicht, daß es ihm jemals gelungen sei, das volle Einverständniß des Herrn Vorredners zu irgend einem Vorgehen in seinem Leben zu erlangen. Er sei seit 25 Jahren unter des Vorredners Secirmesser gerathen und Gegenstand seiner Kritik gewesen: „aber eines vollen Beifalls hat sich noch keine Handlung in meinem Leben von seiner Seite erfreut“.

Diese offenbar im Unmuth gesprochenen Worte, die vielen früheren Aeußerungen und Handlungen widersprachen, kränkten gleichwol B. tief; „es war der letzte und vielleicht größte Kummer seines Lebens, daß Fürst Bismarck dies, nur vollster Hingabe für das Staatswohl entsprungene Auftreten dazu benutzte, um B. als einen allezeit kritischen Nörgler zu charakterisiren“ (Poschinger 3, 182). Durch den Eindruck dieser letzten Scene, mit der er sein parlamentarisches Leben schloß, wurde auch die Freude über den herzlichen Brief (vom 20. April 1885) vermischt, in dem Bismarck ihm auf die Glückwünsche der alten Frankfurter zu seinem 70. Geburtstage gedankt und in dem er von der Bedeutung gesprochen hatte, die die Anerkennung von Männern für ihn habe, die von Anbeginn unseres parlamentarischen Lebens mit gleich starker Hingebung für die Einigung unseres Vaterlandes eingetreten seien.

Noch eine andere Sorge erfüllte den Abend seines Lebens. Keiner hatte die künftige Rechtseinheit Deutschlands eifriger ersehnt, für sie lebhafter zu wirken gesucht, als B.; sie vorzubereiten, sie herbeigeführt zu sehen, und zwar in einer dem deutschen Volk und dem deutschen Recht würdigen und heilsamen Weise, war recht eigentlich das Ziel aller seiner wissenschaftlichen Bestrebungen. Es sei hervorgehoben, wie er bereits in der Recension von Runde’s ehelichem Güterrecht (1844) sich eingehend über die künftige gesetzgeberische Regelung dieser schwierigen Materie äußerte und schon damals den nachher thatsächlich befolgten Weg empfahl; es sei insbesondere auf die lebhaften Ausführungen in der Schrift über Volksrecht und Juristenrecht hingewiesen (1843): dem Quietismus der historischen Schule gegenüber vindicirte er hier der Gesetzgebung, der Codification die wichtigsten und höchsten Aufgaben des Rechts; schon damals sprach er es aus, daß nur eine Gesammtcodification uns aus unerträglicher Verwirrung befreien könne; und mit weitem Blick schrieb er diesem für Deutschland nothwendigen Werk den Charakter einer politischen Reconstituirung der Nation zu. Gerade darum freilich erklärte er, daß man sich vorläufig gedulden und eine bessere politische Gestaltung Deutschlands abwarten müsse. Als diese nun erreicht oder in näherer Aussicht war, galt sein Mühen vor allem dem Ziele, der neuen Rechtsgestaltung einen deutschen Charakter zu sichern. Nicht nur durch seine allgemeine schriftstellerische und Lehrthätigkeit, sondern auch durch Betheiligung an der praktischen Vorarbeit stellte er sich in den Dienst des Werkes. Auf dem fünften deutschen 1864 zu Braunschweig abgehaltenen Juristentag erstattete er ein eindringendes Gutachten über die Frage, ob das Gewohnheitsrecht als gültige Rechtsquelle anerkannt werden solle (er wollte die derogatorische Kraft des Gewohnheitsrechtes in einer Codification nicht anerkannt wissen). In einer ausführlichen Denkschrift erörterte er die Stellung des bürgerlichen Gesetzbuchs zum Familienrecht des hohen Adels (1877); die von ihm vorgeschlagenen Festsetzungen sind wesentlich in die Artikel 57 und 58 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenommen worden. In der am 3. August 1880 gehaltenen Rectoratsrede (abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes“ als Anlage 4) stellte er in bedeutungsvollen Worten die Ziele hin, die [468] das monumentale Werk nationaler Gesetzgebung erstreben und erreichen müsse. Freilich zur Mitwirkung an der Ausarbeitung war er nicht herangezogen worden, wie ja überhaupt den Universitätslehrern eine ganz auffallende Nichtberücksichtigung zu Theil wurde; keine einzige preußische Universität durfte einen Vertreter in die Commission entsenden. Nun im letzten Jahre seines Lebens erschien der erste Entwurf (1888). Aber anstatt daß er ihm die Erfüllung seiner Lebenshoffnung brachte, enttäuschte er ihn auf das schwerste. „Die Beschäftigung mit ihm bereitete ihm trübe Stunden und schlaflose Nächte. Schien doch die vorgeschlagene Gesetzgebung eigens darauf angelegt, ein gutes Stück seiner Lebensarbeit auszulöschen. Wo er volksthümliches Recht suchte, fand er nichts als abstractes Juristenrecht, statt deutscher Rechtsgedanken traf er fast nur romanistische Schulbegriffe, und von schöpferischer Neubildung im Geiste unserer Zeit vermochte er wenig zu entdecken … In ein Notizbuch begann er Bemerkungen einzutragen; die unsicheren Züge der einst so festen Hand lassen ahnen, daß ihr bald die Feder für immer entsinken sollte“ (Gierke). Vor allem verlangte er eine Revision unter Zuziehung von Sachverständigen aus dem Volke. Seinem Wunsche ist entsprochen worden, und hätte er den zweiten Entwurf und das fertige Gesetzbuch erlebt, so würde er manchen Vorwurf haben zurücknehmen oder mildern können. Freilich läßt sich billig bezweifeln, ob er in dem endlich vollendeten Werk auch nur annähernd seine Ideale verwirklicht gefunden haben würde; sein conservativer, doch wesentlich noch immer in den Bestrebungen einer früheren Zeit wurzelnder Sinn würde wie in der Politik so auch hier nicht im Stande gewesen sein, den berechtigten Forderungen, den verwandelten Anschauungen einer neuen Generation ganz unbefangen Rechnung zu tragen. Eins aber würde ihn sicherlich empört und zu kräftigen Worten, ja wol auch, soweit es möglich gewesen wäre, zu Thaten der Abwehr bestimmt haben: die im Gefolge des Bürgerlichen Gesetzbuchs den deutschen Universitäten bescheerte Neuordnung des juristischen Studiums. Er, der im J. 1873 auf das entschiedenste, vielleicht allzu conservativ, für Beibehaltung der lateinischen Sprache bei juristischen Promotionen und Habilitationen sich ausgesprochen hatte, würde den jetzt vollzogenen Bruch mit der geschichtlichen Tradition, die zu befürchtende Verwandlung des wissenschaftlichen Studiums in eine Abrichtung für die Praxis, die in der drohenden Zulassung der Realgymnasialabiturienten ihre Krönung erhalten zu sollen scheint, auf das schärfste verurtheilt, er würde in ihr eine nicht zu überschätzende Gefahr für die Zukunft der deutschen Jurisprudenz, für die Cultur der deutschen Nation erblickt haben.

Doch trotz solcher vielleicht unvermeidlicher Schatten konnte er mit Befriedigung und im Bewußtsein treu erfüllter und von Erfolg gekrönter Arbeit auf sein Leben zurückblicken. Und er that es und gestaltete diesen Rückblick, zumal den auf die Jahre des Werdens und Kämpfens, durch die Bitte Max Duncker’s bestimmt zu dem anmuthigen, schlichten aber lebensvollen, knappen aber charakteristischen Stück Selbstbiographie, mit dem er 1884 seine Freunde und Verehrer beschenkte („Erlebtes und Erstrebtes“ 1884). Und mit welcher Anhänglichkeit und Liebe der große Kreis derselben an ihm hing, das erfuhr er auf das schönste bei der Feier seines fünfzigjährigen Doctorjubiläums, die er am 6. Januar 1885 inmitten seiner Berufsgenossen, seiner Freunde und seiner Familie in ungebrochener aufrechter Kraft beging. Gierke sagt, daß es allen Theilnehmern der schönen Feier unvergeßlich bleiben werde, wie unter vielen Anderen die alten Kampfgenossen Waitz und Max Duncker (von Droysen hatte er im Sommer vorher schon Abschied nehmen müssen) den Freund begrüßten und die Erinnerung treuer Gemeinschaft in bewegter Vergangenheit weckten. Ein dauerndes Denkmal dieses seines Ehrentages setzten ihm seine Berliner [469] Collegen Brunner, Hinschius, Pernice, Bernstein, Cosack, Ryck, Eck, Goldschmidt, Gneist und Mommsen, indem sie ihm eine Festschrift juristischer Abhandlungen widmeten, unter denen die von Gneist die in manchem Betracht einflußreichste Schrift des Gefeierten zum Ausgang nahm und die „Lehre vom Volksrecht, Gewohnheitsrecht und Juristenrecht“ weiterzubilden suchte. Und sein hervorragendster Schüler, der Ausbreiter und Weiterführer seiner Gedanken, Otto Gierke, der ihm bereits den ersten Band seines großen Werkes über das deutsche Genossenschaftsrecht im J. 1868 zugeschrieben hatte, brachte ihm, „dem Meister der Wissenschaft des vaterländischen Rechts, dem Erforscher und Wiedererwecker deutscher Rechtsgedanken“ als schönstes Jubiläumsgeschenk sein neuestes Buch über die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung.

Nach der Feier freilich begannen seine Kräfte merklich abzunehmen. Als bald darauf der Tod die alten Freunde Waitz und Duncker kurz hintereinander abrief, überkam auch ihn das Gefühl des bevorstehenden Abschieds (Gierke). Er mußte die Vorlesungen einstellen, hielt aber gleichwol noch in den beiden letzten Semestern Uebungen im germanistischen Seminar ab. Bis zuletzt erfüllte er die Pflichten des Berufes, nahm er Theil an den Facultätsverhandlungen; sein letzter Gang in Berlin führte ihn am 1. August 1888 bei der Rectorwahl noch einmal in das Universitätsgebäude. Dann verließ er Berlin; wie er schon vorher die lange bewohnten Räume in der Eichhornstraße mit einer am Canal gelegenen Wohnung vertauscht hatte, um dem Grünen näher zu sein, so hoffte er jetzt in den Wäldern des Harzes Erholung finden zu können. Aber seine Kräfte waren erschöpft: am 28. August 1888 endete zu Harzburg im Kreise der Seinen ein sanfter Tod sein Leben.

Es wird angebracht sein, Beseler’s Bedeutung für die deutsche Rechtswissenschaft noch mit einigen zusammenfassenden Worten zu bezeichnen. Denn so wichtig zumal 1848 seine politische Thätigkeit war, so hohen Werth er selbst dieser Seite seiner Wirksamkeit beilegte, seine wissenschaftlichen Leistungen bildeten doch die Grundlagen seiner Stellung und als Mann des deutschen Rechts wird er am längsten in dem Gedächtniß kommender Geschlechter weiterleben.

Man kann seine Stellung in der Wissenschaft vom deutschen Recht vielleicht am besten erklären, wenn man darauf hinweist, daß er auch als Jurist in erster und letzter Linie Politiker war. Er war nicht Rechtshistoriker, wie Eichhorn, nicht Antiquar, wie Jacob Grimm, nicht Dogmatiker, wie Albrecht, nicht Philolog, wie Homeyer, sondern er faßte das Recht als ein Feld der praktischen Politik auf. Was ihm schon als Studenten beim Studium der deutschen Rechtszustände zuerst und entscheidend in die Augen fiel, das war ihre Jämmerlichkeit, ihre Unerträglichkeit, die Nothwendigkeit, sie zu verbessern. Wie ist es möglich, daß ein so schlechtes Rechtsinstitut, wie die Erbverträge, die weder dem alten deutschen noch dem römischen Recht bekannt waren, sich in Deutschland festsetzen konnten, so fragte er sich. Die Antwort gab ihm die Geschichte des deutschen Rechts, die Geschichte der Reception der fremden Rechte. Er betrachtete diese entscheidende Thatsache der deutschen Rechtsentwicklung vom Standpunkt eines hochgestimmten Nationalismus aus, der bei dem früh mit nationalem Stolz erfüllten Schleswig-Holsteiner, bei dem Schüler Dahlmann’s und Jacob Grimm’s erklärlich war und den wir heute als einen besonders kräftigen und thatenreichen Ausläufer der Romantik verstehen lernen. Die Reception bedeutete ihm einen so starken Bruch in der Entwicklung des deutschen Rechts, daß er für die auf sie folgenden Jahrhunderte der deutschen Rechtsgeschichte die Lehre der historischen Schule von der Entstehung des Rechts für nicht mehr anwendbar hielt. Nur an einigen wenigen Punkten fand auch jetzt noch eine weitere organische Fortbildung deutscher Rechtsgedanken statt; bei weitem in den meisten [470] Fällen führte das fremde Recht fremde Elemente ein, die das deutsche Recht auch da, wo sie es nicht völlig verdrängten, auf das stärkste beeinflußten; was auf diese Weise an Rechtssätzen entstand und sich ausbildete, wurde zwar auch geltendes Recht, aber es war kein nationales, kein „deutsches“ Recht. Wie man sieht, bedeuteten die Worte „deutsch“ und „national“ bei B. von Anfang an nach bestimmter Richtung hin ein Werthurtheil, wie er denn auch die Reception ein von jedem Patrioten zu beklagendes Nationalunglück genannt hat (Volksrecht und Juristenrecht S. 42). In der hierin liegenden zweifellos starken Ueberschätzung des nationalen Elements im Recht, in der allzu engen Verknüpfung zwischen dem Recht und dem Nationalcharakter eines Volkes vertrat B. durchaus die Lehren der historischen Schule, bewies er sich insbesondere als Schüler Jacob Grimm’s, obwol dieser selbst einen verhältnißmäßig unbefangenen Blick sich bewahrte. Aber B. wurde durch jene Auffassung der Reception und der ihr folgenden Entwicklung zu einem Standpunkt geführt, der wenigstens in seinen Augen von dem der historischen Schule nicht unbeträchtlich abwich: sie ließ ihn die den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung bildende Lehre vom Volksrecht und Juristenrecht aufstellen, die bereits in seinem Werk über die Erbverträge die Grundlage der Untersuchung bildet, die ihn dann in dem ihr eigens gewidmeten Werke zur ausdrücklichen Polemik gegen die historische Schule veranlaßte und die dann endlich im „System des deutschen Privatrechts“ mit geringen mehr nur formellen Aenderungen endgültig festgestellt und durch alle Auflagen hindurch fast wörtlich beibehalten wurde. Seine Lehre nun besteht darin (vgl. Zitelmann S. 387, 437 Anm. 194), daß alles ungesetzte Recht – dem gesetzten legte er übrigens mit Recht eine größere Bedeutung bei als die historische Schule – bald vom Volk bald von den Juristen erzeugt wird. Er stellte also neben das Volksrecht als zweite Art des Gewohnheitsrechts das Juristenrecht. Das Volksrecht wiederum ist entweder eigentliches Volksrecht, d. h. durch unmittelbare Beobachtung, durch Anschauung der Rechtsverhältnisse zu erkennendes Recht, das sich wie jedes Gewohnheitsrecht in thatsächlicher Uebung äußert; sein nothwendiges Entstehungserforderniß ist das mit innerer Nothwendigkeit aus dem Geiste des Volkes entspringende Rechtsbewußtsein. Oder das Volksrecht ist Recht, das zwar auch auf dem Rechtsbewußtsein des Volks beruht; aber hier tritt dieses Rechtsbewußtsein nicht unmittelbar, sondern erst durch eine längere Dauer der Uebung, durch eine inveterirte Uebung, erkennbar in die Erscheinung; B. nennt es Herkommen. Dem gegenüber ist das Juristenrecht Recht, das auf der Rechtsüberzeugung des Juristenstandes beruht (Rechtsüberzeugung im Gegensatz zum Rechtsbewußtsein ein durch Reflexion erworbene Wissen) und, da es stets Herkommen ist (B. betont in der 4. Auflage des „Systems“ S. 83, 84 ausdrücklich, daß das Juristenrecht immer Herkommen sei; nach Zitelmann’s Darstellung lautete die Beseler’sche Lehre früher entgegengesetzt), in der auf Grund dieser Rechtssüberzeugung befolgten längeren Uebung zu Tage tritt. Offensichtlich beruht diese merkwürdige Gegenüberstellung von einem Recht des Volks und einem Recht der Juristen darauf, daß thatsächlich Zustände besonderer Art zur Höhe einer allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Definition erhoben worden sind. Weil in Deutschland in der That die fremdrechtlich gebildeten Juristen der Rechtsentwicklung ihren Stempel aufgedrückt haben, darum stellte B. dem Volksrecht ein Juristenrecht an die Seite. Nur verkannte er dabei völlig, daß wenn unsere Juristen in ihrem Unverständniß Rechtsverhältnisse des deutschen Volkslebens romanistisch behandelten, sie dabei allerdings dem deutschen Recht unendlich schadeten, aus ihm vielfach ein Zwitterding von deutschem und römischem Wesen machten, daß sie aber vom formellen Standpunkt der Lehre von den Rechtsquellen [471] aus damit nichts anderes thaten als wenn sie gut deutschrechtlich entschieden hätten. Das, was die gelehrten Juristen in Judicatur und Litteratur aus dem deutschen Rechte machten, war, vom Standpunkt der Quellentheorie aus, so gut Volksrecht, wie das, was in den alten Schöffengerichten gefunden worden war; auch die gelehrten Juristen, wenn sie sich dem fremden Recht verkauften, wußten es nicht besser und meinten Recht zu sprechen, wie es in Deutschland eben Rechtens sei. Wenn B. sagt, ihr Juristenrecht habe das Volksrecht verdrängt, so konnte man dem mit Recht entgegenhalten, daß eben ihr Juristenrecht zum großen Theil das damalige Volksrecht gewesen sei; leider, mag man ja hinzufügen, aber es war eben nichts als der mystische Begriff „Volk“ der historischen Schule, der zu dieser Hochschätzung des Volksrechts und zu dieser Mißachtung des Juristenrechts führte. Und wie sehr das subjective Werthurtheil maßgebend war, wie wirklich, möchte man sagen, das vom germanistischen Standpunkt aus verwerfliche Gewohnheitsrecht zum Juristenrecht gestempelt wurde, sieht man aus der von B. vorgenommenen Vertheilung der verschiedenen Rechtsinstitute und Rechtssätze zwischen die beiden Kategorien. Zum Volksrecht z. B. stellt er die meisten Sätze des neueren Rechts betreffend die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern; die Rechtssätze über die Stellung der unehelichen Kinder dagegen seien Juristenrecht; die Rechtsverhältnisse der Dienstmiethe seien Volksrecht, der Grundsatz der Klagbarkeit aller Verträge Juristenrecht u. s. w. Wenn B. also – und das war die praktische Spitze seiner Theorie – das Volksrecht pflegen, neu beleben, erweitern, das Juristenrecht möglichst zurückdrängen wollte, so hieß und war das nichts anderes als die erstrebte Befreiung unseres modernen Rechts von den ihm nur äußerlich angegliederten fremdrechtlichen Elementen. Und dieser Absicht stimmten ja auch B. viele seiner Gegner (ausdrücklich z. B. Schmid und Wächter), die gegen seine Theorie die gegründetsten Einwendungen erhoben, völlig bei. Das war überhaupt bei diesem Streit das merkwürdige, daß er gleichsam künstlich auf das Gebiet theoretischer Begriffsuntersuchungen verpflanzt und dort ausgekämpft wurde, während es sich um von ihnen ganz unabhängige Reformen des geltenden Rechts handelte. Und darum liegt die dauernde Bedeutung des Streites und insbesondere der Beseler’schen Erörterungen auch viel weniger in den theoretischen Auseinandersetzungen über die Begriffe Volksrecht, Juristenrecht, Herkommen, gemeines Recht, als vielmehr darin, daß er für B. die Gelegenheit wurde, seine Anschauungen über einige Hauptinstitute des „Volksrechts“, insbesondere über die deutschrechtliche Genossenschaft ausführlich zu entwickeln und zu immer größerer Bestimmtheit zu gestalten. Er ist damit der Vater der Genossenschaftstheorie geworden und darin liegt vielleicht sein hauptsächlichstes wissenschaftliches Verdienst. Schon in den Erbverträgen (1, 80) hatte er den corporativen Trieb als eigenthümlichen Zug des germanischen Rechts bezeichnet; nun, im Volksrecht und Juristenrecht und dann abschließend im System, führte er in eingehender dogmatischer Begründung (die rechtsgeschichtliche fügte erst später Gierke hinzu) den Begriff der corporativen Genossenschaft, jener deutschrechtlichen juristischen Person, die von der römischen charakteristisch unterschieden ist, wie sie ihrerseits wiederum von den deutschen Gesammthandsverhältnissen sich sondert, in die Wissenschaft ein, nachdem er ihn mit einem gewissen divinatorischen Blick neu entdeckt hatte. Die Lehre von der Genossenschaft, wie er sie schuf und schließlich formulirte, trug zunächst noch unleugbare Mängel an sich und die Gegner haben lange Zeit hindurch diese Mängel benutzt, um sie völlig zurückzuweisen. Aber in Beseler’s Forderung, daß über die romanistische Theorie hinweg unmittelbar an das germanische Volksrecht angeknüpft werden müsse, um den Associationsgeist der Nation in dieser Richtung und Gestaltung zu begreifen, lag ein [472] unzerstörbarer lebenskräftiger Kern, und er ist, wie B. selbst noch miterlebt hat, zu reichster Entfaltung gelangt: Wissenschaft und Gesetzgebung haben in umfänglichstem Maaße seine Gedanken zur Aufhellung rechtsgeschichtlicher und dogmatischer Probleme, zur Schaffung neuer, lebenskräftiger Gesellschaftsformen benutzt; das Bürgerliche Gesetzbuch hat die deutschrechtliche Gesammthand zur Grundlage seines Gesellschaftsrechts gemacht. Man kann wol sagen, daß dieser Sieg deutscher Rechtsgedanken, die nunmehr vom Handelsrecht auf das allgemeine bürgerliche Recht übertragen worden sind, ohne B. nicht errungen worden wäre.

Noch viele andere Theile des deutschen Privatrechts, die Lehre vom Gesammteigenthum, von den Reallasten, dann insbesondere alle jene Partien, die er in der ersten Auflage seines Systems als gemeines Ständerecht dem gemeinen Landrecht, später als die Specialrechte mit Einschluß des Ständerechts dem allgemeinen bürgerlichen Recht gegenüberstellte (insbesondere Adelsrecht, Landwirthschaftsrecht), erfüllte er mit jenem gleichsam instinctiv die deutschen Rechtsgedanken erfassenden Geiste. Nicht daß seine rechtsgeschichtlichen, dogmatischen, systematischen Ansichten überall das Richtige getroffen hätten. Aber er wußte die verschiedensten Erzeugnisse des deutschen Rechts zu einer inneren Einheit zu verbinden und damit in seinem System des deutschen Privatrechts zum ersten Mal einen in gewisser Hinsicht wenigstens dem gemeinen Recht ebenbürtigen Gedankenbau aufzurichten.

Auch dies geschah, um damit zum Abschluß unserer Betrachtungen an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren, in letzter Linie zu praktischen Zwecken. Er sprach in der Vorrede den Wunsch aus, daß sein System auch als Vorarbeit für die Gesetzgebung sich nützlich erweisen möge. Darin sah er seinen besten Lohn. Erklärte er doch gelegentlich ausdrücklich (Volksrecht und Juristenrecht S. 309), man müsse der Ansicht bestimmt entgegentreten, daß die Rechtswissenschaft ein selbständiges, vom praktischen Leben unabhängiges Ziel in sich trage. Das mag von einem allgemeinsten Gesichtspunkt aus zu bestreiten sein; Beseler’s ruhmvolles Wirken aber hat darin bestanden: er hat gekämpft für sein deutsches Recht, und damit für sein Volk, zu allen Zeiten seines Lebens, in allen Richtungen seiner ausgebreiteten Wirksamkeit. So wird er in der Geschichte weiter leben: eine Gestalt, wie wir sie dem alten Schöffen Eike von Repgow zuschreiben mögen: nichts Blendendes war an ihr; er war kein begeisternder Redner, kein hinreißender Schriftsteller, aber er war ein charaktervoller, zielbewußter, energischer deutscher Mann; hinter der gemessenen Würde des äußeren Auftretens verbarg sich das wärmste und treueste Gemüth, aus dem edlen Antlitz sprach Klugheit und Güte, der imponirende Ausdruck einer festen, geschlossenen, von hohen Gedanken erfüllten Persönlichkeit.

Gierke i. d. Zeitschrift der Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte, 10. Bd., germanistische Abtheilung, 1889, S. 1–24. – Goldschmidt in seiner Zeitschrift f. Handelsrecht, Bd. 36, 1889, S. 1–5. – Droysen, Die Verhandlungen des Verfassungs-Ausschusses der deutschen Nationalversammlung. Erster Theil. Leipzig 1849. – Haym, Die deutsche Nationalversammlung. Drei Theile. Frankfurt, Berlin 1849, 1850. – Laube, Das erste deutsche Parlament. Drei Bände. Leipzig 1849. – Mollat, Reden und Redner d. ersten deutschen Parlaments. Osterwieck 1895. – v. Poschinger, Fürst Bismarck und die Parlamentarier. Drei Bände. Breslau 1894, 1895, 1896. – Springer, Friedrich Christoph Dahlmann. Zwei Bände. Leipzig 1870. 1872. – Zitelmann, Gewohnheitsrecht und Irrthum. Archiv f. civilistische Praxis. Bd. 66, 1882, S. 323–468.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jakob Jahn, Syndicus des Klosters Preetz (1770–1844)