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ADB:Thöl, Heinrich

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Artikel „Thöl, Johann Heinrich“ von Ferdinand Frensdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 47–52, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Th%C3%B6l,_Heinrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:42 Uhr UTC)
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Thöl: Johann Heinrich Th., juristischer Lehrer und Schriftsteller, wurde am 6. Juni 1807 in Lübeck geboren und starb am 16. Mai 1884 in Göttingen. Sein Vater, der während seiner Studienzeit starb und die Familie in unbefriedigender Vermögenslage hinterließ, und seine Brüder gehörten dem Kaufmannsstande an. Th., anfangs, wie es scheint, zum kaufmännischen, nachher erst zum gelehrten Berufe bestimmt, besuchte seit 1821 das Lübecker Catharineum und bezog Ostern 1826, um die Rechte zu studiren, die Universität Leipzig, die er nach einem Jahre mit Heidelberg vertauschte. Thibaut und Mittermaier gewannen hier Einfluß auf seine Studien, und wenn Thibaut Vorbild für die civilistische Methode wurde, so verdankte er Mittermaier den Hinweis auf das des Ausbaues bedürftige Gebiet des deutschen Privatrechts. Die Heidelberger Universitätszeit, während deren er in freundschaftlichem Verkehr mit August Reichensperger lebte und mit ihm nicht bloß Juridica trieb, sondern auch Jean Paul las, schloß mit der am 29. Juli 1829 erfolgten Doctorpromotion. Am 1. December des nächsten Jahres habilitirte er sich in der juristischen Facultät der Universität Göttingen auf Grund der Abhandlung: „de verbi an ordre cambiis vel indossamentis inserti vi atque effectu“ (Gött. 1830). Die Schrift ist Friedrich Cropp, dem Rathe des Lübecker Oberappellationsgerichts, an dessen Persönlichkeit und unvergeßliche Meisterschaft er so gern erinnerte, und Mittermaier, dem geliebten Lehrer, wie er ihn noch 1841 öffentlich genannt hat, gewidmet. Bei Thöl’s Eintritt in die akademische Thätigkeit wirkten in Göttingen als Germanisten bereits Albrecht, Kraut und L. Duncker, zu denen Jacob Grimm sich noch mit Vorlesungen über deutsche Rechtsalterthümer gesellte. Auf die Geschichte des deutschen Rechts haben sich Thöl’s Vorlesungen nie erstreckt. Sie umfaßten neben deutschem Privatrechte Lehnrecht und Handelsrecht ein in Göttingen schon länger übliches Civilpracticum, das in den Vorlesungsanzeigen als praktisches Pandekten-Repetitorium erklärt zu werden pflegte. Unter Thöl’s Leitung gewann es großen Beifall. Dreimal allwöchentlich gehalten, bestand es in der mündlichen Erörterung von Rechtsfällen. die die Zuhörer schriftlich bearbeitet hatten, durch den Docenten unter besonderer Berücksichtigung der von den Theilnehmern in ihren Arbeiten oder mündlich geäußerten Meinungen. Der Stoff war „vorzugsweise, fast ausschließlich“ dem römischen Rechte entlehnt. Ganz im Anschlusse an die in Heidelberg durch Heise und Cropp vertretene Richtung (s. A. D. B. IV, 610), die römisches und [48] deutsches Recht mit einander verband, begann Th. seine wissenschaftliche Thätigkeit. Die Fülle des Arbeitsstoffes nöthigte zur Scheidung. Bevorzugte Cropp die historische Seite des deutschen Rechts, so wandte sich die Vorliebe Thöl’s dem Handelsrechte zu. 1835 erschien: „Der Verkehr mit Staatspapieren aus dem Gesichtspunkt der kaufmännischen Speculation mit Berücksichtigung seiner juristischen Natur“: ein Buch, dessen Verdienst in der klaren Darlegung der mannichfaltigen und verwickelten kaufmännischen Geschäfte, die es mit Staatspapieren zu thun haben, besteht. Mit den hervorragenden Lehrern, die das damalige Göttingen in und noch mehr außerhalb der juristischen Facultät umfaßte, stand Th. in freundschaftlicher Verbindung, eine feine gesellige Natur, die neben aller Wissenschaft und Gelehrsamkeit Sinn für den Humor in Leben und Litteratur hatte. Lange noch hat sich die Erinnerung an sein Vorlesertalent, an seine schauspielerische Darstellung des Elias Krumm erhalten. Als dann die Vorgänge des Jahres 1837 dies frohe, bewegte Leben zerstörten, erwies sich Th. als einer der treuesten Freunde der Vertriebenen. Er unterschrieb am 13. December 1837 die Erklärung der Sechs, die den Rotenkircher Fälschungen mit dem schlichten Worte entgegentrat: sie hätten sich niemals tadelnd über die in der bekannten Protestation der Sieben enthaltenen Gesinnungen ausgesprochen. Durch Briefe und Besuche blieb er mit Dahlmann und den Grimm in Verbindung. Dahlmann schrieb damals: Th. ist und bleibt brav und treu. Seinem Vorwärtskommen wird die Anhänglichkeit an die Sieben nicht gedient haben. Kurz vor der Katastrophe, am 20. Mai 1837, war er außerordentlicher Professor geworden; bis Juni 1841 blieb er ohne Gehalt. Als Th. im nächsten Jahre nach Rostock berufen wurde, bemühte sich das Universitätscuratorium, ihn Göttingen zu erhalten. Th. zog es vor, dem Rufe zu folgen und gehörte vom Herbst 1842 bis 1849 als Ordinarius der Universität Rostock an. In die vierziger Jahre fällt die litterarische Thätigkeit, mit der er sich seinen Platz in der Wissenschaft erobert hat. Noch vor seinem Weggang von Göttingen war der erste Band des Handelsrechts (Göttingen 1841) erschienen. Auch von den Gegnern seiner Richtung ist anerkannt worden, daß mit diesem Buche der streng juristische Boden und die richtige Methode für das Handelsrecht dauernd gewonnen war. Mehr als eines der früheren Werke über Handelsrecht geht es auf das römische Recht zurück und zeigt, wieviel seine Quellen auch für diesen Rechtszweig darbieten. Es zieht streng die Grenze des positiven gemeinen Rechts. Unter den Quellen, aus denen die Praxis des gemeinen Rechts geschöpft wird, stehen obenan die Entscheidungen des Lübecker Oberappellationsgerichts, mit denen Th. sich seit 1836 bei wiederholtem Ferienaufhalte in der Vaterstadt bekannt gemacht hatte. In die Rostocker Zeit fällt auch die Schrift, mit der er polemisch seinen Standpunkt innerhalb des sich mehr und mehr entwickelnden Gegensatzes zwischen Romanisten und Germanisten bezeichnete. Als gelegentlich des Göttinger Universitätsjubiläums von 1837 die Germanisten zu einer Vereinigung zusammentraten, waren Reyscher und Th. für das Zustandekommen thätig gewesen. An der Zeitschrift für deutsches Recht, die aus jener Vereinigung hervorging, hat Th. sich nicht betheiligt. Zu den Germanisten gehörte er seinem Arbeitsgebiete nach; ihre historische Richtung theilte er nicht. Ihn interessirte nur das geltende Recht und sein dogmatischer Aufbau. Man darf aber nicht vergessen, daß von der geschichtlichen Begründung des Handelsrechts damals auch historischere Germanisten, z. B. Homeyer, nichts wissen wollten. Im J. 1843 trat Georg Beseler, Thöl’s Vorgänger auf dem Rostocker Lehrstuhle des deutschen Rechts, mit seiner Schrift: Volksrecht und Juristenrecht hervor. Schon in Göttingen war Th. mit Beseler bekannt geworden, als er, mit Ausarbeitung der Erbverträge beschäftigt, hier 1834 verweilte. Th. war nur zwei Jahre älter als [49] Beseler, und beide verkehrten in denselben Göttinger Kreisen, aber in ihrer wissenschaftlichen Richtung werden sie schon damals nicht harmonirt haben; wenn sich Th. auch zu jenem abfälligen Urtheil, das er nach Beseler’s Bericht über die ersten Bogen der Erbverträge geäußert hat, niemals bekennen wollte, schon aus dem Grunde nicht, weil er sich über die dort angestellten historischen Untersuchungen keinerlei Urtheil zugetraut habe. Was Th. an der neuen Schrift Beseler’s mißfiel, war nicht ihr politischer, ihr für eine künftige Legislation berechneter Theil, sondern ihr dogmatischer Inhalt. Er will den neuen Begriffen, die Beseler über gemeines Recht, Gewohnheitsrecht, Corporationen aufstellt, den Eingang wehren. Ihre Unbestimmtheit, die Beseler später selbst zugegeben hat, reizt ihn zum Widerspruch; schon die „Rechtsanschauung“ ist ihm verhaßt, er verlangt Rechtsüberzeugung. Alles das ist in einem scharfen polemischen Tone ausgeführt in einem Buche, das statt eines einheitlichen Titels die Ueberschrift führt: „Volksrecht. Juristenrecht. Genossenschaften. Stände. Gemeines Recht.“ (Rostock 1846). Von den Germanistentagen, auf denen der Gegensatz zwischen Romanisten und Germanisten sich aussprach, aber sich doch auch schon auszugleichen anfing, hat Th. nur den zweiten, den zu Lübeck im September 1847 besucht. Der Vortrag, den er hier hielt, betraf eine specielle Frage des lübischen Rechts, die nach der Testirfähigkeit der Ehefrauen. Interessanter für die brennenden Tagesfragen war die Debatte über die Rechtscodification, in der Th. die Versammlung aus dem Gebiete der frommen Wünsche auf die sich vorbereitende Conferenz zur Berathung einer deutschen Wechselordnung verweisen konnte. Zu seiner Thätigkeit als Lehrer und Schriftsteller kam mit dem Jahre 1847 die als Mitarbeiter an der Gesetzgebung. An allen Stadien, die die Schaffung des einheitlichen deutschen Verkehrsrechts durchlief, hat er von da ab theilgenommen. Gründlicher vorbereitet trat kein Mitglied in die Leipziger Conferenz, als der Abgeordnete für Mecklenburg-Schwerin. Im Auftrage seiner Regierung hatte Th. im Sommer 1847 den Entwurf einer Wechselordnung für Mecklenburg ausgearbeitet, der zu Ende September nebst seinen Motiven im Drucke erschien (Rostock 1847). Vier Wochen später veranstaltete Th. eine Ausgabe seines Entwurfs in Paralleldruck mit dem inzwischen veröffentlichten preußischen Entwurfe (Rostock 1847). Acht Tage vor dem Beginn der Wechselconferenz erschien die erste, fünfzehn Bogen umfassende Lieferung von Thöl’s Wechselrecht, dem zweiten Bande seines Handelsrechts. Endlich wurde in einer der ersten Sitzungen der Conferenz eine Schrift von Th. vertheilt, Quellen und Zeugnisse des Wechselrechts enthaltend. Unter den dreißig Abgeordneten, die theils dem juristischen Berufe, theils dem Kaufmannsstande angehörten, war Th. der einzige Rechtslehrer. Das Jahr 1848 führte Th. bei einer Nachwahl in das Frankfurter Parlament. Am 2. December 1848 trat er für Mecklenburg-Strelitz an Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Genzken in die Versammlung ein. An demselben Tage begann der von dem Reichsminister der Justiz, Robert v. Mohl, zur Ausarbeitung eines Handelsgesetzbuches einberufene Ausschuß seine Thätigkeit. Er zählte nur vier Mitglieder: als Vorsitzenden Widenmann, Advocatanwalt zu Düsseldorf, zur Zeit Unterstaatssecretär des Reichsjustizministeriums, die Cölner Appellationsgerichtsräthe Broicher und Grimm und Th., also drei rheinische und einen gemeinrechtlichen Juristen. Die Commission, in der Th. bis zum März verblieb, stellte nur einen Theil des beabsichtigten Entwurfs fertig, der mit den Motiven im Frühjahr 1849 veröffentlicht wurde. In der Nationalversammlung ist Th. nicht hervorgetreten. Er gehörte der erbkaiserlichen Partei an und schied mit Dahlmann, Gagern, Simson, Waitz u. a. am 21. Mai 1849 aus. Zu den Beschlüssen der Gothaer Versammlung erklärte er [50] schriftlich seine Zustimmung. Nach Göttingen als ordentlicher Professor des deutschen Rechts zurückberufen, wurde er am 13. October 1849 in das Lehramt eingeführt, das er bis zu seinem Tode inne haben sollte. Die Stelle eines Mitgliedes des Oberappellationsgerichts der freien Städte, zu der ihn der Senat von Lübeck nach der Pensionirung Hach’s 1850 wählte, lehnte er ab. Eine längere Unterbrechung erfuhr seine akademische Wirksamkeit durch eine neue Berufung zu legislatorischer Thätigkeit, die Wiederaufnahme des einst in Frankfurt begonnenen Werkes, die Ausarbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuches. Als Vertreter Hannovers hat Th. an den Berathungen der Commission von ihrer Eröffnung am 15. Januar 1857 an in Nürnberg und in Hamburg, fast ohne eine Sitzung zu versäumen, bis zu Ende theilgenommen; nur in den vier letzten Sitzungen vom 15. Februar 1861 ab war er nicht mehr zugegen, da es sich nur noch um processualische Fragen handelte, und der bereits in Nürnberg zur Berathung von Proceßgesetzentwürfen anwesende Oberjustizrath Leonhardt als Abgeordneter für Hannover eintreten konnte. Außer am Handelsgesetzbuche hatte Th. auch an den durch eine Subcommission festgestellten Ergänzungen der Wechselordnung, den sogenannten Nürnberger Novellen, mitgewirkt. In Göttingen hatte man die lange Abwesenheit Thöl’s ungeduldig ertragen; die juristische Facultät und der akademische Senat hatten schon 1859 die Regierung gebeten, den ferneren Urlaub zu versagen. Aber die Unmöglichkeit, einen Ersatz zu finden, wie ihn Th. selbst für die zweite Lesung des Seerechts gewünscht hatte, und der berechtigte, von Th. wie von der Regierung vertretene Gedanke, einen Mann die begonnene Arbeit zu Ende führen zu lassen, zwangen dazu, der Universität das Opfer zuzumuthen, das ihr schließlich selbst zu Gute gekommen ist. Thöl’s ganze Göttinger Zeit war reich an akademischer und litterarischer Thätigkeit. Seine Vorlesungen, denselben Gegenständen wie früher gewidmet, gewannen nur durch die reiche legislatorische Erfahrung und erfreuten sich lebhafter Theilnahme. Aus seinen Vorlesungen war schon vor der Nürnberger Zeit hervorgegangen: „Einleitung in das deutsche Privatrecht“ (Göttingen 1851), die in ihrem historischen Theil eine knappe und klare Uebersicht über die Quellen des deutschen Rechts gibt, in ihrem dogmatischen Theil weit über das hinausgehend, was sonst in dieser Disciplin vorgetragen wird, die allgemeinen Lehren des Findens und Anwendens von Rechtssätzen behandelt. Die „Ausgewählten Entscheidungsgründe des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands“ (Göttingen 1857) enthalten nach materiellen Rubriken geordnete Mittheilungen aus Urtheilen des Gerichts, die in den Jahren 1821–1836 ergangen und von Th. schon vor längerer Zeit aus den Acten des Gerichts gesammelt waren. Einen großen Raum in seiner schriftstellerischen Thätigkeit nahmen die neuen, sorgfältig revidirten und dem Gange der Gesetzgebung gemäß vervollständigten Auflagen ein, welche seine beiden Hauptwerke erforderten: das Handelsrecht erlebte bis 1879 sechs, das Wechselrecht bis 1878 vier Auflagen. Der Anwendung der neuen Gesetzgebung, an der er selbst mitgearbeitet, sind zu dienen bestimmt: „Protokolle der Leipziger Wechselconferenz“ (Göttingen 1866), die die officielle Folioausgabe in eine bequem zu brauchende Form bringen. Der Geschichte dieser Gesetzgebung ist gewidmet die alsbald nach Beendigung der Nürnberger Conferenz verfaßte Schrift: „Zur Geschichte des Entwurfes eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches“ (Göttingen 1861), die das Verfahren darlegt und kritisirt, das Oesterreich, Preußen und Baiern für nothwendig erachtet hatten, um den Abschluß der Commissionsberathungen herbeizuführen. Thöl’s Auftreten war nicht bloß durch die in dem Vorgehen enthaltene Rechtsverletzung hervorgerufen, er sah dadurch auch Sätze des Gesellschaftsrechts zur Geltung gelangen, die er mit der Mehrheit der Commission beharrlich als unzweckmäßig [51] bekämpft hatte. So wenig Th. mit diesem Ausgang der Codificationsarbeit einverstanden war, so sah er doch mit größter Befriedigung, wie sie immer weiteren Boden gewann und zuletzt zu reichsgesetzlicher Geltung aufstieg. Der politischen Entwicklung stand er ganz ähnlich gegenüber. Die Wege des Jahres 1866 entsprachen seinen Wünschen und Gesinnungen nicht. Als aber Kaiser und Reich wieder erstanden, gehörte er zu ihren wärmsten Anhängern. Die neue Reichsgesetzgebung und ihr Verhältniß zu Wechselordnung und Handelsgesetzbuch beschäftigten ihn aufs lebhafteste. Das letzte Jahrzehent seiner litterarischen Thätigkeit erfüllen eine Anzahl kleiner Schriften, alle dazu bestimmt, neue Erscheinungen in Doctrin und Praxis des Handelsrechts zu beleuchten und, wo sie ihm als Mißbräuche galten, zu bekämpfen. Den Anfang machte die „Praxis des Handels- und Wechselrechts“ (Leipzig 1874), die eine Art fortlaufenden Commentars zu den neuen Gesetzbüchern bilden sollte, je nachdem neu ergangene Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts dazu Anlaß geben würden, leider aber nicht über ein erstes Heft hinaus gediehen ist. Speciellere Themata behandeln: „Actienunrecht. Präclusion der Actionäre der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft“ (Leipzig 1877) und: „Theaterprocesse. Ein Wort zu Gunsten der Dichter und Componisten gegen Ansichten des Reichsoberhandelsgerichts zu Gunsten der Theaterunternehmer“ (Göttingen 1880). Zuletzt hat Th. noch ein Wort in eigener Sache sprechen müssen. Im J. 1880 war als dritter Band seines Handelsrechts eine eingehende Darstellung des Transportgewerbes erschienen. Dagegen richtete sich eine Kritik Goldschmidt’s in seiner Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht (Bd. 26, Stuttgart 1881), die insbesondere das Betriebsreglement der deutschen Eisenbahnen gegen die ihm von Th. vorgeworfene Verletzung absoluter Rechtssätze des Handelsgesetzbuches vertheidigte und Th. ein Deduciren lediglich aus dem Gesetzeswort vorwarf. Diese Kritik hat ihn sehr gekränkt, wenn er auch in den „Handelsrechtlichen Erörterungen“ (Göttingen 1882), die er ihr entgegenzusetzen sich verpflichtet fühlte, sich auf eine Widerlegung seines Recensenten im einzelnen beschränkte. Auch diese letzte Schrift ist ein Zeugniß seines Scharfsinns, seiner ungebrochenen Kraft. Eine selbstlose Persönlichkeit, hatte er allein das Interesse der Sache im Auge und verfolgte es ohne Ansehen der Person. In allen Theilen des Rechts, mit denen er sich beschäftigte, durch klare Erfassung der Verhältnisse und scharfe Formulirung der Rechtssätze ausgezeichnet, hatte er in einem Leben voll fruchtbarer Arbeit zwei Gebieten der Rechtswissenschaft ihr modernes Gepräge gegeben. Durfte man ihm im Bereiche des Handelsrechts vorwerfen, zu viel romanisirt zu haben und den Erscheinungen des neueren Verkehrslebens und ihren Zwecken nicht immer gerecht geworden zu sein, so bleibt ihm doch auch hier das Verdienst, das Ganze in wahrhaft wissenschaftlicher Weise durchdrungen und dem Handelsrecht zu einer den übrigen Zweigen der Rechtswissenschaft ebenbürtigen Stellung verholfen zu haben. Wie er einst vom Wechselrecht ausgegangen war, so hat er in diesem seiner logisch construirenden Methode am meisten entsprechenden Gebiete durch die Erkenntniß seiner Grundwahrheiten die größten Erfolge errungen. Th. hatte sich bis in sein hohes Alter gesund und kräftig erhalten. Erst vom Herbst 1883 ab verzichtete er auf seine Lehrthätigkeit. Er, der es mit allen Dingen des Lebens ernst nahm, war doch eine heitere, gesellige Natur. Auf die arbeitsvollen Jahre legislatorischer Thätigkeit, ihr tief ernstes und heiteres Leben, blickte er gern zurück. Er hatte große Zeiten gesehen, und sein Antheil an dem, was zuerst die deutsche Einheit verwirklichen half, wird immer Gegenstand der ehrendsten Anerkennung bleiben. An der Universität, deren Mitglied er fast fünfzig Jahre war, nahm er eine der angesehensten Stellungen ein: ein gefeierter und bis zuletzt fleißig gehörter Lehrer, ein Mann des Vertrauens in allen [52] Aemtern, die ihm übertragen wurden, ein Gegenstand der Verehrung und Liebe für alle, die ihm nahe standen. Zwei Jahre lang, in schwieriger Uebergangszeit, vom 1. September 1868 bis dahin 1870, und auch noch in dem Amtsjahre seines Nachfolgers bei dessen längerer Abwesenheit hat er das Prorectorat verwaltet. Unter allgemeinster Theilnahme der deutschen Universitäten, der Regierungen und seiner Zuhörer wurde am 29. Juli 1879 sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum gefeiert. Von dem Ansehen, das er unter der Juristenwelt weit und breit genoß, zeugt die unter ihrer Betheiligung zu Stande gekommene Aufstellung einer Marmorbüste Thöl’s in dem Ehrensaal der Göttinger Bibliothek. Die für diesen Zweck veranstaltete Sammlung ergab einen erheblichen Ueberschuß, der als Grundstock einer Thölstiftung angelegt ist. Die Büste, von Friedrich Hartzer in Berlin geschaffen, gibt vortrefflich die fein und scharf ausgeprägten, von freundlichem Wohlwollen belebten Züge des Mannes wieder. Er war eine hohe, stattliche Gestalt von der Art, wie man sie in den norddeutschen Seestädten noch häufig trifft. Das ganze hansische Wesen hatte in ihm eine charakteristische Ausprägung gefunden. Seit 1844 war Th. mit der Tochter des Kaufmanns Lewenhagen in Rostock verheirathet; ihn überlebten zwei Söhne, beide Oberlandesgerichtsräthe, der ältere in Celle, der jüngere in Hamburg.

Gareis in Busch’s Archiv für Theorie und Praxis des Handelsrechts XLVI, 5–14. Berlin 1886. – V. Ehrenberg, Heinrich Thöl. Seine Bedeutung für die Rechtswissenschaft (Goldschmidt’s Zeitschr. f. d. Handelsrecht XXXI, Stuttgart 1885). – F. Frensdorff, Zur Erinnerung an Dr. H. Thöl, Vortrag in der Göttinger Gesellschaft für Kirchenrechtswissenschaft am 22. Juli 1884 gehalten. Freiburg i. B. 1885. – Goldschmidt, Zeitschr. f. Handelsrecht I, 7 (1858); XXXIII, 499 (1887). – Beseler, Erlebtes und Erstrebtes, S. 29, 52. Berlin 1884. – Reyscher, Erinnerungen, S. 89. Freiburg 1884. – Bluntschli, Denkwürdigkeiten II, 287. – Springer, Dahlmann I, 412. – Dahlmann, Kl. Schriften, S. 280 (1886). – Briefwechsel zwischen J. und W. Grimm, Dahlmann und Gervinus, herausgegeben von Ippel, I, 315, 416; II, 199. – Protokolle der Leipziger Wechselconferenz 196. – Pütter-Oesterley, Geschichte der Universität Göttingen IV, 475. – Persönliche Erinnerungen. – Acten des Universitäts-Curatoriums.