Zum Inhalt springen

ADB:Windisch-Graetz, Alfred Fürst von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Windisch Graetz, Alfred Candidus Ferdinand Fürst zu“ von L. W. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 390–415, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Windisch-Graetz,_Alfred_F%C3%BCrst_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 06:15 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 43 (1898), S. 390–415 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Alfred I. zu Windisch-Graetz in der Wikipedia
Alfred I. zu Windisch-Graetz in Wikidata
GND-Nummer 118633651
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|43|390|415|Windisch Graetz, Alfred Candidus Ferdinand Fürst zu|L. W.|ADB:Windisch-Graetz, Alfred Fürst von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118633651}}    

Windisch Graetz: Alfred Candidus Ferdinand Fürst zu W., k. k. Feldmarschall, geboren zu Brüssel am 11. Mai 1787, † in Wien am 21. März 1862. Als sein Motto schrieb er 1847 und oftmals später: Offenheit, Energie und Consequenz bleiben stets zum Regieren die wichtigsten Eigenschaften, wer diese nicht hat, ist zum Regieren nicht gemacht.

Der Geschichtsschreiber, welcher sich mit der Darstellung der Ereignisse in den Jahren 1848 und 1849 beschäftigt, begegnet selbst dann, wenn er dieselben als Zeitgenosse mit durchlebt, einer unleugbaren Schwierigkeit in der Aufgabe, der Nachwelt die weitgreifende Verwirrung, den Grad der Auflösung jeder staatlichen und politischen Ordnung klar zu legen, welcher in den Frühjahrs- und Sommermonaten 1848 besonders in Mittel-Europa eingetreten war. Sowol derjenige, der die politischen Zustände der vorangegangenen Zeit für gänzlich unhaltbar erachtet, sowie jene, welche mit den aus dieser Geschichtsepoche hervorgegangenen [391] Entwicklungen mehr oder weniger einverstanden sind, werden einsehen müssen, daß die allgemeine Schwäche der Regierungen, welche den populären Bewegungen gegenüber nicht bloß die Einsicht, aber selbst das Gefühl ihrer Pflichten verloren zu haben schienen, daß der Mangel an politischer Erfahrung bei der großen Masse der Gebildeten, die zur entscheidenden Mitwirkung in der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten berufen wurden, nahezu unvergleichbare Erscheinungen vor Augen stellt.

Der während einer langjährigen Zeit der politischen Ruhe entstandene Mangel an Muth bei solchen, denen es nicht an Erfahrung gebrach, die leidenschaftliche wenn auch in manchen Kreisen ideale Verfolgung nationaler Ziele, die sich z. B. in der österreichischen Monarchie so vielfach kreuzten und für welche die Bahn in einem Augenblicke frei erscheinen mußte, in welchem von vielen die Berechtigung, von beinahe allen Menschen die Haltbarkeit der bestandenen politischen Ordnungen geleugnet wurde und innerhalb dieser Verhältnisse die positive Wirksamkeit einer europäisch revolutionären Verschwörung, über deren Ziele gestritten werden mag, die aber zu der Zeit unbestreitbar ihren Weg in der Auflösung aller gesetzlichen Grundlagen zu verfolgen suchte, – hatten einen Zustand hervorgerufen, der heutzutage nahezu jeder Schilderung spottet. Die blutigen Kriege, welche in den folgenden Jahrzehnten mit an Zahl immer steigenden Heeren geführt wurden, der in seinen Mitteln und Wegen bis zu den neueren Sprengwerkzeugen und zum Massenmorde fortgeschrittene sociale Kampf haben die Erscheinungen der Jahre 1848 und 1849 gegenwärtig oft unterschätzen lassen; der ernste Historiker wird aber die Bedeutung der geschichtlichen Thatsachen jener Jahre ebensosehr an sich, als in ihren weittragenden Folgen zu würdigen wissen müssen.

Unter den sehr wenigen Männern, die in dieser Epoche unbefangen im Geiste und kräftig im Wollen und Handeln geblieben waren, waren solche zu finden, die einer oder der anderen Partei zum Siege zu verhelfen suchten, andere, die den Verhältnissen die Machtelemente abzugewinnen suchten, welche jede Bewegung dem geschickten und entschlossenen Unternehmer bietet.

Es war eine günstige Fügung des Geschickes, daß der Mann, dessen Thaten Oesterreich aus den Gefahren dieser Ereignisse herausführen sollte, weder ein Machtpolitiker, noch ein Mann der Parteien war, daß W. im klaren Urtheile über die staatlichen Lebensbedingungen, in voller Einsicht in die Wege der Bewegung kein anderes Ziel vor Augen hatte, als das, dem Kaiser das Reich, dem Oesterreicher sein Vaterland und in der Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung der ferneren Zukunft die freie Bahn zu erhalten. Der Weg, der dann auf dieser wiedergewonnenen freien Bahn gegangen wurde, war nicht der seinige. Der Widerstreit zwischen seinen Anschauungen und jenen der leitenden Kreise im Frühjahre 1849 war die wesentliche Ursache seiner Entfernung von der Heeresführung in Ungarn. Wie immer bis zum heutigen Tage die geschichtlichen Entwicklungen in der österreichischen Monarchie den Auffassungen des Feldmarschalls über die Ausbeutung seiner Erfolge Recht geben mögen, der eben angedeutete Widerstreit wird erst vollständig gewürdigt werden können, wenn die Geschichte jener Zeit noch um ein bedeutendes älter geworden – die Accorde ihrer Epoche ausgeklungen haben.

Die Persönlichkeit Windisch Graetz’ in dem einheitlichen Zusammenklange ihrer Eigenschaften hatte sich an einem reichen und vollen Leben entfaltet. Dieses Leben zeigt uns den Genuß der Jugend in That, in Liebe und Freundschaft, eine freie und erfolgreiche Wirksamkeit der Mannesjahre, dann in späterer Zeit eine historische Thätigkeit in vollster Ausnützung der ganzen eigenartigen Entwicklung.

[392] Wenn auch der angeborene Thatendrang in ihm den Trieb zur historischen Wirksamkeit wach erhalten hatte, so war er doch mit zu viel Fäden an eine Vergangenheit geknüpft, in die er sich mit vollen Pulsschlägen eingelebt, als daß er auch den größten Ruhm mit dem Sturze dieser Vergangenheit hätte erkaufen mögen.

Der Umstand, daß seine Thätigkeit immer im Zusammenhange mit Herz und Glauben geblieben, hatte ihn anderseits jugendlicher und vertrauensvoller erhalten, als die Mehrzahl seiner Genossen.

So konnte er später in Wahrheit von sich sagen, daß er „leider“ zu großen Verdiensten gelangt, und dieses Gefühl mußte seine sittliche Kraft erhöhen, während die jugendfrischere Auffassung, die er sich bis in sein sechstes Jahrzehnt gewahrt, ihm gestatteten, auch den Anforderungen einer neuen Zeit und neuen Erscheinungen eine unbefangene Würdigung entgegenzubringen.

Das Geschlecht, aus welchem Alfred W. hervorgegangen, sein Haus, welches von dem alten Dynastengeschlechte der Grafen von Weimar-Orlamünde im Beginne unseres Jahrtausend abgezweigt, seinen Stammsitz schon damals an den südlichen Grenzen der Steiermark genommen, hatte in der Folge der Jahrhunderte ungewöhnlich wechselvolle Schicksale erfahren.

Der Einfluß, die Macht und der diese beiden begründende Besitz desselben waren in Kämpfen gestiegen und gefallen. Auch die letzte große Umwälzung in unseren Ländern, die Reformation und ihre Folgen waren nicht ohne bedeutenden Einfluß auf die Existenz dieser Familie geblieben; es scheint uns aber, daß die Vertreter dieses Namens in besonderem Grade jene stolze Unabhängigkeit des Charakters, jenes, augenblickliche Vortheile verachtende Festhalten an der eigenen Ueberzeugung bethätigt haben, welche wol als die ersten Bedingungen bezeichnet werden können, um den berechtigten Anforderungen an höhere Lebensstellungen zu genügen. Sein Vater, Graf Josef Niklas (s. u. S. 416) hatte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in unabhängiger Muße gelebt und war in vielfachem Verkehr einerseits mit dem Hofe Kaiser Josef’s II. und anderseits mit französischen Encyklopädisten und deutschen Gelehrten, namentlich auch mit Kant in brieflicher Verbindung gestanden. Die von ihm veröffentlichten Werke betreffen religiöse, philosophische, politische und judicielle Fragen, mit einer ganz besonderen Entschiedenheit sich gegen die damals sehr verbreiteten geheimen Gesellschaften wendend.

Nach dem früh verstorbenen Vater trat Alfred W. unter der Vormundschaft seiner Mutter in den Besitz des Majorates und am 24. Mai 1804 in die Reichsfürstenwürde, zu welcher sein Haus erhoben wurde, nachdem es bis dahin nur zwei Stimmen auf den Grafenbänken des Reiches zu vertreten hatte; er wurde von seiner Mutter, der zweiten Gemahlin des Grafen Josef Niklas, Franziska Leopoldina Prinzessin von Arenberg und zwar größtentheils auf dem Lande in Böhmen erzogen und wandte in frühester Jugend seine Neigung dem Soldatenstande zu, welcher Neigung er trotz mancher Widersprüche in der Familie, trotzdem die Mehrzahl seiner Vorfahren die staatsmännische und diplomatische Laufbahn verfolgt hatten und trotzdem zu jener Zeit die Häupter reichsständischer Familien sich nur selten hierarchischen Dienstverhältnissen einordneten, mit aller Entschiedenheit treu blieb. In diesem Sinne wurde seinen Studien die in jener Zeit mögliche militär-wissenschaftliche Ausbildung beigefügt.

Im Juni 1804 von Sr. Majestät als Oberlieutenant in das 2. Ulanenregiment Schwarzenberg eingereiht, rückte er bei Beginn des Feldzuges 1805 zum Rittmeister vor und erlebte im Wernek’schen Corps in der Gegend von Ulm seine ersten Gefechte. Hier mit einem großen Theile der Armee in Gefangenschaft gerathen, verschaffte ihm seine Auswechslung eine Vorstellung bei [393] Kaiser Napoleon und hiermit die für ihn einzig gebliebene Gelegenheit, den großen Kriegerfürsten jener Zeit zu sehen. Während so viele seiner Genossen durch die verderblichen Erscheinungen und unglücklichen Ereignisse dieses Krieges entmuthigt wurden, hinterließen dieselben bei W. die gewichtigsten Lehren, vermochten jedoch in ihm weder die Freude an seinem Beruf, noch das Vertrauen in die Zukunft der Sache seines Vaterlandes zu mindern, im Gegentheile wandte er sich mit umso größerer Begeisterung und Zuversicht den Umgestaltungen und Neuschöpfungen zu, mit welchen der Generalissimus Erzherzog Karl das kaiserliche Heer für die Kämpfe des Jahres 1809 heranbildete. Vor Beginn dieses letztgenannten Feldzuges zum Escadronscommandanten ernannt, führte er mit bestem Erfolge in selbständiger Verwendung Streifcommanden bis tief nach Franken hinein zur Beobachtung der feindlichen Colonnen, rückte später mit seinem Regimente auf das Schlachtfeld von Aspern und wurde am 22. Mai durch einen Schuß in den Unterleib verwundet. Kaum von seiner Wunde genesen und als Major in das 1. Ulanenregiment Graf Merveldt eingetheilt, führte er 21/2 Escadronen dieses Regimentes in denkwürdigen Gewaltmärschen in die Gegend von Eger, woselbst der alte General der Cavallerie Baron Kienmayer mit einem aus den Reservetruppen in Böhmen zusammengerafften Heereskörper dem heranrückenden französischen Armeecorps unter Junot und dem König von Westfalen gegenüberstand. Es gelang dem alten Helden, welcher dem jungen Major die Führung seiner gesammten meist aus Reserveescadronen gebildeten Reiterei übergab, in den Gefechten von Gfres (8. Juli) und bei Plauen (12. Juli) die beiden feindlichen Corps zu schlagen und den genannten König durch W., der seinem damaligen Feldherrn zeitlebens die treueste Anhänglichkeit bewahrte, bis in die Gegend von Erfurt verfolgen zu lassen; Vortheile und Erfolge, deren Werth für die kaiserliche Armee durch den Waffenstillstand von Znaim zu nichte gemacht wurde. Nach dem Kriege 1809 widmete der Fürst seine Zeit vor allem dem Dienste und seiner militärischen Ausbildung und blieb dem Getriebe der Kriegs- und Friedensparteien, welches schon vor und theilweise während des Feldzuges 1809, vornehmlich aber nach der Wagramer Schlacht in allen Kreisen der österreichischen Gesellschaft schroff und leidenschaftlich hervorbrach, vom soldatischen Standpunkte grundsätzlich ferne, reichte indessen bei der Aufstellung des Auxiliarcorps unter Schwarzenberg zu Gunsten Napoleon’s sein Gesuch um Dienstentlassung ein, welches Kaiser Franz als unbeschränkten Urlaub erledigte. 1813 zur Armee eingerückt, wurde er als Oberstlieutenant zum Graf O’Reilly 6. Cheveaulegersregiment versetzt, führte in den Gefechten vom 6. bis 14. October bei Penig und Liebertwolkwitz die Vorhut des 4. Armeecorps Graf Klenau, erfocht in den drei Ruhmestagen bei Leipzig, besonders in den glänzenden Gefechten am Kolmberge am 16. October diesem tapferen Regimente, welches bei einem unglücklichen Zufalle im russischen Kriege unverschuldet seine Estandarten verlor und diese auf Befehl des Kaisers erst nach dem ersten Gefechtserfolg wieder erhalten sollte, seine alten Ehrenzeichen wieder und rückte als Commandant der Vorhut der leichten Division Moriz Liechtenstein am 20. December 1813 bei Lauffenburg über den Rhein. – Bis Mitte Februar als Vorhutcommandant bei wiederholten Gefechten in thätigster Verwendung, übernahm W. sodann als Oberst das Commando des 8. Cürassierregiments Großfürst Constantin von Rußland, mit dessen Escadronen er am 23. Februar bei Troyes neun Mal attackirte und am 25. März bei La fère Champenoise in die feindlichen Regimenter der jungen Garde eindrang, 1200 Gefangene und 11 Geschütze eroberte. Die hervorragenden kriegerischen Leistungen des jungen Obersten, welche ihm die allgemeine Anerkennung, mannichfache Auszeichnungen, darunter das Maria Theresien- und russische Georgskreuz einbrachten, erwarben ihm eine [394] ausgezeichnete Stellung in der kaiserlichen Armee und seine ganze Haltung die besondere Gunst und ein ungewöhnliches Vertrauen seines Kaisers. Mit seinem Regimente während des Wiener Congresses den dortigen militärischen Festlichkeiten beigezogen und in dem Bestreben, seine sociale Stellung zum eingehendsten Verkehre mit älteren und im politischen und militärischen Leben höher stehenden Zeitgenossen zu benützen, fand Fürst W. den Anlaß und die Möglichkeit den größeren Verhältnissen der Politik näher zu treten. Der Fürst war schon 1814 als österreichischer Vertreter bei der Wiedereinsetzung des Königs von Sardinien in seine Staaten entsendet, wobei ihn dieser König mit einem Orden betheilte, welchen W. 34 Jahre später bei dem Einfalle Sardiniens in das kaiserliche Italien Carlo Alberto durch die kaiserlichen Vorposten zurücksenden ließ. 1815 als Commandant der österreichischen Besatzungstruppen in Paris unter die Befehle des Herzogs von Wellington gestellt, zog ihn dieser vielfach in seine Gesellschaft und blieb nicht ohne dauernden Einfluß auf W.


In den nun folgenden Friedensjahren widmete sich W. vor allem thätigst seinem militärischen Berufe, er gründete ein sich reich entfaltendes Familienleben, beschäftigte sich eingehend mit der Verwaltung seiner Güter, pflegte fortgesetzt den Verkehr mit den leitenden Persönlichkeiten im Staate und verfolgte mit stets gesteigertem Interesse die politischen Bewegungen seiner Zeit. Während dreizehn Jahren Commandant des unter seiner Führung in Krieg und Frieden als mustergültig angesehenen Regiments Constantin-Cürassiere, von 1826 an Commandant der Grenadierbrigade in Prag, einer Elitetruppe, welche bis zu den Tagen des Jahres 1848 in seinem Befehlsbereiche durch ausgezeichnete Leistungen sich bewährte, stand er von 1833 bis 1839 als Feldmarschalllieutenant und Divisionär in Prag. Feldmarschall Graf Radetzky hatte im Beginne der 30er Jahre Reformen in der Führung größerer Truppenkörper bei der Armee in Italien eingeführt, welche in den leitenden Militärkreisen in Wien leidenschaftliche Gegnerschaft fanden; es gelang W. durch das Vertrauen Kaiser Franz’ und die Erfolge, die er bei seinen Truppen mit ähnlichen Mitteln erreichte, diese wichtigen Reformen in längerem Kampfe, bei welchem er Radetzky’s Ansicht im wesentlichen vertrat, zur Durchführung zu bringen. Im September 1833 während einer Zusammenkunft des Kaisers Franz mit Kaiser Nikolaus von Rußland zu Münchengrätz und mit dem Oberbefehl der dort concentrirten Truppen betraut, war er in täglicher Berührung mit den beiden Monarchen, und gewann in hohem Grade die Zuneigung des Zaren, welcher schon in jungen Jahren 1814 und 1815 in Paris auf den Wunsch Kaiser Alexander’s I. vielfach mit ihm zusammengetroffen war. Den Kaiser Franz drückten in jener Zeit sowol äußere als innere Regierungs- und überdies manche Familiensorgen, insbesondere bezüglich der angegriffenen Gesundheit seines Nachfolgers. In solcher Stimmung forderte der Monarch den in voller Manneskraft und Entschlossenheit vor ihm stehenden Zaren zu dem Versprechen auf, seinem Nachfolger, falls dieser jemals in Gefahr kommen sollte, treu und redlich zur Seite zu stehen. Der Zar gab feierlich Wort und Handschlag, dieser Erwartung zu entsprechen und empfing knieend den Segen des österreichischen Kaisers. Kein Zeuge war zu dieser ernsten Stunde gegenwärtig, aber beide Herrscher, jeder für sich, theilten in den nächsten Tagen W. das Vorgefallene mit, der 15 Jahre später berufen war, den russischen Kaiser an seine Versprechungen zu erinnern. Im J. 1837 vom russischen Kaiser zu großen Truppenübungen im südlichen Rußland geladen, wurde der in Münchengrätz stattgehabte persönliche Verkehr fortgesetzt.

„Diese Truppen sind Ihre Reserve“ sagte der Kaiser von Rußland zu dem Fürsten W., der inbezug auf internationale Verhältnisse die Ergebnisse des [395] Wiener Congresses und der Kriege seiner Jugend, vielleicht um so ernstlicher im Auge behielt, weil er die Dinge aus einem entfernteren Gesichtspunkt betrachtend, den täglichen Reibungen des politischen Wechselspiels entfernter blieb; er war ein ernster und zuverlässiger Anhänger der bestehenden Allianz.

Im J. 1817, bald nach Eintritt der Friedensepoche hatte er sich mit Eleonore, der 19jährigen Tochter des Fürsten Josef zu Schwarzenberg und der Fürstin Pauline, geborenen Prinzessin von Arenberg, die 1811 zu Paris bei dem Brande des Botschaftshotels ihres Schwagers, als sie eines ihrer Kinder aus den Flammen retten wollte, umkam, verehelicht. Seine Frau, welche ihm fünf Söhne und zwei Töchter geboren, weihte ihm in unbedingtester Hingebung ein Herz, das für alles Große und Schöne zu erglühen vermochte, sie führte in ihrem Hause den Einfluß, den sie zum Guten haben mußte, fügte aber auch nicht sich allein ihrem Gatten, sondern des ganzen Hauses Treiben im enggeschlossenen Kreise um seines Sinnes Wesen. Mehr als 40 Jahre später, nachdem er so ziemlich Alles erfahren, was ein menschliches Herz höher schlagen läßt, nachdem sein Schicksal ihn durch menschliche Freude und menschliches Leid, durch Lust und Trauer geführt, sprach er es in ernster Stunde aus, daß ein solches Verhältniß denn doch das einzige sei, welches dem Menschen dauernde und werthvolle Zufriedenheit zu schaffen vermöge; daß der Werth und die Bedeutung dieses Familienlebens daher nicht ohne Einfluß auf die Charakterentwicklung Windisch Graetz’ bleiben konnte, ist einleuchtend. W., dessen ausgedehnter Grundbesitz sich größtentheils in Böhmen befand, widmete der Verwaltung desselben sowie den daraus hervorgehenden socialen Aufgaben stets eine ernste und im Verhältniß zu seinen Genossen hervorragend thätige Sorge – er legte bedeutenden Werth in eine Gastfreundschaft, die er im weitesten Sinne seinen Freunden, seinen Standesgenossen, vor allem aber seinen Waffenbrüdern und den ihm unterstellten Officieren zu bieten verstand.

Im Sommer 1840 wurde der Fürst zum commandirenden General in Böhmen ernannt, welche Stellung er bis zum Herbste 1848 bekleidete. Was er in derselben leistete, wie er den Geist der Mannschaft hob, Officiere und Generale im Interesse des Dienstes in Erfüllung ihrer Pflichten aneiferte und überwachte, wie er den gemeinen Mann, wie dessen Vorgesetzten gegen jede Unbilde, woher sie kommen mochte, schützte, wie er die Schlagfertigkeit der Truppen steigerte, die Officiere zum Selbstdenken und zu überlegtem Vorgehen in unerwartet eingetretenen Situationen allmählich heranbildete, kurz, wie er die Truppen des böhmischen Generalates zu einem Körper voll bewußten Lebens unter gleichzeitiger Weckung patriotischen und edlen Standesgefühles hob, dies Alles im einzelnen darzustellen müssen wir uns versagen und können eben nur die Thatsache und den Erfolg andeuten.

In den Herbstlagern bei Kolin 1841 und Theresienstadt 1846, bei welchen jeweilig gegen 40 000 Mann der böhmischen Heeresabtheilung den deutschen Bundesinspectionen und an deren Spitze dem Prinzen von Preußen, nachmaligen König Wilhelm I. vorgeführt wurden, ließen die hervorragende Schulung und hohe Ausbildung wahrnehmen, welche diese Truppen in den Jahren 1848 und 1849 erweisen sollten. W. trat hier auch in ein engeres persönliches Verhältniß zu dem Prinzen. Radetzky in Italien, Langenau in Galizien und W. in Böhmen waren in Oesterreich die commandirenden Generale jener Zeit, welche in den ihnen unterstehenden Corps den dauerndsten Eindruck hinterließen. Gelegentlich eines nicht unbedeutenden Arbeiteraufstandes, welcher in den industriereichen Vorstädten Prags 1844 ausgebrochen war, eilte der eben abwesende Commandirende in die Hauptstadt, ergriff die entschiedensten Maßregeln zum Widerstand gegen die Aufständischen und verfügte sich, nur von seinem unmittelbaren [396] Gefolge begleitet, zu Pferde durch die bis dahin versperrten Stadtthore in die aufständische Vorstadt; aus der Mitte eines ihm begegnenden Volkshaufens, der die Leiche eines Aufständischen begleitete, rief man: „Da sehen Sie her, das haben Ihre Soldaten gethan“. Der General sein Pferd anhaltend, erwiderte, daß dieses Unglück nicht von seinen braven Truppen herbeigeführt worden sei, aber die Verantwortung hiefür auf Jene falle, welche das Volk zu gesetzwidrigen Handlungen verleitet hatten. Der Commandirende ritt ruhig im Schritt in die aufgeregten Volksmassen, die sich langsam öffneten, nach und nach zu grüßen begannen und sich der kaltblütig, würdigen und sicheren Haltung des Generals gegenüber zu gesetzlichem Verhalten zurückzogen. W. war zu Beginn des Jahres 1848 in seinem 61. Lebensjahre in weitgreifender militärischer Thätigkeit und entschiedener Mitwirkung bei allen höheren Fragen berufen, zu solcher Stellung gelangt, daß für den Fall eines Krieges nebst Radetzky in Italien auf ihn als Feldherrn des österreichischen Heeres gerechnet wurde. Im wesentlichen mit der conservativen Richtung der großen Cabinette, wie man sie damals nannte und mit den leitenden österreichischen Staatsmännern, vor allem mit dem ihm eng befreundeten Fürsten von Metternich einverstanden, war ihm anderseits die ausschließliche Defensive, der Mangel an belebender Thätigkeit fehlerhaft erschienen, auf welche die gealterten Männer jener Zeit sich beschränken zu können glaubten. Er galt als ungestümer, unbequemer Mahner gegenüber den Centralbehörden, genoß aber das Ansehen eines nicht zu umgehenden, bedeutenden Mannes, der im Augenblicke ernster Ereignisse einen sicheren Rückhalt versprach.


Als im Winter 1847/48 das Brausen der Revolutionsstürme bereits hörbar wurde, suchte der Fürst, welcher bei den Centralbehörden das nöthige Verständniß für die seinerseits gewärtigten Ereignisse nicht fand, sein Generalat für das Commando möglichst bereit zu stellen. Während der Märztage 1848 in Wien anwesend, um daselbst die Aufstellung einer Beobachtungsarmee an der französischen Grenze zu besprechen, deren Führung er übernehmen sollte, war er zufällig Zeuge der Bewegung jener Tage und der sich an dieselben knüpfenden Ereignisse. Als diese zum Zusammenbruche aller leitenden Kräfte der Staatsverwaltung führten und dem unberechenbaren Weiterdringen des siegreichen Aufstandes nur die vollständigste Rathlosigkeit gegenüberstand, wurde der Fürst in den höchsten Kreisen bestürmt, als Dictator an die Spitze der Regierung zu treten und alle Vollmachten des Monarchen in seiner Hand vereinigend, die drohende weitere Auflösung zu hemmen. Trotz längerem Widerstreben gegen die so unvorbereitete Uebernahme solch schwieriger Aufgabe, trotz dem Hinweise auf die Wichtigkeit seiner Rückkehr auf seinen Posten in Böhmen, der im Augenblicke allgemeiner Aufregung seine Anwesenheit erheischte, vermochte ihn die Rücksicht auf die schwere Verantwortung für Kaiser und Reich, die ihm aufgezwungene Stellung einzunehmen. W. lehnte den Titel eines Dictators als mit den monarchischen Principien unvereinbar ab und trat, als „mit allen Vollmachten“ ausgerüstet, sein Amt an; er bezog eine Wohnung in der Burg, verfügte vor allem die militärische Sicherstellung der Residenz, machte hiermit den Drohungen des Aufruhres ein Ende, als deren Dolmetsch sich eben so sehr die Böswilligen wie die schwachsinnig Wohlgesinnten erwiesen hatten; er entfaltete eine bedeutende Truppenmacht, stellte die Ruhe wieder her, versammelte von neuem die durch die Ereignisse aus aller geordneten Thätigkeit geworfenen Organe der Staatsverwaltung, verfügte die Verstärkung der inzwischen von der Revolution und dem König von Sardinien überfallenen Armee in Italien, veranlaßte den Abgang des Generalstabschefs der Armee Feldmarschalllieutenant Baron Heß in [397] das Hauptquartier Radetzky’s, sowie die Ernennung des Obersten Jellačić zum Banus von Kroatien und vermochte es, durch seine Maßregeln der Bewegung einen mehrwöchentlichen Stillstand zu gebieten. Während dieser Zeit wurde das constitutionelle Ministerium gebildet, an welches er seine außerordentlichen Vollmachten übergab, und welchem die Aufgabe zufiel, in der wiederhergestellten gesetzlichen Ordnung die nothwendigen Neugestaltungen zur Durchführung zu bringen. Von den Gefahren, die das Vaterland bedrohten, in seinem tiefsten Innern ergriffen, in keiner Weise aber entmuthigt, zog sich W. auf seine Güter in Ungarn zurück, um die ihm so nöthig gewordene Erholung zu gewinnen. Die kurze aber an ernsten Augenblicken reiche Wirksamkeit, die er an erster Stelle im Reiche geübt, hatte die Patrioten in ihm den Hort der Ordnung und Gesetzlichkeit, den energischen Vertreter der monarchischen und conservativen Interessen erkennen lassen, sie hatte aber auch die Muthlosen und die schwachsinnigen Ideologen vermocht, sich in scheuer Angst vor dem entschiedenen Manne zurückzuziehen und den Haß der Verschwörung hervorgerufen, der die Macht dieser Persönlichkeit als eine stete Bedrohung ihrer Unternehmungen erschien.


Die Ereignisse des Monates Mai in Wien, welche in wiederholten Gassenemeuten Ministerien stürzten und Verfassungsentwürfe zum Falle brachten, die Entwicklungen, die dieselben gewärtigen ließen, endlich die sich steigernde Verwirrung in Böhmen riefen den Fürsten auf seinen Posten in Prag an die Spitze der kaiserlichen Truppen in Böhmen. Die europäisch revolutionäre Verschwörung, der seit dem 2. Juni in Prag tagende Slavencongreß, der die nationalen Gegensätze verschärfte, dann die Schwäche der berufenen Autoritäten in Wien, welche vergebens die heranwachsende Anarchie zu beschwichtigen versuchten, alles dies steigerte noch die Aufregung Prags und selbst einige energische Maßregeln des neuen Gouverneurs Grafen Leo Thun blieben erfolglos. Indessen hatte die Umsturzpattei, vom Auslande gestärkt, den schon durch sein energisches Auftreten in Wien mißliebig gewordenen Fürsten nun auch in Prag und zwar durch die aller Schranken ledige, aber auch wie im sinnlosen Taumel zügellose Presse angefeindet, auf das Empörendste verleumdet, so daß es kaum ins Gewicht fiel, als die Prager Garnison eine Erklärung abdrucken ließ, in welcher sie ihrer Entrüstung über diese Vorgänge, wie auch ihrer Verehrung für ihren Führer lauten entschiedenen Ausdruck gab. Als am 6. Juni bei der wie gewöhnlich um diese Zeit abgehaltenen Revue über sämmtliche in Prag garnisonirenden Truppen, ungeachtet des Verbotes jeder als in Reih und Glied in der kaiserlichen Armee unstatthaften Demonstration, den Commandirenden ein endloses Hurrah begrüßte, benutzten die durch ausländische Revolutionselemente verführten Aufrührer diesen Umstand aufs neue, dem Fürsten W. volksfeindliche Tendenzen zu unterschieben. Der Slavencongreß brachte eine große Menge Ausländer, besonders Polen und Franzosen, in diese Stadt und stündlich wurde es deutlicher, daß eine blutige Katastrophe demnächst hereinbrechen werde. Am 10. Juni fand ein Slavenball statt, bei welchem der Commandirende, obgleich vielfach anonym gewarnt und bedroht, ebenfalls erschien. Die späteren Untersuchungen stellten fest, daß nur die Anwesenheit der Officiere, die ihren General gleich beim Eintreten umgaben, und nicht mehr verließen, ein Attentat auf dessen Person verhütete. So brachen die Pfingstfeiertage heran. Obgleich die politischen Maßregeln bis dahin noch in den Bereich des Guberniums gehörten, so unterließ der commandirende General es doch nicht, militärische Vorkehrungen zu treffen, um die Hauptvortheile eines etwaigen Gassengefechtes den Insurgenten zu entziehen, die Truppen vor Verlusten möglichst zu sichern und ohne großes Blutbad Herr der Stadt und der mit ihr [398] verbundenen Vorstädte zu werden. In diesem Sinne wurden unter anderem die Generale gewarnt, sich mehr als nöthig in einzelne Gassenkämpfe einzulassen, hingegen angewiesen, sich auf die Gewinnung der Hauptcommunicationen zu beschränken, während die Truppen belehrt wurden, in jedem Gassenkampfe womöglich im Innern der Häuser vorzudringen, sonst aber mit zwei Tirailleurketten längs den beiderseitigen Häuserreihen vorzugehen und die jenseitigen Thür- und Fensteröffnungen unter Feuer zu nehmen. Er verstärkte die Garnison der Stadt und erklärte auf die wiederholte Androhung einer Katzenmusik, daß, wenn sie ihm als Privatmann gelte, er sie mit Gleichmüthigkeit aufnehmen, eine derartige der Würde des commandirenden Generals angethane Insulte aber mit Waffengewalt zu verhindern wissen werde. Während der General so seine Maßregeln traf, blieb auch die Umsturzpartei nicht müßig und bereitete sich zum Kampfe vor. Eine mit dem frühesten Morgen des Pfingstsonntages, 11. Juni, im Clementinum, Universitätsgebäude tagende Versammlung von Studenten beschloß, von französischen Barricadeurs und von Abgesandten des polnischen Centralclubs zu Paris geleitet, eine Deputation an den commandirenden General zu senden, mit dem Verlangen um Ausfolgung von mehreren tausend Stück Feuergewehren, 80 000 scharfen Patronen und einer ausgerüsteten Batterie an die Studentenlegion und um Entfernung der an einigen Punkten der Prager Festungswerke aufgestellten Kanonen. Auf dieses Begehren antwortete der Fürst: die Gewehre und Munition benöthige er zur Ausrüstung der kaiserlichen Truppen und Kanonen werde er auf keinen Fall verabfolgen; den drohenden Warnungen entgegnend, daß er mit ruhiger Gelassenheit die Dinge erwarte, die da kommen würden und seine Pflicht als commandirender General erfüllen werde. Gleichzeitig hatten die Studenten an allen Straßenecken rothgedruckte Placate anschlagen lassen, worin sie ihre Begehren dem Volke kundgaben und dieses zur Unterstützung desselben aufforderten. Das Herabreißen dieser Placate durch das Militär und einige gutgesinnte Bürger führte zu bedeutenden, jedoch noch unblutigen Conflicten mit den Studenten und einem Theile der übel gesinnten Nationalgarde. Die aufgeregte Stimmung der Bevölkerung benutzend, ordneten die Führer der Umsturzparteien für Montag den 12. Juni eine große Volksversammlung am Roßmarkt zu einer bei der St. Wenzelstatue zu lesenden Messe um 10 Uhr vormittag an, die auch abgehalten wurde. Aufreizende Reden, Verwünschungen gegen die Aristokratie, die gutgesinnten Bürger, das Militär und dessen Chef, enthusiasmirten die Menge zu einem feierlichen Schwur der Verbrüderung und gegenseitigen Unterstützung. Fast zur selben Zeit erschien eine Deputation Prags von wol 200 achtbaren Bürgern im Generalcommando und brachte dem Fürsten mit der Versicherung des ungeheuchelten Vertrauens, die Bitte vor, derselbe möge die Zügel in seiner festen Hand bewahren, da es wohlbekannt, daß das Auftreten der Umsturzmänner dahin gerichtet sei, ihn von seinem Posten zu entfernen. Um Mittag theilten sich die Volksmassen am Roßmarkte und zogen unter Absingung böhmischer Spottlieder durch die Gassen der Stadt. Ein solcher Haufe begegnete beim Generalcommando der zurückkehrenden Bürgerdeputation und fing an, sie zu insultiren und zu bedrohen. Eine eben zur Ablösung marschirende, von einem Lieutenant befehligte halbe Grenadiercompagnie rückte heran und suchte Ordnung zu machen. Der Lieutenant wurde von einem Studenten thätlich angefallen und erhielt einen betäubenden Schlag ins Genick; schon zog der Student eine Pistole gegen ihn, als die Grenadiere mit gefälltem Bajonett in die Rotte eindrangen, die sich mit dem Rufe: „Barricaden, das Militär greift an“ in alle Straßen zerstreute. Der Student, der den Schlag auf den Officier geführt hatte, wurde gefangen, und die Grenadiere waren eben im Begriffe, ihn niederzuhauen, als Fürst W. auf [399] die erste Nachricht dieses Vorfalles bloßen Hauptes auf die Straße eilend, ihn den Händen der wüthenden Soldaten entriß. Beim Erscheinen des Fürsten auf der Straße fielen aus den gegenüberliegenden Häusern mehrere auf ihn gerichtete Gewehrschüsse und da gleichzeitig vom Graben her ein Feuern vernommen wurde, so erfolgte der Befehl zur Alarmirung der Garnison. Die auf den Fürsten gerichteten Schüsse waren theilweise in das Generalcommandogebäude gedrungen und tödteten die Gemahlin des Commandirenden.

Auf das Tiefste erschüttert, aber unbewegt in seiner ruhigen Entschlossenheit, befahl der Fürst auf die Bitte einer neuen Deputation um Schonung und Gewährung einer kurzen Frist zur Beruhigung der Volksmassen, das Feuer der ausrückenden Truppen einzustellen und wiederholte Besänftigungsversuche bis zum Ablaufe einer Stunde vorzunehmen; doch allerorts hatten sich Barricaden nach kunstgerechten Plänen erhoben, der Gouverneur wurde auf dem Clementinum gefangen gesetzt, die begütigend einschreitenden Officiere wurden mit Insulten von den Aufrührern abgewiesen, von letzteren die Feindseligkeiten mit einem heftigen Feuer auf die Truppe begonnen. Fürst W. wollte nun selbst in die Straßen, um das Volk zu beruhigen und im Falle des Nichtgelingens sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen. Da kreuzten die Grenadiere, die das Generalcommando besetzt hatten, die Bajonnette und nöthigten, in der Furcht den Fürsten, der durch 22 Jahre als Brigadier, Divisionär und commandirender General ihr Führer gewesen, durch einen zweiten Meuchelmord zu verlieren, – ihn zur Rückkehr in sein Haus. Alle Versuche, die Massen zum Verlassen ihrer drohenden Stellungen zu bewegen, scheiterten, es mußte die Gewalt der Waffen in Anwendung kommen. Generalmajor v. Schütte erhielt den Befehl, mit seinen Truppen vom Graben gegen die Kettenbrücke vorzudringen. Im Sinne der vom Commandirenden ausgegebenen Gefechtsmaßregeln für den Straßenkampf stürmte er mehr als zehn Barricaden und gewann die Verbindung der Kleinseite, während Major v. Cerrini von anderer Seite, nicht ohne schwere Verluste, doch mit Erfolg vordrang.

Beim Einbruche der Nacht trat eine Waffenruhe ein, die Garnison blieb in den eroberten Stellungen. Generalmajor Rainer war gleich im Beginn der Gefechte verwundet worden und Rittmeister Prinz Alfred W., ein Sohn des Commandirenden, der sich nebst mehreren anderen Officieren freiwillig der Sturmcolonne angeschlossen, wurde durch einen Schuß am linken Fuß schwer blessirt. Am Morgen des 13. Juni erschien eine Deputation bei dem Fürsten mit Anträgen zu einer Capitulation, die auch unter der Bedingung der Freilassung des Gouverneurs Grafen Thun und der Wegräumung der Barricaden bewilligt wurde. Der ersterwähnte Punkt ward sogleich, der letztere auf der bei weitem ruhiger gestimmten Kleinseite ebenfalls schnell, in der Alt- und Neustadt dagegen nur langsam ausgeführt. Mit dem 14. Juni traten jedoch die Ereignisse in Prag durch das Erscheinen einer vom Wiener Ministerium abgesendeten Hofcommission (General der Cavallerie Graf Mensdorff und Hofrath Kleszansky) mit dem Auftrage, das Benehmen des Fürsten W. zu untersuchen, in eine neue Phase. Die Umsturzpartei, von neuen Hoffnungen erfüllt, erneuerte ihre Forderungen und verstärkte ihre Barricaden der Alt- und Neustadt, während die Hofcommission den Commandirenden ersuchte, den Altstädter Ring, das Kinsky-Palais und das Carolinum zu räumen, welche die Truppen am 12. erstürmt hatten. W. gab nach, war aber, das nichts weniger als beruhigende Verhalten der Aufrührer erwägend, bereits entschlossen, das rechte Moldauufer zu verlassen und eine bessere Stellung am Hradschin einzunehmen. Während der unfruchtbaren Verhandlungen der Hofcommission im Rathhause begann er in der Nacht vom 14. bis 15. seinen Abmarsch. Mitten unter seinen Grenadiren, die nicht [400] zugeben wollten, daß er sich zu Pferd setze und ihn baten, in ihren Reihen zu Fuße zu marschiren, langte er in der Position am Hradschin an, während er die steinerne Brücke und die Insel Campa, dann alle Zugänge zur Kleinseite besetzen, die Kanonenbatterien am Ufer und eine Mörserbatterie am Plateau des Hradschin aufführen ließ. Die Insurgenten, welche den Abzug der Garnison in der Nacht für das gänzliche Aufgeben der Stadt hielten, ermuthigten ihre Anhänger. Siegesplacate wurden verbreitet, ein selbständiges böhmisches Ministerium, ein böhmischer Commandant und nationale Garnison, vor allem aber die Stellung Windisch Graetz’ vor ein Nationalgericht und Entfernung der Grenadiere und der übrigen Truppen aus der Provinz begehrt. Um so größer war der Schrecken der Aufrührer, als sie im Glanze der Morgensonne des 15. Juni ihre Gegner im Besitze der Kleinseite und der dominirenden Anhöhen und die Geschütze und Mörser auf die Alt- und Neustadt gerichtet sahen. Ein allgemeines Feuer der Insurgenten vom rechten Ufer auf die militärischen Stellungen an der Kleinseite verstummte gegen Mittag auf einige wohl angebrachte Geschützladungen. Die Hofcommission verfügte sich auf das königliche Schloß und erklärte, die einzige Hoffnung zur Beruhigung der Gemüther läge in der Uebergabe des Commandos von Seiten des Fürsten W. an den General der Cavallerie Grafen Mensdorff, wozu sich der Erste ohne weiteres bereit zeigte, wenn dadurch der Stadt die Ruhe wiedergegeben und das Land Böhmen dem Kaiser erhalten werden könne. Kaum war jedoch diese Nachricht unter die Truppen gekommen, als Officiere und Generale sich versammelten und eine Adresse an den Fürsten mit der Bitte richteten, sie nicht zu verlassen, sondern das Commando wieder in seine Hand zu nehmen, die allein im Stande sei, die gute Sache, die Ehre der Garnison zu retten. Diesen Wahrnehmungen und dem Umstande gegenüber, daß die Insurrection in keiner Weise ihren der Hofcommission ausgesprochenen Zusagen nachkam, daß im Gegentheile die Aufregung absichtlich gesteigert, die Mittel des Widerstandes vermehrt wurden, veranlaßten diese Commission selbst, auf ihre Wirksamkeit zu verzichten und den Fürsten W. zur Wiederannahme des Commandos zu bewegen. Der Fürst erklärte Prag am 16. in Belagerungszustand, kündigte der Deputation der Stadtverordneten an, daß bis 17. mittags die Unterwerfung erfolgen müsse oder dieselbe erzwungen werden würde. Alle Maßregeln wurden getroffen, um bewaffnete Zuzüge, das Eindringen der in der Umgegend und in den nächstgelegenen Kreisen sich sammelnden Landsturmabtheilungen zu verhindern, während die Truppen angewiesen wurden, ihr Feuer bis zum Ablauf der der Stadt gewährten Frist einzustellen, ein Befehl, der von den Truppen insolange durchgeführt wurde, bis einer ihrer Kameraden durch das gegnerische Feuer gefallen war. Nun ließ der Commandirende die der Kleinseite nächstgelegenen Mühlen mit Haubitzgranaten beschießen. Nachdem der weithin leuchtende Brand dieser Mühlen einen durchgreifenden Erfolg bei der Bevölkerung nicht herbeiführte, wurde die Alt- und Neustadt Prag in der Nacht vom 16. bis 17. mit Bomben beworfen, denen der Brandsatz nicht beigefügt war. Am 17. Morgens unterwarf sich die Stadt und wurde im Verhältnisse, als die Barricaden abgetragen und die Waffen abgeliefert wurden, militärisch besetzt. Die Leiter des Aufstandes waren mehrerentheils entflohen, eine Untersuchungscommission war eingesetzt, die Clubs wurden geschlossen, alle wie immer genannten Volkswehren aufgelöst, der auf dem Wege in die böhmische Hauptstadt begriffene Landsturm lief auf die Nachricht dieser Ereignisse auseinander, und es gelang, die Ruhe wieder allerwärts herzustellen und den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Die Seelengröße des Fürsten inmitten der Stürme jener Tage, die bewundernde und unbedingte Anhänglichkeit und Hingebung der Truppen an ihren langjährigen Führer, das Beispiel vollendeter Pflichttreue, das er geboten, die unentwegte [401] Consequenz seiner Handlungsweise, der Sieg, den er zuerst über den bis dahin in allen Hauptstädten Europas erfolgreichen Aufstand errungen (die Pariser Junischlachten waren noch nicht geschlagen), hatten ihm eine Stellung geschaffen, die er angesichts der immer weiter greifenden Bewegung in Wien und in allen Nachbarstaaten nicht mehr aus den Händen zu geben, entschlossen war. In wiederholten öffentlichen Erklärungen sprach er es aus, daß sein Kampf weder der Unterstützung, noch der Unterwerfung einer oder der anderen Nationalität gegolten, daß es sich ihm und seinen braven Truppen nicht um politische Formen handle, daß er aber Gesetz und Ordnung vertreten, das Land dem Kaiser und Reich erhalten, den thatsächlich erwiesenen Verschwörungen entgegengetreten, die anarchischen Bestrebungen niedergeworfen habe. Vier Monate hindurch, vom halben Juni bis Anfang October, führte W. einen mühevollen Kampf mit dem in Wien sich folgenden, aber durchwegs der Gassenemeute gegenüber gleich machtlosen Ministerium, Anfangs in der Erwartung an den Vortheil, den er in Böhmen über den Aufruhr gewonnen, eine Stärkung der staatlichen Autorität im ganzen Reiche zu knüpfen, später als die Handlungsweise der Ministerien in Wien diese Hoffnung zu nichte machte, mit dem Ziele sich selbst in jeder Richtung die Mittel zu bewahren, bei dem voraussichtlichen Fortschreiten der revolutionären Bewegung mit kräftiger Hand in die Ereignisse einzugreifen; er drohte endlich in diesem Kampfe, falls die Centralbehörden ihn zum Aeußersten treiben würden und die Auflösung auch des letzten Hortes der Ordnung, der in den kaiserlichen Truppen in Böhmen gesucht werden mußte, nicht anders verhindert werden könnte, sich unabhängig von dem Wiener Ministerium zu erklären. Die Theilnahmsbezeigung des kaiserlichen Hofes, der sich nach Innsbruck zurückgezogen hatte, bot ihm den Anlaß, einen fortgesetzten Verkehr mit der regierenden Kaiserin Anna Maria anzubahnen, mit seinem treuen und unter allen Umständen ausdauernden Rathe vor weiterem Nachgeben zu warnen und sich im engsten Vertrauen eine kaiserliche Vollmacht zu erbitten, um im Falle der Noth und bei erneuertem Ausbruche der Empörung unbeschränkt über alle Streitkräfte der Monarchie zu verfügen, die kaiserliche Autorität und die gesetzliche Ordnung durch dieselbe wieder herzustellen. Kaiser Nicolaus von Rußland hatte dem Fürsten W. nach den Prager Pfingsttagen durch einen geheimen Boten, einen diplomatischen Beamten seiner Botschaft in Berlin, seine Theilnahme bezüglich des Todes seiner Gemahlin und seine Anerkennung zu dem Erfolge seiner Thaten ausgedrückt. W. benützte diesen Anlaß, um in einem Schreiben an die Person des Czaren an dessen 1833 in Münchengrätz gegebene Versprechungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, daß Verhältnisse eintreten könnten, in denen seine Hülfe beansprucht werden würde. Der Kaiser Nicolaus erklärte drei Monate später nach der Einnahme von Wien durch den nach Olmütz und Wien entsendeten Generallieutenant von Lieven, daß er im Bedarfsfalle zu jeder Hülfe bereit, seine an der Grenze stehenden Truppen unter die Befehle des Feldmarschalls Fürsten W. zur Verfügung stelle. Immer wieder veränderten die Wogen der Bewegung dieses Jahres die Stellung der Parteien und die Aussichten der Patrioten, aufmerksam mit weiser Einsicht in die Lehren der Geschichte beobachtet von dem Manne auf dem Prager Schlosse, der inmitten seiner tapferen Schar mit Jedermann verkehrte, Jedermann auf die unausweichlichen Ansprüche eines geordneten Völkerlebens verwies. Der Monarch war auf die dringende Aufforderung des kaiserlichen Ministeriums von Innsbruck in seine Residenz zurückgekehrt, das edle Vertrauen aber, welches er mit diesem Schritte bekundete, wurde nur mit neuen Forderungen der Parteien, mit einer fortgesetzten Schwächung der kaiserlichen Autorität erwidert. W. bezeichnete in eingehendem vertraulichem Schreiben die äußerste [402] Grenze, welche die Nachgiebigkeit gegenüber den Ansprüchen der Revolution nicht mehr überschreiten dürfe; er empfahl auf die gestellte Anfrage, den Generalmajor Fürsten Lobkowitz als Generaladjutanten an die Seite Sr. Majestät des Kaisers und gab demselben ausführliche Instructionen für den Fall, daß die Forderungen an den Hof die oben erwähnten Grenzen übersteigen sollten oder für den Fall eines neuen gewaltsamen Ausbruches der Empörung. Für diesen letzteren erlaubte sich der Fürst Sr. Majestät den Rath zu unterbreiten, inmitten einer in der Nähe von Schönbrunn bereitzuhaltenden starken Brigade treuer und verläßlicher Truppen sich in die Festung Olmütz zur freien Ausübung seiner souveränen Gewalt zu begeben, während der Fürst in Voraussicht der zu gewärtigenden Ereignisse die Marschpläne für die in Böhmen und Mähren disponibel werdenden Truppenabtheilungen gegen Wien bereits vorbereitet hatte.


In dieser Verfassung trafen den Fürsten W. die ersten sicheren Nachrichten über die Ereignisse des 6. October am 8. abends durch böhmische Reichstagsabgeordnete, welche Hülfe suchend vor der mit den Ungarn verbündeten Wiener Aufruhrpartei, auf den Hradschin geeilt waren. Feldzeugmeister Graf Latour, der kaiserliche Kriegsminister, welcher durch monatelange Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der Parteien zum Besten des Reiches zu wirken geglaubt, schien sich endlich zu einigem Widerstande zu entschließen und hatte es unternommen, mit wenigen Bataillonen der Wiener Garnison, den Banus Jellačić während seines Zuges gegen Pest zu unterstützen. Um dieses zu verhindern, war der Octoberaufstand in Wien eingeleitet und durch die Sendlinge der Pester Regierung der gelungene Mord des Feldzeugmeisters Grafen Latour herbeigeführt worden. Die Wiener Garnison hatte nach mehrstündigem Kampfe die Stadt geräumt. Die commandirenden Generale in Oesterreich, Mähren und Galizien stellten sich unaufgefordert zur Verfügung des Fürsten W., so daß die im Sommer ausgestellte kaiserliche Vollmacht nicht zur Veröffentlichung gelangte. W. selbst faßte noch am selben Abend (8. October) seinen Entschluß, und traf unmittelbar die nöthigen Anordnungen zur Vorrückung gegen Wien, um der Revolution so wenig Zeit als möglich zu lassen; er verfügte sich am 15. October dem Kaiser entgegen nach Olmütz, woselbst er zum Feldmarschall und Obercommandeur aller kaiserlichen Truppen diesseits des Isonzo ernannt, mit unumschränkter Vollmacht zur Herstellung der gesetzlichen Ordnung ausgerüstet wurde. Nach dem Eintreffen des Banus Jellačić, welcher mit circa 20 000 Mann nach dem Gefechte von Velencze gegen das ungarische Insurgentenheer sich gegen Wien zurückziehend an die dortige Garnison sich angeschlossen hatte, standen dem Feldmarschall im ganzen gegen 70 000 Mann zur Verfügung, welche aus Böhmen, Mähren, Westgalizien und den Wien zunächst gelegenen Garnisonen, größtentheils ohne jede Feldausrüstung zusammengerafft wurden. Vom besten Geiste beseelt, folgten diese Truppen im begeisterten Vertrauen ihrem Feldherrn, dessen unentwegtem Kampfe zur Erhaltung des Vaterlandes sie seit Monaten in ihren Soldatenherzen zugejubelt hatten. In der Zuversicht auf diesen Geist, gestärkt durch das unbedingte Vertrauen Sr. Majestät des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, verfolgte der Feldmarschall sein Unternehmen. Die Schwierigkeit lag größtentheils in dem offenen Aufruhr einer Stadt von beinahe einer halben Million Einwohner, mit doppelter gemauerter Umfassung, deren zahlreiche Nationalgarden seit Monaten im Dienste der Revolution geschult, welche durch die Eroberung der kaiserlichen Zeughäuser reichlich mit Artillerie versehen und unter der Leitung erfahrener revolutionärer Generale, wie z. B. des Polen Bem ihr Proletariat genügend mit Waffen zu versehen und zu organisiren vermocht hatte. Se. Majestät der Kaiser war allerdings, den getroffenen Einleitungen gemäß, [403] unter würdigem Schutz und Begleitung in Olmütz eingetroffen, immerhin aber waren alle Provinzen in Gährung und der Ausbruch von Empörung in allen Landeshauptstädten drohend, daher sowol deshalb, als zum Schutz der mährischen, steirischen und galizischen Grenzen gegen Ungarn Truppen in diesen Ländern zurückgelassen werden mußten, um dem Weitergreifen der Unordnung in jenen verwirrungsvollen Zeiten vorzubeugen. Ein bedeutendes ungarisches Operationscorps, das auf beiläufig 30 000 Mann geschätzt wurde, welches unter Moga den Angriff des Banus von Croatien abgewiesen, folgte diesem letzteren gegen die österreichische Grenze und konnte ebensowol am linken Donauufer die Eisenbahnverbindung von Wien mit der böhmischen Heeresabtheilung unterbrechen, als es anderseits das natürliche Bestreben haben mußte, sich am rechten Donauufer mit der insurgirten Residenz zu verbinden und deren Widerstand zu verstärken.

Des Fürsten staatsmännische Anschauung, sowie die reiche Erfahrung, die er in seinem langen Kampfe gegenüber der Bewegung gewonnen, suchte seine Aufgabe nicht bloß in der Bezwingung der aufrührerischen Residenz und der Bewahrung der noch im Augenblicke materiell ruhigen Provinzen vor dem Uebergreifen der Revolution, er wollte vielmehr auch die Anarchie der Geister überwinden, um die kaiserliche Autorität, die gesetzliche Ordnung und das Vertrauen in die Staatsgewalt wiederherzustellen und bedurfte deßhalb einer gewissen Zeit für seine politischen Anordnungen vor Wien, wie für seine Operationen. Es schien ihm unbedingt nöthig, diese großen Maßregeln, welche aller Wahrscheinlichkeit nach, zur Erstürmung der Hauptstadt des Reiches führen mußten, in solcher Weise durchzuführen, daß der Gedanke an einen von augenblicklichen Parteiverhältnissen herbeigeführten Kampf nicht platzgreifen könne, daß hingegen mit seinem Unternehmen, der Wiederherstellung der Ordnung inmitten der in ganz Europa herrschenden Verwirrung der allgemein wahrnehmbare moralische Sieg der kaiserlichen Staatsgewalt über die Kräfte der Revolution verbunden sei.

Die ersten Anordnungen am Abend des 8. und 9. October von Prag aus betrafen den sofortigen Abmarsch der südlichen Garnisonen Böhmens unter Commando des Feldmarschalllieutenants v. Ramberg in Eilmärschen nach Krems zur Sicherung des dortigen Donauüberganges, für den Fall, als die Ereignisse bei Wien die dortige Donaubrücke in Feindeshände gerathen ließen und von da unter Festhaltung von Krems die Vorrückung donauabwärts durch den Wiener Wald; ferner die Weisung an den Commandireuden von Wien Feldmarschalllieutenant Grafen Auersperg und den Banus von Croatien, welche sich am 10. October in der Stellung des Schwarzenberggartens und der Belvederelinie vereinigt, am 12. eine Stellung am Wienerberge eingenommen hatten, im Falle eines überlegenen Angriffes seitens des ungarischen Rebellenheeres im Nothfalle gegen den Kahlenberg und Wienerwald zurückzugehen und auf diesem Wege ihre Verbindung mit den Truppen aus Böhmen und Mähren festzuhalten.

Endlich entsendete der Commandirende von Böhmen noch am 8. Abends den Generalmajor v. Wyß, um mit einigen Bataillonen aus Böhmen und Mähren, einer Cavalleriebatterie und einigen Escadronen die Eisenbahn von Prag über Olmütz in das Marchfeld, auf welcher sodann die böhmischen, mährischen und galizischen Truppen in geschlossenen Körpern heranrücken sollten, durch Besetzung der Bahnhöfe an gefährdeten Punkten zu sichern, diesen in Europa zum ersten Male vorkommenden militärischen Massentransport einzuleiten, die Marchbrücken bei Hohenau, Dürnkrut und Angern zu beobachten und im Falle einer bedeutenden Bewegung der ungarischen Insurgenten in dieser Richtung zu zerstören.

Am 19. October verlegte der Feldmarschall sein Hauptquartier von Olmütz nach Lundenburg und am 21. im Einklange mit den größeren Truppenbewegungen [404] gegen die Donau nach Stammersdorf, von wo am 22. eine Brigade der böhmischen Truppen abwärts die Donau überschiffte, um den Banus von Croatien im Falle eines sofortigen Angriffes der ungarischen Insurgenten, welche bereits die Leitha erreicht hatten, zu unterstützen. Von Lundenburg aus erließ er eine Proclamation an die Bewohner Wiens, in welcher die Stadt und Umgebung in Belagerungszustand erklärt und alle Gutgesinnten aufgefordert wurden, ihren Einfluß für die gute Sache anzuwenden. Am 22. wurde eine Deputation der Nationalgarde und Studentenlegion im Hauptquartier empfangen, welche den Feldmarschall mit dem Begehren eines friedlichen Ausgleiches anging und mit der Antwort entlassen wurde, daß auch er eine friedliche Lösung der Dinge wünsche, aber unerschütterlich auf der unbedingten Unterwerfung der Stadt bestehe.

Mit dem Reichsrath als einer in der Executive überhaupt revolutionären, nach der erfolgten Vertagung aber jedenfalls illegalen Behörde wurde jeder Verkehr untersagt, der Stadt Wien im Wege ihrer Gemeindebehörde am 24. eine 48stündige Frist bis zum 26. gegönnt, um ihre Unterwerfung durchzuführen.

Am 22. wurden die vor Wien versammelten Truppen in drei Armeecorps, eine Reservedivision und eine selbständige Brigade (Brigade Wyß am linken Donauufer bei Floridsdorf) eingetheilt. Am 23. und 24. überschritten die aus dem Norden im Marchfelde gesammelten Truppen, mit Ausnahme der Brigade Wyß, unter Schutz des inzwischen vorgerückten Feldmarschalllieutenants v. Ramberg auf einer Militärbrücke und auf Dampfschiffen der Donau-Dampfschiffahrt-Gesellschaft die Donau bei Klosterneuburg und Nußdorf; das Hauptquartier wurde am 24. nach Hetzendorf verlegt. Die ungarischen Insurgenten hatten inzwischen mit der Vorhut die Leitha bereits überschritten, dennoch benützte der Feldmarschall die Zögerung, welche sie in ihrer Vorrückung wahrnehmen ließen, um auch noch den 27. der Stadt Wien zur Besinnung, eventuell den Gutgesinnten zur Ausübung ihres Einflusses zu überlassen. Die Armee wurde zur vollständigen Absperrung der Stadt Wien, mit Benützung der sich ergebenden Terrainverhältnisse, um die Stadt aufgestellt, die Insurgenten wurden aufgefordert, sich in die Linien zurückzuziehen, wobei sowie bei wiederholten Angriffen der National- und Mobilgarden außerhalb der Linien mannichfache kleinere Gefechte entstanden; die Hauptkräfte wurden im Osten und Südosten von Wien gesammelt, um gleichzeitig zum Angriff auf Wien und zur Bekämpfung der Magyaronen bereitzustehen, welch letzteren eine aus allen Waffen und verstärkter Cavallerie formirte Vorhut des 1. Armeecorps (Banus Feldmarschalllieutenant Baron Jellačić) gegenüberstand. Am 27. war die Wiener Insurrection in der ganzen Ausdehnung des Umfanges der Stadt innerhalb der Linienwälle zurückgeworfen – ein Theil des Augartens in die Hände der kaiserlichen Truppen gefallen. Am 28. fand der eigentliche Angriff auf Wien statt, bei welchem einerseits die Vorstädte Landstraße, Erdberg und Weißgärber und anderseits der Besitz der Leopoldstadt gewonnen wurden, während an mehreren anderen Punkten der Umfassung der Stadt Scheinangriffe stattfinden sollten. Der Feldmarschall, der in seiner Disposition den Truppen dieselben taktischen Weisungen zukommen ließ, welche ihn bei den Kämpfen in Prag zu so günstigem Erfolg geführt hatten, verfügte sich des Morgens zur Spinnerin am Kreuz, um von hier aus je nach Bedarf in die Ereignisse eingreifen zu können. Mit dem Schlage 10 Uhr begann das Kanonenfeuer an der Mariahilfer und Lerchenfelder Linie, doch mußten wiederholte Mahnungen des Feldherren das weite Vordringen der Truppen, deren Kampflust sie weiter zu führen drohte, als es in der Absicht des Feldmarschalls gelegen war, bei den Scheinangriffen verhindern.

Um 11 Uhr Mittags ertheilte der Commandant des 1. Corps den Befehl zum Angriffe und nach mehrstündigem heißen Kampfe wurde unter Befehl des [405] Banus Feldmarschalllieutenant Jellačić und Feldmarschalllieutenant Hartlieb die ganze Landstraße und der Rennweg mit stürmender Hand in Besitz genommen. In den Nachmittagsstunden rückten diese Truppen bis zum Invalidenhause vor, welches mit dem Münzamte, dem Zollgebäude und der Veterinärschule besetzt wurde. In noch härteren Kämpfen gegen den kriegserfahrenen polnischen Exgeneral Bem suchte Feldmarschalllieutenant Ramberg in der Leopoldstadt und Jägerzeile vorzudringen. Der Feldmarschall, der inzwischen die Nachricht erhalten, daß die ungarische Insurgentenarmee eine neuerliche Vorrückung begonnen, konnte dem Feldmarschalllieutenant Ramberg die Fortsetzung des Angriffes nur unter der Bedingung erlauben, daß die ihm vom 1. Armeecorps zugewiesene Brigade Gramont noch am selben Abend an die Schwechat abrücken könne. Ramberg benützte die wenigen Stunden, die ihm noch zur Verfügung blieben, zu einem concentrischen Angriff gegen seinen Gegner und gewann das linke Ufer des Donaukanales, so daß W. am Abend dieses Tages alle jene Punkte genommen sah, die er seinen Truppen als Zielpunkte angewiesen. Der Muth der Vertheidiger von Wien schien gebrochen. Am Morgen des 29. langte im Hauptquartier zu Hetzendorf eine Deputation des Gemeinderathes und der Nationalgarde mit dem Antrage zur Capitulation ein. Der Feldmarschall forderte unbedingte Unterwerfung, welche indessen erst von einer neuen Deputation in der Nacht vom 29. auf den 30. nach Hetzendorf gebracht wurde, worauf am Morgen des 30. von einem hierzu bestimmten General mit den Wiener Abgesandten die näheren Modalitäten der Uebergabe festgestellt wurden. Der Feldmarschall, welcher den 29. tagsüber und bis Dunkelwerden am Laaerberg zugebracht hatte, beobachtete von dort das Heranrücken der ungarischen Truppen und traf für den folgenden Tag seine Verfügungen, welche im wesentlichen darin bestanden, daß der Banus von Croatien mit dem vor Wien nicht engagirten Theile seines Corps eine Stellung an dem von sumpfigen Ufern begleiteten Schwechatflusse zu nehmen habe, eine bedeutende Reserve aus den vor Wien entbehrlich gewordenen Truppen an den Abhängen des Laaerberg gesammelt und eine starke Cavalleriemasse mit einigen Cavalleriebatrien auf dem rechten Flügel bereitgestellt werde. Am 30. um 6 Uhr früh begannen die ungarischen Rebellen den Angriff gegen die Stellung der kaiserlichen Truppen und eröffneten den Kampf bei Mannswörth, Schwechat und Neu-Kettenhof. Als nach mehrstündigem Kampfe der Feldmarschall, welcher auch an diesem Tage seinen Standpunkt auf dem Laaerberge genommen hatte, sich persönlich an Ort und Stelle von dem Stande des Gefechtes überzeugen, die Reserven persönlich vorführen, die Bewegung der Cavallerie beschleunigen und eben zu Pferde steigen wollte, lief von allen Punkten der Cernirungslinien Wiens die Meldung ein, daß die Rebellen die geschlossene Capitulation verrätherisch gebrochen und die kaiserlichen Truppen in deren Stellung erneuert angriffen. Die Führer der Wiener Vertheidigung hatten von ihrem Observatorium am Stefansthurm im Laufe des Vormittags die Vorrückung der Ungarn wahrgenommen, täuschten sich über den Erfolg des Gefechtes und ließen sich von den fanatisirenden Elementen unter ihnen zum Bruche der Capitulation und zum Befehle des erneuerten Angriffes verleiten. Der Feldmarschall überließ unter diesen Umständen die Gefechtsführung an der Schwechat dem Commandanten des 1. Corps, verfügte die Rückkehr eines Theiles der am Laaerberge gesammelten Reserven gegen Wien, während der andere an die Schwechat eilte und ordnete das Bombardement gegen die Vorstädte Gumpendorf, Mariahilf und Wieden an, doch ließ er die Bomben ohne Brandsatz werfen. Indessen hatte im Kampfe mit den Ungarn unsere Infanterie und die bedeutende Geschützzahl unserer Artillerie das feindliche Fußvolk zum Weichen gebracht, die ungarische Insurgentenarmee trat unter dem Schutze der Artillerie den Rückzug an, von der kaiserlichen [406] Cavallerie an diesem Abend und dem folgenden Tag bis jenseits der Grenze verfolgt, ohne daß es dieser Reiterei gelungen wäre, einen weiteren vernichtenden Schlag auf die Insurgenten durchzuführen. Nach dem ungünstigen Gefechtsverlaufe an der Schwechat und unter dem Eindrucke des Bombardements begab sich eine Deputation des Wiener Gemeinderathes nach Hetzendorf, um dessen Machtlosigkeit gegenüber der in der Stadt entstandenen Schreckensherrschaft darzustellen, und den kaiserlichen Feldherrn um das rascheste Einrücken in das Innere der Stadt zu bitten. Nun befahl der Feldmarschall für den 31. sofort den Angriff auf die widerspenstige Vorstadt Wieden; diese sollte dann entwaffnet und die Hofburg besetzt werden. In der weiteren Vorrückung wurde der Widerstand am 31. allerseits gebrochen, die kaiserliche Artillerie beschoß die Basteien und die innere Stadt vom Plateau des Schwarzenberggartens und von den kaiserlichen Stellungen her, nur das Burgthor mußte unter harten Kämpfen gewonnen, die feindlicbe Besatzung auf der Bastei durch Kartätschenschüsse vertrieben, das Thor selbst eingeschossen werden, während die Mobilgarden das kaiserliche Schloß in Brand zu setzen versuchten. Um 7 Uhr abends wurde auch das Kärntner Thor besetzt und noch um 2 Uhr nachts ertheilte der Feldmarschall den Befehl zur vollständigen militärischen Besetzung der Hauptstadt. Die gesammten gegen die kaiserlichen Truppen verwendeten Geschütze, der größte Theil der Waffen der Insurrection fielen selbstverständlich in die Hände der Truppen. Um 8 Uhr morgens des 1. November wehte bereits die kaiserliche Fahne an der Spitze des Stefansthurmes.

Mit der Eroberung von Wien und mit der Zurückweisung der Offensive des ungarischen Heeres an der Schwechat war ein historischer Abschnitt in der Geschichte dieses Jahres erreicht worden, der nach der entschiedenen und energisch vertretenen Ansicht Windisch Graetz’ nicht allein den gesetzlichen Boden wieder geschaffen hatte, der aber auch die revolutionäre Epoche abschließen und der Regierung gestatten sollte, mit offenem Visier in rückhaltloser Offenheit mit allen jenen Principien zu brechen, die eine gedeihliche Entwicklung der staatsrechtlichen und politischen Gestaltungen unmöglich machten. W. ist bis an sein Lebensende von der Ueberzeugung getragen geblieben, daß sein consequenter, im Wesen und in der Form grundsätzlich berechtigter Vorgang während des Verlaufes dieser großen Begebenheiten nicht bloß einen materiellen, aber auch einen moralischen Sieg über die Revolution errungen, daß ein entschiedenes Festhalten an seiner der Bewegung gegenüber stets offenen Sprache bei verständiger Würdigung der Eigenthümlichkeiten der österreichischen Monarchie, sowol die Herstellung dauernder verfassungsmäßiger Zustände gestatten, als die Lösung der noch erübrigenden Machtfrage gegenüber der ungarischen Revolution erleichtert haben würde, daß endlich die internationale Stellung Oesterreichs durch volle Ausnützung der Sachlage, wie sie der Erfolg gegenüber dem Aufstande und die Art, wie derselbe ausgebeutet wurde, geschaffen, eine sehr ehrenvolle und mächtige werden müsse.


Das Gewicht seiner Thaten, ebenso wie das Vertrauen des regierenden Kaisers beriefen W. zu einer entscheidenden Mitwirkung bei der Wahl der neuen Räthe der Krone. Es kann indessen nicht geleugnet werden, daß schon bald nach dem Antritte der Wirksamkeit des neuen Ministeriums sich Dissonanzen zwischen dem Feldherrn und den leitenden Staatsmännern ergaben, welche ebensosehr seine oben angedeuteten Anschauungen über die Offenheit der Sprache betrafen, die er im Kampfe gegen die Revolution innegehalten wissen wollte, wie sie auch bezüglich der Pläne der Regierung in Ungarn hervortraten. Immer wieder betonte er, daß eine offene Sprache noch den zu erwartenden Kampf erleichtern, die große Zahl derjenigen, die auf Seite der Autorität und der [407] Regierung stünden, stärken und zur kräftigen Unterstützung der letzteren vermögen würde. Ausdrücklich erklärte er, daß die Aufgabe für ihn zu schwer werden würde, wenn er allein der Repräsentant des Widerstandes sein müsse. Wenn es auch nicht gelang, inbezug auf die Zukunft in Ungarn zu einem Einverständniß zu gelangen, welches den thätigen Anschluß der reichs- und kaisertreuen Elemente in Ungarn hätte ermöglichen können, so glichen sich die Gegensätze immerhin soweit aus, daß das Ministerium W. versprechen konnte, die Uebereinstimmung mit seinen Anschauungen zu suchen und keine wesentliche und entscheidende Maßregel ohne seine Zustimmung zu treffen. Der Feldmarschall eilte zur Thronbesteigung Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef nach Olmütz, welcher ihn in herzlichsten Worten seiner Dankbarkeit und seines Vertrauens versicherte und nach der kurzen Ruhe, derer das Heer bedurfte, um zu dem bevorstehenden Winterfeldzuge gerüstet zu sein, brach er nach Ungarn auf.


Ungarn hatte, ganz abgesehen von der seit den Märztagen 1848 in diesem Lande zur Herrschaft gelangten politischen Richtung, abgesehen von deren Tendenz und deren Ergebnissen, seit der Ermordung des königlichen Commissärs Feldmarschalllieutenant Grafen Lamberg auf der Pester Brücke und mit dem Ueberschreiten der ungarischen Grenze durch das ungarische Heer, mit der Schlacht von Schwechat endlich, sich gegen die Rechte seines Königs, gegen die pragmatische Sanction und den aus dieser letzteren hervorgehenden Pflichtenkreis in entschiedensten Gegensatz gestellt. Niemand in Europa und am allerwenigsten die Anhänger und die Gegner der in diesem Lande zur Herrschaft gelangten Partei, hegten einen Zweifel darüber, daß die Anbahnung gedeihlicher und für die Zukunft haltbarer Zustände in dem großen Ganzen der Gesammtmonarchie erst nach der Bezwingung Ungarns durch Waffengewalt erwartet werden könne.

Die Kriegsbereitschaft Ungarns war durch den genialen Agitator an der Spitze der Regierung dieses Landes seit Monaten sorgfältig vorbereitet, ein sehr großer Theil der im kaiserlichen Heere dienenden ungarischen Truppen war im Lande gesammelt, mit der Mehrzahl der Festungen, besonders mit der Festung Komorn war die Kriegsausrüstung für eine kaiserliche Armee in die Hände der Ungarn gefallen, das noch fehlende wurde mit einer, einer besseren Sache würdigen Thätigkeit im In- und Auslande beschafft – die dem Könige getreuen Elemente der Bevölkerung waren theils aus dem Lande verjagt, theils durch einen mit vielem Geschick durchgeführten Terrorismus eingeschüchtert und zur Unthätigkeit vermocht. Von den zur ungarischen Krone zählenden Ländern war nur Kroatien von der Pester Regierung unabhängig geblieben, die Festungen Arad und Temesvár hielten noch treu zur kaiserlichen Fahne. – Im Süden von Ungarn wurde im Banat ein ziemlich erfolgloser Volkskrieg geführt und in dem weit entfernten Siebenbürgen stand eine schwache kaiserliche Schar inmitten eines wüthenden Racenkampfes zwischen Szeklern, Sachsen und Wallachen; daß somit ein Angriff auf dieses Ungarn unter den obwaltenden Verhältnissen eine sehr schwierige Aufgabe mit sich brachte, stand jedem denkenden Militär, folglich auch dem Feldherrn, der diesen Krieg unternahm, deutlich vor Augen. Die kaiserliche Armee, welche durch den Abfall eines Theiles der italienischen Regimenter in Italien und die Ueberantwortung eines so bedeutenden Theiles der sich in Ungarn ergänzenden Truppen an die ungarische Regierung in diesem Jahre eine schon so große Einbuße erlitten, hatte seit Monaten einen großen Theil ihrer besten Kräfte an die Armee des Feldmarschalls Grafen Radetzky abgegeben, welch letzterer auch in diesem Augenblicke noch Verstärkungen beanspruchte.

Der kaiserliche Feldherr in Wien, welcher für die Ruhe in den Provinzen [408] zu sorgen hatte, mußte berücksichtigen, daß die Landeshauptstädte, unter welchen Lemberg in den ersten Tagen des Novembers einen Aufruhr erlebte, der nur durch die Beschießung der Stadt bewältigt wurde, nicht ohne ständige Besatzungen bleiben konnten, ja daß solche auch vielfach auf dem flachen Lande und in den Festungen nothwendig waren. Das kaum eroberte Wien, welches inmitten der noch allerwärts in Europa wirksamen revolutionären Bewegungen einer straffen Handhabung der gesetzlichen Ordnung bedurfte, konnte nicht ohne ein bedeutendes Truppencorps belassen werden. Sogleich nach der Einnahme Wiens hatte der Feldmarschall eine allgemeine Rekrutirung, abgesehen von den ungarischen und italienischen Provinzen, angeordnet. Die Durchführung derselben, welche in den folgenden Monaten durch den Erlaß eines neuen Rekrutirungsgesetzes und die an dieses sich knüpfenden neuen Formen mancherlei Schwierigkeiten fand, mußte er jedoch bei seinem Abmarsche den Centralbehörden überlassen und sich auf wiederholtes Drängen zur Beschleunigung derselben beschränken. Auch diese Maßregel erforderte den Rücklaß von nöthigen Kräften zur Aushebung in den vielfach in der innern Ordnung gestörten Provinzen. Diese Armee und ihre Feldherrn mußten sich daher für den Krieg in Ungarn mit sehr geringen Ziffernsätzen in der Zahl ihrer Streiter begnügen. Nur die zweifellose Nothwendigkeit, die inneren Wirren des Reiches zu einem entschiedenen Abschlusse zu bringen, ein Abschluß, der mit Rücksicht auf die Gesammtlage der europäischen Staaten umso dringender wurde, das feste Vertrauen in die Ueberlegenheit des Geistes und der Organisation des kaiserlichen Heeres, die Wahrscheinlichkeit bei einem bald zu gewärtigenden Zusammenstoße mit den an der Grenze sich sammelnden ungarischen Heereskräften, den Sieg davonzutragen, nach Besetzung der Hauptstadt von Ungarn die thatsächlich den extremen Richtungen des Pester Agitators feindseligen königstreuen Elemente der Bevölkerung um die kaiserlichen Fahnen zu sammeln, vermochten den Feldmarschall Fürsten W. mit so geringen Mitteln den Krieg nach Ungarn zu tragen.

Die vor Wien und an den Grenzen von Ungarn stehenden Truppen, denen wie gesagt, jede Kriegsausrüstung fehlte, mußten erst in operationsbereiten Zustand versetzt werden. In dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraume von sechs Wochen war diese Arbeit durchgeführt und stand diese kleine Armee zur Verfügung ihres Feldherrn. Der Feldmarschall wies die an den Grenzen von Steiermark, Mähren und Galizien gegen Ungarn aufgestellten Truppen an, den Schutz dieser Länder durch offensives Einrücken in die nächstliegenden ungarischen Comitate zu bewirken, vermochte die mit einigen Bataillonen, Escadronen und Batterien verstärkten diesfälligen galizischen Truppen bei Dukla zu concentriren und beauftragte den Feldmarschalllieutenant Grafen Schlick mit denselben gegen Kaschau vorzudringen. Er selbst begann am 16. December mit 44 000 Mann, die vereinigt wol als ausreichend erachtet werden konnten um die gegenüberstehenden ungarischen Kräfte zu schlagen, seine Operationen im Donauthale gegen Ofen. Nacheinander in drei verschanzten Stellungen, zuerst bei Preßburg, dann bei Raab und endlich vor Ofen, gedachte der neue Commandant der ungarischen oberen Donauarmee, Arthur Görgey, welcher die bedeutendsten und besten ungarischen Heereskräfte unter seiner Führung versammelt sah, das Loos der Waffen versuchen. Jedes Mal indessen verließ er seine Stellung beim Herannahen der Spitzen der kaiserlichen Heeresabtheilungen.

In mehreren kleinen Gefechten brachten zwar die Kaiserlichen ihrem Gegner einige Verluste bei, einen bedeutenderen Theilerfolg gegenüber dem stets zurückweichenden Feinde gelang es nur am 29. December bei Moor gegen den von Südwesten her an Görgey sich anschließenden Perczel zu erringen, entscheidende Gefechte vermochte man nicht herbeizuführen; der Feldmarschall versuchte durch [409] das 2. Armeecorps vor Komorn den Commandanten dieser Festung zur Uebergabe derselben zu veranlassen und hinterließ nach Verweigerung dieser Uebergabe, dem Brückenkopf von Szöny gegenüber, eine verstärkte Brigade zur Beobachtung der Festung und zum Schutz seiner Verbindungen. Er selbst rückte mit seiner Armee am 5. Januar in Ofen ein und erhielt daselbst die Meldung von der Besetzung Kaschaus durch den Feldmarschalllieutenant Grafen Schlick. In kaum drei Wochen hatte der Feldmarschall mit seiner Armee die Donaulinie bei Pest gewonnen, ein Zeitraum, welcher mit Rücksicht auf die Jahreszeit, da in dem letzten Drittel des December eine ungewöhnliche Winterkälte mit bedeutenden Schneefällen eingetreten war, da ferner zu wiederholten Malen den vom Feinde besetzten Stellungen gegenüber immerhin eine gewisse Zeit zur Entwicklung verloren gehen mußte und endlich der Versuch, die wichtige Festung Komorn zu gewinnen, nicht unterlassen werden durfte, als ein sehr kurzer bezeichnet werden muß. Die Ungarn hatten in dieser Weise das ganze rechte Donauufer und einen bedeutenden Theil von Ober-Ungarn theilweise sozusagen ohne Schwertstreich den kaiserlichen Truppen überlassen, hiermit allerdings die Entscheidung hinausgeschoben, für Verstärkung ihrer Streitkräfte und die weitere Entwicklung ihres Kampfes eine kostbare Zeit gewonnen, immerhin entgingen sie in dieser Epoche dem Nachtheile nicht, den eine ähnliche gerechtfertigte Operationsweise stets, wenigstens augenblicklich, mit sich bringt.

Die Entmuthigung in den von den Insurrectionstruppen verlassenen Landestheilen war trotz der energischen Maßregeln seitens der Landesregierung eine bedeutende; in den Hauptstädten selbst erachtete der größte Theil der Bevölkerung die Sache der Revolution für verloren, wie sich unter anderm auch aus dem Umstande ergab, daß der Officier und die Mannschaft der Husarenescorte einer Deputation von Reichstagsmitgliedern und Notabilitäten, welche dem Feldmarschall in der letzten Station vor Ofen mit dem Gesuche um Unterhandlungen entgegengeeilt war, sich sogleich zum Uebertritte in die kaiserlichen Reihen meldete und eine Anzahl der Deputationsmitglieder die Bitte stellte, erst mit den kaiserlichen Truppen nach Ofen und Pest zurückzukehren. Auch der Keim zu der Uneinigkeit zwischen den ungarischen Führern Görgey und Kossuth war in jenen Tagen gelegt. Bei dem denkwürdigen Kriegsrath am 2. Januar zu Pest, bei welchem ebensosehr diese Entmuthigung wie anderseits der Wunsch, vor Ofen die Waffen entscheiden zu lassen, zu Worte kam, gelang es dem weitaus klügsten, seiner Ziele sich bewußten und entschlossensten Führer der ungarischen Sache, Ludwig Kossuth, den weiteren und getheilten Rückzug in das Innere des Landes beschließen zu lassen, eine Maßregel, welche zweifelsohne für die lange Dauer des Widerstandes der Ungarn von entscheidendem Werthe war, anderseits aber auch die größten Opfer dieses Kampfes für Volk und Land herbeiführen mußte.

Görgey mit der oberen Donauarmee zog über Waizen nach Norden und Westen, Perczel mit der gesammten Regierungsmaschine, dem Reichstage, dem Landtage, der Banknotenpresse und Allem, was an Kriegskräften aufzutreiben war, benützte unter Mitnahme des transportablen Kriegsmaterials die Eisenbahnen bis Szolnok und zog sich hinter die Theiß zurück.

Der Feldmarschall, welcher noch am 5. bei seinem Eintreffen in Ofen nach Wiederherstellung der Pester Brücke die beiden Schwesterstädte besetzen und dem Feinde Cavallerieabtheilungen nachfolgen ließ, entschloß sich noch am 6., das 2. Armeecorps Görgey auf dem Fuße folgen zu lassen, welches auch bereits am 7. Waizen erreichte, entsendete die Cavalleriebrigade Ottinger des 1. Corps zur Verfolgung Perczel’s gegen die Theiß und hoffte durch entsprechende Verfügungen mit den zu dieser Zeit an der Waag eingetroffenen Truppen aus Mähren, eventuell, wenn Görgey sich gegen Kaschau wenden sollte, durch das Truppencorps [410] des Feldmarschalllieutenants Grafen Schlick, welch’ letzteren er mit einer bedeutenden Colonne unter Feldmarschalllieutenant Schultzig von Pest aus verstärkt hatte, Görgey schlagen zu lassen. Diese Unternehmung gelang nur insoweit, daß die Arrièregarde Görgey’s in den Gefechten von Windschacht und Schemnitz am 21. und 22. Januar zersprengt und ein Theil ihrer Artillerie genommen wurde. Görgey mit dem Gros seiner Truppen, begünstigt durch die Schwierigkeit der Communicationen in diesem Landestheil, welche für die doch auch vielfach von der Bevölkerung unterstützten Insurrectionstruppen leichter zu überwinden waren, begünstigt ferner durch verspätet einlangende Anordnungen bei den detachirten Truppencorps und die Schwierigkeit des Einklanges bei den ihn verfolgenden Colonnen, wußte sich deren weiteren Einwirkungen zu entziehen und besetzte Kaschau im Rücken des gegen Tokay vorgedrungenen Feldmarschalllieutenants Schlick.

Daß derlei combinirte Bewegungen, wenn sie in weiten Räumen mit verhältnißmäßig geringen Kräften ausgeführt werden müssen, der ungünstigen Chancen mancherlei in sich tragen, stand jedem erfahrenen Militär, folglich auch dem kaiserlichen Feldherrn deutlich vor Augen. Immerhin konnte, so wie die Dinge lagen, Anderes nicht verfügt und muß anerkannt werden, daß der ungarische General gerade in diesem Theile seiner kriegerischen Leistung ebensoviel Glück als Geschick in der Leitung und in der Beherrschung seiner Truppen bewies.

Mit der Besetzung Kaschaus durch Görgey am 10. Februar, welche nothwendig den Rückzug des Feldmarschalllieutenants Grafen Schlick gegen Westen zur Folge hatte und die Verbindung des Görgey’schen Corps mit den inzwischen mit äußerster Energie von Kossuth hinter der Theiß neu aufgestellten Truppen ermöglichte, trat eine Wendung auf dem ungarischen Kriegsschauplatze ein, an der sich der Natur der Sache nach und im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen außerhalb Ungarns der Muth der Insurrection von neuem erhob. Die kaiserliche Armee, nunmehr zu schwach, um ohne das Eintreffen besonders glücklicher Zufälle vor dem Anlangen von Verstärkungen Meister der Insurrection zu werden, war unvermeidlich in die Defensive geworfen. Diese Defensive mußte, wie dies der Feldmarschall in seinen Berichten stets betonte, vor allem den Entsatz von Komorn und soviel thunlich, die Behauptung der Schwesterstädte Ofen und Pest vor Augen haben, da diese das natürliche Angriffsobject des Gegners bilden mußten.

Der kaiserliche Feldherr konnte diese Verstärkungen entweder nur durch den Fall von Komorn oder durch Verstärkungen aus dem Innern der Monarchie, welche nach durchgeführter Recrutirung und nach der Beruhigung der Gemüther in Wien und bei Verminderung des dortigen Truppencorps im Laufe des Monates April gewärtigt werden konnten, oder endlich im Nothfalle durch die Besetzung Galiziens seitens eines befreundeten russischen Armeecorps und die Verwendung der dortigen Truppen auf dem ungarischen Kriegsschauplatze gewinnen.

Komorn, welches zu einer förmlichen Belagerung mehr Kräfte erfordert hätte, als im Augenblicke verfügbar waren, auch mit Rücksicht auf die Jahreszeit nur sehr schwer belagert werden konnte, war seit der 2. Hälfte Januar, nachdem Görgey gegen Norden und Osten abgegangen war, von drei Brigaden eng cernirt worden, im Monate März fand ein fruchtloser Versuch statt, es durch ein Bombardement zur Uebergabe zu veranlassen, immerhin wußte man die Lebensmittel in der Festung derart auf die Neige, daß auf die eventuelle Uebergabe in nicht zu ferner Zeit gehofft werden durfte.

Die ungarische Insurrection unternahm während dieser Epoche vier Offensivoperationen, denen der Feldmarschall zwischen Donau und Theiß durch entschiedene Offensivstöße entgegentrat. Die erste unter Führung Dembinski’s, Ende Februar [411] an der großen Straße von Miskolcz nach Pest, endete mit dem Siege von Kápolna und dem Rückzuge Dembinski’s über die Theiß; die zweite kurz darauf an der mittleren Theiß wurde durch die mit auffallender Schnelligkeit disponirte Concentrirung der kaiserlichen Armee zwischen Kecskemét und Czegléd vereitelt, indem die unter der Führung des Generals Vetter am 18. und 19. März über die Theiß gedrungene ungarische Armee sich alsbald wieder über diesen Fluß zurückzog; die dritte, unter Görgey’s Leitung in den ersten Tagen des April erneuert auf der Miskolczer Straße unternommen, wurde durch die Gefechte von Hatvan und Isaszeg an der Erreichung ihres diesmaligen Zieles, der Hauptstadt Pest, verhindert; die vierte endlich mit der Absicht des Entsatzes von Komorn im Beginn der 2. Hälfte April, erreichte nur dadurch ihr Object, weil die Entfernung des Fürsten W. vom Commando der Armee eine Veränderung in der Aufstellung des die Granlinien besetzenden 4. Corps des Feldmarschalllieutenants Wohlgemuth herbeiführte. W., der, wie schon oben bemerkt, in dem Entsatze von Komorn jederzeit das bedeutendste Ziel der gegnerischen Offensive suchte und bald nach den Gefechten von Isaszeg an der geringen Energie der feindlichen Vorrückung gegen Pest die veränderte Richtung der feindlichen Operationen vermuthen mußte, in der Verdrängung der Division Götz von Waizen am 10. April die Bestätigung dieser Annahme fand, hatte die Brigaden Herzinger, Teuchert und Theißing, welche als Verstärkungen seiner Armee um diese Zeit zwischen Preßburg und Gran im Anmarsche waren und später das 4. Armeecorps unter Feldmarschalllieutenant Wohlgemuth bilden sollten, an die Granübergänge aufwärts von Gran disponirt. Er hatte gleichzeitig alle Maßregeln getroffen, um mit den bei Pest concentrirten Truppen über Gran einem Vorrücken Görgey’s, welcher bei den günstigen Positionen der eingetroffenen Brigaden am rechten Granufer seine Marschlinie weit nach Norden verlegen mußte, auf der kürzeren Linie entgegenzutreten, den Entsatz von Komorn dadurch zu hindern und auf diese Weise entscheidende Erfolge zu erringen. Die Dispositionen für diese Bewegungen waren aus gefertigt, die Brückenequipagen der Armee auf dem Wege gegen Dorogh gesendet, um bei Gran eine zweite Brücke zu schlagen, als in der Nacht vom 13. auf den 14. April der Feldmarschall von der Armee abberufen wurde.

Noch am 14. gab er in ausführlichem Schreiben dem Feldmarschalllieutenant Wohlgemuth und dem ihm im Commando nachfolgenden Feldzeugmeister Baron Welden genaue Kenntniß von der Lage der Armee, von seinen Absichten und getroffenen Dispositionen, dem Ersteren die Festhaltung der Granlinie erneuert empfehlend. Von Olmütz aus, wohin er sich auf Allerhöchsten Befehl verfügte, erließ er folgenden Armeebefehl, ddo. Olmütz am 24. April 1849: „Seine Majestät der Kaiser haben mich von dem Armeecommando in Ungarn abzuberufen und dasselbe dem Herrn Feldzeugmeister Baron Welden zu übertragen geruht. Wenn mir zu jeder Zeit die Trennung von einer Truppe ein schweres Opfer bleibt, bei der ich durch so lange Zeit und durch so viele Jahre meines Lebens zugebracht habe, kann ich nicht leugnen, daß es mir doppelt schwer fällt, sie in jenem Momente zu verlassen, wo ihr nach so vielen Anstrengungen und Beweisen von Hingebung für ihren Monarchen und die gerechte Sache bevorsteht, durch die bedeutenden Verstärkungen in der nächsten Zeit schöne Tage als Lohn für ihr früher schon Geleistetes zu gewinnen. Alle Eigenschaften, die sie in diesem mühseligen Feldzuge entwickelt hat, die Beweise von Anhänglichkeit und Vertrauen, die sie mir gegeben, werden mir eine theuere Erinnerung bleiben. Diese Armee hat für die Welt große Verdienste, sie hat zur Aufrechterhaltung der socialen Ordnung, zur Herstellung eines gesetzlichen Zustandes unter meiner Leitung so Vieles geleistet, daß diese Thaten allein hinlänglich sind, ihr ein unverlöschliches [412] Verdienst in der Geschichte zu bewahren. Eine Wohlthat bleibt es mir, und mein Stolz wird es stets sein, sie in dieser verhängnißvollen Epoche geführt und einen Geist in ihr gefunden zu haben, der erhaben war über das Verderbniß der jetzigen Zeit. Meine besten Wünsche, meine wärmste Theilnahme werden ihr überall folgen, und wenn ich auch nur tief bedauern kann, nicht mehr Zeuge sein zu können der Thaten, die ihr jetzt bevorstehen, so hege ich die feste Zuversicht, daß sie unter der einsichtsvollen Leitung, die ihr zu Theil wird, allen jenen Erwartungen entsprechen werde, die ich mir selbst von ihr gemacht hätte. Ich sage ihr nochmals Dank vom Ersten bis zum Letzten für das unter mir Geleistete, und meine warme Anhänglichkeit werde ich ihr zu allen Zeiten bewahren.“ Alfred Fürst zu Windisch Graetz, Feldmarschall m. p.

Der Interimscommandant der kaiserlichen Armee in Ungarn, welcher bis zum Einlangen des Feldzeugmeisters Baron Welden die Leitung des Heeres übernommen, hatte trotz des schriftlichen Protestes des Generalstabschefs des Fürsten W., Feldmarschalllieutenant Grafen Nobili und trotz der Bitten der kaiserlichen Generale an der Gran, welche ihre günstige Stellung und die Wichtigkeit derselben gegenüber dem an die Gran vorrückenden Görgey’schen Armeecorps erkannten, diesen Brigaden sogleich nach der Abreise des Feldmarschalls Fürsten W. von Ofen den wiederholten Befehl übersendet, ihre Stellungen zu räumen und sich bei Gran zu concentriren. Feldzeugmeister Baron Welden, bei seinem Eintreffen in Gran diese Verfügung gewahrend, befahl den Rückmarsch in die verlassenen Positionen. Görgey hatte indeß am 18. April bei sehr hohem und reißendem Wasserstande nach dem Abzuge der kaiserlichen Truppen die Gran bei Kálna O’Bars und Szt. Ggörgy überschritten und in den ungünstigen Gefechten bei Nagy-Sarlo die ihm einzeln entgegentretenden Brigaden des 4. Armeecorps geschlagen, wodurch der Entsatz von Komorn und der Rückzug der kaiserlichen Armee nach Preßburg veranlaßt wurde. Die nach Schluß des Krieges dem kaiserlichen Generalstab möglich gewordene Einsicht in die ungarischen Feldacten hat bis zur Ueberzeugung dargethan, daß sich die Festung Komorn ohne den stattgefundenen Entsatz nicht mehr 8 Tage zu halten vermocht hätte.

Die vor Beginn des ungarischen Feldzuges unter dem frischen Eindrucke der Thaten des Feldmarschalls und während seiner persönlichen Anwesenheit immer wieder ausgeglichenen Gegensätze zwischen ihm und dem Ministerium verschärften sich nach dem Abmarsch der Armee in mehreren Beziehungen. Der Feldherr fand mannichfache Ursache, über die lässige Unterstützung zu klagen, die ihm in Bezug auf die für seine Unternehmungen nöthigen Kriegskräfte geboten wurde. So vermochte er zur Zeit seines Einmarsches nach Ungarn trotz dringender Mahnungen es nicht zu erreichen, daß die Erzeugnisse der Kossuth’schen Banknotenpresse als ungiltig erklärt wurden, weil das Finanzministerium auf den Werth der in ungarischen Cassen eroberten derlei Noten nicht verzichten wollte und war in gleicher Weise die von ihm verfügte Recrutirung infolge der zu Gunsten der parlamentarischen Situation geänderten Formen derselben in bedenklicher Weise verzögert worden. W. war selbstverständlich von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die revolutionären, die Losreißung Ungarns bezweckenden politischen Ergebnisse der letzten Monate weggeräumt, Ungarn unter den so vielfach geänderten Verhältnissen der Monarchie in den Organismus des Reiches eingefügt werden müsse, er konnte indessen der unklaren, mehr oder minder auf eine Vernichtung der magyarischen Nationalität ausgehenden, endlich in der für die ganze Monarchie octroyirten Verfassung vom 4. März gipfelnden Richtung weder vom Standpunkte seiner politischen Ueberzeugung, noch mit Rücksicht auf die zur Verfügung stehenden Kriegskräfte zustimmen; der Verfassungsentwurf vom 4. März, welcher auf die Eigenthümlichkeiten des Habsburg’schen Reiches nur [413] ungenügende Rücksicht nahm, fand in ihm einen entschiedenen Gegner. Die heute wohl gerechtfertigte Vermuthung, daß diese Verfassung nur gegeben war, um augenblicklichen Schwierigkeiten gegenüber dem Kremsierer Parlamente auszuweichen, in der Erwartung, sie später aufzuheben, war der ernsten Natur des Staatsmannes W. zu sehr entgegen, um einem solchen Vorgange seine Hand leihen zu wollen. Er durfte sich wohl nicht mit Unrecht als den Schöpfer der Lage der Dinge betrachten, wie diese in den Octobertagen geworden; er wollte aber auch die Verantwortung nur für eine dauernde Gestaltung der Zukunft des Reiches tragen und erklärte ausdrücklich und wiederholt, „die Opfer, welche sein Kampf mit der Revolution gekostet, die Thaten, die er in diesem Kampfe vollführt, wollte er nicht umsonst gebracht haben“. Im Hinblicke auf die dem Feldmarschall vor seinem Abmarsch in Olmütz gegebenen Versprechungen wurden nacheinander der Minister Bruck und der ehemalige Hofkammer- und später Reichsrathspräsident Baron Kübeck, ein W. befreundeter Mann nach Ofen gesendet, um ihn dem Gedankengange des Ministeriums näher zu bringen, auch traf Baron Hübner, der spätere Botschafter und Minister, als Vertrauter des Fürsten Schwarzenberg in den letzten Tagen des Monats Februar, somit gerade während der Operationen von Kápolna gegen Dembinski im Hauptquartier zu Gyöngyös ein. Hübner hatte den Auftrag, den Feldmarschall, welcher für den Fall der Proclamirung einer mit seinen Anschauungen unvereinbarlichen Verfassung mit dem Rücktritte von seinem Commando gedroht hatte, die Zustimmung zu jenem Entwurfe abzugewinnen, welcher thatsächlich am 4. März promulgirt wurde. Auf die dringende Vorstellung Hübner’s, daß der Kremsierer Reichsrath nothwendig aufgelöst werden müsse, daß das Ministerium zu einem anderen Entwurfe weder die Zeit noch die nothwendige Uebereinstimmung finden könne, im Hinblicke endlich darauf, daß die, die Rechte der Krone und die kaiserliche Armee betreffenden Hauptstücke dem Ansinnen des Feldmarschalls entsprechend abgeändert waren, erklärte dieser trotz seiner schweren Bedenken gegen die Folgen dieser Maßregeln und in Anbetracht der Größe seiner kriegerischen Aufgabe seinen Widerspruch aufzugeben und von seinem Rücktritte abzusehen. – Die Geschichte wird einst die Acten über die zwischen den leitenden Männern jener Zeit in Oesterreich aufgetauchten und durchstrittenen Fragen zu schließen, sie wird ihren Ausspruch zu fällen haben; Thatsache aber bleibt es, daß trotz der anscheinend immer wieder gesuchten Ausgleichung der Gegensätze, den Gegnern des Feldmarschalls, deren er seiner ganzen Haltung, gegenüber der europäischen Bewegung nach nicht Wenige zählen konnte, in Olmütz und Wien immer mehr Raum gegeben, die ernstere Wendung, welche der Feldzug in Ungarn genommen, die Krisis, welche in den dortigen Operationen eingetreten war, benützt wurde, um den Feldmarschall von seiner in so mancher Richtung überwiegenden Stellung zu entfernen. Als der Feldmarschall in dem weit entfernten Siebenbürgen die befreundete russische Truppenmacht einrücken ließ, um in diesem unglücklichen Lande, wo der blutigste Racenkampf auf beiden Seiten die grausamsten Opfer herbeiführte, eine baldige Entscheidung zu erzielen, als er zum schleunigen Fortschreiten seiner Operationen die Besetzung Galiziens durch 30 000 Russen und die Heranziehung der kaiserlichen Garnisonen aus Galizien zu seiner Armee beantragte, gelang es, glaublich erscheinen zu lassen, daß derselbe Mann, welcher in einem sechsmonatlichen Kampfe gegen die Revolution vom März bis October 1848 angesichts Europa in Oesterreich alleinstehend, in unentwegter Durchführung seiner persönlichen Ueberzeugung den Erfolg gegen die Revolution geschaffen, daß dieser selbe Windisch Graetz im März 1849 durch allerlei fremdartige Einflüsse beirrt, seines Amtes nicht mehr mächtig sein könne. Die Männer, die die Geschichte Oesterreichs in den 50er Jahren [414] geleitet und ihre politischen Anschauungen hatten gesiegt. Die Empfindungen und den Gedankengang des Feldmarschalls nach der Abberufung von der Armee schildert sein oben angeführter Armeebefehl. Als der Feldherr in dem Ministerrath zu Olmütz, wohin er von der Armee berufen worden war, die Lage der Dinge in Ungarn und die Folgen seiner Entfernung erörterte, wurde ihm geantwortet, daß der Antrag der Russenhülfe diese letztere veranlaßte. Der Feldmarschall antwortete: „Ich habe 30 000 Russen in Galizien zur Deckung meines Rückens verlangt, ich bin entfernt, und Sie werden 100 000 Mann brauchen“. Die Ereignisse gaben ihm Recht. W. war noch in Olmütz, als die Nachrichten vom Entsatze von Komorn und dem Rückzuge der Armee eintrafen, infolge dessen er aufgefordert wurde, die Operationen für die Vorrückung der russischen Truppen zu entwerfen. Der Feldmarschall hatte bei seinem Eintreffen in Olmütz alle Würden und Ehren, die ihm im Laufe seiner Dienstzeit geworden, zurückgelegt. Nur die dringenden Vorstellungen, daß er als Obercommandant der Armee in diesen schwierigen Zeiten dem Vaterlande zur Verfügung bleiben solle, vermochten ihn, sein Abschiedsgesuch zurückzunehmen; er verfügte sich auf seine Güter in Böhmen und hat selbstverständlich niemals mehr dieses Obercommando angetreten.


W. überlebte noch dreizehn Jahre die historischen Ereignisse, an denen er so weittragenden Antheil genommen. Mit den politischen und militärischen Vorgängen in Oesterreich und Europa war er in unausgesetzter, man kann sagen, in jugendlich frischer, patriotischer Theilnahme beschäftigt, aber ohne wieder dauernd in wirksame öffentliche Thätigkeit zurückzukehren. Er vermochte den in seinem Vaterlande eingeschlagenen politischen Weg, die bis 1859 zur Durchführung gelangten organischen Gestaltungen nicht zu billigen, und hat manches warnende Wort gesprochen und geschrieben. Im J. 1859 erschien er im kaiserlichen Auftrage in Berlin, um in persönlich directem Verkehre mit dem Prinz-Regenten von Preußen über den Abschluß einer Allianz gegen Frankreich zu verhandeln. Die Friedenspräliminarien von Villafranca unterbrachen diese Verhandlungen. An den Arbeiten des österreichischen Herrenhauses 1860 und 1861 nahm er mit dem regsten Interesse im Sinne seiner oftmals ausgesprochenen Ueberzeugungen theil; erst wenige Wochen vor seinem Tode fesselte ihn die Krankheit an das Lager. Kurz vor seinem Hinscheiden und nachdem er die Tröstungen der Religion empfangen. dictirte und unterzeichnete er mit seinen letzten Federzügen einen Abschiedsbefehl an die Garnison von Mainz, als deren Gouverneur er 1859 berufen wurde und einen solchen an sein Regiment. In den zeitweise unbewußten Aeußerungen des Dahinsterbenden berechnete er die Kräfte eines Koalitionskrieges gegen Frankreich und kamen die Namen seiner ehemaligen Feldherren und Freunde, unter anderen Kienmayer und Liechtenstein über die erbleichenden Lippen. Wie er durch das Leben geschritten war, fest und unerschütterlich, mit sich und seinem Wollen im Reinen, seiner Aufgabe und seines Zieles sich klar bewußt, und wie er dastand – ein mächtiger Stamm, unberührt durch die Stürme, die an den Aesten peitschten, wie durch das Gewürm, das an den Wurzeln nagte, – so ist er auch im Tode geblieben: ungebrochen und unverzagt, wie ein Mann, der seinen Frieden gemacht hat mit Gott, mit sich und mit der Welt, Zeugniß gebend für die Macht, die Stärke und den Trost tiefen Gottesglaubens. Der Präsident des österreichischen Herrenhauses Fürst Karl Auersperg, obwol nicht auf derselben politischen Bahn wie der verstorbene Feldmarschall besprach in der Sitzung des 22. März 1862 den Hintritt des Feldmarschalls mit folgenden Worten:

„Ich habe der hohen Versammlung die tief betrübende Mittheilung von dem Verluste eines ausgezeichneten Mitgliedes zu machen, welchen das hohe [415] Haus durch das Hinscheiden seiner Durchlaucht des Feldmarschall Fürsten von Windisch Graetz erlitten hat. Es gibt Persönlichkeiten, welche von der Gunst der Vorsehung bestimmt sind, in der Wagschale der staatlichen Geschicke besonders schwer zu wiegen, das Gewicht ihrer Thatkraft wird für die Abwehr von Gefahren, für das Gedeihen des Vaterlandes mit immer gleich günstigem Erfolge eingesetzt. Fürst Windisch Graetz war eine solche Persönlichkeit; seine unerschütterliche Hingebung für das Allerdurchlauchtigste Kaiserhaus, seine glühende Vaterlandsliebe waren jederzeit im vollen Gewichte für Oesterreichs Wohl und Größe, seine edle Willenskraft war an der Spitze seiner tapferen siegesmuthigen Kampfgenossen zu wiederholten Malen der Schwerpunkt, auf welchem des Thrones Stufen sicher und unantastbar ruhten. Sein Name war eine Zierde für jeden Beruf, jeden Kreis, dem dieser Edelmann seinen ritterlichen Willen, getragen von bewunderungswerther Seelengröße, widmete. Die Erinnerungen welche sich an diesen Namen knüpfen, sie füllen ein Ehrenblatt in der Geschichte Oesterreichs aus. Ein Unterpfand seines Wirkens mahnt jeden Oesterreicher, des Fürsten Windisch Graetz in dankbarster Ehrfurcht zu gedenken. Es ist dies der Bestand der Monarchie, des Hauses Habsburg legitimer Thron steht als ruhmvolles Denkmal seines thatenreichen Lebens. Das Kaiserthum Oesterreich schuldet dem verklärten Helden seine Wiedergeburt und die Wohlthat socialer Ordnung. Der Dolmetsch Oesterreichs Dankgefühle zu sein, steht in erster Reihe dem Herrenhause zu. Lassen Sie uns daher den erlauchten Verblichenen im Nachruf wehmuthvoller Dankbarkeit und durch einstimmige Kundgebung unserer gerechten Trauer ehren.“

Feldmarschall Graf Nugent, der älteste Soldat der kaiserlichen Armee, übersandte dem Sohne des Feldmarschalls folgende Worte: „Des großen Todten treuester Freund beweint den Verlust für Kaiser, Staat, Armee, Familie und Nugent“.

L. W.