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ADB:Schwarzenberg, Felix Fürst zu

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Artikel „Schwarzenberg, Felix Fürst zu“ von Heinrich Ritter von Zeißberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 266–290, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwarzenberg,_Felix_F%C3%BCrst_zu&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 10:08 Uhr UTC)
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Band 33 (1891), S. 266–290 (Quelle).
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Schwarzenberg: Fürst Felix zu S. wurde am Abend des 2. October 1800 dem Haupte der älteren Linie seines Hauses Josef v. S. auf dem herzoglichen Residenzschlosse zu Krumau in Böhmen geboren. Seine Mutter, eine geborene Herzogin v. Arenberg, war jene hochgesinnte Fürstin Pauline, welche bei dem Ballfeste, das der österreichische Botschafter in Paris in der Nacht des 1. Juli 1810 veranstaltete und das eine plötzliche Feuersbrunst in so entsetzlicher Weise unterbrach, als sie in den improvisirten Zubau des Gesandtschaftshotels eilte, um ihre übrigens bereits in Sicherheit gebrachte Tochter zu retten, unter den lodernden Trümmern der einstürzenden Decke begraben wurde. Unter neun Kindern, welche Pauline ihrem Gemahl geboren hatte – drei Söhnen und sechs Töchtern – war F. das vierte Kind, der zweitgeborne Sohn. Seine Kindheit fiel in eine schwerbewegte Zeit. Fürst S. war eben in sein sechstes Jahr getreten, als auch das Fürstenhaus Schwarzenberg von dem Schlage der Mediatisirung getroffen wurde, infolge deren die Landeshoheit über Schwarzenberg in Franken an Baiern, jene über die Landgrafschaft Kleggau an Baden fiel, wozu sich noch im J. 1809 die Confiscation der Schwarzenberg’schen Reichsbesitzungen einer-, die Sequestration derselben andererseits gesellte. Eben um die bisher erfolglos angestrebte Restitution seines Hauses persönlich zu betreiben, hatte Fürst Josef jene verhängnißvolle Reise nach Paris angetreten, welche F. des beglückenden Besitzes einer mit allen Gaben des Geistes und Herzens reichbegabten Mutter berauben sollte. Eine wahre zweite Mutter fand sich jedoch für die fürstliche Familie in der Prinzessin Eleonore, der jüngsten Schwester des Fürsten Josef, zumal sich, um die Lücke, welche der Verlust Paulinens zurückgelassen hatte, auszufüllen, die Mitglieder des Hauses nur noch enger aneinanderschlossen. Den ersten Unterricht ertheilte F. der bekannte österreichische Schulmann Hohler, der seit 1809 14 Jahre hindurch das Lehramt im Hause S. versah, neben welchem indeß noch ein besonderer Mentor die eigentliche conventionelle Bildung im Sinne einer adeligen Erziehung überwachte. F. lernte rasch und leicht. Er pflegte mit seiner Aufgabe längst fertig zu sein und sich mit seinen Lieblingsbüchern zu beschäftigen, während wir uns noch mit unserem Pensum abmühten, hören wir einen seiner Jugendgenossen sagen. Uebrigens dürften Umfang und Tiefe dieses Unterrichts nicht zu überschätzen sein. Der Unterricht, bemerkt Graf Hübner, dessen der [267] junge Felix im väterlichen Hause genoß, war der seiner Standesgenossen. Man wollte sie nicht zu Gelehrten machen. Niemand dachte an Aehnliches. Erst später, lange nachdem er über die Schuljahre hinaus war, bemerkte er die leeren Stellen, welche der unvollständige Unterricht in seinem Geist gelassen hatte. Es drängte ihn sie auszufüllen. Mit Eifer und Ausdauer las er nun römische Classiker, studirte er unter Hyrtl’s und Lippich’s Anleitung Medicin, vorzüglich Anatomie und suchte in die Geheimnisse des animalischen Magnetismus einzudringen. Aber wie das dem Autodidakten häufig widerfährt, es blieben doch Lücken in seinem Wissen. Namentlich mit dem öffentlichen Recht hat er sich niemals ernsthaft beschäftigt. Es war das die Zeit, in der sich das inhaltsschwere Wort: „Hätte ich nur mehr gearbeitet!“ seinen Lippen entrang, ein Selbstvorwurf, der freilich wohl nicht so sehr den seligen Träumereien seines Heimathschlosses, als vielmehr der reich durchkosteten Sturm- und Drangperiode seines Lebens gelten mochte, die nach der beklagenswerthen Sitte fürstlicher Familien bereits zu einer Zeit begann, die sonst ernster wissenschaftlicher Arbeit und der Vorbereitung auf den künftigen Beruf gewidmet zu werden pflegt. Uebrigens will man jene Abgeschlossenheit und Selbständigkeit, die ihre eigenen Wege zu gehen pflegt, sowie jenen kaustischen Zug, der dem weltmännisch gewandten Fürsten in der Folge eigen war, schon an dem Jüngling, dem gleichwohl willkommenen Genossen geselliger Cirkel wahrgenommen haben. Er liebte Musik und namentlich Gesang; mit Vorliebe ergötzte er sich auch am Angelfischfang. Die lärmenden Freuden der Jagd andern überlassend, konnte man ihn oft an einem seiner Lieblingsplätze an den Krumauer Forellenbächen überraschen, wobei er sich während des Fischfangs an der Lectüre irgend eines interessanten Buches ergötzte – ein Lückenbüßer, den er auch auf den Schießstand mitnahm, um, wenn er sich unbeachtet glaubte, am Boden gemüthlich hingelagert, über das Buch – alles um sich her zu vergessen. Selbst der Reisewagen wurde ihm zum Lesecabinet und es kam andrerseits auch wohl vor, daß er auf der Fahrt ein ihm lästig erscheinendes Product der Presse zum Wagenfenster hinaus expedirte. Felix war 18 Jahre alt, als er, der Neffe des glorreichen Feldherrn, auf dem die Blicke Europas ruhten, sich ebenfalls der Militärlaufbahn widmete. Von kundigen Männern wurde er in dieselbe eingeführt: allerlei taktische und strategische Aufzeichnungen aus jener Zeit, auch eine von ihm selbst geschriebene „L’Art de tactique“ haben sich noch erhalten. Am 22. November 1818 trat er als Cadet in dem 8. Cürassierregiment (Großfürst Constantin) ein, dessen Oberst und Commandant damals sein Schwager, (Gemahl seiner ältesten Schwester Maria Eleonore) Fürst Alfred zu Windischgrätz, der spätere Feldmarschall, war. Er blieb drei Jahre bei diesem Regiment. Denn er wurde zwar, nachdem er noch in demselben zum Lieutenant befördert worden war, am 15. Juni 1821 in gleicher Eigenschaft zu dem Husarenregimente Kaiser Franz Nr. 4 transferirt, avancirte aber Tags darauf zum Oberlieutenant und wurde, ehe er in dasselbe einrückte, am 1. Juli d. J. zu Großfürst Constantin zurückversetzt. Am 1. December 1822 erfolgte seine Beförderung als zweiter Rittmeister bei Fürst Karl Schwarzenberg Uhlanen, welches Regiment für immerwährende Zeiten den Namen seines ruhmgekrönten Oheims führen sollte. Zwei Jahre darnach – 26. Januar 1824 – rückte er in diesem Regiment zum ersten Rittmeister und Escadroncommandanten vor. Die Monotonie eines ländlichen Garnisonslebens füllte die nächsten Jahre aus. Bei der Truppe war er sehr beliebt: als liebenswürdiger Hauswirth bei den Officieren, denen besonders zur Zeit seines Aufenthaltes in Großsenitz in Mähren sein Haus stets offen stand, und als humaner Escadronchef bei den „Reitern“, die er auf seine Kosten „wie aus der Schachtel“ heraus staffirte. Daneben füllten aber auch [268] Studium und Lectüre manche Mußestunden aus; auch pflegte er nach wie vor den Gesang. Noch erinnert man sich, wie er auf Urlaub in dieser oder jener Dorfkirche seiner Heimath unter Mitwirkung einiger musikalisch gebildeter Diener des fürstlichen Hauses und seiner Schwester eine „Missa solemnis“ arrangirte.

Mit dem Jahre 1824 trat sein Leben in eine neue Phase. Schon seit 1822 k. k. Kämmerer, war damit bereits ein näheres Dienstverhältniß zum kaiserlichen Hofe und gewissermaßen der Uebergang zur diplomatischen Carriere angebahnt. Seit 1823 in freundschaftlichem Verkehr mit Baron Hügel kam er durch diesen mit dem Staatskanzler Fürsten Metternich in öftere Berührung, dessen Scharfblick die diplomatische Begabung des jungen Officiers nicht entging. S. ließ sich um so leichter zum Eintritt in den diplomatischen Dienst bewegen, als er seiner Vorliebe für den militärischen Beruf nicht zu entsagen brauchte, vielmehr im Verbande der Armee verblieb. Wir sehen den damals zum ersten Rittmeister beförderten Fürsten seinen politischen Curs als Gesandtschaftsattaché in St. Petersburg beginnen, wo der österreichische Gesandte Freiherr v. Lebzeltern den lebensfrohen vom Hofe mit auszeichnender Aufmerksamkeit behandelten Cavalier in die Gesellschaft einführte. Doch benützt er die Zeit seines Aufenthaltes in der Czarenstadt auch zu wiederholten Ausflügen ins Innere des Landes – so zu einer mehrwöchentlichen Reise nach Astrachan, später nach Moskau aus Anlaß der Thronbesteigung des Kaisers Nicolaus, und als die Krönungsfeierlichkeiten verschoben wurden, zu einem improvisirten Ausflug nach Nischnenovgorod. Da brachte ihn die bei dem russischen Thronwechsel ausgebrochene Militärrevolte (1825) insofern in eine schiefe Stellung, als eines der Häupter der Verschwörung, der ihm befreundete Fürst Sergius Trubetzkoi, in der Wohnung Schwarzenberg’s wenn auch zweifellos ohne dessen Verschulden, ein Asyl suchte und daselbst festgenommen wurde, während freilich nach einer anderen Version Trubetzkoi, nach Beendigung des Kampfes vielmehr Zuflucht im Hause seines Schwagers, des österreichischen Gesandten genommen, von diesem aber am andern Morgen auf Requisition des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten ausgeliefert worden sein soll. Wie es sich auch damit verhalten mag, jedenfalls war S. durch die Intimität seines Verkehrs mit Leuten vom Schlage Trubetzkoi’s compromittirt; doch hatte die Sache, wie es scheint, für ihn keine weiteren Folgen. Erst zu Ende des Jahres 1826 erfolgte seine Abberufung von St. Petersburg, aus welchem Anlasse er als übliche Auszeichnung den Wladimirorden erhielt. Schon im November dieses Jahres sehen wir Felix S. einer neuen Bestimmung entgegen eilen; er reiste mit diplomatischen Aufträgen nach Paris und London, um sich hier der außerordentlichen Mission an den Hof von Rio de Janeiro anzuschließen, mit welcher Baron Neumann betraut war und die hauptsächlich die Vertretung der Rechte Dom Miguel’s auf die Regentschaft in Portugal betraf. Am 21. December fuhren die Reisenden von Portsmouth ab, und am 7. Februar liefen sie auf der kön. großbritannischen Fregatte Forte im Hafen von Rio de Janeiro ein. Der Empfang in Brasiliens Hauptstadt war um so herzlicher als Dom Pedro I. mit Leopoldine, der Tochter Kaiser Franz I. vermählt war, die aber noch vor der Ankunft der österreichischen Specialgesandtschaft starb (11. Dec. 1826). Schwarzenberg’s Aufenthalt in Rio de Janeiro war unter diesen Umständen von kurzer Dauer. Schon nach zehn Tagen trat er die Rückfahrt nach Europa an. Nach kurzer Rast in London eilte er über Brüssel nach Wien und endlich nach den heimischen Schlössern Böhmens, wo er einige Monate im trauten Familienkreis verlebte. Aber gar bald mußte er wieder zum diplomatischen Wanderstab greifen. Diesmal ging es über Madrid nach Lissabon, wo er die Ankunft Dom Miguel’s, den Metternich für den portugiesischen Thron ausersehen hatte, vorbereiten sollte. Es geschah dies nicht ohne Widerspruch der Bevölkerung, [269] der sich in tumultuarischen Auftritten äußerte, bei denen unser Fürst mit dem „Zeitgeiste“ in unsanfte Berührung kam. Endlich (am 22. Februar 1828) langte Dom Miguel in Lissabon an und legte (am 26. Februar) den Eid auf die Verfassung ab. Damit war Schwarzenberg’s Mission in Portugal zu Ende. Er wurde nunmehr der österreichischen Gesandtschaft am Hofe zu St. James als Gesandtschaftscavalier zugetheilt. Der Aufenthalt des Fürsten in London wurde für ihn wenigstens nach einer Richtung eine Schule der Politik und des Lebens. Es war die Zeit, in der sich der Bruch der stürmisch hervordrängenden Gegenwart mit einer an sich merkwürdigen und ruhmvollen Vergangenheit vorbereitete. Es kann wol nicht bezweifelt werden, nach welcher der beiden Seiten seine Sympathien neigten. Aber er lernte hier zugleich durch den Augenschein die Einrichtungen constitutionellen Lebens kennen, denen er später in seiner Heimath als Minister gegenüberstand, und wie er sich auch als solcher innerlich zu der Frage stellen mochte, ob diese Lebensformen auf den polyglotten Staat Oesterreich übertragbar seien oder nicht, jedenfalls dürfte sein Biograph Recht behalten, welcher andeutet, das dem Fürsten die Bekanntschaft mit der eigentlich ungeschriebenen, aber tief im Volke wurzelnden allmählich gewordenen englischen Verfassung den doctrinären modernen Constitutionalismus und dessen geschriebene Verfassungen von vornherein verleidete. Hier trat der Fürst, der sonst in seinen Beziehungen zur Frauenwelt den Standpunkt des Freigeistes einzunehmen pflegte, in ein ernstes Verhältniß zu der durch Geist und Anmuth hervorragenden Tochter des Admirals Digby, Lady Ellenborough, einer Dame, die sich an der Seite ihres Gemahls nichts weniger als glücklich fühlte, und welche die Neigung Schwarzenberg’s so leidenschaftlich erwiderte, daß sie, als der Fürst im Herbst 1829 seine bisherige Stellung bei der Londoner Botschaft mit einer am Hofe zu Versailles vertauschte, ihm auf das Festland nachfolgte, bis zuletzt die Verbindung, die diesseits und jenseits des Canals das ärgerlichste Aufsehen erregte und selbst ein Dazwischentreten der Gerichte herbeiführte, ein verdrießliches Ende nahm. Der Fürst vermochte die Lösung dieses Verhältnisses, dessen Frucht – eine Tochter – er mit ebenso zärtlicher als schonender Sorgfalt hegte, zeitlebens nicht ganz zu verwinden, es war vielleicht die einzige wahre Leidenschaft in seinem Leben; wenn mit der Zeit, die auch diesen heftigen Schmerz allmählich linderte, der Hang zu wechselvollem Treiben wiederkehrte, und wenn er auch bis an sein Lebensende nicht von der Gewohnheit ließ, mit schönen geistreichen Frauen zu tändeln, so hat er doch in der Folge kaum wieder wirklich geliebt. Noch in anderer Hinsicht blieb jene Katastrophe nicht ohne ernste Folgen. Vor allem war es ein tief religiöser Zug, der fortan der scheinbaren Frivolität des gewinnenden Lebemannes unbemerkt zur Seite ging, welcher, wovon die wenigsten, die ihn nur vom Salon her kannten, eine Ahnung hatten, keinen Sonn- und Feiertag verstreichen ließ, ohne in früher Morgenstunde in irgend einer abgelegenen Kirche andächtig seine Messe gehört zu haben, und gewiß ist es bezeichnend, daß sein Sectetär ein für allemal den Auftrag hatte, zu seinen Sachen, so oft er auf Reisen ging, zwei Bücher zu packen: einen lateinischen Classiker: Horaz oder Vergil, und Thomas a Kempis „De imitatione Christi“.

Bei seiner Ankunft in Paris fand S. Frankreich am Vorabende der Revolution. Er sah noch die Anfänge des Bürgerkönigthums, Lafayette’s Abdankung, die Straßentumulte von Paris, das Walten des Ministeriums Casimir Perier, während die elektrische Strömung der Julirevolution auch in Belgien, Polen und Italien zündete und selbst die politische Atmosphäre Deutschlands mit drückender Schwüle imprägnirte. Nach diesem durch das Getöse der Julirevolution aus seiner politischen Erstarrung erwachenden, oder doch galvanisirten Deutschland führte ihn bald sein Beruf zurück. Im Laufe des Jahres 1831 nach Wien zurückberufen, wo er jetzt [270] viel in Metternich’s Hause verkehrte, erfolgte seine Beförderung zum Major bei Kaiser-Ulanen und seine Ernennung zum Legationsrath bei der k. k. Gesandtschaft in Berlin, wo er während eines Urlaubes den österreichischen Gesandten Trauttmansdorff vertrat. Im Septbr. 1833 wohnte er der Zusammenkunft seines Monarchen mit dem Zaren Nikolaus zu Münchengrätz bei, ein Beweis, daß damals der Jugendstreich von 1826 in Petersburg bereits vergessen war. Ende 1833 verlor er seinen geliebten Vater. Einen längeren Urlaub, den er aus diesem Anlasse antrat, benützte er zu einer Reise nach Rom, wo seit Jahren eine seiner jüngeren Schwestern, Prinzessin Mathilde, weilte und wo er unter Anleitung Braun’s an den Denkmalen und Erinnerungen einer großen Vergangenheit die Antike studirte. Auf seinen Berliner Posten wieder zurückgekehrt, rückte er 1835 zum Obersten bei Coburg-Ulanen vor. 1839 wurde er außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Parma und Turin. Es war dies seine erste selbständige Stellung, in der er bereits viele jener Eigenschaften entfaltete, die ihn später zum Gegenstand der Bewunderung für die einen, der Mißgunst und des Hasses für die andern machten. Er weilte nicht immer in Turin, er zog vielmehr den Aufenthalt in der glanzvolleren lombardischen Hauptstadt vor, von wo er nur alle vierzehn Tage einmal zur Cour nach Turin kam; den Sommerurlaub brachte er in Böhmen – theils daheim, theils bei Metternichs in Königswart – zu. In seinen Berufsgeschäften zu jener Zeit im allgemeinen bequem, insofern er in der Regel seine Beamten für sich arbeiten ließ, wußte er doch genau alles, was eingelaufen war und nichts, selbst das anscheinend unbedeutendste, ging von der Gesandtschaft aus, ohne daß er darauf sein prüfendes Auge geworfen hätte. Aus dieser Turiner Zeit liegen in dem historisch-politischen Memorandum des damaligen sardinischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, des Grafen Solaro della Margarita mancherlei Mittheilungen über die Persönlichkeit unseres Fürsten vor. Er nennt ihn einen Diplomaten von nicht gewöhnlicher Begabung und von durchdringendem Blicke, der nicht in den Fehler seiner Vorgänger verfallen sei, die Miene eines Protectors ihm oder dem Hofe gegenüber annehmen zu wollen, und der sich jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten Sardiniens enthielt. Bei alledem war S. in Turin nicht beliebt. In der Gesellschaft fand man ihn kaustisch und spitz. Der König fürchtete ihn; er scheute seinen Blick und jenes Lächeln, womit er in den ihm gewährten Audienzen zu verstehen gab, daß er Worte und Höflichkeiten nach ihrem wahren Werthe zu schätzen wisse. Man sah daher auch den vertraulichen Verkehr Schwarzenberg’s mit La Marmora, damals Rittmeister bei der reitenden Artillerie und militärischem Instructor des Herzogs von Genua nicht gerne und ertheilte sogar letzterem einen Wink von oben, seine Besuche bei jenem einzuschränken. An sich begann sich das Verhältniß beider Staaten immer mehr zu trüben. Der Streit über den Salzhandel gab zu einem bitteren Notenwechsel Anlaß. „Je vous adresse une note sur l’affaire des sels et vous trouverez qu’elle est bien salée“ soll eine Note Schwarzenberg’s an Margarita begonnen haben. Die späteren Ereignisse fanden den Fürsten nicht mehr in Turin, sondern auf einem anderen Punkte Italiens. Aus dem monotonen, fast klösterlichen Turin, führte 1844 den Fürsten, der 1842 zum Generalmajor und zum wirklichen Geheimen Rath befördert worden war, seine neue Bestimmung nach dem farbenreichen, ewig heiteren Neapel als Gesandten und Zionswächter der österreichischen Interessen. Es war die schönste Zeit seines Lebens, jedenfalls jene, deren er selbst später am liebsten gedachte. Am Hofe sehr beliebt, machte er auch auf den Zaren Nikolaus gelegentlich eines Aufenthaltes desselben in Neapel (1845) den günstigsten Eindruck. Doch mit der Erhebung des Cardinals Mastai-Feretti auf den päpstlichen Stuhl begann die amtliche Stellung Schwarzenbergs immer unerquicklicher zu werden. [271] Er reiste daher im Spätherbst 1846 nach Wien, um Metternich mündlich über seine Wahrnehmungen zu berichten. Auf der Rückreise (Januar 1847) erkrankte er am Typhus, dem er fast zu erliegen drohte, doch siegte zuletzt seine glücklichere Natur, nur daß aus jener Zeit das frühe Ergrauen seiner Haupthaare, vielleicht auch jene Reizbarkeit der Nerven datirt, auf deren Rechnung sein Biograph die vorschnelle Katastrophe von 1852 schreibt. Während seiner Krankheit lernte er den Grafen Franz Stadion, damals Gouverneur von Triest, kennen, der zum Besuch nach Venedig herüberkam. Am 25. Februar konnte er seine Rückreise nach Neapel fortsetzen, wo er neuen Verdrießlichkeiten entgegen ging. Mit dem Leiter der auswärtigen Angelegenheiten, dem Fürsten Scilla stand er auf so schlechtem Fuß, daß er zuletzt dem König rundweg erklärte, er wolle mit dessen Minister nicht mehr in Berührung kommen. Von der Bewegung des Jahres 1848 wurde bald auch Neapel erfaßt. S. galt in der öffentlichen Meinung als der einflußreichste jener „fremden“ Rathgeber, die den König abhielten, dem Volke die gewünschten Concessionen zu machen. Am 25. März 1848 rottete sich ein Pöbelhaufen um das österreichische Gesandtschaftshôtel zusammen, der kaiserliche Doppeladler wurde herabgerissen, unter wüstem Gejohl auf den Largo Santa Caterina geschleppt und vor den Augen der müßig zuschauenden Bürgerwehr und ohne Einschreiten der königlichen Truppen verbrannt. Den von der Gluth verschont gebliebenen Adlerköpfen wurde in dem Salon der Heroine des mazzinisirten Italiens, der Fürstin Belgiojoso noch ein besonderes Autodafé bereitet. S. verlangte Genugthuung, und als der Staatssecretär Fürst Carioti eine ausweichende Antwort ertheilte, forderte er mit der ihm eigenen Schärfe nicht nur die Wiederbefestigung des österreichischen Wappens in Gegenwart eines königlichen Beamten an seiner früheren Stelle, sondern auch den Abdruck einer officiellen, den vorausgegangenen Auftritt mißbilligenden Erklärung. Diese Note war kaum abgegangen, als S. ein Aufruf der Regierung zur Bildung von Freischaaren für Oberitalien zu Gesicht kam. Er verlangte nun auch über die Bestimmung dieses Freicorps binnen 24 Stunden bündige Aufklärung und verließ, da seiner kategorischen Aufforderung nicht Genüge geschah, unmittelbar darauf Stadt und Land. Sein Verfahren fand die volle Billigung des kaiserlichen Hofes, der ihn bereits zuvor aus Anlaß eines unter seiner Mitwirkung mit Neapel (1846) abgeschlossenen Handels- und Schiffahrtsvertrages durch die Verleihung des Großkreuzes des österreichischen Leopoldsordens ausgezeichnet hatte. S. begab sich zunächst nach Wien. Hier war soeben das Metternich’sche System in sich zusammengebrochen und die Kaiserstadt schwelgte in den Honigwochen der so zusagen über Nacht errungenen Freiheit. Eben damals veröffentlichte der alte Castelli in dem nichtamtlichen Theile der Wiener Zeitung drei „Gut gemeinte Wünsche“, von denen der dritte den Adel, der sich bisher von der allgemeinen Bewegung fern gehalten habe, apostrophirte und mit Anspielung auf ein, wie es scheint, freilich mit Unrecht Schwarzenberg’s Schwager Windischgrätz in den Mund gelegtes Wort u. a. der Ansicht Ausdruck gab: „Der aristokratische Stolz müsse jetzt weichen und der Mensch fange in gewissen Augen nicht erst vom Baron an.“ Wenige Tage darnach erschien in derselben Zeitung eine anonyme Entgegnung, die von niemand geringerem als S. herrührte und insofern besonderes Interesse erweckt, als hier bereits „Ein einiges, großes und mächtiges Oesterreich!“ als die Devise bezeichnet wird, an deren Verwirklichung der Fürst bald darnach all seine Kräfte setzte. Und wenn er in jenem Artikel gegenüber dem endlosen Declamiren und Schreiben aufs „Handeln“ verwies, so zeigte er sofort für seine Person, was er unter Handeln in der damaligen kritischen Lage des Reiches verstand. Aus der diplomatischen Laufbahn gerissen, stellte er sich dem Vaterland in seiner Eigenschaft als Militär zur Verfügung. Mit unwiderstehlicher [272] Gewalt zieht es ihn zu dem greisen Radetzky, in dessen Lager auch er Oesterreich wiederfindet. Schon am 17. April führt er die Vorhut des Nugentschen Armeecorps über den Isonzo. Gelegentlich eines Ausfalles Zucchi’s aus Palmanuova kommt es bei dem von den Insurgenten hartnäckig vertheidigten Dorfe Visco zu einem heißen Gefechte, in dem ein Theil der Brigade die Feuertaufe erhält, wobei ihr Commandant wacker die Pathenstelle vertritt. Zucchi ward in die Festung zurückgetrieben und Visco ging in Flammen auf. Einen fast sechsstündigen Kampf hatten mehrere Compagnien der Brigade gegen den weitüberlegenen Feind bestanden, bis endlich der Fürst an der Spitze der Likkaner im Sturmschritt hervorbrach und den Gegner vertrieb. Am 20. Mai leitete S. die Beschießung Vicenzas, am 29. nahm er als qua Divisionär mit den Brigaden Benedek und Wohlgemuth an der Erstürmung der Schanzen von Curtatone theil, und führte zu Fuß die tapferen Colonnen dreimal zum Sturme vor. Tags darauf – im heißen Treffen von Goito – wurde er, immer in den vordersten Reihen und wo die Gefahr am größten war, fechtend, am Arme verwundet und mußte sich auf den Verbandplatz bringen lassen. „Fürst Felix S., schrieb damals Hübner in sein Tagebuch, ist bei Goito verwundet worden. Diese Nachricht verleidet mir den Tag. Er ist einer unserer vorzüglichsten Männer und wahrscheinlich zu höherem berufen.“ Beim Heere waren die diplomatischen Generale keineswegs beliebt, aber nur kurze Zeit verging und S. war von allen Officieren als Ebenbürtiger anerkannt; die Truppe begrüßte sein Erscheinen in guten wie in bösen Stunden mit jubelndem Zuruf. Die Heilung der Wunde, die er bei Goito davontrug, nahm einige Wochen in Anspruch. Der „Armeediplomat“, wie ihn Radetzky nannte, wurde nun von diesem mit einer politischen Mission von hoher Bedeutung betraut. Bei der prekären Lage der Monarchie und der Besorgniß eines Bruches mit Frankreich hatte man sich in Wien immer mehr mit dem Gedanken befreundet, die Lombardei aufzugeben. Hummelauer hatte bereits, allerdings ohne dazu autorisirt zu sein, ein darauf bezügliches Project in London vorgelegt und Radetzky erhielt den Auftrag, unverzüglich mit dem König von Sardinien einen Waffenstillstand abzuschließen. Radetzky sandte unseren S. mit Gegenvorstellungen nach Innsbruck und Wien. S. überbrachte dem Hofe, der sich damals nach Innsbruck geflüchtet hatte, die Nachricht von der Einnahme von Vicenza und das Anerbieten des Feldmarschalls, falls man ihm 25.000 Mann Verstärkung senden würde, den Feind aus der Lombardei zu vertreiben. Soeben waren auch Hummelauer und der Minister des Aeußern Freiherr von Wessenberg in Innsbruck eingetroffen. Letzterer lehnte die Vorschläge Radetzky’s ab. Hatte er doch bereits einen diplomatischen Beamten nach Mailand gesendet, um dem Grafen Casati in amtlicher Weise die Unabhängigkeit der Lombardei als Unterhandlungsbasis anzubieten. Glücklicher war S. in Wien, wohin er sich mit Wessenberg und Doblhoff begab und wo es ihm gelang, das Ministerium zu überzeugen, daß es aus militärischen, financiellen und politischen Gründen nicht räthlich sei, sofort einen Waffenstillstand zu schließen. Man beschloß, dem Feldmarschall die verlangten Verstärkungen zu gewähren und statt mit England zu verhandeln, das Glück der Waffen zu versuchen, ein Beschluß, den die Haltung der revolutionären Presse erleichterte, welche sich bis dahin mit Heftigkeit für die Aufgebung von Italien und gegen jede Truppensendung ausgesprochen hatte, nun aber plötzlich vorzog, die Truppen nach Italien abgehen zu sehen, um sie aus den deutschen Erblanden zu entfernen. Freilich ist es nicht richtig, wenn behauptet wird, S. habe sich zugleich für die Erhaltung der Lombardei unter allen Umständen eingesetzt. Wenn es dahin gestellt bleibt, wie sich Radetzky zu dieser Frage verhielt, so steht es doch (vgl. G. Wolf 22–23) fest, daß S. seinen Plan dem Wiener Ministerium dadurch mundgerecht zu machen suchte, daß er [273] auf die Nothwendigkeit einer Verständigung mit Frankreich hinwies, dem man die Beruhigung geben möge, daß man die Lombardei nur zum Zweck der Erzielung eines ehrenvollen Friedens, keineswegs aber in der Absicht erobern wolle, dieses Land der österreichischen Monarchie wieder einzuverleiben.

Von Wien begab sich S. zur Heilung seiner Wunde in die ländliche Stille seines Geburts- und Lieblingsortes Krumau, wo es aus Anlaß der Wahlen zum ersten constituirenden Reichstage Oesterreichs sehr lebhaft zuging. Er selbst trat als Wahlcandidat auf; allein es geschah, was ihm der fürstliche Oberbeamte vorausgesagt hatte, Haltung und Miene des vornehmen Candidaten, der in grauer Civilkleidung, den linken Arm in schwarzseidener Binde, die Tribüne in der sog. Burggrafenamtskanzlei des Krumauer Schlosses bestieg, brachten auf die gegen alles aristokratische Wesen aufgehetzten Landleute die entgegengesetzte Wirkung von dem hervor, was erzielt werden sollte. Die nur aus Bauern bestehende Majorität wählte einen der ihrigen, der später sich selbst und den Reichstag durch sein rohes Wesen in der ärgsten Weise bloßstellte. Nach kurzen Wochen der Erholung eilte der durchgefallene Reichstagscandidat, „die Toga wieder mit dem Sagum zu vertauschen“ nach Italien, wo nach dem Falle von Vicenza Radetzky die Offensive ergriffen und das Heer Karl Albert’s (25. Juli) bei Custozza gänzlich geschlagen hatte. S., nunmehr zum Feldmarschalllieutenant befördert, trat unverweilt wieder an die Spitze seiner Division, fand aber bald neue Gelegenheit, als Felddiplomat zu wirken. Nach dem heißen und für die österreichischen Waffen ruhmreichen Treffen von Volta (26. 27. Juli) fanden sich zwei piemontesische Generale und eben jener Artillerieoberst Lamarmora ein, der einst zu Turin fast ständiger Gast an Schwarzenberg’s Tafel gewesen war, um einen Waffenstillstand mit dem Oglio als Demarcationslinie anzubieten. Radetzky beauftragte seinen Generalquartiermeister Feldmarschalllieutenant v. Heß und unsern S. mit der Leitung dieser Verhandlungen, die sich indeß zerschlugen, worauf Radetzky am 5. August als Sieger in Mailand einzog und S. daselbst als Militärgouverneur einsetzte. Damit schloß auch Schwarzenberg’s militärische Laufbahn, an deren Ende das Maria Theresienkreuz glänzte, das ihm nicht auf sein Ansuchen, sondern auf Radetzky’s Antrag und infolge eines Beschlusses des Ordenscapitels am 29. Juni 1849 der Kaiser verlieh, und zu welchem sich 1850 das jüngst für militärische Verdienste eigens gestiftete Militärverdienstkreuz gesellte. Es bestand damals die Absicht, zur Seite Radetzky’s ein diplomatisches Bureau einzurichten, dessen Leitung auf Vorschlag Latour’s Fürst S. übernehmen sollte, doch kam es, wie es scheint, nicht mehr dazu. Da er von seiner Wunde noch immer nicht völlig hergestellt war, benutzte S. den mit Sardinien nunmehr auf sechs Wochen abgeschlossenen Waffenstillstand zu einer Reise nach Wien, von der nicht ganz klar ist, wer sie veranlaßt hat, und die er jedenfalls ohne förmlichen Urlaub antrat. Uebrigens hatte man innerhalb der maßgebenden Kreise längst erkannt, daß es hoch an der Zeit sei, sich nach Männern umzusehen, die mit Muth und Selbstvertrauen, mit Kraft und Besonnenheit, mit Ausdauer und selbstloser Vaterlandsliebe sich der schwierigen Aufgabe unterzögen, das rings umdrohte Staatsschiff mit fester und sicherer Hand mitten durch die Stürme der Zeit zwischen Klippen und Untiefen hindurch zu steuern, und wenn man unter den Männern, die dazu geeignet schienen, Umschau hielt, fiel der Blick fast unwillkürlich auf S. Schon Metternich hatte ihm, den er nicht mit Unrecht als einen Zögling seiner diplomatischen Schule bezeichnete, eine bedeutende Stellung zugedacht. „Le prince Felix“, schrieb er am 1. März 1848 an Ficquelmont, „a du talent, une grande connaissance de la situation et du nerf“. „Wir bedürfen“, schreibt Hübner am [274] 14. August in sein Tagebuch, „eines Mannes, welcher im Stande ist, die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten zu übernehmen. Ich sehe nur einen: Felix Schwarzenberg.“ Hübner begab sich unter diesem Eindrucke zum Kriegsminister, der seine Ansicht vollkommen theilte. Freilich, selbst den Fürsten nach Wien einzuladen, dazu wollte sich Latour nicht verstehen, er stellte indeß Hübner, falls dieser nach Mailand schreiben wolle, einen seiner Militärcouriere zur Verfügung. „Ich habe also einen reiflich überlegten Brief“, fährt Hübner fort, „an den Fürsten Felix verfaßt. Er enthält eine wahrheitsgetreue Schilderung der hiesigen Zustände. Ich sage ihm nicht mit dürren Worten: Kommen Sie. Dies stünde mir nicht zu, aber er wird es zwischen den Zeilen lesen und das genügt.“ Am 21. hatte Hübner mit Clam Gallas „eine lange und gute Unterredung“. „Er reist“, heißt es, „morgen nach Mailand zurück und nahm von mir einige Winke für Felix S. und den Feldmarschall mit.“ Aber noch am 21. Sept. ist Hübner ohne Antwort: „Immer noch Gouverneur von Mailand! Hier ist sein Platz. Fühlt er das nicht, und, wenn so, warum zögert er?“ Endlich – Anfang October – trifft Fürst Felix, den die Vorbesprechungen über die Friedenspräliminarien bis dahin in Mailand festgehalten hatten, in Wien ein. Er, der Junggeselle, steigt bei seinem Bruder, dem Familienhaupte, im Palais auf dem Neumarkt ab. „Ich besuche ihn“, schreibt Hübner, „jeden Morgen während des Frühstücks: eine Tasse Kaffee, auf welche der Chibuk folgt. Es ist unmöglich, mäßiger zu sein. Obgleich abwechselnd Lebemann und Mann der Wissenschaft, ein fleißiger Besucher der Spitäler und anatomischen Säle, Diplomat und leidenschaftlicher Soldat, ist er im Grunde ein geborener Ascete. Dies hinderte ihn übrigens nicht, als Gesandter in Turin und später in Neapel eine ungewöhnliche Pracht zu entfalten. Seine unvermählte Schwester Fürstin Mathilde, und zugleich treue Freundin und Begleiterin, ist eine durch Geist und Herz ausgezeichnete Dame. Sie wohnt jetzt gewöhnlich unsern Morgengesprächen bei, ohne je daran theilzunehmen. Ich erlaubte mir, den Fürsten zu fragen, ob er infolge eines Befehles des Kaisers oder auf Veranlassung des Ministeriums gekommen sei. Weder das eine noch das andere, war die Antwort. Er kam aus eigenem Antrieb, ohne Urlaub des Kriegsministers, den er nicht einmal von seiner Ankunft im vorhinein verständigt hatte, jedoch auf den Wunsch und mit Ermächtigung des Feldmarschalls Radetzky. Seit seiner Ankunft hat ihn sein Schwager Fürst Windischgrätz durch einen seiner Adjutanten“ (es war dies der Oberstlieutenant Baron Langenau) „befragen lassen, ob er gesonnen sei, ein Portefeuille zu übernehmen, worauf er, noch zu wenig bekannt mit der Lage, eine ausweichende Antwort ertheilte. Ich finde, er hat wohlgethan. In keinem Fall kann er in das gegenwärtige Cabinet treten. Er muß von seinem Souverain beauftragt werden, ein Ministerium zu bilden. Dies geschieht gewiß und sein Eintritt wird die große Krise sein, dazu müssen aber die Ereignisse mitwirken. Sie werden auf sich nicht lange warten lassen.“ Im Publicum und im Reichstag blieb Schwarzenberg’s Ankunft unbeachtet. Aber für die Minister war sie ein Donnerschlag. In Schönbrunn athmete man freier auf. Ueber das, was zunächst zu geschehen habe, stimmten die Ansichten Schwarzenberg’s und Hübner’s überein: „Obgleich er“, bemerkt letzterer, „zwischen den verschiedenen politischen Glaubensbekenntnissen, welchen die verschiedenen Parteien entsprechen, nicht zu unterscheiden vermag; obgleich er nur die dem Auge zugängliche Oberfläche der Revolution und ihre zerstörenden Wirkungen sieht, aber nicht die Quellen, aus welchen sie entsprang, noch ihr antisociales und antichristliches Wesen, begreift er doch, daß ein Abkommen mit ihr unmöglich ist. Auf der andern Seite, obgleich Mann der Autorität, jedoch gar nicht Absolutist, fühlt er instinctartig und auch mit Hülfe eines seltenen Scharfsinnes, daß jede Reaction von Uebel wäre und [275] ein dauerndes Säbelregiment unter allen Umständen zu vermeiden ist. Bis dahin sieht er vollkommen klar, aber über diese Grenze hinaus trübt sich sein sonst so heller Blick, weil er an derlei Fernsichten noch nicht gewöhnt ist; und als vorsichtiger General, bevor er seinen Operationsplan auf einem ihm unbekannten Terrain entwirft, gedenkt er zu warten, bis sich der Nebel hebt“. Man war daher darin einig, daß vor allem der Hof aus der Umgebung Wiens entfernt und in einem befestigten Ort in Sicherheit gebracht, durch diese Entfernung dem Kaiser die Freiheit wiedergegeben, jedes neue Zugeständniß auf das bestimmteste verweigert werden müsse. Das Ministerium wäre bei der ersten Gelegenheit zu entlassen und sodann auch der Reichstag aufzulösen. Auf die Frage Hübner’s jedoch, was geschehen solle, sobald die materielle Ruhe und mit ihr die Macht der Krone wiederhergestellt sei, gab S. die ausweichende Antwort: „Chaque jour a sa peine!“ In seiner Ueberzeugung konnte S. der Octoberaufstand (6. October) nur bestärken. Als er von dessen Ausbruche erfuhr, warf er sich in die Uniform und stellte sich dem Platzcommandanten General Auersperg zur Verfügung. An der Spitze einer Abtheilung Truppen drang er durch das Carolinenthor in die Stadt, als er plötzlich gleich den anderen Führern den Befehl zum Rückzug erhielt, dem er, wenn auch innerlich widerstrebend, gehorchte. Das Militär sammelte sich auf dem Glacis und marschirte theilweise noch denselben Abend in den Schwarzenberg’schen Garten ab, die Generale mitten im Haufen, neben S. auf einem Militärpferde der in einer Verkleidung aus der Stadt entflohene Bach. Auersperg hatte völlig den Kopf verloren; da war es denn S., der sich dem General Mertens zur Seite stellte und den unfähigen Commandirenden in eine Art Vormundschaft nahm. „Er ist bereits“, schreibt Hübner, „die Seele des Widerstandes und der eigentliche Führer dieser kleinen Streitmacht geworden … Seine Ruhe, seine Heiterkeit beruhigen den Soldaten, der Reiz seiner Unterhaltung, wenn er eben unterhalten will, zerstreut und fesselt die Officiere. Seine militärische und zugleich vornehme Haltung imponirt und gefällt den einen und den andern. Aber wenn ich mich mit ihm allein befinde, zeigt sich, daß er eher schwarz sieht.“ Endlich geschah, was Hübner so sehr ersehnte: am 9. wurde Fürst S. nach Olmütz, wohin sich der Hof geflüchtet hatte, berufen. S. kam dies ungelegen; es sagte ihm gar nicht zu, den Degen wieder mit der Feder zu vertauschen. Er wollte seinen Posten nicht verlassen, in der Voraussicht, Auersperg werde, sobald er ihm den Rücken gewendet habe, seine jetzige Stellung räumen. Er sandte Hübner nach Olmütz mit dem Auftrag, ihn beim Kaiser zu vertreten. Hübner sollte verhindern, daß die Deputationen des Reichstages vom Kaiser empfangen würden. An Graf Grünne erhielt er ein besonderes Schreiben, in welchem es hieß: Die Majorität des Reichstages bestehe nicht mehr, die Loyalen hätten die Flucht ergriffen, die anderen seien nicht mehr als Gesetzgeber, sondern als Geiseln zu betrachten; mit der Anarchie gebe es keinen Pact; vor allem müsse der Aufstand niedergeworfen werden. Hübner traf den Hof noch unterwegs. In Schloß Selowitz wurde (12. Octbr.) kaiserlicher Familienrath gehalten und dort wurde der Beschluß gefaßt, Felix S. habe sofort am Hoflager zu erscheinen, Windischgrätz, Böhmens Landescommandirender, seinen Marsch nach Wien zu beschleunigen. Hübner’s Kammerdiener verbarg das kaiserliche Handschreiben an S. in seinem Hute und eilte damit nach Wien, Hübner selbst begab sich nach Prag zu Windischgrätz. Jetzt erst leistete S. dem Rufe Folge. Er schloß sich dem Hofe in Selowitz an und gelangte mit demselben nach Olmütz, wo der keimende Gegensatz des erst in Bildung begriffenen Zukunftsministeriums, an dessen Spitze er eigentlich wider Willen treten sollte, zu dem mittlerweile ebenfalls eingetroffenen Windischgrätz sofort sich äußerte. Zwischen diesem und Felix S. hatte seit jeher eine gewisse Zurückhaltung [276] bestanden; sie datirte aus der Zeit, als sich der lebensfrohe, mitunter lockere fürstliche Cadet und Lieutenant manche Zurechtweisung seines Obersten und älteren Schwagers hatte gefallen lassen müssen. Hierzu trat nun aber auch ein politischer Conflict, wenngleich es gerade Windischgrätz war, der darauf bestand, daß sein Schwager, statt wie er es wünschte, unter ihm zu commandiren, die Bildung des neuen Ministeriums übernehme. Am kaiserlichen Hoflager in Olmütz standen sich zwei politische Systeme gegenüber. Das eine von dem durch Unwohlsein ferngehaltenen früheren Hofkammerpräsidenten Kübeck, durch seinen nach Olmütz gesendeten Neffen vertreten, ging dahin, daß der Reichstag aufzulösen, die Monarchie in ihrem ganzen Umfange in Belagerungszustand zu erklären und Fürst Windischgrätz zum Dictator mit unbeschränkter Vollmacht zu ernennen sei, um mit einem von ihm zusammengesetzten Ministerium alle nöthigen organischen Verfügungen ins Leben zu rufen. Der Träger des anderen Systems war Stadion: dieser befürwortete die ununterbrochene Aufrechterhaltung der seitherigen Regierungsweise mit dem Ministerium unmittelbar zur Seite des Thrones und des constituirenden Reichstages, welch letzterer jedoch aus seiner bisherigen Umgebung in irgend eine unbefangene Landstadt verlegt werden und dessen Aufgabe es sein sollte, im Einklang mit dem Ministerium eine den Interessen der Monarchie entsprechende Verfassung auszuarbeiten. Dieses System wurde denn auch angenommen; auch S. gab nach einigem Zaudern seine Zustimmung. Windischgrätz fügte sich, verlangte jedoch, daß er von allen wichtigeren Vorgängen unterrichtet und in solchen kein Entschluß gefaßt werde, ohne daß die Minister sich vorläufig seiner Zustimmung versichert hätten. Hierauf ging Fürst Felix ein. Am 19. October ging Windischgrätz zur Armee. Von demselben Tage datirt das kaiserliche Handschreiben, das S. mit der Bildung eines Cabinets betraute. Das Handschreiben wurde nicht publicirt; in weiteren Kreisen hatte man von der Existenz desselben keine Ahnung. Infolge dessen befand sich Felix S. in einer eigenthümlichen Lage. Der Reichstag wurde vertagt und nach Kremsier einberufen (22. October), setzte aber unbekümmert um diese Verfügung seine Sitzungen in der Wiener Winterreitschule fort. Auch war S. bereits thatsächlich Leiter der äußeren Politik. Aber er konnte aus seinem Schlafzimmer in Olmütz, das ihm bei dem Mangel an Räumlichkeiten zugleich als Kanzlei diente, keinen Befehl ertheilen ohne die Unterschrift Wessenberg’s, der zwar um seine Entlassung bat, dessen Verbleiben aber S. vorläufig selbst für unentbehrlich hielt. Er selbst befand sich damals zu kurzem Aufenthalte in Wien, wo er, wie Hübner erzählt, in geradezu drastischer Weise das Versammlungslocal des Reichsrathes zu schließen befahl. Erst die Einnahme Wiens machte jenem Zustande ein Ende.

Vom 21. November datirt die kaiserl. Entschließung, durch welche die Zusammensetzung des neuen Cabinets genehmigt wurde: Präsidium und Aeußeres Felix S., Inneres Stadion, Finanzen Kraus, Krieg Cordon, Justiz Bach, Handel und öffentliche Bauten Bruck, Landescultur und Bergwesen Thierfeld. Am 27. stellte S. das neue Ministerium dem Reichstage vor, der mittlerweile zu Kremsier eröffnet worden war. Er begann seinen Vortrag unter lautloser Stille des Hauses mit kaum vernehmbarer Stimme, die jedoch nach den ersten Kundgebungen der Zustimmung, die allmählich immer häufiger und lebhafter wurden und in einem wahren Beifallssturm endeten, die gewohnte Kraft und Sicherheit wieder gewann. Die angekündigte Absicht, ein neues Band zu schaffen, das alle Länder und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper vereinigen solle, konnte des Beifalls aller Patrioten gewiß sein und wenn der ministeriellen Eröffnung zufolge vorerst das verjüngte Oesterreich und das verjüngte [277] Deutschland zu neuen und festen Formen gelangen sollten, ehe es möglich sei, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen, so war das ein Programm, welches sich zu seinem Vortheil von der unklaren Verschwommenheit der Bestrebungen eines Theils der Paulskirche unterschied. Auch berührte endlich die Rede die Wiener Vorgänge in versöhnlichem Sinn, was um so bemerkenswerther ist, als wir nunmehr aus Hübner’s Aufzeichnungen wissen, daß, während Windischgrätz, um seinem Schwager etwaige diplomatische Schwierigkeiten zu ersparen, Robert Blum und Fröbel einfach aus Oesterreich ausweisen zu lassen gedachte, S. wenigstens bezüglich Blum’s darauf gedrungen hatte, daß derselbe vor das Kriegsgericht gestellt werde. Vor allem aber wußte nun endlich jeder, woran er war, da es wieder eine Regierung gab, die wußte, was sie wollte. Ein großer Moment in Schwarzenberg’s Leben war der 2. December. Die auf die Abdankung des Kaisers Ferdinand, die Entsagung seines Bruders und die Thronbesteigung seines Neffen bezüglichen Documente wurden sämmtlich von Hübner unter seinen Augen verfaßt. Am Tage des Thronwechsels und bei diesem selbst verlas der Fürst jene Schriftstücke, blässer als sonst, und anscheinend tief ergriffen, mit lauter aber vibrirender Stimme. Sodann fuhr er mit sämmtlichen Ministern nach Kremsier. Der Präsident des Reichstags war schon am Morgen telegraphisch ersucht worden, eine Sitzung einzuberufen, weil die Regierung eine wichtige Mittheilung zu machen habe. Die Spannung der Abgeordneten war um so größer, als der Eisenbahnzug sich verspätete, und erreichte den höchsten Grad, als der Fürst die Rednertribüne bestieg, und der Versammlung die überraschende Mittheilung machte von dem welthistorischen Acte, der sich vor wenigen Stunden zu Olmütz vollzogen hatte. So wichtig aber auch für die Consolidirung Oesterreichs Minister- und Thronwechsel waren, so stand man doch erst am Beginn der dadurch inaugurirten neuen Aera. Vor allem ergab sich die Nothwendigkeit einer Neugestaltung des Reiches und im Zusammenhange damit tauchte die Frage nach der Stellung auf, die innerhalb desselben Ungarn einnehmen werde. Auch in dieser Frage standen sich am Hofe zwei Parteien gegenüber; auch hier gingen die Meinungen Windischgrätz’ und Schwarzenberg’s auseinander. Die eine Partei empfahl: der König möge schon jetzt erklären, daß er, nach erfolgter Niederwerfung des Aufstandes und Züchtigung der Schuldigen, dem Lande nicht die revolutionäre Verfassung von 1848, sondern seine althergebrachten Rechte und Freiheiten wieder geben werde, nach dem andern Programm hatte Ungarn durch den Aufstand alle seine Rechte und Privilegien verwirkt und sollte daher Ungarn den übrigen Theilen Oesterreichs, welches fortan eine constitutionelle Monarchie sein werde, vollkommen gleichgestellt werden. Jenes System empfahl Windischgrätz, S. hingegen schloß sich der Auffassung der liberalen und unitarischen Fraction des Ministeriums an, daher endeten die Verhandlungen Schwarzenberg’s mit dem ehemaligen siebenbürgischen Hofkanzler Baron Josika und mit dem Grafen Szecsen mit einem vollständigen Bruche. Das Ministerium war übrigens an die Spitze der Geschäfte mit dem aufrichtigen Willen getreten, Hand in Hand mit dem Reichstage zu gehen, vorausgesetzt natürlich, daß dieser seinerseits den Ernst zeige, Hand in Hand mit der Regierung gehen zu wollen. Allein die Debatten über den § 1 der Grundrechte und die herausfordernde Haltung, welche selbst Mitglieder der Rechten der ministeriellen Erklärung gegenüber beobachteten, ließen die Hoffnung einer Verständigung über das Verfassungswerk schwinden; es reifte der Entschluß, den Reichstag aufzulösen und eine Verfassung zu octroyiren. Ueber diese fanden nun eifrige Berathungen statt. Die verschiedensten Projecte tauchten auf. Abgesehen von den speciellen ungarischen Fragen waren alle Minister darin derselben Meinung, daß der grundsätzliche Unterschied zwischen der absoluten Regierungsweise in der einen [278] und der constitutionellen Form in der anderen Reichshälfte fallen gelassen werden müsse, woferne Oesterreich in Zukunft wirklich ein einheitliches Ganzes bilden sollte. „Oesterreich“, schrieb S. an den kaiserlichen Gesandten in St. Petersburg, „strebt nach Einheit der Monarchie; politische, commerciale und legislative Schranken dürfen fortan zwischen den einzelnen Theilen des Reiches nicht länger bestehen.“ Um so schärfer gingen die Meinungen darüber auseinander, in welchem Sinne und Geiste diese Einheit gestaltet und durchgeführt werden solle. Stadion schwebte der starrste Centralismus vor; Windischgrätz, das Widerspiel dieser unificirenden Tendenz, verfocht die Erhaltung der historisch-politischen Individualitäten, während die Mittelpartei der gemäßigten Centralisten mit Bach an der Spitze, jene Ansicht vertrat, für die sich S. und in letzter Linie der Monarch entschied. Nur Windischgrätz ließ von seiner Ueberzeugung nicht ab. Abgesehen von dem bereits berührten principiellen Gegensatze war ihm der Verfassungsentwurf, wie er aus den Berathungen des Ministeriums hervorging und ihm denselben im Auftrage des Kaisers Bruck in Ofen vorlegte, zu liberal. Gleich S. ein abgesagter Feind der Revolution, unterschied er sich doch dadurch von seinem Schwager, daß es für ihn kein Liebäugeln mit dem Widerpart gab, während dieser gewissermaßen berufsmäßig nöthigenfalls zu diplomatisiren verstand. Es war umsonst, daß S. auf dessen Anschauungen, die übrigens zum Theil seine eigenen sein mochten, insoweit einging, als er von „gewissen zeitgemäßen Lappalien“ sprach, „an denen heutzutage selbst viele gutgesinnte ehrliche Leute hängen, die man deshalb in dem Verfassungsentwurf nicht vergessen habe“. Auch war zwar S. gleich Windischgrätz Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, aber er verkannte nicht die Schattenseiten seines Standes und nicht die Forderungen der Zeit. Es war ein Zugeständniß, daß er seinem Schwager gemacht zu haben glaubte, daß in der künftigen Verfassung Fideicommisse und Majorate fortbestehen sollten, „um“, wie er sagte, „dem aristokratischen Elemente wenigstens in der Zukunft eine Chance zu geben, diejenige Rolle zu spielen, zu der es jetzt leider noch gar keine Befähigung gezeigt habe“. Sonst aber stellte er im Einklang mit der Mehrheit der Minister dem Principe der Geburt das Princip des Besitzes gegenüber. Windischgrätz hingegen verlangte, daß die alte Gliederung nach Ständen beibehalten und ein aus Landboten zu beschickender Senat das Centrum bilden solle. Es kam so weit, daß Stadion und Bach ihre Entlassung anzeigten für den Fall, daß das ministerielle Project wesentliche Aenderungen erleiden sollte und das Windischgrätz erklärte, wenn das seinige nicht angenommen werde, das Commando niederlegen zu wollen. S. nahm die Demission der Minister nicht an, was mit der Aufrechthaltung des von ihnen vertheidigten Verfassungsentwurfes gleichbedeutend war. Es wurde an diesem zwar einiges modificirt, namentlich wurden die „Grundrechte“ eliminirt, das kaiserliche Manifest, das gleichzeitig mit der Publication der Verfassung erscheinen sollte, nach Windischgrätz’ Andeutungen verfaßt, aber an der Hauptsache nichts geändert. In dieser Gestalt wurde der Entwurf neuerdings von Hübner am ersten Tage der Schlacht von Kapolna Windischgrätz vorgelegt, der nun zwar den Kampf gegen die von dem Ministerium beabsichtigten Formen, nicht aber seinen Widerspruch gegen dieselben aufgab. Auch bestand die Spannung zwischen den beiden Schwägern zeitlebens fort, trotz der Anstrengungen, welche in der Folge der alte Metternich machte, eine Annäherung anzubahnen. Am 4. März erfolgte die kaiserliche Sanction der octroyirten Verfassung; von demselben Tage datirt das kaiserliche Manifest, welches die Auflösung des Reichstages von Kremsier verfügte, die den letzteren (7. März) nicht ganz unerwartet traf, da schon seit Anfang des Monats kein Minister mehr in den Sitzungen erschienen war. Die Pflicht der Regierung, die Revolution endlich zu schließen, [279] der Wunsch, die Siege der kaiserlichen Waffen in Ungarn auch auf politischem Gebiete zu verfolgen, wurden als die Motive bezeichnet, welche den Entschluß der Auflösung des Reichstages und der Octroyirung einer Verfassung zur Reife brachten.

Mit der octroyirten Verfassung tauchte auch die Frage nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Wien und des Einzuges des jungen Monarchen in seine Hauptstadt auf. Auch in dieser Frage kreuzten sich die Ansichten der beiden fürstlichen Schwäger. Während Windischgrätz sich gegen die Rückkehr des Kaisers nach Wien aussprach, da dies die vorzeitige Aufhebung des Belagerungszustandes zur Folge haben müsse, gelangte doch wenigstens schon jetzt die Ansicht Schwarzenberg’s zum Durchbruche, es sei der Zeitpunkt gekommen, „der Welt zu zeigen, daß der Kaiser Herr in seinem Hause sei“. Bald darnach begab sich der Kaiser nach Ungarn zur Armee; in seiner Suite befand sich auch S., der sich am 28. Juni persönlich an dem Sturm auf Raab betheiligt haben soll. Es war jedenfalls das letzte „Reiterstücklein“ des Fürsten, der fortan, nur mit geringen Unterbrechungen, an den Actentisch gebannt war.

Nach außen hin waren es namentlich die deutsche und die italienische Frage, welche zunächst Schwarzenberg’s Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen; durch jene wurde das Verhältniß Oesterreichs zu Preußen, durch diese jenes zu den Westmächten bedingt.

Trotz der Siege Radetzky’s und der Wiedereroberung der Lombardei fuhr Lord Palmerston fort, auf die Abtretung dieser Provinz an den geschlagenen Feind zu bestehen und Wessenberg hatte sich auch zum Behufe der zu eröffnenden Friedensverhandlungen mit Sardinien die Mediation Frankreichs und Englands aufdringen lassen, ja, statt sich der englischen Einmischung in innere Angelegenheiten zu widersetzen, gab er selbst dem britischen Staatssecretär die Absicht der kaiserlichen Regierung kund, den italienischen Provinzen freiheitliche Institutionen zu verleihen. Palmerston genügte dies nicht, in geradezu beleidigendem Tone stellte er fast Tag für Tag neue Forderungen auf. Als S. das Staatsruder übernahm, beschloß er sofort, diesem Skandal ein Ende zu machen, wozu ihm ein noch an Wessenberg gerichteter Bericht des kaiserl. Geschäftsträgers in London, Baron Koller die Gelegenheit darbot. Da Seine britische Herrlichkeit sich aus Anlaß der von Radetzky ausgeschriebenen außerordentlichen Steuer zu der Behauptung verstieg, es scheine, man wolle in der Lombardei dasselbe Mittel versuchen, wie in Galizien, wo die Regierung auf die Köpfe der Adeligen Preise gesetzt habe, richtete S. an Lebzeltern, der ihn während seiner Abwesenheit von Wien bei dem diplomatischen Corps vertrat, ein Schreiben, worin er diese „sonderbare“ Einmischung in die innere Politik Oesterreichs entschieden zurückwies. Es hing mit dieser Verstimmung zusammen, daß, während an die befreundeten Höfe von Berlin und St. Petersburg Prinzen von Geblüt mit der Nachricht von dem stattgefundenen Thronwechsel abgingen, in London dies auf gewöhnlichem diplomatischem Wege geschah, daß Koller die Weisung erhielt, sich im Verkehr mit dem Chef der englischen Diplomatie nur auf die streng amtlichen Beziehungen zu beschränken und das man sich nicht beeilte, den erledigten Botschafterposten wieder zu besetzen. Die Spannung der beiden leitenden Staatsmänner dauerte in der Folge fort, zumal es nicht an Anlässen zu neuen Zerwürfnissen – Kossuth’s Aufenthalt in England, die Flüchtlingsfrage, die Mißhandlung Haynau’s in London – fehlte. Allein es gereicht ebenso S. als Lord „Feuerbrand“ zur Ehre, daß dieser noch nach dem Tode seines Gegners mit Bewunderung von dessen Hochherzigkeit, warmen Liebe für Oesterreich, Selbstlosigkeit und Unerschrockenheit sprach. Der Brüsseler Congreß kam indeß nicht zu Stande, er wurde [280] durch die Ereignisse – Wiederausbruch des piemontesischen Krieges und den Sieg Radetzky’s bei Novara (23. März 1849) – überholt. Es möge anschließend hieran hervorgehoben werden, daß S. sowie gegenüber Palmerston auch gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Würde Oesterreichs zu wahren wußte, als diese in directem Gegensatze zu dem so oft betonten Grundsatze des Sich-Nicht-Einmengens in die Verhältnisse anderer Reiche einen geheimen Agenten nach Wien sendeten, um im geeigneten Augenblicke die ungarische Republik anzuerkennen und den Zerfall der österreichischen Monarchie kaum abwarten zu können schienen. Gegen die taktlose Botschaft des Präsidenten der Republik Taylor an den Senat vom 28. März 1850 ließ S. energisch protestiren als gegen ein Verhalten, das die kaiserliche Regierung mißbillige und immer mißbilligen werde.

Schwarzenberg’s erstes Auftreten in der deutschen Frage verrieth, daß er nicht etwa bloß daran dachte, Oesterreich die Stellung, die ihm nach der Bundesverfassung bis 1848 zugestanden hatte, wieder zu verschaffen, sondern daß er den Umschwung der Dinge zur Grundlage weitaussehender Pläne zu benutzen willens war. Schon am 31. December 1848 entwickelte S. in einem Schreiben an Bach den ihn leitenden Gedanken. „Oesterreich“, sagt er, „strebt nach Einheit. Fortan werden keine politischen, legislativen und commerciellen Schranken die verschiedenen Theile des Reiches von einander trennen. Aber Oesterreich will nicht auf sein tausendjähriges Recht, die erste deutsche Macht zu sein, Verzicht leisten. Es will seine Stellung in Deutschland nicht aufgeben, dies sind die beiden Gedanken, welche das Cabinet leiteten, als es über die künftige Verfassung Deutschlands seine entgültigen Entschlüsse faßte“. Auch die Kremsierer Programmrede nahm bereits auf die deutsche Frage Bezug. „Oesterreichs Fortbestand als staatliche Einheit“ hieß es gleichsam als Antwort auf die §§ 2 und 3 der deutschen Reichsverfassung, „ist ein deutsches wie europäisches Bedürfniß. Von dieser Ueberzeugung durchdrungen, sehen wir der natürlichen Entwicklung des noch nicht vollendeten Umgestaltungsprocesses entgegen. Erst wenn das verjüngte Oesterreich und das verjüngte Deutschland zu neuer und fester Form gelangt sind, wird es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen“. Als nun Schmerling’s Nachfolger in Frankfurt als leitender Reichsminister Gagern dies dahin deutete, daß die kaiserliche Regierung in den deutschen Bundesstaat, wie er aus den Beschlüssen der Nationalversammlung hervorgehen würde, nicht eintreten wolle, und daß daher die künftige Verbindung zwischen Oesterreich und dem deutschen Bundesstaate durch einen besonderen Unionsvertrag auf gesandtschaftlichem Wege zu regeln sei, gab (28. Dec.) S. die Erklärung ab, daß Oesterreich durch das Kremsierer Programm nicht auf seinen Eintritt in den Bund verzichtet habe und daß keine Reichsverfassung ohne Einvernehmen mit den deutschen Fürsten, deren erster der Kaiser sei, rechtlichen Bestand gewinnen könne. Mittlerweile fanden auch zwischen Olmütz und Berlin Verhandlungen statt, bei denen S. seine Ansichten über die deutsche Frage mit gewohnter Offenheit entwickelte. Er forderte (13. Dec.) den Eintritt des als Einheitsstaat constituirten Oesterreichs in den Bund. Er erklärte das Frankfurter Machwerk für unannehmbar und wünschte eine Verständigung der beiden Großmächte, bei der jedoch von dem Gedanken eines Bundesstaates abzusehen und zu dem allein anwendbaren Begriffe des Staatenbundes zurückzukehren sei. Und als statt dessen eine ministerielle preußische Denkschrift vom 19. December vielmehr den Gedanken entwickelte, daß gleich nach der ersten Lesung eine Revision der Reichsverfassung gemeinsam durch die Regierungen und das Parlament vorzunehmen, daß in der künftigen Reichsverfassung ein Collegium der deutschen Könige als Regierung, ein von den Fürsten beschicktes Staatenhaus als Ober- und das Parlament als Unterhaus zu fungiren [281] habe, daß endlich Gesammtösterreich allerdings in das neue Deutschland nur in der lockeren Form eines Staatenbundes eintreten, innerhalb des letzteren aber das übrige Deutschland sich auf engere Weise verbinden könne, verwarf S. Parlament und Bundesstaat, Staatenhaus und einheitliches Reichsoberhaupt und schlug vielmehr, um die Mittelstaaten für sich zu gewinnen, die Zerlegung Deutschlands in sechs Gruppen, jede mit ihrem König an der Spitze, vor, so daß sich an diese die kleineren Fürsten gliedern sollten. Es ist hier nicht der Ort, die gewechselten Noten und Gegennoten im einzelnen zu verfolgen; es genüge auf jene merkwürdige Denkschrift Friedrich Wilhelm’s IV. (vom 4. Januar 1849) hinzuweisen, welche kürzlich v. Sybel in Auszügen mitgetheilt hat, zugleich mit den Gegenbemerkungen, welche S. machte, als sie ihm Brühl zu Olmütz vorlas. Denn sie läßt deutlich erkennen, daß in diesem diplomatischen Feldzuge sich dem wohlmeinenden, aber von wechselnden Stimmungen und Rathgebern beeinflußten Romantiker auf dem preußischen Thron gegenüber der gewandte, durchaus realistisch veranlagte „Armeediplomat“ vorerst im Vortheil befand. Während der König jetzt (durch die Note vom 23. Januar) wirklich in Fühlung mit Frankfurt zu treten, aber auch die Verhandlungen mit Oesterreich fortzuführen wünschte, enthielt Schwarzenberg’s Note vom 4. Febr. an das Reichsministerium den ersten Hinweis auf das mitteleuropäische Siebzigmillionenreich, das aus dem Eintritte Gesammtösterreichs in den Verband Deutschlands hervorgehen sollte, und zog eine spätere Note (9. März) aus der Octroyirung der österreichischen Märzverfassung und der dadurch erfolgten Constituirung Oesterreichs den Schluß, daß dieses in seiner Gesammtheit in den Bund aufzunehmen und darnach die Reichsverfassung zu modificiren sei. Statt eines Kaisers als Reichsoberhaupt schlug S. ein Directorium von sieben Mitgliedern, innerhalb dessen Oesterreich abwechselnd mit Preußen den Vorsitz führen sollte und statt des Reichstags ein durch kein Volkshaus gelähmtes Staatenhaus vor. Als aber das Parlament nunmehr dem König von Preußen die Kaiserwürde antrug, rief (5. April) S. die österreichischen Abgeordneten aus der Paulskirche ab. Auch die Circularnote des Königs (vom 3. April), der die ihm angebotene Würde zwar vorläufig abgelehnt hatte, sich aber bereit erklärte, auf Antrag der Regierungen und unter Zustimmung der Nationalversammlung provisorisch die Leitung der Centralgewalt zu übernehmen und sich an die Spitze eines aus den sich freiwillig anschließenden Staaten gebildeten – also engeren Bundesstaates – stellen zu wollen, beantwortete (8. April) S. ablehnend, da die Nationalversammlung für Oesterreich nicht mehr existire, Erzherzog Johann auf seinem Posten als Reichsverweser zu verbleiben habe und Oesterreich in einen engeren Bund nicht eintreten werde, wohl aber sich alle Rechte aus den alten Bundesverträgen in vollem Umfange vorbehalte. Und auf diesem Standpunkte des Bundesrechtes von 1815 beharrte S. trotz der momentanen Krise in Ungarn auch dem Projecte des Dreikönigsbündnisses vom 26. Mai gegenüber um so zäher, als im Grunde der König von Preußen die Verträge von 1815 ebenfalls als noch zu Recht bestehend anerkannte, und Sachsen und Hannover jenes Bündniß nur mit halbem Herzen und nur unter Vorbehalt des Beitrittes von Baiern, der nicht zu erlangen war, geschlossen hatten. S. bot alles auf, um die deutschen Staaten von dem Eintritt in das preußische Bündniß zurückzuhalten, welches man als gescheitert betrachten konnte, als unter dem Eindrucke der zu Boden geworfenen deutschen Revolution, um derentwillen allein die Mittelstaaten anscheinend zu Preußen neigten, und der definitiven Bewältigung des Aufstandes in Ungarn und Italien die Höfe von München und Stuttgart den Beitritt zu dem Bündnisse vom 26. Mai in aller Form ablehnten und auch Sachsen und Hannover ihre Vertreter von den Verhandlungen abberiefen. Während sich die Mittelstaaten zu dem Vierkönigsbunde zusammenfanden, protestirte S. [282] gegen die sog. Union der 22 kleineren Staaten mit Preußen und gegen das Erfurter Parlament, und da mittlerweile (30. Sept. 1849) auf Antrieb Rußlands, welches weder die Einigung Deutschlands noch den offenen Bruch zwischen den deutschen Großmächten wünschte, das sog. Interim zu Stande gekommen war, nach welchem Oesterreich und Preußen interimistisch (bis zum 1. Mai 1850) die Befugnisse des zurücktretenden erzherzoglichen Reichsverwesers übernahmen, benützte S. den bevorstehenden Ablauf desselben, um durch eine Circularnote (19. April 1850) alle deutschen Regierungen zu einem Congresse einzuladen, und als Preußen die Annahme dieser Einladung von der Anerkennung jener Union abhängig machen wollte, lud S. die deutschen Regierungen im Namen der Präsidialmacht des deutschen Bundes wirklich ein, zum 10. Mai Bevollmächtigte nach Frankfurt zu senden, um dort zunächst eine neue provisorische Centralgewalt zu bilden und dann zu einer Revision der Bundesverfassung in Gemäßheit der Bundesacte und der Wiener Schlußacte zu schreiten. Ausdrücklich betonte S., daß es nicht auf einfache Herstellung der alten, sondern auf eine Verbesserung der Bundesverfassung abgesehen sei, wie er denn vor allem den Eintritt Österreichs in den Zollverein eifrig betrieb. Aber er bezeichnete zugleich die Theilnahme an den Berathungen für eine Pflicht, der sich die Mitglieder des alten Bundes nicht entziehen könnten, ohne damit ihren Austritt aus demselben zu erklären und sich der Verletzung der angelobten Bundestreue schuldig zu machen. Die steigende Entfremdung der beiden deutschen Großmächte fand ihren Ausdruck einerseits in dem Berliner Fürstentage (8. Mai), auf dem jedoch die Frage der zu Erfurt beschlossenen und revidirten Unionsverfassung nicht zum Abschluße kam, anderseits in dem Bundestage, der sich zu Frankfurt (16. Mai) constituirte, aber nur von Oesterreich, den Mittelstaaten, Kurhessen und Dänemark für Holstein beschickt wurde. Schon begannen beide Theile zu rüsten; aber nochmals legte die Haltung des von beiden Theilen umworbenen russischen Kaisers Zurückhaltung auf. Fast gleichzeitig fanden sich zu Skierniewice bei Warschau der Prinz von Preußen und S. ein. Im Gespräch mit diesem betonte der Prinz die Pflicht Preußens, für eine deutsche Verfassung zu sorgen, vor allem nach der Verwandlung Oesterreichs in einen Einheitsstaat durch die Verfassung vom 4. März. „Ach“, soll der Fürst erwidert haben, „diese Verfassung ist zwar gegeben, aber es kann noch vieles geschehen, sie zu ändern; ihre Ausführung liegt noch in weitem Felde“. Aehnlich sprach er sich über den Münchener Verfassungsentwurf der vier Könige aus. Es lag hierin die Andeutung eines Versuches, sich mit Preußen allein über die deutsche Frage zu verständigen, zumal der Zar wohl der Union hauptsächlich wegen ihrer constitutionellen Grundlage abgeneigt, hingegen der Herstellung des auf den Verträgen von 1815 beruhenden Bundestages günstig gestimmt war, aber auch jetzt die Aufrechterhaltung des Friedens wünschte und den angreifenden Theil, wer es auch wäre, mit Krieg bedrohte. Um sich ihn willfährig zu stimmen, schloß Preußen mit Dänemark Frieden, während S., der um diese Zeit mit Nesselrode und Meyendorff in Ischl zusammentraf, durch die Unterzeichnung des Londoner Protokolles über die dänische Thronfolge Rußland wirklich für sich gewann. Preußen bot er jetzt gegen Verzicht auf die Verfassung vom 26. Mai das Aufgeben des Bundestages und ein neues Interim, in welchem die beiden Großmächte allein die Execution bilden sollten, bis zur Vollendung der definitiven Bundesverfassung an. Preußen lehnte dies ab; S. erklärte, daß unter solchen Umständen die von Preußen verlangten „freien Conferenzen“ über das Definitivum unmöglich seien. Die Verheißung, die Unionsverfassung künftig mit der Bundesverfassung in Einklang zu sehen, könne ihm nicht genügen. Im preußischen Ministerium trat jetzt die Spaltung zwischen Manteuffel und Radowitz ein. Dieser sprach sich für, jener gegen das fernere [283] Festhalten an der Union aus, doch kam es hier vorläufig zu keiner Entscheidung. Dagegen schärfte sich der Gegensatz der beiden deutschen Großmächte immer mehr zu. Der jetzt wirklich tagenden Bundesversammlung (zunächst 11 Staaten) versagte Preußen die Anerkennung. Es folgte die Zusammenkunft des Kaisers von Oesterreich mit den Königen von Baiern und Württemberg in Bregenz (7. October) und die Aufforderung an Preußen inbetreff der unbehinderten Durchführung der bekannten Bundesbeschlüsse in Schleswig-Holstein und Kurhessen. Man stand am Vorabend eines Krieges. Wieder gab die Stellung des russischen Kaisers den Ausschlag. Der Zar in Warschau lehnte jede Vermittelung ab und wies den Grafen von Brandenburg unmittelbar an S., der mit seinem Monarchen sich am 25. October 1850 gleichfalls in Warschau einfand. Zwischen S. und Brandenburg wurde am 28. October eine sog. vorläufige Uebereinkunft über sechs Punkte vereinbart, die kürzlich S. selbst vorgeschlagen, sodann wieder zurückgezogen hatte und die nun Brandenburg neuerdings aufnahm. S. nahm von denselben die Bildung eines Bundesstaates mit 17 Stimmen und mit der Competenz des alten Bundestages ohne Volksvertretung, sowie den Eintritt Gesammtösterreichs in den Bund an. Bezüglich der anderen Punkte: Gleichstellung Preußens mit Oesterreich im Präsidium und dessen ausschließliche Uebertragung an beide stellte das Uebereinkommen bloß die preußischen Begehren und die österreichischen Gegenvorschläge, die einer Ablehnung gleichkamen, gegenüber und fügte die Forderung Oesterreichs, daß Preußen die Union aufhebe und den Bundestag unangefochten lasse, hinzu. Diese Anträge sollten den übrigen Bundesstaaten vorgelegt und diese zu Conferenzen über die Revision der Bundesacte eingeladen werden. Als Ort derselben schlug Preußen Dresden, Oesterreich Wien vor. Oesterreich verlangte schließlich nach Analogie der Minister-Conferenzen von 1819, daß das Resultat derselben durch einen förmlichen Bundesbeschluß zu einem der Bundesacte gleichartigen Grundgesetz des Bundes erhoben werde. Dagegen war von der eigentlich brennenden Frage, der hessischen, in dem Uebereinkommen gar nicht die Rede. In diesem Punkte hatte S. jedes Zugeständniß abgelehnt; er bestand auf der Bundesexecution und hatte dabei Rußland auf seiner Seite. Brandenburg hielt diese Sache nicht für eines Krieges werth und sprach sich in diesem Sinne nach seiner Rückkehr in Berlin aus. Hier waren die Ansichten der Minister getheilt. Die Mehrheit sprach sich für fortgesetzte Verhandlungen mit Oesterreich, die Minderheit für Mobilmachung aus; der König für beides, ließ aber, wie er selbst sagte, gegen seine Ueberzeugung, zunächst die Mehrheit, zu deren Beibehaltung er entschlossen sei, gewähren. Da starb plötzlich Brandenburg, und nun wurde die Mobilmachung beschlossen, während es in Hessen zwischen den baierischen und den preußischen Occupationstruppen bereits zu einem allerdings höchst unbedeutenden Zusammenstoße bei Bronzell kam. Zugleich wurden nun zwischen Berlin und Wien erregte Noten gewechselt. Aber S. durchschaute wohl, daß es der König nie zum Kriege mit Oesterreich werde kommen lassen. Als er das Telegramm über die preußische Mobilmachung erhielt, sagte er zu dem russischen Gesandten, nun habe er nicht den geringsten Zweifel mehr an der Erhaltung des Friedens, da diese Rüstung Preußen die Brücke für einen ehrenvollen Rückzug eröffne. Und so war es auch. Schon erhielt infolge des Vorfalles von Bronzell Prokesch den Auftrag, seine Pässe zu fordern, wenn nicht umgehend der Rückzug der Preußen aus Kurhessen vermeldet werde, als auf Manteuffel’s Anregung eine Depesche nach Wien abging, welche in der holsteinischen und hessischen Frage einem Rückzuge gleichkam und überdies bei den verbündeten Regierungen die Aufhebung der Union zu beantragen versprach, wie letzteres am 15. November auch wirklich geschah. Damit gab sich S. auch zufrieden; er forderte den Bundestag zur Ertheilung der von Preußen begehrten Garantie über [284] Zweck und Dauer der hessischen Execution auf, und stellte den baldigen Beginn der freien Conferenzen für die Bundesreform in Aussicht, drang aber um so mehr darauf, daß Preußen nicht länger durch die Besetzung der Etappenstraßen in Hessen das Executionswerk störe. Er hielt daran um so fester, als eben damals Fürst Gortschakoff in Frankfurt eintraf, um die russische Anerkennung des Bundestages zu überbringen. Aber eben in jener Straßenfrage war der König nicht zur Nachgiebigkeit zu bewegen, obgleich Oesterreich auf das bestimmteste erklärte, daß eine negative Antwort Preußens den Beginn des Krieges sofort zur Folge haben würde, Oesterreich in Böhmen und Baiern höchst ansehnliche Streitkräfte sammelte, der Prinz-Präsident Louis Napoleon an der französischen Grenze ein Operationscorps zusammenzog und auch Rußland eine drohende Haltung zeigte. Endlich erhielt Fürst Taxis den Befehl, unbekümmert um die Preußen gegen Cassel vorzurücken und am 25. November überreichte Prokesch das österreichische Ultimatum. Noch hoffte der König, seinen Standpunkt festhalten zu können und trug zu diesem Zwecke auf eine persönliche Zusammenkunft Manteuffel’s und Schwarzenberg’s an. Man hat S. das Wort „Avilir la Prusse d’abord, et la démolir ensuite“ in den Mund gelegt. Es ist zweifelhaft, ob er dasselbe wirklich gesprochen hat und ebenso mag es dahin gestellt bleiben, ob er, wie Varnhagen erzählt, die Depesche Manteuffel’s, die ihn zur Olmützer Begegnung einlud, mit den Worten: „Meinetwegen mag er nach Olmütz kommen und dort auf mich warten, er kann lange warten, ich bleibe hier“ auf den Tisch geworfen und sie erst, als ihn ein Gesandter, dem er die Sache vertraulich mittheilte, ihn darauf aufmerksam machte, daß die Sache denn doch nicht so ganz gleichgiltig sei, dem Kaiser mitgetheilt habe; sicher dagegen ist, daß er nur ungern, nur weil der Kaiser es wünschte, nach Olmütz ging, wie er denn noch später in Dresden zu Beust sagte: „Sie hätten lieber gewollt, wir hätten gerauft; ich auch.“ – Am Abend des 28. November trafen S., in dessen Begleitung sich Meyendorff befand, und Manteuffel zu Olmütz im Gasthofe „Zur Krone“ ein und begannen ihre Verhandlungen, welche dann am 29. fortgesetzt und zum Abschluß gebracht wurden. Man kam überein, daß die Berathung der Bundesreform in freien Conferenzen erfolgen sollte, was Schwarzenberg’s Wunsche insofern entsprach, als für die von ihm geplanten Reformen dieselben bessere Aussicht boten, als die steifen Geschäftsformen des Bundestages. In Bezug auf letzteren wurde den Gefühlen des Königs insofern Rechnung getragen, als die Austragung der holsteinschen Frage anstatt einem Bundescommissar einer österreichisch-preußischen Commission zufallen sollte. Hingegen bestand S. für Hessen auf dem Vollzug der Bundesexecution; doch sollte nach deren Lösung das Land wieder geräumt werden, eine Umarbeitung der hessischen Verfassung die Quelle des Uebels für immer verstopfen und letzteres eine der Aufgaben der freien Conferenzen und in deren Auftrage einer österreichisch-preußischen Commission sein. Manteuffel bewilligte den Bundestruppen den Durchmarsch durch die preußische Stellung auf der Etappenstraße und gemeinsame Besetzung von Cassel. Er brachte nun auch die sechs Warschauer Punkte als Grundlage der in den freien Conferenzen vorzunehmenden Bundesreform zur Sprache; aber S. hielt auch jetzt an dem damals eingenommenen Standpunkte fest. Endlich einigte man sich dahin, daß die beiderseitigen Abrüstungen – und zwar zuerst von Preußen – noch vor dem Beginn der Conferenzen erfolgen sollten. Am 29. Nov. 1850 wurden die Punctationen von beiden Ministern unterzeichnet; ausdrücklich wird versichert, daß S. dies ungern that und das er sich erst auf ausdrücklichen Befehl seines Monarchen zum Abschluß herbeiließ.

Was man in Berlin damals als schwere Niederlage empfand, wurde in Wien mit lautem Jubel begrüßt. Aus allen Theilen der Monarchie – selbst [285] aus Ungarn – gelangten Dank- und Beglückwünschungsadressen an den Fürsten, den man als den „Schutz- und Friedensengel Oesterreichs“ feierte und den wetteifernd Wien, Prag (wo sich jedoch Palacky dagegen aussprach), Olmütz, Pest und Triest zu ihrem Ehrenbürger ernannten.

Die Conferenzen wurden von S. selbst (23. Dec.) in Dresden eröffnet, worauf er mit Manteuffel zu einem Besuche nach Berlin fuhr, wo er im Schlosse wohnte und ihm der König mit großer Auszeichnung begegnete. Doch kam es hier nicht zu ernsten Verhandlungen; diese fanden vielmehr in Dresden statt, wo S., als er nach Wien zurückkehrte, die Vertretung Oesterreichs Buol-Schauenstein, bisher Gesandten in Petersburg, übertrug. Hier entrollte S. zuerst in voller Deutlichkeit den stolzen Plan jenes europäischen Mittelreiches, das aus dem Eintritte Gesammt-Oesterreichs in den neuen Bund hervorgehen und in welchem Präsidium und Executive wenn auch nicht der Form nach, so doch thatsächlich dem österreichischen Kaiser zufallen sollte. Aber diese Entwürfe stießen sofort auf unversöhnlichen Gegensatz. Gegen die von Oesterreich begünstigten Mittelstaaten spielte Preußen die Kleinstaaten d. i. die früheren Unionsstaaten aus, in welchen die Besorgnisse vor der Mediatisirung den Wunsch nach Wiederherstellung des früher so gehaßten alten Bundestages aufkeimen ließen. Es zeigte sich bald, daß solange nicht die Nebenbuhlerschaft der beiden deutschen Großmächte auf irgend eine Weise gelöst war, es für Deutschland keine Verfassung als den losen Staatenbund von 1815 gab. S. setzte zwar in den Commissionen zu Dresden das Elferdirectorium und den Eintritt Gesammt-Oesterreichs in den Bund durch; aber jenen Beschluß verwarf die Plenarversammlung vom 23. Febr. 1851 und gegen diesen sprachen sich die europäischen Großmächte aus. Preußen wieder wollte in die sofortige Einsetzung der Executive nur gegen das Zugeständniß voller Parität im Präsidium willigen. Wol brauste S. zunächst gegen eine solche Zumuthung auf; seinen ganzen Aerger schüttete er in einem Privatschreiben an Manteuffel (4. März) aus: „Die neueste Wendung“, sagte er, „hat in Paris alle Herzen mit Freuden erfüllt; ich habe sichere Anzeichen, und wundere mich nicht, daß wir mehr als einen Judas in unserer Mitte haben … das Ohr der Gothaer blickt aus jeder Verkleidung hervor.“ Mit Paris hatte es aber seine Richtigkeit; soeben hatte Louis Napoleon dem preußischen Gesandten zur Regelung der deutschen und sonstigen europäischen Fragen einen Congreß der Großmächte vorgeschlagen, während Preußen sich zu einer solidarischen Verbürgung des österreichischen Gesammtgebietes bereit erklärte. Diese Erklärung blieb nicht wirkungslos. S. begrub, wenn auch schweren Herzens, die Hoffnungen, die er an Dresden geknüpft, indem er (15. Mai) in der Schlußrede die Arbeiten der Conferenz als „schätzbares Material“ bezeichnete, wogegen der am folgenden Tage (16. Mai) zu Dresden geschlossene geheime preußische Allianzvertrag Oesterreichs italienischen Besitz auf drei Jahre garantirte. Sonst aber kehrten beide Mächte auf den Boden des alten Bundestages zurück, der noch im Mai seine jetzt allseitig anerkannte Wirksamkeit zunächst im Sinne der Bekämpfung der liberalen und demokratischen Zeitbestrebungen wieder eröffnete. Und auf dem Bundestage standen sich trotz Olmütz alsbald wieder die alten Gegensätze: das österreichische Großdeutschthum, die preußische Unionsidee und die mittelstaatliche Trias gegenüber, nur daß sich dieselben zunächst nicht auf staatsrechtlichem, sondern handelspolitischem Gebiete äußerten. In richtiger Würdigung der Bedeutung des deutschen Zollvereins, dieses großen Erfolges preußischer Staatskunst, suchte S. denselben zu sprengen, oder vielmehr den Eintritt Oesterreichs in denselben zu erzwingen. Soweit die Frage eine wirthschaftliche war, handelte es sich dabei um den alten Gegensatz zwischen Freihandel und Schutzzoll. Das Haupthinderniß suchten S. und Bruck durch die Aufhebung der ungarischen Zolllinie und den neuen Zolltarif [286] vom 6. Nov. 1851, mit dem Oesterreich vom Prohibitiv- zum Schutzzoll überging, zu beseitigen. Der politische Kern der Sache aber lag in dem Streben, das Zollwesen zur Bundessache zu machen und Preußen damit die Leitung des Zollvereins zu entwinden. Hatte es sich zuvor um die Frage gehandelt, ob zuerst der engere Bund geschlossen und erst darnach über die Union zwischen Oesterreich und dem deutschen Bundesstaate verhandelt werden oder ob mit Verzicht auf jenen engeren Bund sofort zur Bildung eines auch Gesammtösterreich umfassenden Staatenbundes zu schreiten sei, so drehte sich auch jetzt wieder alles um die Frage, ob sich der Vertrag mit Oesterreich nach den Bedürfnissen des Zollvereins oder die Gestaltung des Zollvereins nach den Wünschen Oesterreichs richten solle. Es war ein Streit, bei welchem das mehr zu freihändlerischen Principien hinneigende Preußen den Norden Deutschlands für sich hatte, während die Südstaaten mehr zu dem schutzzöllnerischen Oesterreich neigten. Auch hier war es S., der sich an die Spitze des Widerstandes stellte, indem er im Gegensatz zu Preußen, das infolge des Zollvertrages mit Hannover und Oldenburg den alten Zollverein kündigte und die Zollverbündeten zur Berathung eines neuen Zollvereins nach Berlin lud, eine Conferenz nach Wien berief, um über einen Handelsvertrag und über die Vorbereitung einer vollständigen Zolleinigung zwischen Oesterreich und Deutschland schlüssig zu werden und überdies Baiern, Württemberg, Sachsen, die beiden Hessen und Nassau zu dem Abschlusse einer besonderen Zolleinigung zu bewegen suchte. Uebrigens sollte S. den Ausgang dieser Verhandlungen nicht mehr erleben.

Dem Manne, der in Oesterreich die Aera der Revolution geschlossen, konnte eine Persönlichkeit, die das gleiche Verdienst für Frankreich in Anspruch nahm, nur sympathisch sein. In Wien täuschte man sich allerdings kaum über die Möglichkeit, daß der Präsident von Frankreich eines Tages als Kaiser der Franzosen erwachen könnte. „Wir dürfen nicht überrascht sein“, berichtete wenigstens Ritter v. Thom schon am 17. December 1848 nach Olmütz, „wenn in einem nicht sehr fernen Zeitpunkte, vielleicht bei einem zufälligen Anlaß, der Präsident sich plötzlich in den Monarchen, die französische Republik sich in ein französisches Kaiserthum verwandelt.“ Allein S. meinte doch, man habe keinen Grund, „mit dem kleinen Neffen des großen Onkels zu schmollen“, am allerwenigsten aus Rücksicht auf die Oesterreich stets feindseligen Bourbonen. „Die Beziehungen zu Frankreich“, schreibt er an Windischgrätz (5. Jan. 1849), „müssen von dem rein thatsächlichen Gesichtspunkte aufgefaßt und weder dem Legitimitäts- noch dem Juste-milieu-Princip zu Liebe verschoben werden.“ Freilich täuschte er sich, wenn er, allerdings mit dem Beifügen, „ohne hier als Prophet sprechen zu wollen“, der Hoffnung Ausdruck gab, daß Louis Bonaparte nicht auf den Gedanken verfallen werde, die Politik des großen Capitäns, dessen Namen er führe, wieder aufzunehmen. Immerhin wurde aus demselben Grunde von S., wie von den meisten Regierungen Europas auch der Staatsstreich vom 2. Dec. 1851 als eine Frankreich rettende That begrüßt, und wenn sich der Fürst in der deutschen Frage auf den formellen Boden der Verträge von 1815 stellte, so meinte er in der Denkschrift vom 29. Dec. 1851, daß der Allianzvertrag zwischen Oesterreich, England, Preußen und Rußland, der Napoleon und die Napoleoniden für immer vom Throne ausschloß, nicht dem Buchstaben, sondern dem Geiste nach zu handhaben sei.

Wie überall in Europa, senkten sich auch über das durch die vorausgegangenen Stürme müde Donaureich die Schatten der Reaction als natürlicher Rückschlag gegen die Ideen der Volkssouveränität in der Form des staatlichen Absolutismus herab, der zugleich im Gegensatz zu den centrifugalen Tendenzen der Revolution den Staat zu centralisiren versuchte. Es war in der ganzen [287] Lage der Dinge begründet, daß sich dieser Absolutismus vor allem auf die Armee zu stützen suchte und erst im Zusammenhang mit der fortschreitenden Beruhigung der Provinzen allmählich einen mehr bureaukratischen Charakter annahm, wozu sich weiterhin die Absicht gesellte, sich durch mächtige Zugeständnisse an die Kirche auch deren Unterstützung bei dem beginnenden Versuche der Nivellirung des national-politischen Lebens zu versichern. Von einem constitutionellen Leben konnte für die nächste Zukunft keine Rede sein. Die octroyirte Verfassung vom 4. März 1849 wurde am Sylvesterabend des Jahres 1851 sistirt; die Verfassung Ungarns aber galt für verwirkt. Wie weit sich der Einfluß Schwarzenberg’s auf diesen Wandel im Innern erstreckte, zu schildern, ist eine Aufgabe, die erst der Historiker einer späteren Zeit zu lösen im Stande sein wird.

An ein eigentliches Bureauleben nicht gewöhnt, arbeitete S., seit er Ministerpräsident war, von Morgen bis Abend, oft bis tief in die Nacht, und fand keine Zeit, sich Bewegung zu machen und frische Luft zu schöpfen. Dazu die beständige Spannung des Geistes, die Anstrengung seiner Willenskraft gegenüber den offenen und heimlichen Angriffen, denen er fortwährend und nicht nur von Seiten der Feinde Oesterreichs ausgesetzt war. Wissen wir doch, daß die Malcontenten noch immer an Windischgrätz einen Führer zu finden hofften und äußerten doch andererseits selbst Männer wie Heß, Welden, Clam, Schönhals über Schwarzenberg’s Politik gelegentlich heftigen Tadel. All dies untergrub seine Gesundheit, ohne jedoch seinen Gleichmuth zu stören, ohne ihm eine Klage, ein Wort des Unmuthes zu entreißen. Daß er selbst mit dem Todesgedanken sich vertraut gemacht, beweist sein bereits 1847 bald nach der in Venedig überstandenen Krankheit in Neapel gemachtes Testament. Im Winter des Jahres 1851–52 traten wiederholt nervöse Zustände, Abspannung, ja Ohnmachten ein; zugleich verrieth das tiefere Nervenleiden die abnehmende Sehkraft. Um diese Zeit war denn auch von einer Urlaubsreise und einem längeren Aufenthalte in Neapel die Rede; doch kam der Fürst davon wieder ab und nur ein kleiner Ausflug nach Pirna mit Vitzthum-Eckstädt war geplant, zu dem es aber nicht mehr kommen sollte. „Am 3. Febr. (1852)“, bemerkt Melanie Metternich in ihrem Tagebuche, „erzählte Rechberg, daß Schwarzenberg auf seinen Urlaub verzichtet und sich entschlossen habe, den Augenarzt Schmalz aus Dresden kommen zu lassen. Gewiß ist, daß Felix sich in einem Zustande befindet, der seine Existenz und jene des Reiches schwer bedroht. Zwei Gefahren schweben meiner Ansicht nach über ihm, entweder in Kindheit zu verfallen, wie Stadion, oder von einem plötzlichen Tode hingerafft zu werden. Seine Umgebung erzählt, daß er nicht mehr allein arbeiten kann. Er kann nicht mehr lesen und oft reichen seine Brillen sammt einer Lupe nicht aus, um eine Depesche zu entziffern. Er läßt sich Alles vorlesen, macht keine Bemerkung mehr und man behauptet sogar, daß er zuweilen nicht mehr hört.“ Doch gingen die Geschäfte ununterbrochen ihren Gang, der Fürst arbeitete nach wie vor, und wenn er öffentlich erschien, im Theater oder bei festlichen Anlässen, wie bei dem zu Ehren der russischen Großfürsten veranstalteten Feste, wußte er seine äußere Haltung zu beherrschen. Nur bei einem der letzten Hofconcerte sah man ihn erbleichend sich erheben, aber schnell wieder gefaßt, lehnte er die Begleitung eines seiner Bekannten ab, um kein Aufsehen zu erregen. So war der verhängnißvolle Tag herangerückt. Wie nur zu häufig, hatte der Fürst auch den größten Theil der Nacht vom 4. auf den 5. April arbeitend hingebracht und sich erst gegen Morgen einige Ruhe gegönnt. Auch der 5. April verging unter den gewöhnlichen Beschäftigungen; für den Abend sagte er sein Erscheinen auf einem Balle zu; er versprach, nicht wegzubleiben, außer er wäre todt. Im Sinne dieser traurigen Alternative hat er auch Wort gehalten. Nur daß für eine geistreiche und liebenswürdige Dame bestimmte Bouquet gelangte noch am [288] Abend in die Hände, denen es zugedacht gewesen. Er selbst eilte um 1 Uhr zum Kaiser, um bei der Antrittsaudienz des schwedischen Gesandten gegenwärtig zu sein. Dann folgten mehrere Besprechungen mit Diplomaten. Später war Ministerrath, welchem der Fürst bis gegen 5 Uhr präsidirte. Hier war es, wo er in seiner Unterhaltung mit dem Handels- und Finanzminister Baumgartner die denkwürdige Aeußerung that: „Hätte ich nur mehr gearbeitet!“ Der Fürst folgte aufmerksam der Debatte. Gegen 5 Uhr bat er den neben ihm sitzenden Minister Bach, ihn zu vertreten, da er sich zum Diner umkleiden müsse, zu dem er mit seiner Schwester Mathilde bei ihrer Schwägerin, der regierenden Fürstin „Lorchen“ S. geladen war. Der Kammerdiener hatte soeben auf wenige Augenblicke das Cabinet verlassen, wo der Fürst am Waschtisch beschäftigt war, als er einen dumpfen Fall vernahm und durch die nur angelehnte Thür blickend, den Fürsten bewußtlos am Boden fand. Es war kein Zweifel, ein Nervenschlag hatte den Fürsten getroffen. Schleunigst herbeigerufene ärztliche Hülfe kam doch zu spät. Der Fürst erwachte nicht mehr zum Bewußtsein, um noch einmal der geliebten Schwester Mathilde ins treue Auge zu blicken und dem herbeigeeilten Minister Bach zum letzten Mal die Freundeshand zu drücken. Um 53/4 Uhr hatte der Fürst seine Seele ausgehaucht. Graf Grünne, der erste Generaladjutant des Kaiseres, fand bereits eine Leiche. Gleich darauf erschien der Monarch selbst, schweigend und sichtlich ergriffen kniete er an dem Bett seines Getreuen nieder und verrichtete ein stilles Gebet. „Die arme Mathilde“, schreibt Melanie Metternich, „verließ den Leichnam des Bruders nicht. Sie war überzeugt, daß er noch zu sich kommen würde und ließ ihn noch 24 Stunden im Bette liegen, indem sie ihn mit allerhand Betttüchern bedeckte, um ihn zu erwärmen, daher eine so rasche Verwesung eintrat, die im Publicum den Glauben verbreitete, er sei vergiftet worden.“ Das Leichenbegängniß fand am 7. April bei St. Michael statt. Ganz Wien nahm an der großartigen Trauerfeier Theil. Auch der Monarch war erschienen. „Er behauptete“, erzählt Vitzthum, „die Fassung bis zu dem Augenblicke, wo der Sarg in der Kirche erschien. Da rollten zwei große, kostbare Thränen langsam über seine Wangen. Es war ein unvergeßlicher Moment.“ Die Leiche wurde sodann in die Familiengruft nach Wiltingau gebracht. Die Inschrift der schwarzen Marmortafel an seiner Ruhestätte rührt von Grillparzer (Sämmtl. Werke II, 232) her, dem S. (1849) persönlich den Leopoldsorden, sowie (1850) in Gemeinschaft mit Heß den im J. 1850 von der österreichischen Armee gewidmeten Ehrenbecher und das Handschreiben Radetzky’s überbracht hatte. Am 27. Mai fand auf Veranlassung eines Verehrers des Fürsten, des Volksschriftstellers J. B. Weiß, ein großartiger Trauergottesdienst in der Pfarrkirche am Hof statt. „Die Trauer“, schreibt Vitzthum-Eckstädt, „ist aufrichtig und bei Allen, die dem Fürsten nahe gestanden, sehr begreiflich. Mochten auch seine Untergebenen hier und da darüber geklagt haben, daß er ihnen eine zu große Arbeitslast aufbürde, daß er in seinem Feuereifer keine Rücksicht kenne, so mußten alle derartigen Klagen verstummen, als man erkannte, daß der Verstorbene am rücksichtslosesten gegen sich selbst gewesen. Mit ihm ist ein seltener Geist von dieser Erde geschieden. Aber Du hast recht, er ist glücklich zu preisen. In drei Jahren die Unsterblichkeit erringen und dann plötzlich schmerzlos abgerufen werden, das ist ein beneidenswerthes Loos.“

Außer dem ehrenden Nachrufe, den ihm der König Leopold von Belgien in einem Briefe an Metternich widmete, sind als ein schönes Denkmal kaiserlichen Dankes die Zeilen zu betrachten, welche der Monarch an den älteren Bruder des Verstorbenen und Chef des Hauses Fürst Johann Adolf richtete, worin er das Hinscheiden des Ministers „als ein für ihn, den Monarchen, persönlich und für den Staat verhängnißvolles Ereigniß“ bezeichnete, während ein Condolenzschreiben [289] des Erzh. Albrecht den Verlust eines Mannes beklagte, „welcher zu einer Zeit das Panier der Ehre für seinen Herrn erhob und es am Schlachtfelde, wie im Cabinete siegreich aufpflanzte, als die Meisten an Oesterreichs Bestand, später an dessen Macht und Ansehen verzweifelten.“ „Fürst S.“, bemerkt Beust, „würde, wenn auch nicht die Ereignisse ihn zu einer hervorragenden Figur gemacht hätten, durch seine Erscheinung imponirt haben, in welcher sich der wahre Grand-seigneur als Gegensatz des Parvenu mit der angeborenen Einfachheit und Zwanglosigleit abspiegelte.“ Er war von hoher Gestalt, schlank und hager, von zartem Gliederbau; den regen Geist, die kühne Willenskraft barg eine scheinbar gebrechliche Hülle. Seine feinen Züge trugen ein ausgesprochen aristokratisches Gepräge und verriethen ein jüngeres Lebensalter, als sein vor der Zeit gebleichtes Haar, die Folge seines lebensgefährlichen Typhus von 1847 vermuthen ließ. Der Ausdruck seines Gesichtes war im Geschäft ernst, ja streng, verwandelte sich aber in der Conversation in gewinnende Liebenswürdigkeit. Soldatisch gerade, ohne steif zu sein, war seine Haltung, sein Gang aber glitt in kleinen Schritten dahin, wie wenn er beständig den glatten Boden des Salons unter seinen Füßen fühlte. Der Fürst war nicht leicht zu bewegen, sich porträtiren zu lassen. Doch mußte er in Berlin (1851) zu einem Gemälde sitzen (vgl. Varnhagen VIII, 8) und in Dresden wußte ein Professor, der ein Historienbild der Conferenz anfertigen wollte, durch List ihn zu dem gleichen zu bestimmen. „Mich braucht er“, scherzte der Fürst, „als Wouvermann’schen Schimmel“, nämlich der weißen Uniform wegen. Sonst aber existirten von ihm bloß zwei Aquarellen von Kriehuber, das eine aus dem J. 1836 im Besitz der Fürstin Mathilde, das andere aus seinen letzten Jahren im Besitze S. Maj. des Kaisers. Auch ließ er sich, um für sein Regiment ein Oelbild anfertigen zu lassen, dahin bringen, einige Augenblicke einem Photographen zu sitzen. Dies Bildchen und eine Zeichnung, die seiner entseelten Hülle abgenommen wurde, mußten als Anhaltspunkte zu jenem Porträt in Stahlstich dienen, das die Berger’sche Biographie ziert. Jenes Oelgemälde scheint identisch mit dem Kandler’s (Wurzbach) und mit dem jetzt im Besitze des Infanterieregiments Graf Abensberg und Traun Nr. 21 zu sein. Als jüngerer Sohn nicht eben sonderlich reich bemittelt, liebte er es doch, Gäste an seiner Tafel zu sehen, denen er sich als liebenswürdiger Hauswirth erwies; aber es fiel ihm ebenso wenig schwer, Entbehrungen zu ertragen. Grundsätzlicher Feind des Ehestandes, ging er hierin soweit, seinen Beamten gleiches zuzumuthen. Streng gegen sich selbst, wenn es galt, für eine Sache die volle Kraft einzusetzen, konnte er nicht minder streng, ja rücksichtslos gegen seine Untergebenen sein. Protectionswesen war ihm so verhaßt, daß ein Fürwort selbst von dem nächsten seiner Angehörigen dem Empfohlenen mehr schadete als nützte. Seine Energie ist gleich seiner Begabung nie in Zweifel gezogen worden. Als Diplomat vom Schlage Bubna’s kämpfte er mit offenem Visir. Jenes ewige Rücksichtnehmen auf andere Mächte, jenes ängstliche Umherblicken, um ja nicht in irgend einer Richtung anzustoßen, das man manchem Diplomaten der alten Schule zum Vorwurf machen konnte, war ihm fremd. Wenn Beust von ihm sagte, daß er ein großer Menschenverächter, aber kein großer Menschenkenner gewesen sei, so darf wenigstens das letztere bei einem Staatsmanne, der solche Erfolge, wie S., aufzuweisen hatte, bezweifelt werden. Ob er freilich alle diese Erfolge auf die Dauer würde behauptet haben, mag dahingestellt bleiben. Insofern mag man ihn immerhin mit einem genialen Spieler vergleichen, der mitten in einer begonnenen Partie unterbrochen wird. Ohne Zweifel hatte S. auch nicht unerhebliche Fehler, von denen die Schroffheit seiner Handlungsweise wol der bedeutendste war, im gegebenen Falle aber doch auch wieder dem Guten förderlich [290] war. „Diese Form“, bemerkt nicht mit Unrecht Metternich, „nahm in den Aufgaben, welche eine Erbschaft von Abgeschmacktheiten ihm zu lösen gab, den Charakter der Kraft an, und dieser Charakter bot einen eigentlichen Nutzen in dem Reiche, wo die Milde gewissermaßen einen Zug der Staatsgewalt bildete.“ „In der Sache verändert“, setzt er hinzu, „das Ableben des Fürsten S. nichts; in der Wahl der Formen kann sie eher gewinnen als verlieren.“ Ueberhaupt fällt es schwer, über eine Persönlichkeit, die wie S. einer kaum entschwundenen Periode angehört, über welche die Acten sozusagen noch nicht geschlossen und die authentischen Quellen noch nicht erschlossen sind, heute bereits ein endgültiges Urtheil zu fällen. Aber im ganzen dürfte der Wahrheit die Schilderung nahe kommen, welche seinerzeit (1862) Ignaz Kuranda im österreichischen Abgeordnetenhause von der Epoche des Fürsten Felix S. mit den Worten entwarf: „Es war ein Moment voll Schwung und Glanz; als diesem energischen, kühnen, waghalsigen Manne und diesem großartigen und glücklichen Spieler gelungen war, Oesterreichs Macht, welche früher in dem Jahre 1848 so darniederlag, wieder zu entfalten und die österreichischen Banner flattern zu lassen von Ancona bis Rendsburg; dieser Mann durfte einen Augenblick mit Stolz sagen: Ich bin der Restaurator der österreichischen Macht. Aber dieser Stolz hat ihn zu weit geführt: er führte ihn in den nämlichen Fehler, den das Metternich’sche System hatte, nämlich in den Fehler, alles in der äußeren Macht zu sehen und nicht in der inneren. Dieser Stolz hat ihn dazu verleitet, die Grundlage, auf welche man hätte bauen können, nämlich die Verfassung, welche Oesterreich am 4. März 1849 hatte, zu beseitigen und die Regierung zu einer Omnipotenz zu erheben, die ausschließlich Oesterreich zu sein glaubte. Diese Vernichtung aller und jeder Volksvertretung in Oesterreich, die Verwandlung desselben in einen starr absoluten Staat brachte uns um alle Früchte der Schwarzenberg’schen Erfolge.“

Berger, Leben des Fürsten Felix zu S. Leipzig 1853. – Helfert, A. Freih. v., Geschichte Oesterreiches vom Ausgange des Wiener Octoberaufstandes. – Springer, Geschichte Oesterreichs, II. – H. v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. I, II. – Der k. k. österreich. Feldmarschall Fürst Windisch-Grätz. Berlin 1886. – Gerson Wolf, Aus der Revolutionszeit in Oesterreich-Ungarn. – Hirtenfeld, Der Militär-Maria-Theresienorden, II. – Wurzbach, Biogr. Lexikon. – Bernh. Ritter v. Meyer, Erlebnisse. Wien und Pest 1875. – Vitzthum v. Eckstädt, Berlin und Wien 1845–52, Stuttgart 1886. – Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, Bd. III ff. – Beust, Graf, Aus drei Vierteljahrhunderten, Bd. I. – Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit, Bd. I, II. – Hübner, Alex. Gf. v., Ein Jahr meines Lebens. Leipz. 1891 (besonders reichhaltig). – Hans Schlitter, Die Regierung der nordamerikan. Republik u. die ungar. Frage im J. 1848 u. 1849. (Oesterr.-ungar. Revue, Bd. VII u. X).