ADB:Isenburg-Büdingen, Ernst Casimir Graf zu
*) und Büdingen, geb. am 12. Mai 1687 als Sohn des Grafen Johann Casimir († 1693), des Stifters der Linie zu Büdingen und Enkel des jüngsten Sohnes von Wolfgang Ernst I. (s. den Art.), des Grafen Johann Ernst (geb. 1619, † 1662), war zur militärischen Laufbahn bestimmt und hatte nach mehrjährigen Reisen und einjährigem Studium zu Halle die Militärakademie in Berlin besucht. Im Begriff als Rittmeister bei dem oberrheinischen Kreiscontingent ins Feld zu rücken, wurde er durch den Tod seines älteren Bruders Johann Ernst († 1708) zurückgerufen und widmete sich seitdem mit großer Gewissenhaftigkeit der Regierung seines Ländchens, welches sich noch immer nicht völlig von den Verlusten und Verwüstungen des 30jährigen Krieges und der späteren Kriege erholt hatte. Zur Hebung des Wohlstandes beförderte er zunächst den Aufbau von Wohnungen in den Dörfern und in seiner Residenz Büdingen, wo durch ihn eine Vorstadt neu erstand, sodann suchte er mancherlei Zweige der Industrie einzuführen, errichtete ein Eisenwerk und eine Saline. Mit diesem Bestreben ging Hand in Hand die religiöse Richtung am Hofe. Bekannt ist, wie der Pietismus Spener’s an den Grafenhöfen auch der Wetterau und der benachbarten Gebiete Eingang gefunden (Spener war befreundet mit zwei edeln Frauen, der Gräfin Benigna zu Solms-Laubach, geb. Gräfin Promnitz, und der Gräfin Christina zu Stolberg-Gedern, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow, deren gleichnamige Tochter sich 1708 mit Graf Ernst Casimir vermählte). Diese Hinneigung zu den Anschauungen des Pietismus rief eine mildere Stimmung selbst gegen die außerkirchlichen oder gar widerkirchlichen separatistischen Richtungen hervor, wie sie damals in buntem Gemenge naturalistischer und schwärmerischer Elemente sich namentlich im westlichen Deutschland vom Norden bis zum Süden ausbreiteten. Graf Ernst Casimir z. B. bewilligte 1712 allen, die sich zu Büdingen neu anbauen wollten, außer anderen Privilegien eine vollkommene Gewissensfreiheit, daß Niemand sich etwas besorgen solle, der sich zu einer anderen Religion bekennte oder entweder aus Gewissensscrupel oder aus Ueberzeugung sich zu gar keiner äußerlichen Religion halte, dabei aber äußerlich ehrbar, sittsam und christlich lebe. Die Duldung, die man jenen gewährte, welche hier und da (z. B. im Berleburgischen) bis zu einer Förderung ihrer Bestrebungen ging, machte vor allem die Grafschaften Berleburg, Hanau und Isenburg zu einem wahren Tummelplatz der Separatisten und Inspirirten, der Goldmacher und Theosophen aller Art. In Büdingen war Dr. Joh. Samuel Carl, gräfl. Hofmedicus, eine Zeit lang Mittelpunkt für diese Kreise; wenn er auch persönlich sich von dem edlen Pietismus des ihm befreundeten A. H. Francke niemals [621] völlig lossagte, so glaubte er doch in jenen, von der Kirche sich losreißenden oder gar ausgestoßenen Männern soviel christliches Salz zu entdecken, dessen man zu einer wahrhaften Erneuerung der abgefallenen Welt nicht entrathen dürfe, welches vielmehr auf die rechte Weise geleitet eine bessere Zeit, eine neue Morgenröthe der Wahrheit, herbeiführen könne. Freilich mußte er bald genug erkennen, wie gerade die einflußreichsten unter ihnen (z. B. der Sattler J. Fr. Rock zu Himbach), weit entfernt davon sich leiten zu lassen, eine unbedingte Unterwerfung unter ihre zum Theil bis zur Verrücktheit gesteigerte Schwärmerei verlangten. Indes übte er immer noch einen weitgehenden Einfluß durch die Herausgabe der „Geistlichen Fama“ (erschien in 20 Bänden), einer volksthümlichen politisch-religiösen Zeitung von weitester Verbreitung innerhalb der christlich angeregten Kreise. Dieses geistige Gähren und Treiben in der Wetterau mußte auch die Aufmerksamkeit Zinzendorf’s auf sich ziehen, und als er 1736 aus Sachsen verwiesen wurde, schlug er einige Monate seine Wohnung auf der Ronneburg auf in Mitten von Inspirirten und allerlei Gesindel, welchem Graf Wilhelm von Ysenburg-Wächtersbach die leeren Räume des ihm als Apanage zugefallenen Schlosses vermiethet hatte. Noch in demselben Jahre pachtete er von dem Grafen Karl Friedrich zu Ysenburg-Meerholz das Schloß Marienborn (es war erbaut von Karl August, Grafen zu Ysenburg-Marienborn, dem jüngsten Sohne des Grafen Johann Ernst, und nach dessen kinderlosem Tode 1725 an die Linie zu Meerholz gefallen). Hier wurde vom 6.–9. December 1736 die erste größere Synode der Brüdergemeinde abgehalten, welcher in den nächsten Jahren noch mehrere folgten, so daß damals Marienborn als der Mittelpunkt der Gemeinde anzusehen war. Der Zudrang solcher, welche die Aufnahme begehrten, wurde bald so groß, daß die Niederlassung nicht ausreichte: es kaufte deshalb 1737 die Gemeinde von dem Grafen Ernst Casimir Land auf dem Haag bei Büdingen und errichtete dort eine größere Anzahl von Gebäuden (Kirche, Schulhaus, Bruder- und Schwesterhäuser, Pädagogium, Seminarium, auch ein Wohnhaus für Zinzendorf etc.). Die Colonie blühte bald empor, sie zählte bis zu 1000 Einwohnern und beförderte auch den äußeren Wohlstand der Umgegend. Die vielfachen Anfechtungen, welche die Brüdergemeinde erfuhr, hatten, solange Ernst Casimir lebte, keinen Erfolg. Als derselbe aber am 15. October 1749 starb und sein Sohn Gustav Friedrich folgte, welcher als dänischer General meist auswärts wohnte, wurde ihr 1750 der Vertrag durch ein Emigrationspatent gekündigt, und die Bewohner verließen bis 1753 in verschiedenen Abtheilungen sämmtlich den Herrnhaag, obgleich die gräfl. Regierung zuletzt selbst den Versuch machte, die noch übrigen zu halten. Ein Theil zog nach Pennsylvanien, ein anderer nach Neuwied, viele wurden in die übrigen Niederlassungen in Sachsen, Schlesien etc. vertheilt. – Ernst Casimir ist der Stammvater der noch blühenden Linie der Grafen und (seit 1840) Fürsten zu Ysenburg und Büdingen in Büdingen. Von den jüngeren Brüdern seines Vaters wurden Ferdinand Maximilian I. († 1703) und Georg Albrecht († 1724) Stifter der Linien zu Wächtersbach (seit 1865 fürstlich) und zu Meerholz, der jüngste, Karl August († 1725), residirte zu Marienborn, starb aber ohne Erben (s. o.).
Isenburg und Büdingen: Ernst Casimir I., Graf zu Ysenburg- G. Thudichum, Geschichte des Gymn. in Büdingen (Büdingen 1832), S. 60 f. – Simon, Die Geschichte des reichsständischen Hauses Ysenburg und Büdingen I. II. (Frankf. a/M. 1865). – Rudelbach, Christl. Biographie (Leipzig 1850), S. 466 ff. – Superintendent Dr. Simon im Archiv für Hess. Gesch., IX. S. 31 ff.
[620] *) Die Schreibung des Namens ist früher promiscue mit J und Y, jetzt schreibt die ältere Hauptlinie zu Birstein Isenburg, die von dieser abgezweigte Paragiallinie zu Philippseich, sowie die drei jüngeren Linien zu Büdingen, Wächtersbach und Meerholz schreiben Ysenburg.