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ADB:Jansenius, Cornelius

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Artikel „Jansenius, Cornelius“ von Jacob Cornelis van Slee in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 704–707, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jansenius,_Cornelius&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:05 Uhr UTC)
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Jansenius: Cornelius J., dem die Jansenisten ihren Namen verdanken, war der Sohn katholischer Eltern, geb. am 28. October 1585 im Dorfe Acquoy bei Leerdam, † am 6. Mai 1638. Der Vater Jan Ottes, ein Zimmermann, und die Mutter Lyntje Gijsberts, fromme und kluge Leute, beschlossen, dem wißbegierigen Knaben eine wissenschaftliche Erziehung zu geben und ihn dem geistlichen Stande zu bestimmen. Seinen ersten Unterricht erhielt er von dem Geistlichen zu Leerdam, bezog darauf die Hieronymusschule zu Utrecht und 1602 die Löwener Universität. Dort kam er zunächst unter die Leitung der Jesuiten, entzog sich ihnen aber bald und fand Aufnahme in das von Papst Hadrian VI. errichtete Collegium, wo er unter Jacobus Jansonius, einem gelehrten Gegner der Jesuiten und großem Verehrer des Augustinus [705] Philosophie und Theologie studirte. Nach zwei Jahren erwarb er sich cum laude den philosophischen Doctortitel. Seine angegriffene Gesundheit nöthigte ihn aber ein mildes Klima aufzusuchen. Durch Vermittlung seines damals zu Paris weilenden Freundes Jean du Vergier de Hauranne erhielt er eine Lehrerstelle bei einer angesehenen Pariser Familie. Bald fand seine Gelehrsamkeit, insbesondere auf dem Gebiet des Griechischen, selbst in der Sorbonne Anerkennung, so daß er eingeladen wurde, Theologie zu dociren. Er lehnte dieses jedoch ab, um seinem Freunde du Vergier nach Bayonne zu folgen, wo sich nun beide eifrig mit patristischen Studien, namentlich mit den Schriften des Augustinus beschäftigten. Nach 6 Jahren, als du Vergier zum Abt von St. Cyran ernannt war, kehrte J. nach Löwen zurück. Eine ihm hier angebotene Professur der Philosophie lehnte er ab, übernahm aber die Leitung des Pulcheria-Collegiums. Gegen die vom aristotelischen Einfluß beherrschte Philosophie, welche ihm für ein wahrhaft frommes Leben unnütz erschien, legte er schon damals eine gewisse Abneigung an den Tag. Um so eifriger den theologischen Studien zugewandt, erwarb er sich 1619 den Doctorgrad und bald darauf eine theologische Professur. Seine Erklärung der alttestamentlichen Bücher zeichnete sich durch Scharfsinn aus. Vor Allem aber beschäftigte ihn auch jetzt das Studium des Augustinus, bei dem er die unzweifelhaft wahre und echte katholische Lehre wieder zu finden glaubte. „Wie ein Schüler“ las er dessen Schriften wohl 10 mal, die Schriften gegen den Pelagianismus wol 30 mal durch und je mehr er sich darin vertiefte, je höher stieg sein Abscheu vor den semipelagianischen Lehrsätzen der Jesuiten. Daher ward er von der mit ihm hierin ganz einverstandenen Löwener Universität nach Madrid abgeordnet, um beim Könige durchzusetzen, daß den Jesuiten der Unterricht in der Philosophie an der Löwener Universität entzogen werde. Er erreichte sein Ziel vollständig und erwarb persönlich dabei die Gunst des Königs, der ihn 1630 zum königlichen Professor der heiligen Schrift ernannte. Hatte er schon früher, wenn auch erfolglos versucht, den neuerdings von Berulle gestifteten Orden des Oratoriums zur Bekämpfung der Jesuiten in die Niederlande zu verpflanzen, so unterstützte er jetzt aufs Kräftigste den Erzbischof Philipp Rovenius von Utrecht gegen die vielfachen und heftigen Angriffe der Jesuiten. Nicht minder aber trat er den Reformirten entgegen, welche nach der Einnahme von Herzogenbusch sich um die Ausbreitung der Reformation bemühten. Als die dortigen reformirten Prediger die Katholiken am 16. Mai 1630 zu einem Religionsgespräch herausforderten, erklärten sich J. und Wilhelm v. Engelen zur Aufnahme des Kampfes bereit, der aber gleichwol unterblieb, weil die von ihnen gestellten Bedingungen den Reformirten unannehmbar erschienen. Mit scharfer Feder schrieb J. jetzt sein „Alexipharmacum civibus Sylvaeducensibus propinatum adversus ministrorum suorum fascinum“, Löwen 1630. Der reformirte Theologe Gisbert Voetius antwortete in: Philtrum Romanum correctum, Dordrecht 1630 und darauf wieder J. in: „Notarum spongia“, Löwen 1631. Die weitere Widerlegung des Voetius, der nun seine Desperata causa papatus herausgab, überließ J. seinem Freunde Libertus Fromondus (Bd. VIII S. 145), während er selbst an seinem Mars Gallicus, Löwen 1635 arbeitete, einer heftigen Polemik gegen die französische Politik und die Unterstützung der deutschen und niederländischen Protestanten durch Frankreich. Daß die Niederländer sich dem spanischen Joche entzogen haben, gilt dem Verfasser unbedingt als Rebellion. Der Beifall des Königs von Spanien gab 1636 in der Verleihung des Bischofsstuhls von Ypern an J. sich kund. Aber schon zwei Jahre nachher erlag J. am 6. Mai 1638 einem Anfall der Pest.

Sein arbeitsvolles Leben sollte aber erst nach seinem Tode seine volle Bedeutung erlangen und wie Wenigen ist es ihm beschieden gewesen, daß seine [706] Stimme, Leben und Kampf weckend, über das Grab hinaus gehört wurde. Noch bei Lebzeiten hatte er außer den genannten Schriften einige theologische und andere Arbeiten herausgegeben: „De interioris hominis reformatione“; „Tetrateuchus sive commentarius in quatuor Evangelia“; „Pentateuchus sive commentarius in V libros Moysis“; „De vi obligandi conscientias quam habent edicta regia super re monetaria“ und „De juramento“. Die Resultate aber seiner 20jährigen Forschungen über den Augustinischen Lehrbegriff fanden sich bei seinem Tode druckfertig vor. Auf dem Todbette betraute J. seinen Kaplan Reginald Lamaeus mit der Herausgabe, indem er ihm zur Pflicht machte sich darüber mit Libertus Fromondus und Heinrich Calenus zu berathen. Daß J. die Bemerkung hinzufügte, falls der päpstliche Stuhl an der Schrift etwas auszusetzen finde, so unterwerfe er sich dem, möchte zu der Behauptung, J. habe in seinem Testamente den „Augustinus“ widerrufen, den Anlaß gegeben haben. Diese Behauptung ist lange aufrecht erhalten worden und ließ sich nicht widerlegen, weil das Testament verloren gegangen ist. Kürzlich aber ward eine Abschrift desselben entdeckt, welche Seb. Tychonius am Tage nach Jansenius’ Tode angefertigt hat und deren Uebereinstimmung mit dem Original von dem Canonicus Franciscus Persijn beglaubigt ist. Sie enthält von einem solchen Widerrufe kein Wort.

Die hochbedeutende Arbeit erschien also 1640 zu Löwen unter dem Titel: „Augustinus sive doctrina S. Augustini de sanitudine, morbo et reconvalescentia naturae humanae, contra Pelagianos et Massilianos“. Sie tritt, meistentheils mit den eigenen Worten des Augustinus, den Pelagianischen Anschauungen bezüglich des Dogma’s von der Gnade, welche in der katholischen Kirche allmählich Verbreitung gefunden und besonders von den Jesuiten verfochten wurden, entgegen und versucht die Augustinische Lehre von der Wirksamkeit der göttlichen Gnade als die wahrhaft katholische zu erweisen. Der erste Theil gibt daher eine geschichtliche Darstellung der Pelagianischen Händel; der zweite handelt von den Fähigkeiten der menschlichen Natur in ihrem ursprünglichen, im gefallenen und im erneuerten Stande, worauf zum Schluß die Gnade Christi erörtert wird. Obwol mehrfach parteiisch und von Irrthümern nicht frei, nimmt doch dieses Werk durch seinen tiefen Ernst und die sittliche Strenge seiner Anschauungen einen hohen Rang ein. Es enthält nicht nur eine scharfsinnige Erläuterung des Augustinischen Systems, sondern geht auch theilweise in seinen Consequenzen über dasselbe hinaus. Das Buch machte rasch ein ganz außerordentliches Aufsehen. Nachdrücke, die zu Paris und Rouen erschienen, trugen dazu bei, es schnell über die ganze katholische Welt zu verbreiten.

Die Jesuiten in Löwen verschafften sich während des Druckes des „Augustinus“ die Aushängebogen und erwirkten von dem päpstlichen Internuncius ein Verbot der Veröffentlichung desselben. Da das Werk gleichwol erschien, griffen sie es in Disputationen und Broschüren heftig an und denuncirten es in Rom. Es wurde durch ein Dekret der Inquisition vom 1. August 1640, dann durch eine Bulle Papst Urbans VIII. vom 6. März 1642 verboten. Alle Bemühungen der Freunde des J., die Zurücknahme des Verbotes zu erwirken, blieben erfolglos. Seine Gegner erreichten, daß der folgende Papst Innocenz X. durch eine vom 31. Mai 1653 datirte Bulle fünf angeblich aus dem „Augustinus“ des J. entnommene Sätze als „ketzerisch“ verdammte: „1. Einige Gebote Gottes zu erfüllen ist auch den Gerechten, die es wollen und versuchen mit den Kräften, die sie haben, nicht möglich; es mangelt ihnen auch die Gnade, wodurch es ihnen möglich würde. 2. Der inneren Gnade wird im Zustande der gefallenen Natur niemals widerstanden. 3. Zum sittlichen Handeln ist im Zustande der gefallenen Natur nicht Freiheit von der Nothwendigkeit (necessitas), sondern nur vom Zwange (coactio) erforderlich. 4. Die [707] Semipelagianer geben die Nothwendigkeit der zuvorkommenden inneren Gnade zu den einzelnen Acten zu, auch zum Anfange des Glaubens; ketzerisch waren sie, sofern sie behaupteten, diese Gnade sei eine solche, welcher der menschliche Wille widerstehen oder gehorchen könne. 5. Es ist semipelagianisch zu behaupten, Christus habe für alle Menschen ohne Ausnahme den Tod erlitten oder sein Blut vergossen (für ketzerisch erklärt in dem Sinne, daß Christus nur für das Heil der Vorherbestimmten gestorben sei)“. Umsonst behaupteten die Anhänger des J., diese Sätze fänden sich nicht oder doch nicht in dem incriminirten Sinne im „Augustinus“. Die wiederholten päpstlichen Verdammungsurtheile konnten gleichwol über die durch J. angeregte Bewegung nicht völlig Herr werden. Den weiteren Verlauf derselben darzustellen gehört nicht zur Aufgabe dieses Artikels.

Vgl. P. Hofstede de Groot in: de Geschied. d. chr. Kerk, D. IV.; Bennink Jansonius, Geschied. d. oud Roomsch cath. Kerk in Nederl. und die von v. d. Aa, Biogr. Woordenb. und Glasius, Godgel. Nederland angeführten Quellen.