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ADB:Künkelin, Anna Barbara

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Artikel „Künkelin, Anna Barbara“ von August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 382–384, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%BCnkelin,_Anna_Barbara&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 17:46 Uhr UTC)
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Künkelin: Anna Barbara K., schwäbische Patriotin, geb. im März 1651 in Leutkirch, † den 20. Novbr. 1741 zu Schorndorf, war die Tochter des Apothekers Jac. Heinr. Agricola zu Leutkirch. Wir wissen nicht, durch welchen Schicksalsgang sie aus der oberschwäbischen Reichsstadt in das württembergische Unterland kam. Es ist nur bekannt, daß sie als eine „ehr- und tugendsame Jungfrau“ im September 1679 einem Wittwer, dem Metzgermeister und Lammwirth Joh. Heinrich Walch zu Schorndorf, damaligem Bürgermeister dieser Stadt, die Hand reichte. Als dieser, 62 Jahre alt, im Juni 1689 starb, wurde der Handelsmann Joh. Georg Künkelin, schon bisher Mitglied des Stadtrathes, zum Bürgermeister gewählt. Im Decbr. 1689 folgte Frau Anna Barbara auch ihm zum Traualtare und lebte mit ihm in glücklichster Ehe bis zu seinem Tode im J. 1728. In den letzten 20 Lebensjahren erblindet, aber sonst von rüstiger Gesundheit und geistiger Frische erreichte die allgemein verehrte Frau das hohe Alter von 90 Jahren. Die erste Ehe blieb kinderlos; in der zweiten hatte sie nur ein einziges Söhnchen geboren, welches aber in demselben Jahre (1691) wieder starb. Ihre Anhänglichkeit an Schorndorf bethätigte sie durch die Schenkung einer schönen silbernen Altarkanne in die Stadtkirche, mit ihrem Namen, der Jahreszahl 1740 und der Aufschrift: In bracchiis tuis moriar et requiescam in pace (In deinen Armen will ich sterben und in Frieden ruhen) und außerdem durch die Stiftung eines Stipendiums für Theologie studirende schorndorfer Söhne. Nur einmal trat diese Frau aus dem stillen Gleise ihres häuslichen Lebens, aber mit einer That, welche im Kleinen [383] groß genug war, um sie zur schwäbischen – wir dürfen jetzt wohl sagen, zur deutschen Volksheldin zu machen. Es war noch unter dem Stadt- und Ehe-Regimente ihres ersten Mannes, J. H. Walch, als im Herbst 1688 die räuberischen Heere Ludwigs XIV. Süddeutschland durchzogen und mehr durch die Greuel ihrer Kriegsführung als durch wirkliche Uebermacht allen Widerstand lähmten. Im Herzogthum Württemberg hatte der Obergeneral Montclar durch seine Drohungen die Herzogin-Wittwe, Magdalene Sibylle, und die Regimentsräthe zur Uebergabe der Festungen Hohenasperg und Tübingen gebracht, während der Herzog-Administrator, welcher das Land für den minderjährigen Prinzen Eberhard Ludwig verwaltete, mit seinem Mündel geflüchtet war, um in München und am Reichstag die Beschleunigung der Reichshülfe zu betreiben. In Eßlingen hatte der gefürchtete Brigadier Mélac (s. über diesen Mann, nach welchem noch heute in Schwaben große Hunde getauft werden, Gobineau, Histoire d’ Ottar Jarl, pirate norvégien, conquerant du pays de Bray, en Normandie et de sa descendance, Paris 1879) sein Hauptquartier genommen und brandschatzte von dort aus die Gegend weit umher. Auch in die Stadt Schorndorf im Remsthale, welche damals gut befestigt und wegen Beherrschung der Straße durch das Remsthal auf Ulm und Nördlingen wichtig war, hatte er seine Brandordres schon geschickt. Als er jedoch am 7. Decbr. 1688 mit 40 Reitern vor der Stadt erschien, neben welchen er noch 300 andere bei dem benachbarten Kloster Adelberg zum Einzug bereit halten ließ, schloß ihm der tapfere Commandant, Obrist Peter Krummhaar, die Thore. Aber durch die schon bei der Uebergabe von Hohenasperg mit Nutzen verwendete Drohung, die Landeshauptstadt Stuttgart dafür büßen zu lassen, brachten die Franzosen die Regimentsräthe so weit, daß sie den Hofjunker von Hoff und den Kriegs– und Kirchenrath Tobias Heller als Kommissäre mit einem geheimen Uebergabsvertrag in der Tasche nach Schorndorf schickten. Diese erschienen dort am 14. Decbr., verhandelten zuerst mit dem Commandanten, der sich aber ihren Zumuthungen entschieden widersetzte, sich auf einen Widerstandsbefehl des Herzog-Administrators berief und endlich die Herren zornig auf dem Walle stehen ließ. Erfolgreicher waren ihre Bemühungen bei dem auf dem Rathhause versammelten Magistrate. Aber die Frau Bürgermeisterin, damals 37 Jahre alt und aus zeitgenössischen Quellen geschildert als eine „kleine, unansehnliche, aber äußerst thätige, muthvolle, gescheide und dabey reiche und angesehene Frau“ erfuhr davon. Die Geneigtheit zum Nachgeben erregte um so mehr ihren Zorn, als man eine aus dem Baierischen anziehende Reichsarmee auf wenige Tagereisen nahe gekommen wußte. Da die Männer, soweit sie nicht unter dem Commandanten standen, sich wol vor offenem Widerstande gegen die Stuttgarter Regierungskommissäre scheuen mochten, wandte sich Frau Walch an ihr eigenes Geschlecht. Mit einer gleichgesinnten Freundin, der Frau des Hirschwirthes und Gerichtsältesteten Kazenstein, die Sache berathend, berief sie durch einen schlauen alten Weingärtner, Friedrich Kurz, heimlich die ganze Schorndorfer Weiberschaft zu einer bewaffneten Versammlung vor ihr Haus, theilte die zahlreich mit Heu- und Ofengabeln, Hackmessern, Prügeln, Sicheln, Bratspießen, alten Hellebarden, Besenstielen, Kunkeln u. dergl. Erschienenen in Compagnien, ließ Ober– und Unteroffizierinnen wählen und dann vors Rathhaus marschiren. Sie ging hinauf und belauschte – wenn auch dieser Zug in den bedenklich genau ausgemalten Berichten richtig ist – die Berathung der Commissäre mit dem Magistrat in einem großen Kachelofen. Als sie hörte, daß von Uebergabe die Rede sei, ließ sie ihren Mann herauskommen und drohte, als Bitten nichts halfen, ihn eigenhändig todtzuschlagen. Dasselbe ließ sie den übrigen Rathsherren von ihren Weibern sagen. Die Sitzung mußte aufgehoben werden. Beim Herausgehen wurden die Rathsherren über ihre Gesinnung scharf [384] verhört und mußten eidlich geloben, gegen die Uebergabe zu stimmen. Die Commissäre hatten, in die Rathsstube eingeschlossen, viel Hohn, Hunger und Todesangst auszustehen. Der Commandant brachte den Herrn Rath heimlich aus der Stadt, mußte aber „denen geharnischten Weibrichen“ versprechen „keinen Commissarium von der jetztmahligen Regierung dißfahls (besonders aber diesen Gesellen) mehr einzulassen“. Der Hofjunker mußte geloben, auf die Ausführung seines Auftrages zu verzichten und wurde gezwungen, bei den Anstalten zur Gegenwehr selbst mitzuhelfen. Zwei Tage und drei Nächte hielten die Weiber unter dem Oberbefehle der Frau Bürgermeisterin Marktplatz, Rathhaus und Thore besetzt, bis sie die Ueberzeugung hatten, daß Niemand mehr an Uebergabe denken konnte. Die Franzosen, welche nicht mehr nach Schorndorf kamen, rächten sich allerdings für dessen Trotz durch Besetzung und Mißhandlung der Hauptstadt, mußten aber vor der endlich herbeigekommenen Reichsarmee und der besonders durch die Schorndorfer That hoch aufgeregten Volksstimmung des ganzen Landes am 22. Decbr. (1. Januar) den Abzug antreten. Hierdurch erschien die That der Frau Bürgermeisterin noch in glänzenderem Lichte, ihre Gestalt wuchs mehr und mehr zur Landesbefreierin empor und noch nie haben seitdem die Franzosen den Fuß über den Rhein gesetzt, ohne daß der Name der Frau K. – nur unter diesem kennt man sie in Schwaben – wieder von Mund zu Mund gegangen wäre. Eine solche Gestalt und einen solchen Stoff konnten sich die Dichter nicht entgehen lassen. Den Anfang machte der bekannte französische Diplomat, Graf Karl Friedrich Reinhard, der Sohn eines Schorndorfer Geistlichen, mit einer Ballade im Bürger’schen Stile „Die Weiber von Schorndorf“ im Schwäbischen Musenalmanach aus dem J. 1782. Er muß (im J. 1761 geboren) dieselbe als Tübinger „Stiftler“ gedichtet haben. Die erste dramatische Bearbeitung versuchte der Unterzeichnete mit dem fünfaktigen Lustspiel: Die Bürgermeisterin von Schorndorf (1867 u. 1882); ihm folgte (1870 u. 1882) Adolf Wechßler in Ulm mit: Der geschüchterte Hahn oder die Weiber von Schorndorf, historisches Lustspiel in 4 Aufzügen, Th. Gaßmann in Hamburg (1871) mit: Schwabenstreiche, historisches Lustspiel in 5 Akten und Paul Heyse in München mit: Die Weiber von Schorndorf, hist. Schauspiel in 4 Akten. Als komische Oper, wozu er selbst den Text dichtete, hat (1880) den Stoff behandelt: August Reißmann in Leipzig unter dem Titel: Die Bürgermeisterin von Schorndorf.

Vgl. Der durch das Schorndorffische Und Göppingische Weiber-Volk Geschüchterte Hahn etc. o. O. u. J. (Von Daniel Speer, Präzeptor in Göppingen 1689 anonym herausgegeben); Geschichte des Einfalls der Franzosen in Württemberg im Jahre 1688. o. O. 1794. (Von Jak. Friedr. Abel, vgl. Bd. I. S. 12, 13, gleichfalls anonym). Herm. Kurz, Aus den Tagen der Schmach. Geschichtsbilder aus der Melacszeit, Stuttgart 1871. K. Hocheisen, Die Bürgermeisterin von Schorndorf im Jahrg. 1862 der Freya.