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ADB:Karl der Kühne

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Artikel „Karl der Kühne“ von Karl Theodor Wenzelburger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 285–287, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_der_K%C3%BChne&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 02:29 Uhr UTC)
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Karl der Kühne (Charles le Téméraire, Karel de Stoute), Herzog von Burgund, Sohn Philipps des Guten, folgte seinem Vater 1467 in der Regierung, hatte unter diesem schon eine bedeutende Rolle gespielt, indem er Lüttich, das seinen Bischof verjagt hatte, diesem wieder unterwarf und Dinant, das mit Lüttich verbunden gewesen war, grausam züchtigte. Seine Hauptthätigkeit als Kronprinz war gegen Ludwig XI. von Frankreich gerichtet, den er im Bunde mit dem französischen Lehensadel bekämpfte. Als K. am 28. Juni 1467 seinen Einzug in Gent hielt, brach in Folge seiner Zögerung, die Privilegien der Stadt zu bestätigen, eine gefährliche Empörung aus, die er nur dadurch beschwichtigen konnte, daß er der Stadt die ihr 1453 von Philipp dem Guten genommenen Privilegien wieder zurückgab. Größere Mühe verursachte ihm Lüttich, das abermals seinen Bischof, Karls Schwager, verjagt hatte: bei St. Trond erlitten die Lütticher eine große Niederlage, der Bischof nahm [286] von seiner Stadt wieder Besitz, deren Privilegien übrigens vollständig vernichtet wurden. Bald darauf fand die bekannte Zusammenkunft zwischen K. und Ludwig XI. in Peronne an der Somme statt, die hauptsächlich dadurch bemerkenswerth ist, daß Ludwig sich unversehrt aus der Schlinge, in die er freiwillig gegangen, zurückzog; denn es steht fest, daß K. eine zeitlang fest entschlossen war, „den meineidigsten und falschesten aller Könige“ unschädlich zu machen. Während dieser Zusammenkunft hatte sich Lüttich wieder empört, wodurch Ludwigs Lage nur desto gefährlicher wurde, da K. nicht mit Unrecht vermuthete, daß Ludwig seine Hand dabei im Spiele hatte. Er mußte sich deshalb auch dazu entschließen, dem Herzoge die aufrührerische Stadt unterwerfen und züchtigen zu helfen. Nach tapferem Widerstand wurde denn auch Lüttich am 30. Octbr. 1468 erobert, vollständig ausgemordet und an vier Ecken angezündet. Auch mit Gent wurde nunmehr abgerechnet, dessen Freiheiten vom Herzog fast sämmtlich confiscirt wurden. Kaum war Ludwig wieder in Frankreich, als er den Herzog vor das Parlament in Paris, den obersten Lehensgerichtshof von Flandern laden ließ, wo er sich wegen Majestätsbeleidigung verantworten sollte. Ein Krieg, der übrigens ohne nennenswerthe Resultate blieb, brach aus, wieder bildete sich eine Liga des französischen Lehensadels und Ludwig bemächtigte sich einiger Städte an der Somme. Der Lieblingsgedanke Philipps war es gewesen, Burgund zu einem unabhängigen Königreich zu erheben. Diesen Plan nahm der Sohn wieder auf und es fand zu diesem Zweck zwischen ihm und dem Kaiser Friedrich III. in Trier (Octbr. 1473) eine Zusammenkunft statt, wo K. außer der königlichen Krone noch die Anstellung als Reichsvicar in den Niederlanden, die unmittelbare Herrschaft über die Bisthümer Utrecht, Lüttich, Doornik und Kameryk (Cambray) verlangte, wogegen Maximilian, Friedrichs Sohn, die Hand Maria’s, Karls einziger Erbin erhalten sollte. Der Kaiser, der dem Plane anfangs nicht abgeneigt war, verließ aber plötzlich Trier, wahrscheinlich geärgert durch die kolossale Prachtentfaltung des Herzogs, die einen auffallenden Contrast zu dem ärmlichen Auftreten des Kaisers bildete. Indessen hatten die Vorgänge im Erzstifte Köln dem Herzog Gelegenheit gegeben, sich auch in die Angelegenheiten Deutschlands einzumischen; Ruprecht von Baiern war vom Capitel abgesetzt und Hermann von Hessen zum Erzbischof erwählt worden. Ersterer wandte sich an K. und dieser schritt sofort zur Belagerung von Neuß, das im Besitze des neuen Erzbischofs war. Damit war er aber in offene Feindschaft gegen den Kaiser und die deutschen Reichsfürsten getreten; allein Friedrich ließ die günstigste Zeit verstreichen, erst im Mai 1475 brach er mit seinem Heere von Köln auf. Indessen hatten die mit dem Kaiser verbündeten Schweizer ein burgundisches Heer bei Hericourt geschlagen, Ludwig XI. bestimmte den Herzog von Lothringen zu einem Einfall nach Luxemburg und drang selbst bis Valenciennes vor. K. selbst aber mußte sich nach eilfmonatlicher Belagerung und nach einem Verlust von 16 000 Mann zurückziehen. Die Bundesgenossenschaft Eduards IV. von England. der mit einem Heere in Frankreich landete, half wenig, da der durch die Verluste vor Neuß erschöpfte Herzog die Engländer nicht gehörig unterstützen konnte, die sich denn auch bald zurückzogen. So mußte sich K. zu dem für ihn nicht gerade ungünstigen Frieden von Soleuvre (13. Septbr. 1475) mit Ludwig bequemen. Kaiser Sigismund hatte an Philipp den Guten im Elsaß und im Breisgau einige Grafschaften und Städte vorpfändet, die bis dahin noch nicht ausgelöst worden waren. Karls Söldner und namentlich sein Statthalter, Peter von Hagenbach hausten aber dort so fürchterlich, daß sich die Elsässer erhoben, die burgundischen Besatzungen verjagten und den Statthalter hinrichteten. K., der gerade vor Neuß lag, schnaubte nach Rache, die Ludwig XI. eifrig schürte, während er zugleich eine Coalition der elsässischen Städte zu Stande zu bringen [287] wußte, der sich auch der Herzog von Lothringen und die Schweizer anschlossen. K. war zuerst vom Glück begünstigt, er eroberte ganz Lothringen, aber als er sich gegen die Schweizer wandte, erlitt er hinter einander zwei fürchterliche Niederlagen, bei Granson (2. März 1476) und bei Murten (22. Juni 1476). Jetzt konnte sich René seines Herzogthums Lothringen wieder bemächtigen und er eroberte Nancy (6. Octbr. 1476), das K. zur Hauptstadt seines neuen Reiches hatte machen wollen. Trotz aller Warnungen begann K. alsbald die Belagerung, ein großer Theil seines Heeres starb vor Kälte und Hunger, und als René am 5. Januar 1477 das erschöpfte Burgunderheer, von Schweizern und Elsässern unterstützt, angriff, wurde dasselbe fast vollständig aufgerieben. Der Herzog selbst fiel und erst nach drei Tagen fand man seine Leiche. Im Gegensatz zu seinem Vater war K. äußerst mäßig und zeichnete sich durch außergewöhnliche Sittenstrenge, Zurückgezogenheit und Arbeitsamkeit aus. Diesen Eigenschaften standen aber ungezähmter Ehrgeiz, maßlose Herrschsucht und eine an Sinnlosigkeit grenzende Tollkühnheit und Starrköpfigkeit entgegen, welche auch den Untergang seines Reiches vorbereiteten. Keinem vernünftigen Rathe zugänglich, stürzte er sich in die tollsten Unternehmungen, auch wenn die oberflächlichste Berechnung ihre Widersinnigkeit darlegte. Und doch wurde, namentlich in den nördlichen Niederlanden, die Regierung Karls des Kühnen kaum dreißig Jahre später geradezu als das goldene Zeitalter gefeiert, wo Handel und Ackerbau am meisten blühten, was sich zum großen Theile aus dem Umstande erklären läßt, daß K. seine Kriege fast alle außerhalb des niederländischen Gebietes geführt hat.

De Barante, Histoire de Duc de Bourgogne. J. Foster Kitt, Histoire de Charles le Téméraire. Paul Fredericq, Essay sur le rôle politque et social des Duc de Bourgogne dans le Pays-Bas. Th. Wenzelburger, Geschichte der Niederlande, I. Band, S. 338 ff.