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ADB:Kelle, Karl Gottfried

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Artikel „Kelle, Karl Gottfried“ von Carl Gustav Adolf Siegfried in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 560–562, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kelle,_Karl_Gottfried&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 15:14 Uhr UTC)
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Kelle: Karl Gottfried K., geb. 1770 in Dippoldiswalde, 1802 Diakonus daselbst, 1810 Pfarrer in Kleinwaltersdorf und Kleinschirma bei Freiberg, 1823 Mag. phil. und Pfarrer in Hoch-Weitschen bei Leisnig im Königreich Sachsen, † daselbst am 30. Januar 1843 (Meusel, G. T. Neuer Nekrolog d. Deutschen, Jahrg. 21, Thl. 2, S. 1192). – Von seinen zahlreichen Schriften erbaulicher, apologetischer und praktisch-theologischer Art, von denen man ausführliche Verzeichnisse bei Meusel und im N. Nekrol. finden kann, verdienen hier nur folgende Erwähnung. Erstens die „Vorurtheilsfreie Würdigung der mosaischen Schriften“, das erste Heft 1811 mit dem Separattitel: „Als Prüfung der de Wette’schen Kritik mosaischer Geschichten“. Das zweite Heft 1812 mit dem Separattitel: „Als Prüfung der mythischen und offenbarungsgläubigen Bibelerklärung“, das dritte Heft 1812 mit dem Separattitel: „Als Beweis, daß dem ersten B. Mose eine einzige wohlzusammenhängende aber stark interpolirte Urschrift zum Grunde liege“. Nicht um ihres wissenschaftlichen Werthes willen ist diese Schrift hier hervorzuheben, denn dieser ist für die Gegenwart gleich Null, sondern weil sie einen Beitrag liefert zur Erkenntniß der Bewegung, welche die de Wette’sche Kritik hervorrief. Der Verfasser ist noch ein gutes Stück ab von der apologetischen Art der Hengstenberg, Haevernick u. A., aber er ist auf dem Wege zu derselben. Wie das innere Motiv seiner Antikritik der Conflict ist, in welchen die pastorale Zeugnißfreudigkeit mit der Annahme von Mythen in der Bibel geräth (s. Heft 1 S. 5 ff.) so zeigt er sich auch bei der Handhabung derselben durchweg von dogmatischen Voraussetzungen beherrscht. So ist ihm (Heft 3, Einl. S. 47) die Bibel göttliche Offenbarung, aber, wie er hinzufügt, nur die von ihren Schlacken gereinigte Bibel. Danach gibt es also in der Bibel eine Anzahl von Stellen, die nicht den Charakter der Offenbarung an sich haben, z. B. der Befehl Gottes an die Israeliten, den Aegyptern ihre Gefäße zu stehlen u. dgl. Diese sind als „traditionelle Einschaltungen“ auszuscheiden (a. a. O. S. 48). Es geht also seine Kritik von dogmatischen Prinzipien aus. Nach derselben wäre zu unterscheiden, was echte schriftliche Urkunden, was Tradition und was Ueberarbeitung sei (Heft 2, S. 118, 119). Bei einer solchen Verworrenheit in den Grundprinzipien darf man sich auch nicht wundern, wenn im ersten Hefte jede mythische Erklärung des Alten Testaments verworfen und im dritten eine ganze Reihe von mythischen und sagenhaften Interpolationen innerhalb der Genesis nachgewiesen wird. – Zu der Behandlung der Probleme, die hier vorliegen, fehlt ihm jede tiefere philosophische Durchbildung, wovon sich ein Jeder an dem seltsamen Versuche überzeugen kann, den [561] K. macht (Heft 2, S. 68–119), die Nothwendigkeit einer Offenbarung aus dem Vorhandensein der menschlichen Sprache zu deduciren. – Ebenso wenig hat er eine Ahnung von kritischer Methode, ein flaches Hin- und Herreden über Einzelheiten hält er für Beweisführung. Zur Charakteristik seiner Art aus tausend Beispielen nur ein beliebig herausgegriffenes. Heft 3, S. 8 bespricht er den Einwurf, der dagegen erhoben, daß Kain nach Genes. 4, 17 sollte für seine aus drei Personen bestehende Familie eine Stadt gebaut haben. Da hilft er sich damit, daß עיר (῾îr) vielleicht ursprünglich nur Wohnplatz bedeutet habe, was aber durchaus nicht der Fall ist, und daß Kain aus Furcht wegen seines bösen Gewissens sich eine kleine Festung angelegt habe. Auf diese Art geht es in dem Buche Seiten lang fort. – Sein flaches Denken ist weder im Stande, sich zu einem wirklich historischen Verständniß der Frage, noch zu einer umfassenden Behandlung des Problems, ja selbst nicht einmal zu einer einigermaßen genügenden Würdigung des Standpunktes von de Wette zu erheben. Trotzdem ist seine Haltung im Vergleich zur späteren dogmatisirenden Apologetik eine kritisch freiere; bei zahlreichen biblischen Erzählungen läßt er das Thatsächliche fallen und hält als Kern nur den religiösen Werth des Stückes fest, z. B. bei der Geschichte von der Sprachverwirrung nur den Gedanken, daß die Ausbreitung des Bösen wesentlich dadurch gehindert werde, daß die Menschen verschiedene Sprachen reden (Heft 3, S. 159, 160). – Dem Zwecke der Verbreitung besseren Verständnisses der Bibel unter den Gebildeten sollte das folgende Werk dienen: „Die heiligen Schriften in ihrer Urgestalt deutsch und mit neuen Anmerkungen“, Bd. I salomonische Schriften, Bd. II–IV mosaische Schriften, 1815–19. – Aus dem hier aufgeführten Titel ergibt sich die Irrigkeit der Angabe in Diestel’s Geschichte des Alten Testaments, S. 644, wonach K., den er außerdem fälschlich Keller schreibt, unter denen aufgeführt wird, deren Bibelerklärungsversuche nicht über den Pentateuch hinausgekommen seien. - Da Kelle’s Behandlung des Pentateuch schon bei dem zuerst aufgeführten Werke zur Sprache gekommen ist, wollen wir uns hier zur Charakteristik des in Rede stehenden Buchs auf die Besprechung des ersten Bandes über die salomonischen Schriften beschränken. – Von der naiven Anmaßung, die darin liegt, mit ein wenig Sprach- und Realkenntnissen und einer völlig methodelosen subjectivistischen Kritik „die Urgestalt“ der Bibel zur Darstellung bringen zu wollen, hat der offenbar sehr gutherzige Verfasser keine Ahnung. Er übersetzt Hohel. 1, 1 frischweg: „er will mich küssen, von Küssen spricht sein Mund“ (Bd. I, S. 249); er hält es unter morgenländischen Verhältnissen für möglich, daß Sulamith mit ihrem Geliebten im Vorrathshause des Weines gewesen und von dem Weine schläfrig geworden sei (Bd. I, S. 254). Er hält C. 7, 1–10 des Hohenliedes für eine Interpolation, weil dies Stück – ihm dem sächsischen Landpfarrer unanständig vorkommt (S. 239–241). – Die Anmerkungen enthalten hier und da ein Körnchen wirklicher Erläuterung, meistens aber ein flaches und überflüssiges Gerede. So namentlich bei der Erklärung der Sprüche, wo z. B. weitläufig auseinander gesetzt wird, weshalb es schwer sei, das Herz der Könige zu ergründen (S. 180) oder weshalb ein König nicht blos Gnade, sondern auch Treue zeigen soll (S. 144) – lauter Dinge, die sich jeder selbst sagen kann. – Uebrigens macht er schon auf seine Art aus dem Hohenliede ein Singspiel zurecht und scenisirt den Stoff, der unter fünf Personen und einen Chor vertheilt wird (S. 249). Aehnlich wird „der Prediger Salomo“ in eine Wechselrede zwischen Koheleth und einem ungenannten Weisen zerlegt. – Zum Schluß wird auch das apokryphische Buch der Weisheit behandelt. Wie er hier fälschlich den Unglauben der im Koheleth sich ausspricht, identificirt mit dem Standpunkt, den die Gegner des Pseudo-Salomo einnehmen, zeigt Grimm, Apokryphen, 6. Lieferung 1860, [562] S. 29, 30. – In seinen „Vindiciae Esteris libri sacri ad castigatam historiae interpretandi normam exactae“, 1820, 4°., sucht er die geschichtliche Treue des Buches zu erweisen, die sich in genauer Kenntniß der persischen Sitten zeige, auch offenbarten die darin vorkommenden Namenaufzählungen den urkundlichen Charakter dieser Schrift. In Betreff der Schwäche dieser Beweisgründe vgl. de Wette-Schrader, Lehrb. d. Einl. ins Alte Testament, 1869, § 241, Not. 6. – Eine kirchengeschichtliche Abhandlung Kelle’s war betitelt: „Ophitarum mysteria retecta contagii mystici remedia“, Freiberg 1822.