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ADB:Kerssenbrock, Hermann von

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Artikel „Kerßenbroick, Hermann von“ von Heinrich Detmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 647–650, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kerssenbrock,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 17:45 Uhr UTC)
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Kerßenbroick: Hermann v. K. war um 1520 auf dem Mönchshofe bei Barntrup im Lippe’schen geboren. Seine Schulbildung genoß er zuerst in Paderborn, seit 1533 dann in der Domschule zu Münster, bis seine Eltern in Folge der Wirren der Wiedertäufer die Stadt verlassen mußten. Erst nach dem Siege des Bischofs Franz konnte K. in der alten Schule in Münster seine wissenschaftliche Vorbildung beenden. Er wandte sich zu weiteren Studien nach Köln, wurde daselbst am 21. April 1541 Baccalaureus der Philosophie und der Künste und hielt sich dort noch mehrere Jahre auf. Ins Ende dieser Zeit, 1545, fällt [648] die Abfassung der ersten Schrift, welche wir von K. kennen, der „Brevis descriptio belli Monasteriensis contra anabaptistica monstra gesti“, die, in dactylischen Hexametern, zwar Formgewandtheit des jungen Autors bekundet, inhaltlich aber nur von sehr geringer Bedeutung ist. In demselben Jahre 1545 ist er Conrector der 1543 neu begründeten höheren Schule in Dortmund, bekleidete hernach zwei Jahre lang das Rectorat des Gymnasiums zu Hamm und folgte 1550 einem Rufe des Domcapitels in Münster, wo er fortan 25 Jahre als Rector des Paulinischen Gymnasiums thätig war. Die Schule hatte früher besonders in Folge der hingebenden Sorgfalt, welche ihr Rudolf v. Langen widmete, einen ausgezeichneten Ruf genossen, hatte sich nach den argen Schädigungen, die auch für sie das Treiben der Wiedertäufer brachte, unter dem Rectorate des Aelius wieder gehoben und gelangte nun unter der umsichtigen Leitung Kerßenbroick’s zu neuer Blüthe. Es liegt uns ein Actenstück vor, aus dem wir erkennen können, in welchem Geiste damals K. zu wirken suchte. Aus dem Jahre 1551 hat sich nämlich ein Lectionsverzeichniß für die verschiedenen Klassen des Gymnasiums erhalten, das in K. deutlich den Vertreter des Humanismus erkennen läßt. Lateinisch und Griechisch sind die Hauptgegenstände des Unterrichts; Mathematik, Geschichte, Geographie werden mit keinem Worte erwähnt. Großes Gewicht ist auf die Uebung in freien Vorträgen und auf die Anfertigung schriftlicher Ausarbeitungen gelegt. Charakteristisch ist noch, daß ausdrücklich für den Unterricht im Deutschen nur „unverdächtige, katholische Bücher“ geboten werden. Kerßenbroick’s Streben ging dahin, diesen Lectionsplan im Laufe der Jahre mehr und mehr zu verbessern und im Einzelnen zu vervollständigen. Wir wissen, daß später unter seinem Rectorate neben Latein und Griechisch in Münster auch das Studium der hebräischen Sprache eingeführt wurde. Die Stellung des Rectors und die der mit ihm wirkenden Lehrer war äußerlich keine sehr glänzende, nicht einmal eine sichere. Freilich war sie unabhängig vom Stadtrath, denn die Anstellung und Beaufsichtigung der Lehrkräfte geschah von Seiten des Domcapitels, an dessen Spitze in dieser Beziehung der Domscholaster stand. Ein festes Einkommen hatte keiner der Lehrenden; sie waren auf die Theilung des einlaufenden Schulgeldes, auf die Aushülfe des Capitels und auf die sogenannten Minervalien angewiesen, d. h. Schenkungen an Lebensmitteln seitens der Eltern ihrer Schüler. K. selbst hat in seinem bekanntesten Werke bitter genug auf alle diese Uebelstände hingewiesen. Aber nicht diese waren es, die ihm seine Stellung in Münster verleideten und sie schließlich unhaltbar machten. Der Grund dafür lag vielmehr in seiner eigenen schriftstellerischen Thätigkeit, die hier zuerst, und dann wiederholt noch auf das Empfindlichste, ja, mit Gefährdung seiner persönlichen Sicherheit auf ihn zurückgewirkt hat. Seine Mußezeit hatte K. etwa von 1567 an dazu benutzt, die Geschichte der Münsterischen Wiedertäufer zu schreiben. Die Art und Weise, wie er es that, der Parteistandpunkt, dem er dabei Geltung zu verschaffen suchte, haben alle Unannehmlichkeiten verschuldet, denen fortan sein Leben ausgesetzt war. Das Buch beschränkt sich nicht auf die Darstellung des Anabaptismus in Münster, sondern gibt eine Gesammtgeschichte der Stadt von 1524–1554. Es ist fesselnd geschrieben mit reichem Aufwande klassischer Belesenheit, stellenweis nicht ohne poetischen Schwung, wenn auch hin und wieder gar zu prunkend mit gesuchter Entfaltung astronomischer, historischer etc. Gelehrsamkeit. Quellenmaterial stand dem Verfasser in reichstem Maße zur Verfügung. Theils konnte er noch als Augenzeuge berichten, theils das als Kind erlebte durch mündliche oder schriftliche Erzählungen älterer Zeitgenossen ergänzen. Die archivalischen Quellen, auf denen inhaltlich der Hauptwerth des Buches beruht, waren ihm durch die Vermittelung des Bischofs Johann von Hoya zugänglich geworden. Aber die historische Kritik ging K. völlig ab, und, was weit schlimmer [649] ist, seine Darstellung war nicht vom Streben beherrscht, nur die Wahrheit und diese in ihrem vollen Umfange zu sagen. Das Werk war auf Veranlassung und mit reichster Unterstützung der katholischen Restaurationspartei in Münster, also vornehmlich des Capitels und der Geistlichkeit, entstanden. Es ist durch und durch tendenziös gefärbt, athmet blinden Haß gegen Alles, was die evangelische Lehre betrifft, verficht einseitig das Interesse und das Ansehen der Geistlichen gegenüber dem der Laien, und macht, was in seiner Veranlassung aus der Localgeschichte Münsters deutlicher wird, wo damals Capitel und Stadtrath sich feindlich gegenüberstanden, gehässige Opposition gegen den Magistrat und gegen die Erbmänner. Das brachte K. zu Fall. Hier ist nicht der Ort, die ganze, in ihren Einzelheiten sehr verwickelte Angelegenheit des Streites zwischen dem Rector und dem Stadtrath darzulegen. Nur die Hauptmomente seien kurz berührt. K. hatte ein Exemplar seines Werkes nach Köln zum Druck gesandt und ließ sein Manuscript durch mehrere seiner Schüler abschreiben. Der Rath, dem das bekannt geworden war, der auch vom Inhalte Kenntniß erhalten hatte und Vieles nicht billigte, forderte nun vom Verfasser die Ablieferung aller Exemplare und verbot aufs Strengste den Druck der Schrift (Juli 1573). Er setzte seinen Willen theilweise durch. Nach stürmischen, oft unwürdigen Verhandlungen auf dem Rathhause, an denen sich auch die gegen K. erbitterten Erbmänner betheiligten, nachdem K. selbst zwei Tage lang als Gefangener behandelt war, wurde er im Februar 1578 gezwungen, 13 namhaft gemachte Artikel seines Buches, die sich fast ausschließlich auf die Machtbefugniß des Stadtrathes und auf die Stellung der Erbmänner bezogen, als falsch und irrig zu widerrufen. Eidlich mußte er weiter betheuern, daß er keine Abschrift seines Buches mehr besitze (es scheint fast als sei das Eigenthumsrecht an demselben nach der Vollendung an das Capitel übergegangen), daß er keines mehr anfertigen lassen, daß er künftig überhaupt keine Bücher mehr schreiben wolle. Erst dann und als man ihm noch eine Strafe von 200 Thalern auferlegt hatte, entließ ihn der Rath. Kerßenbroick’s Buch ist vollständig und correct niemals gedruckt worden. Die von ihm übersetzten urkundlichen Actenstücke sind jetzt zwar im Original zugänglich, überflüssig und werthlos aber würde eine wenigstens theilweise Herausgabe des Werkes gewiß nicht sein, denn es birgt eine Masse wichtiger und eingehender Notizen, die für die Localgeschichte einen bleibenden Werth haben. – Nachdem seine langjährige Thätigkeit am Gymnasium zu Münster so gewaltsam unterbrochen war, bot ihm das Domcapitel in Paderborn eine neue Heimath, indem es ihn zum Rector der dortigen Salentinischen Schule berief. Nach kurzem Aufenthalt auf dem Lande trat K. im October 1575 sein neues Amt an, das aber nicht von langer Dauer sein sollte. Denn 1578 erschien sein „Catalogus episcoporum Padibornensium“ (ein früher geschriebener Catal. epp. Monast. ist nur im Manuscript erhalten; auch verfaßte K. nach seiner eigenen Andeutung und nach Hamelmann’s Versicherung eine „Descriptio Westphaliae“). Abgesehen von abermals bedenklichen Stellen erregte derselbe schon deshalb den Mißmuth Vieler, weil der Verfasser ihn herausgab trotz des vor drei Jahren geleisteten Eides, sich des Bücherschreibens völlig zu enthalten. K., auf dessen sittlichen Charakter diese Veröffentlichung und die später noch folgenden ein sehr bedenkliches Licht wirft, sah neue Unannehmlichkeiten voraus und wich ihnen aus, indem er noch 1578 Paderborn verließ. Er begab sich nach Werl, wo er gern das ihm angetragene Rectorat der gymnasialartigen Schule übernahm. Wieder zerstörte er sich selbst auch hier den Genuß einer lieb gewordenen Wirksamkeit. Er schrieb eine Apologie, in welcher er mit scharfer Sprache und feindseligem Tone sich gegen die Anschuldigungen und Verfolgungen, die er von Münster zu erdulden hatte, rechtfertigte. Den geleisteten Eid konnte er nicht gut in Abrede stellen; aber er hielt ihn nicht [650] für bindend, weil er ihm abgezwungen sei und alle Zusagen von ihm gegen sein Gewissen geschehen wären. Die Schrift – übrigens auch nur als Manuscript vorhanden – ist an den Adel ganz Westfalens und an jeden unbefangenen Leser gerichtet. Aber damit nicht genug schrieb K. auch noch die Satire „Noctua“, in welcher seine Gereiztheit keine Schranken mehr kennt und die seine Verfolger mit Verachtung, Spott und Hohn überschüttet. Damit trieb er seine Gegner zum Aeußersten. Sie sahen in K. jetzt nur noch einen meineidigen Verbrecher und schritten zur strengsten Bestrafung. Unter dem Rechtsbeistande des Gebhard Truchseß, Erzbischofs von Köln, erschien eine Gesandtschaft des Münsterischen Raths in Werl und leitete gegen K. den Prozeß wegen Meineids und gebrochener Urfehde ein. Der Rector wurde gefangen gesetzt, sein Leben schwebte in höchster Gefahr. Doch ist es seinen Beschützern, wol einigen Bürgern von Werl, wo er sich überhaupt durch seine Lehrthätigkeit beliebt gemacht hatte, gelungen, ihn zu retten, indem sie ihm zur Flucht verhalfen. Noch einmal treffen wir K. dann als Rector an der Domschule zu Osnabrück, wo er am 5. Juli 1585 sein unruhiges Leben beendete. Kerßenbroick’s Lehrthätigkeit ist stets anerkennend beurtheilt worden. Auch dafür war er schriftstellerisch thätig gewesen. Er hat die „Epitome dialectices Caesarii“ und andere Sammlungen zum Schulgebrauch herausgegeben. Gleich nach seinem Tode haben ein Lehrer und mehrere Schüler seinem Andenken die Querela scholae Osnabrugensis in Versen gewidmet.

Hamelmann, Opera genealogico-historica. – Deneke, H. v. Kerßenbroick in d. Zeitschr. für Westfäl. Gesch. und Alterthumskunde, Bd. XV. – Nordhoff in den Mittheilungen des hist. Vereins zu Osnabrück, X. – Döring, Programm v. Dortmund, 1872. – Berlage, Programm v. Osnabrück, 1876. – König, Nachrichten über das Gymnasium zu Münster. – Keller in d. Ztschr. f. Preuß. Gesch., Bd. XV. – Geschichtsquellen des Bisthums Münster, II. u. a. m.