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ADB:Kielmeyer, Karl Friedrich von

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Artikel „Kielmeyer, Karl Friedrich“ von Karl August Klüpfel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 721–723, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kielmeyer,_Karl_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 07:46 Uhr UTC)
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Kielmeyer: Karl Friedrich K., ein seiner Zeit berühmter Naturforscher, wurde den 22. October 1765 zu Bebenhausen bei Tübingen geboren, wo sein Vater herzoglicher Jagdzeugmeister war. Seine wissenschaftliche Ausbildung erhielt er in der Stuttgarter hohen Karlsschule, in welche er schon in seinem achten Jahre aufgenommen wurde. Nachdem er den sogenannten philosophischen Cursus durchlaufen hatte, legte er sich hauptsächlich auf naturwissenschaftliche Studien und wählte die Medicin zu seinem Berufsfach. Bald zeichnete er sich durch hervorragende Kenntnisse unter seinen Studiengenossen aus und übte auf dieselben einen anregenden Einfluß. Unter den Zöglingen der Karlsschule hatte sich damals ein Verein gebildet, welcher gegenseitige Unterstützung in naturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Zweck hatte. Unter dessen Mitgliedern war auch der später so berühmt gewordene Cuvier[WS 1], der, als geborener Mömpelgarder Unterthan des Herzogs von Württemberg, im Mai 1784 in die Karlsschule aufgenommen wurde. Dieser schloß sich an den vier Jahre älteren K. an und kam zu ihm in freundschaftliche Beziehungen, die später durch einen steten Briefwechsel genährt, bis zu seinem Tode fortdauerten. Noch während seiner Studienzeit wurde K. von seinen Vorgesetzten beauftragt, den forstwissenschaftlichen Zöglingen der Anstalt Vorlesungen über Naturgeschichte und insbesondere Botanik zu halten, und er gab seit Anfang des J. 1785 29 Zuhörern, die großentheils älter als er waren, regelmäßige Lectionen in diesen Fächern. Im J. 1786 verließ er die Akademie, nachdem er mit einer Dissertation „Ueber den chemischen Gehalt einiger Mineralquellen“ den medicinischen Doctorgrad erworben hatte. Herzog Karl bot ihm nun ein Stipendium an, um an einem auswärtigen Orte, der sich durch reiche Hülfsmittel und Gelehrte von ausgezeichnetem Ruf empfehlen würde, seine weitere Ausbildung zu fördern. Er wählte Göttingen und fand dort bei Blumenbach, Lichtenberg und Gmelin die freundlichste Aufnahme und erwünschte Förderung seiner Studien. Er sprach es auch später öfters aus, daß er Göttingen ungemein viel zu verdanken habe. Nach zweijährigem Aufenthalt daselbst reiste er über den Harz, Berlin, das Erzgebirge und die sächsischen Universitäten, und benützte unterwegs die wissenschaftlichen Sammlungen und die Gelegenheit, mit hervorragenden Gelehrten Bekanntschaft anzuknüpfen. Nach seiner Rückkehr in die Heimath wurde er als Professor der Zoologie an der Karlsakademie angestellt und 1792 kam auch noch die Professur der Botanik und Chemie hinzu. Unter den Vorlesungen, welche er an der Akademie hielt, war diejenige über vergleichende Anatomie und Physiologie von October 1790 bis September 1793 die bedeutendste. Er war [722] der erste, der den Versuch machte, die gesammte Thierwelt nach der organischen Zusammensetzung und den verschiedenen Functionen der Thiere zu vergleichen. Sein Grundgedanke war der: die verschiedenen Thiere unserer Erde haben alle einen gemeinsamen Bildungstypus, alle ohne Ausnahme sind nur modificirte Abspiegelungen einer und derselben Hauptbildung. Die ganze Thierwelt besteht aus einer Reihe analoger Bildungen, aber mit bemerkbaren, oft sehr auffallenden Abstufungen, welche von der Musterbildung abwärts immer einfacher werden. Diese Reihe ist aber zugleich der Stufenfolge der Entwickelungen parallel, welche jedes einzelne Individuum durchläuft. Durch die Nachweisung und Feststellung dieser Thatsache hatte K. eine Entdeckung gemacht, die neuerdings unter dem Namen des biogenetischen Gesetzes allgemein als richtig anerkannt ist und damit der wissenschaftlichen Entwickelung der Zoologie einen Anstoß gegeben hat, der für die Morphologie der Thiere und für die darauf begründete Descendenz von größter Bedeutung geworden ist. Kielmeyer’s Wirksamkeit an der Karlsschule dauerte nicht lange, denn kurz nach dem Tode ihres Gründers, des Herzogs Karl Eugen, wurde sie von dessen Nachfolger Ludwig Eugen 1794 aufgehoben. K. benützte die ihm dadurch zu Theil gewordene Muße zu Reisen und zoologischen Forschungen an den Ufern der Ost- und Nordsee. Bald jedoch gelangte er wieder zu akademischer Thätigkeit. Die Universität Tübingen berief ihn 1796 zu der eben erledigten Professur der Chemie und übertrug ihm 1801 auch noch die Professur der Botanik, Pharmacie und materia medica. Ueber alle diese Fächer las er, aber auch ferner über die vergleichende Anatomie und Physiologie, die jedoch nicht in seinem Lehrauftrag einbegriffen war. Seine Vorträge übten, obgleich sie nicht durch rasche Lebendigkeit des Redeflusses fesselten, sondern in langsamer, bedächtiger Rede dahinflossen, doch durch streng logische Ordnung, durch überraschende Combinationen und geistreiche Auffassung eine mächtige Anziehungskraft aus. Nicht nur Mediciner, die für ihre naturwissenschaftliche Vorbildung auf K. angewiesen waren, sondern auch Studirende anderer Fakultäten hörten ihn mit Genuß und wurden durch ihn für eingehende Beschäftigung mit der Natur gewonnen. Seine Zuhörer, denen er auch außerhalb des Hörsaals zugänglich war, hingen mit Begeisterung an ihm und sein Einfluß beruhte nicht nur auf seiner wissenschaftlichen Autorität, sondern auch auf seinem Charakter von eigenthümlicher Idealität. So war er denn zwei Jahrzehnte hindurch eine Zierde der Tübinger Universität. ein nicht nur beliebter, sondern auch einflußreicher Lehrer. Aber so bedeutend seine Lehrthätigkeit und Wirksamkeit durch persönliche Mittheilung war, so unbedeutend war seine schriftstellerische Thätigkeit. Er arbeitete zwar seine Vorlesungen sehr sorgfältig aus und feilte an Ausdruck und Anordnung beständig, konnte sich aber doch nicht entschließen, etwas für den Druck zu bearbeiten. Obgleich befreundete Fachgenossen ihm dringend zuredeten, die Ergebnisse seiner Untersuchungen und Combinationen in Druckschriften zu veröffentlichen, obgleich Verleger ihm glänzende Anerbietungen machten, war er doch nicht zu schriftstellerischen Zusagen zu bewegen. Im J. 1794 war einmal in der Jenaer Litteraturzeitung eine Schrift von K. über die Infusionsthiere angekündigt, sie erschien aber nie. Im J. 1814 schien er bereit, einen Entwurf der vergleichenden Zoologie nach den 1790–93 gehaltenen Vorträgen drucken lassen zu wollen und hatte ihn schon druckfertig seinem Collegen Autenrieth als Censor übergeben, aber er konnte sich doch nicht entschließen, das Manuscript der Druckerei zu überliefern. So kam es denn, daß sich seine ganze schriftstellerische Production auf einige wenige Gelegenheitsschriften beschränkt, nämlich seine Inauguraldissertation vom J. 1786, seine noch in Stuttgart 1793 zur Geburtstagsfeier Herzog Karls gehaltene Rede „Ueber die Verhältnisse der organischen Kräfte untereinander“, zwei chemische Analysen, der [723] Schwefelquelle in Stachelberg und des Mineralwassers von Imnau, und die bei der Versammlung der Naturforscher in Stuttgart im J. 1834 gehaltene Rede „Ueber die Richtung der Pflanzenwurzeln nach unten und der Stämme nach oben“. Ein Bericht über Versuche mit animalischer Elektricität wurde ohne sein Wissen und gegen seinen Willen in Gren’s Journal der Physik, 1794, Bd. VIII, abgedruckt. Die Nachschriften seiner Vorlesungen wurden vielfach in Abschriften verbreitet, und es waren in Tübingen beständig Abschreiber damit beschäftigt. Seine Vorlesungshefte und seine sonstigen hinterlassenen Manuscripte wurden von seiner Wittwe der königlichen öffentlichen Bibliothek in Stuttgart übergeben. Die akademische Wirksamkeit Kielmeyer’s endigte im J. 1816 durch seine Versetzung nach Stuttgart, wohin er als Vorstand der dort befindlichen Sammlungen und Anstalten für Wissenschaft und Kunst mit dem Titel Staatsrath berufen wurde. Der Plan der Gründung einer Akademie und der Wunsch der Königin Katharina[WS 2], einen so geistreichen Vertreter der Wissenschaft in Stuttgart zu haben, soll zu dieser Berufung, die in Tübingen als ein großer Verlust beklagt wurde, Veranlassung gegeben haben. Auch hoffte man, dem berühmten Gelehrten auf diese Weise Muße zur Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Arbeiten zu verschaffen. Er kam jedoch neben seinen formellen Amtsgeschäften nicht mehr zu zusammenhängender Arbeit und führte ein häusliches Stillleben, aus dem er nur selten heraustrat. Nur einmal erschien er in der Oeffentlichkeit, bei Gelegenheit der Naturforscherversammlung, die im September 1834 in Stuttgart stattfand, wobei er als erster Geschäftsführer präsidirte. Im Frühjahr 1843 erschütterte ein Schlaganfall seine bis dahin rüstige Gesundheit und hatte eine Abnahme seiner geistigen und körperlichen Kräfte zur Folge. Am 24. September 1844 starb er. Während er bei seinen Lebzeiten von Fachgenossen und Schülern als berühmter Mann verehrt wurde, weiß die Nachwelt wenig von ihm, und sein Name wird in der Geschichte der Wissenschaft nur selten genannt, weil er nicht in der Litteratur vertreten ist. Durch seine Schüler und Freunde ist aber Vieles von seinen Ideen und Anregungen in die wissenschaftliche Entwickelung übergegangen. Gewiß ist, daß er auf Cuvier einen bedeutenden, geradezu maßgebenden Einfluß ausgeübt hat. Dies erhellt nicht nur aus der Vergleichung der in seinen Vorlesungen niedergelegten Ideen mit den Ausführungen Cuviers in seiner vergleichenden Anatomie, sondern wird auch durch mehrere schriftliche Aeußerungen Cuviers bestätigt. In dem einleitenden Vorwort, welches den Leçons d’anatomie comparée Cuviers vorangestellt ist, führt Cuvier unter den Männern, welche ihm die Thatsachen an die Hand gegeben haben, von denen er ausgegangen sei, namentlich K. an. Und in einem Brief an letzteren vom 25. October 1793 sagt er: „er betrachte K. immer als seinen Meister und werde immer sein Genie ebenso bewundern, als er seine Persönlichkeit liebe“. Wie sehr K. unter seinen Fachgenossen anerkannt war, erhellt auch daraus, daß ihm Alexander v. Humboldt sein 1806 erschienenes Werk: „Beobachtungen aus der Zoologie und vergleichenden Anatomie“, „als dem ersten Physiologen Deutschlands“ widmete.

Ueber Kielmeyer’s wissenschaftliche Verdienste und seinen Lebensgang hat einer seiner Schüler, der 1867 verstorbene Obermedicinalrath Dr. Georg Jäger[WS 3] in Stuttgart, ausführlich gehandelt in den Verhandlungen der Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher, Bd. XXI, 1 (Breslau und Bonn 1845) unter dem Titel: „Ehrengedächtniß des würtembergischen Staatsraths v. Kielmeyer“. Vgl. auch den Nekrolog im schwäbischen Merkur vom 2. Oct. 1844.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 723. Z. 3 v. u.: Vergl. auch v. Martius, Akademische Gedenkrede. München 1845. [Bd. 26, S. 829]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Georges Cuvier (1769–1832), deutsch-französischer Naturforscher und Bildungspolitiker; Professor in Paris.
  2. Katharina Pawlowna Romanowa (1788–1819), Großfürstin von Russland, von 1816 bis 1819 als Ehefrau von Wilhelm I. Königin von Württemberg.
  3. Georg Friedrich (von) Jaeger (1785–1866), deutscher Arzt und Paläontologe; Obermedizinalrat in Stuttgart (Württemberg)