ADB:Kringsteiner, Ferdinand

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Artikel „Kringsteiner“ von Egon von Komorzynski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 389–392, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kringsteiner,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 13:58 Uhr UTC)
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Kringsteiner – ein Wiener Theaterdichter, dessen Wirksamkeit für die Entwicklung des Wiener Volksstückes von größter Bedeutung wurde, über dessen Lebensumstände aber aller Sorgfalt zum Trotz nichts zu erfahren war und ist. Er schrieb von etwa 1797 bis gegen 1810 Localstücke für das von Marinelli begründete, später von Hensler geleitete Leopoldstädter Theater in Wien und ist nach den einen am 13. Februar 1812 (so in Goedeke’s Grundriß), nach den andern aber schon am 16. Juni 1810 (so in Sonnleithner’s handschriftlichen Aufzeichnungen) in Wien gestorben. Wenn Sonnleithner’s Angabe, K. sei 1810 „vierunddreißig Jahre alt“ gestorben, richtig ist, so wäre das Jahr 1776 als Kringsteiner’s – dessen Name auch als „Kringstein“, „Kriegstein“ und „Kriegsteiner“ vorkommt – Geburtsjahr anzusehen.

Es liegt sehr nahe, anzunehmen, daß K. – ebenso wie der ihm sehr ähnliche Joachim Perinet – ein Wiener Kind gewesen ist. Denn in seinen Possen und Volksstücken kommt eine fast unvergleichlich zu nennende Kenntniß des Wienerthums zum Ausdruck; sie ist es ja auch, die Kringsteiner’s Production zu einem wichtigen Bindeglied zwischen der älteren Wiener Possenlitteratur und der späteren Entwicklung des Localstückes hat werden lassen. Weitaus mehr als die (1801 gedruckten) „Modesitten“, die man wohl mit [390] Unrecht lange K. zuschrieb, sie sind vielmehr wohl ein Werk Gewey’s, hat das dreiactige Lustspiel „Der Zwirnhändler von Ober-Oesterreich“ (gedruckt Wien 1807) den Ruhm Kringsteiner’s begründet – alle späteren Stücke Kringsteiner’s sind auf den Theaterzetteln und auf dem Titelblatt der Druckausgaben mit dem Vermerk versehen: „Vom Verfasser des Zwirnhändlers von Ober-Oesterreich“. Die Handlung ist aus für das Wiener Volksstück typisch gewordenen Motiven aufgebaut und lehnt sich an Schikaneder’s „Tiroler Wastel“ an. Der Schuster Matthias Trommer ist zu Geld gekommen und will den feinen Herrn spielen; er unterhält eine Liebschaft mit einer charakterlosen Hochstaplerin, seine Verschwendung hat ihn nahe an den Bankerott gebracht, mit großer Grobheit wendet er sich gegen seinen Sohn Franz, der ein einfaches Mädchen, Josefine, die Tochter einer Pastetenbäckerin, liebt, und dem Rath Schwenkheim (Trommer’s Vetter), der ihm einen schändlichen Handel vorschlägt – er will Franz eine von ihm erstrebte Beamtenstelle verschaffen, wenn ihm dieser Josefinen abtritt –, in mannhafter Entrüstung entgegentritt. Mit Hülfe Florian’s, der – ein Bruder des Schusters – ein einfacher Zwirnhändler geblieben ist, werden Schwenkheim’s Intriguen zu Schanden gemacht, die Hochstaplerin entlarvt, Franz mit Josefinen vereint und der Schuster bekehrt, sodaß Matthias selbst zum Schluß den Grundgedanken des Stückes ausspricht: „Es ist besser, ein Schurzfell und ein reins Gewissen haben, als in einem Moderock stecken und ein Schelm sein.“ Eine sehr natürliche wienerische Färbung kommt dem Stück recht zu statten. Der Dialekt ist durchwegs mit großem Glück verwendet; die typischen komischen Figuren nehmen an der Handlung theil: Kaspar als ein schlauer Tanzmeister, Thaddädl als ein frecher, dummdreister Kanzleigehülfe. Verwechslungen und Verkleidungen spielen eine große Rolle; Massenscenen finden sich, wie die Ausräumung von Trommer’s Wohnung durch die ungeduldig gewordenen Gläubiger oder eine durch betrunkene Soldaten gestörte Tanzunterhaltung. Auch an große Muster schließt sich K. bei Gelegenheit an: so erinnert der Zusammenstoß zwischen Franz und dem Rath Schwenkheim wörtlich an den Streit Ferdinand’s mit seinem Vater in „Kabale und Liebe“.

Nicht minder beliebt als der „Zwirnhändler“ war das komische Singspiel in drei Acten „Die schwarze Redoute“ (Erstaufführung am 16. Januar 1804; gedruckt 1807), mit Musik von Wenzel Müller. Der Inhalt dieses „Faschingsstückes“ beruht gleichfalls auf bewährten Motiven. Alle die zärtliche Liebe, die der Fiaker Vinzenz Zwickel seinem Weib Nanny entgegenbringt, kann Nanny’s Vergnügungssucht nicht heilen, bis eine Erkennungsscene auf dem Maskenball, den sie heimlich besucht hat, Reue und Versöhnung herbeiführt. Wieder treibt Thaddädl als „Laternbub“ sein lustiges Wesen, und eine ergötzliche Scene führt ihn und fünf andere Laternbuben mit einem halb Dutzend Mädchen in einem Schuppen vor, wo sie der als Gespenst verkleidete Fiaker weidlich in Schrecken setzt. – Aehnlich steht es mit dem aus zwei Theilen bestehenden Lustspiel „Ehestandsscenen“ (1. Theil. 1807, 2. Theil 1810): Zwei durch die Hoffart und Verschwendungssucht der Frau einander entfremdete Gatten werden durch die Großmuth und Güte anderer nach mannichfachen Verwicklungen versöhnt. Das Wiener Localcolorit ist hier noch stärker aufgetragen: die Eingangsscene des 1. Theils spielt bei der „Spinnerin am Kreuz“, der Schluß führt an das Ufer der Donau, wo unter großem Zulauf von Menschen ein nach Ungarn bestimmtes Passagierschiff abfährt. – „Der Tanzmeister“, Posse mit Gesang in drei Acten (Erstaufführung am 6. Febr. 1807), enthält als Mittelpunkt einen großen Ball, den ein Tanzmeister nach Aufopferung seiner letzten Habe veranstaltet; die den Ball heimlich besuchenden [391] Bürgersfrauen werden von ihren Männern überrascht. – „Die elegante Bräumeisters-Wittwe“, Lustspiel in drei Acten, bringt das Motiv des „Zwirnhändlers“ in der Umkehrung: Madame Pims, eine hoffärtige, zu hoch hinaus wollende Frau, die ihren drei Töchtern das schlechteste Beispiel gibt, wird von ihrem Bruder, einem biederen Praterwirth, auf die Probe gestellt, bekehrt und gebessert. Als Nebenfiguren treten zwei Frauen auf, deren jede ihrem Sohn die Hand der reichen Wittwe zugedacht hat; die rivalisirenden Bestrebungen der tölpischen Freier und ihrer Mütter führen zu einer Scene von lebenswahrer Komik. – Ebenso ist das Lustspiel „Hanns in Wien“ (1809) mit einer Fortsetzung „Hanns in der Heimath“ (1810) nur eine Variation des „Zwirnhändlers von Ober-Oesterreich“. Amtssecretär v. Hirschkopf ist mit seiner hoffärtigen, adelsstolzen Frau entzweit; den Intriguen der Frau v. Hirschkopf tritt der geriebene Eipeldauer (auch in einer Wiener Tradition!) Hanns entgegen, der, obgleich ein einfacher Bauer, den Städtern mehr als ein Schnippchen schlägt – er prellt nicht weniger als drei heirathslustige Wittwen und eine männersüchtige alte Jungfer. Große Volksscenen führen das Leben in den Straßen und in der Umgebung von Wien vor; bekannte Plätze und Straßen sind in den Decorationen nachgebildet; ein Geflügelmarkt auf der „Brandstätte“ wird mit Realismus dargestellt; Hirschkopf läßt seine verloren gegangene Gattin vor allem Volk durch den Büttel austrommeln. – Andere Stücke gleichen Genres sind etwa „Der Lumpenkrämer“ (Erstaufführung am 15. Januar 1805), „Der Desperationsball“ (21. Februar 1805), „Faschingswehen“ (4. März 1805), „Die Kreuzerkomödie“ (21. Juni 1805). In ihnen zeigt sich ein entschiedenes Hinstreben zu vollständiger Emancipation von den früheren Vorbildern des Wiener Volksstücks und zur völligen Durchführung der localen Färbung.

Eine besondere Gruppe unter Kringsteiner’s Stücken bilden die Travestien, in denen er manch ein Vorbild für Gleich und andere schuf, sich selbst aber an Perinet’s ähnliche Versuche anlehnte. Gerade durch K. sind die Wiener in ihrer Vorliebe für Travestien so sehr bestärkt worden, daß später zahlreiche Dramen erst lange nachdem sie in travestirter Gestalt den Wienern bekannt geworden waren, selbst in Wien aufgeführt wurden! Kringsteiner’s erste Travestie war wohl die einactige Posse „Othello, der Mohr in Wien“, mit Musik von Ignaz Schuster (Erstaufführung am 28. Mai 1806). Alle Schleusen sind hier dem wienerischen Humor geöffnet worden. Othello, Rodrigerl und Jackerl sind Bediente eines reichen Privatiers, Desdemonerl ist die Tochter eines Hausmeisters, Cassio ein Barbiergeselle vom Land geworden. Thadäddl, der Sohn einer Wäscherin, figurirt als Wäscherbub; Dienstboten, Gassenbuben und Trunkenbolde vervollständigen die Zahl der auftretenden Personen. Othello’s Eifersucht entbrennt wegen eines irrthümlich von Desdemonerl vertauschten „Schnupftüchels“. Das alte „Kärntnerthor“ gibt den Hintergrund für die vielen Volksscenen des Stückes ab, Methkeller und Bierhäuser, der Wienfluß mit seinen Mühlen und Wäschereien bilden die Schauplätze der Handlung. – Womöglich noch toller geht’s in der „localen Posse mit Gesang“ in einem Act „Die Leiden des Werther’s“ zu (Musik gleichfalls von Schuster, Erstaufführung am 18. October 1806). Hier ist Werther ein aus Krems zugereister Kupferschmied, Albert Vorsteher der Laternanzünderzunft in Wien, Lotte eine häßliche, alte Jungfer, die Kinderscene derb carikirt. Auch hier finden sich gewaltige Volksscenen: schon der erste Auftritt spielt am Ufer des Donaucanals, wo Werther mit dem „Regensburger Schiff“ ankommt; der Schluß führt uns wieder an den Donaucanal, an die „Schlagbrücke“, wo Pudelscherer in großer Zahl ihrem Gewerbe nachgehen, – Werther, der sich [392] ins Wasser stürzt, wird von einem ihm nachspringenden Pudel apportirt. Gern überläßt Albert die greuliche Lotte dem leidenschaftlichen Liebhaber; er ist froh, daß er Lotten los ist, und segnet selbst den Bund der beiden. Auch das zauberische Element hat K. hier in die Handlung eingeführt: Gott Amor persönlich tritt auf und läßt Lotten im Traum ihre und Werther’s Zukunft erblicken; unter den Amor begleitenden Geistern thut sich insbesondere „ein alter Genius mit Augengläsern“ hervor.

Aehnlich ist die Travestie „Romeo und Julia“ gehalten. Auch im ernsten Drama hat sich K. versucht; es existirt sogar ein Faust-Drama von ihm, „Faust, der Erfinder der Buchdruckerkunst“ betitelt, gedruckt 1811.

Goedeke, 2. Aufl., V, 341 f. (v. Weilen). – Wurzbach XIII, 218 f.