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ADB:Labadie, Jean de

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Artikel „Labadie, Jean de“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 462–463, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Labadie,_Jean_de&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 23:35 Uhr UTC)
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Labadie: Jean de L., „der Urheber des Separatismus in der reformirten Kirche“, hat zwar seine Hauptthätigkeit in Frankreich und in den Niederlanden ausgeübt, aber doch auch durch seinen zeitweiligen Aufenthalt in Deutschland und durch mannigfache sonstige Anregungen auf deutsche Christen, z. B. Spener, eingewirkt. L. war ein Südfranzose, Sohn des Gouverneurs der Guyenne Jean Charles de Labadie, geb. zu Bourg sur Gironde. Seine Erziehung genoß er seit seinem 17. Lebensjahre im Jesuitenorden. Der Geist dieser Institution zog ihn so mächtig an, daß er in seinem 17. Jahre als Novize eintrat und 1635 Ordenspriester wurde. Erst als er erkannte, daß er seine religiös-communistischen Ideale innerhalb des Ordens doch nicht durchführen könne, suchte er 1639 seine Entlassung nach, welche ihm auch ohne Schwierigkeit gewährt wurde, da er nur die „einfachen“ Mönchsgelübde (der Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams) abgelegt hatte, also in die höheren Grade des Ordens noch nicht aufgerückt war. Der feurige Christ L. hatte sich nämlich im Hinblick auf den Verderb der damaligen Welt das Ideal gebildet, die Kirche nach dem Muster der jerusalemischen Urgemeinde zu reformiren. Was ihm im Orden nicht gelungen war, suchte er als Weltgeistlicher durchzuführen. Als Domherr zu Amiens sammelte er eine sogenannte „Bruderschaft“ um sich, die zu gemeinsamen privaten Gottesdiensten bei ihm zusammenkam und in ihren Wohnungen die Bibel las. Durch die Forderung regelmäßiger Schriftlesung ist er über das Trienter Concil hinaus dem Protestantismus entgegengekommen, aber über Sünde und Gnade, diese beiden Fundamentalbegriffe der protestantisch-kirchlichen Anschauung, hat er jansenistisch gedacht, d. h. er ist zu einer klaren Erkenntniß der protestantischen Heilslehre nicht hindurchgedrungen. Die Gnade, welche er auch später preist, ist die durch einen subjectiven Gefühlsproceß der Meditation, Contemplation und des wortlosen Gebetes vermeintlich erlebte Kraftwirkung der süßen, beseligenden Gottheit; die Gnade aber, welche uns in dem geschichtlichen Christus offenbar geworden ist, tritt zurück hinter den „Christus in uns“, den der Wiedergeborene erlebt. Auf die Sammlung solcher Wiedergeborenen ging sein Lebenswerk; auch [463] als er von der katholischen Kirche verfolgt, zur reformirten übergetreten und 1659 in Genf Pfarrer geworden war und als er 1666 eine Pfarrstelle in dem niederländischen Middelburg angenommen hatte, ging sein Streben dahin, eine Gemeinde von Wiedergeborenen aus der reformirten Kirche abzusondern und in diesem zunächst kleinen Kreise sein Ideal eines christlichen Communismus zu verwirklichen. Als er endlich die Separation herbeiführte, die erste, welche innerhalb der reformirten Kirche der Niederlande stattfand, hing ihm doch ein Drittel seiner Gemeinde an. Die Seinen schwuren auf ihn wie auf einen neuen Propheten; da außerdem eine Anzahl reicher Damen (A. M. v. Schurmann, drei Fräulein von Sommelsdijk u. A.) ihm ihr großes Vermögen zur Verfügung stellten, so konnte der Communismus zunächst bequem durchgeführt werden. Dennoch ist die Labadistengemeinde später (1732) daran zu Grunde gegangen. 1669 mußte L. Middelburg verlassen; auf Umwegen gelangte er 1670 durch Vermittelung der Schurmann nach Herford in Westfalen, wo die Freundin der letzteren, die Aebtissin Prinzessin Elisabeth von der Pfalz (Bd. VI S. 22 ff.), der kleinen Reisegemeinde Zuflucht gewährte, bis sich diese, um der Feindschaft der Herforder Bürgerschaft zu entgehen, nach Altona wandte. Hier starb L. 1674. Seine Gemeinde begab sich dann auf ein Landgut eines Fräulein v. Sommelsdijk zu Wieuwerd in Friesland. Hier ist sie zunächst noch gewachsen, dann schnell zu Grunde gegangen.

Zu vgl. A. Ritschl, Geschichte des Pietismus, I. (1880), S. 194–268. Die Litteratur daselbst S. 195 u. 246.