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ADB:Leodigar

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Artikel „Leodigar, Bischof von Autun“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 653–655, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leodigar&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 05:15 Uhr UTC)
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Band 51 (1906), S. 653–655 (Quelle).
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Leodigar: Sanct L., Bischof von Autun, a. 659–674 († 678); der Knabe, von edler Abkunft, ward nach der Sitte der Zeit zunächst in dem Palatium der Merovingen (Chlothachars II., s. den Artikel, † 628) erzogen, dann aber von seinem Mutterbruder, Bischof Dedo von Poitiers, zum Geistlichen herangebildet: mit 20 Jahren Diakon, bald Archidiakon überragte er Alle an Kenntnissen, zumal auch in weltlichen, besonders rechtlichen und staatlichen Dingen, wie er denn die ganze Diöcese Poitiers leitete. Chlothachar III. (a. 656–670) und dessen Mutter und Regentin, die heilige Balthildis (a. 656–664, s. beide Artikel) zogen ihn an den Hof, wo er großen Einfluß übte; a. 659 ward er zum Bischof von Autun erhoben, wo er die durch zwiespältige Bischofswahlen und blutige Wirren zerrüttete Diöcese in Ordnung brachte und, feingebildet, kunstsinnig und prunkliebend, glänzende Bauten aufführte. Allein das genügte dem Ehrgeizigen nicht: er wollte den Staat, d. h. das neustrisch-burgundische Theilreich, beherrschen. Hiebei stieß er aber auf den Widerstand des Mannes, der ihn nach langem, achtjährigen wechselvollen Ringen schließlich vernichten sollte, des Hausmeiers Ebroin (s. den Artikel), der seinerseits das ganze [654] Frankenreich – auch Austrasien – unter seiner Macht zu vereinen trachtete. In diesem Kampfe siegte zunächst L. an der Spitze einer starken, meist aus Bischöfen, aber auch zahlreichen Weltgroßen bestehenden Adelspartei. Auf die Nachricht von dem Tode Chlothachar’s III. (a. 670) eilte er sofort in das Palatium und setzte dort mit den Seinen die Erhebung von dessen Bruder Childerich II., des Königs von Austrasien (a. 660–673), auf den Thron auch von Neustrien und Burgund durch, während der Hausmeier Ebroin den dritten Bruder Theuderich III. (a. 673–691) eingesetzt hatte, für den, da auch er nach dem merovingischen Thronfolgerecht Anspruch auf ein Theilreich hatte, jedesfalles das bessere Recht sprach. Allein Ebroin hatte sich zumal den burgundischen Adel – in dem burgundischen Autun lagen die Wurzeln der Macht Leodigar’s – verfeindet, weil er rücksichtslos und oft gar gewaltsam das Gesammtwohl des Staates gegen diese reichsverderberische Junkerpartei verfocht. Dies zu erklären, muß etwas weiter ausgeholt werden. Das fränkische Hausmeierthum hat eine höchst merkwürdige Entwicklung durchgemacht, in der sich die des Königthums und des Adels in diesem Reich am klarsten spiegelt. Entstanden aus der Mischung eines mitgebrachten germanischen Haus-Amtes (keineswegs nur Hof-Amtes des Königs) mit dem vorgefundenen römischen Majordomat, d. h. der Vorsteherschaft über die Unfreien des Hauses, war es anfangs durchaus nicht das wichtigste Amt am Königshof, wurde aber allmählich dazu, weil es mehr als alle anderen den ununterbrochenen Verkehr mit der Person des Königs gewährte.

Anfangs ward der Hausmeier wie jeder andere Hof- und Staatsbeamte vom König beliebig ernannt und damals war er eine wirksame Waffe der Krone zur Bekämpfung des staatsschädlichen Dienstadels; in solcher Weise verwendete zuletzt noch Brunichildis (s. d. Artikel) ihren Majordomus Protadius in der hochverdienstlichen Niederhaltung jener schädlichen Adelsmacht. Allein eben deshalb ward Protadius ermordet, Brunichildis durch Verrath der mit einander einverstandenen Adelsparteien der drei Reiche (Auster, Neuster und Burgund) vernichtet und nun ward der Hausmeier Haupt und Führer des Dienstadels gegen die alsbald überwältigte Krone.

Der Adel wählte ihn; dem König blieb nur übrig, den so gewählten zu bestätigen: allerdings war der Hausmeier – wie jeder Führer einer politischen Partei – nun seinerseits abhängig von den Großen. Allein ehrgeizige, auch wol wahrhaft staatsmännisch veranlagte Kraftnaturen – wie Ebroin – widerstrebten solcher Abhängigkeit, suchten, wie den Palast, d. h. die Krone, auch die Großen zu beherrschen und vertraten so auch das Wohl der Gesammtheit und das Recht des Staates gegen die den Staat zerrüttenden Vornehmen. Die bedeutendste Erscheinung unter derartigen Männern ist Ebroin. Auch er zwar war nicht durch die Krone, sondern durch „die Franken“, d. h. durch den Dienstadel a. 656 zum Majordomus der damals auf kurze Zeit unter Einem merovingischen Königsknaben Chlothachar III. (a. 656–670) vereinten drei Theilreiche Auster, Neuster und Burgund erhoben worden; jedoch einmal im Besitz der Staatsmacht strebte er, sie zwar vor allem zu Befestigung seiner Herrschaft, aber auch zum Wohl der Gesammtheit, also besonders gegen die Meisterlosigkeit des Dienstadels zu gebrauchen; freilich verfolgte er seine nicht bloß selbstischen Ziele mit den listigen, gewaltthätigen, blutigen Mitteln der Zeit: so lange Balthildis, die Mutter Chlothachar’s III. (s. den Artikel), die Regentschaft führte, milderte sie wenigstens einigermaßen das Auftreten des ebenso gewaltthätigen wie gewaltigen Mannes, dem sich übrigens schon a. 660 Austrasien entzog, dessen Große wie in früheren Fällen (s. Dagobert I., Sigibert III., s. die Artikel) einen besonderen merovingischen König zu Metz, [655] Childerich II. (a. 660–673), Chlothachar’s Bruder, und einen besonderen austrasischen Majordomus, Wulfoald, ertrotzten, sehr gegen den Willen Ebroin’s, der in der Folge, sobald er konnte, Austrasien seinem neustrischen König und sich selbst wieder zu unterwerfen trachtete. Seit Balthildis von der Regentschaft zurück und ins Kloster zu Chelle eingetreten war, waltete Ebroin schrankenlos, in selbstischer Herrschsucht wie zum Heile der Gesammtheit den Adel bändigend, wie man ihm – ohne Beweis – vorwarf, aus Haß des Niedriggeborenen gegen die Vornehmen. Selbstverständlich forderte er dadurch den tödtlichen Haß dieser Partei heraus, die in L. ein ebenso glänzend begabtes als ränkereiches und herrschgieriges Haupt fand: nun ward Ebroin von seinen Feinden im Palast unter Leodigar’s Führung gestürzt, in das Kloster Luxeuil eingebannt wie Theuderich in das von St. Denis, während Childerich von Austrasien als König auch von Neuster und Burgund anerkannt wurde. In Wahrheit herrschte hier jetzt aber L., der seinen Sieg sofort dazu verwandte, durch neue Gesetze die Macht der Krone zu beschränken, die des Dienstadels zu erhöhen und dem Amt des Majordomus, das reihum unter den mächtigsten Adelsgeschlechtern wechseln sollte (!), wieder die Stellung des Parteihauptes dieser Aristokratie anzuweisen. Alsbald aber ward L., der sich und die Seinen durch schonungslose Plünderung der Gegenpartei verhaßt gemacht hatte, ebenfalls gestürzt, zumal wegen ungerechten Streites mit Sanct Praejectus, Bischof von Clermont-Ferrand, und Beraubung von dessen Kirche zu Gunsten seiner Anhänger: die Ironie des Schicksals bannte auch ihn in dem Kloster Luxeuil ein. Als aber Childerich II., verhaßt wegen Ausschweifung und grausamer Willkür, im Walde Lauchonia (Forêt de Livie oder de Bondi) ermordet ward (a. 673), entsprangen die beiden Gefangenen Luxeuil und Ebroin bekämpfte alsbald nach einigen Schwankungen seinen alten Feind mit solchem Eifer und Erfolg, daß er ihn, dessen Bruder Gairin und wichtigste Anhänger in dem bezwungenen Autun in seine Gewalt brachte (a. 674); nach langen Gerichtsverhandlungen wurden sie grausam hingerichtet (a. 678). An dem Verstümmelten zeigten sich bei Lebzeiten allerlei Wunder, andere an seinem Grabe: so wurde er heilig gesprochen, obwol sein Leiden und Sterben lediglich Folge seiner weltlichen Ränke war und mit der Kirche oder dem Glauben in keinerlei Zusammenhang stand; vielmehr hatte er einen anderen Heiligen – jenen Präjectus von Clermont-Ferrand – auf das ungerechteste angefeindet.

Quellen und Litteratur: Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker III, 1883, S. 670–711. – Das Verhältniß der beiden erhaltenen Lebensbeschreibungen Leodigar’s ist erst durch Krusch (Neues Archiv 1898) klar gestellt worden.