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ADB:Lommel, Eugen

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Artikel „Lommel, Eugen Cornelius Joseph von“ von Robert Knott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 62–65, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lommel,_Eugen&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 03:14 Uhr UTC)
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Lommel: Eugen Cornelius Joseph von L., wurde am 19. März 1837 zu Edenkoben in der Rheinpfalz geboren. Sein Vater war dort praktischer Arzt, später Bezirksarzt in Hornbach. Die Familie lebte mit ihren vier Söhnen, von denen Eugen der älteste war, in recht bescheidenen Verhältnissen. Er besuchte zuerst die Lateinschule in Edenkoben, dann das Gymnasium in Speier; er befand sich dort bei kleinen Bürgersleuten in Pension; als der jüngere Bruder auch nach Speier kam, mußten die beiden sich sogar mit einem Bett begnügen. Schon früh zeigte sich bei Eugen eine Neigung für die Naturwissenschaften, zunächst freilich mehr für die beschreibenden, insonderheit für die Botanik und Zoologie; um sich naturwissenschaftliche Kenntnisse zu verschaffen, besuchte er die Abendcurse an der Gewerbeschule. Verwendete er auch sein geringes Taschengeld zum Ankauf von Büchern, so gestatteten ihm diese Mittel doch nicht den Erwerb größerer Illustrationswerke, wie sie gerade für das Studium von Thieren und Pflanzen unerläßlich sind; so benutzte er denn seine freie Zeit, sich diese Werke durch Abzeichnung selbst zu schaffen; so hat er bereits als 14jähriger Knabe den großen Atlas von Oken’s Naturgeschichte des Thierreichs mit seinen 116 colorirten Tafeln in Großquart auf das sorgfältigste, von dem Original nicht unterscheidbar, abgezeichnet; Pflanzen zeichnete er nach der Natur. Darüber versäumte er indeß durchaus nicht seine übrigen Studien; er blieb sein ganzes Leben hindurch begeisterter Anhänger des humanistischen Gymnasiums; bis an sein Lebensende las er zu seiner Erholung [63] und Erbauung die lateinischen und griechischen Classiker in der Ursprache; besonders war Homer ihm ein treuer Begleiter. Wie sehr noch der große Physiker gerade das humanistische Gymnasium als die richtige Schule des Geistes betrachtete, beweist u. a. seine 1881 in Erlangen gehaltene Rectoratsrede „Ueber Universitätsbildung“. Im J. 1854 bestand L. 171/2 Jahre alt mit Auszeichnung das Abiturientenexamen auf dem Gymnasium zu Speier. Durch den Einfluß des dortigen ausgezeichneten Mathematikprofessors Friedrich Schwerd hatte er, und zwar erst in der obersten Classe, Lust und Liebe zur Mathematik bekommen, eine Wissenschaft, die ihn anfänglich garnicht anzog. Er ließ sich nun in München zunächst als Candidat der Philosophie, im zweiten Jahre als Candidat der Mathematik inscribiren; er hörte Vorlesungen über Mathematik, Physik, Chemie und Astronomie bei Seidel, Jolly, Liebig, Kobell und Lamont. Wegen seiner beschränkten Mittel konnte er zu dieser Zeit nicht daran denken, die akademische Laufbahn einzuschlagen; er wollte sich nur für die Lehramtsprüfung in Mathematik und Physik vorbereiten. Daher besuchte er auch nicht die Uebungen im physikalischen und chemischen Laboratorium; nur im mathematischen Seminar bei Seidel war er eifrig thätig. Zu keinem seiner Lehrer trat er in nähere Beziehungen, auch nicht zu dem Physiker Jolly. Verkehr pflegte er vornehmlich mit dem späteren Professor Philipp Zöller, der auch ein Rheinpfälzer war. L. beschränkte sich übrigens nicht auf sein Fach, sondern war auch um seine allgemeine Bildung eifrig bemüht. Er besuchte eifrig die philosophischen Vorlesungen des geistreichen Lasaulx, erwarb sich ein feines Verständniß für die schöne Litteratur, insonderheit für die großen deutschen Dichter, ferner für die classische Musik und die bildende Kunst; auf der obersten Galerie des Hoftheaters, in den Concerten der musikalischen Akademie und in den Kunstsammlungen war er häufig zu finden. Im Herbst des Jahres 1858 bestand er mit dem Prädikat „sehr gut“ die Lehramtsprüfung und wurde nun Hauslehrer bei dem vermögenden Weingutsbesitzer und Landtagsabgeordneten Buhl in Deidesheim. Er wurde in dieser Familie freundlich aufgenommen und lernte dort die angesehensten Männer der Pfalz und Politiker wie Heinrich v. Gagern, Bassermann u. A. kennen. Im Frühjahr 1860 erhielt er die Stelle eines Lehrers der Mathematik und Physik an der Kantonsschule in Schwyz, die er fünf Jahre inne hatte. Hier fing er an wissenschaftlich zu arbeiten, zumeist auf dem Gebiete der Mathematik, aber auch auf dem der Physik, insonderheit über optische Probleme. Es wird erzählt, der damalige verdiente eidgenössische Erziehungsrath Kappeler habe erfahren, daß die aus der Kantonsschule zu Schwyz an das Züricher Polytechnikum kommenden Studirenden in der Mathematik und Physik besonders gut unterrichtet seien; dies habe ihn veranlaßt, den Lehrer L. aufzufordern, nach Zürich zu kommen. Weil aber vorerst noch keine Stelle an der Hochschule frei war, nahm er einstweilen die Anstellung als Oberlehrer an der Kantonsschule in Zürich an und habilitirte sich, nachdem er vorher (1863) den Doctorgrad erworben hatte, an der Universität und dem Polytechnikum zu Zürich (1865). Er trat hier in anregenden Verkehr mit bedeutenden Männern wie Gottfried Keller, Friedrich Theodor Vischer, Johannes Wieslicenus, Theodor Billroth, Friedrich Emil Prym, Adolf Fick u. A.; auch seine wissenschaftliche Thätigkeit setzte er fort. Trotzdem er sich in Zürich wohl fühlte, nahm er doch im Herbst 1867 einen Ruf als Professor der Mathematik und Physik an die land- und forstwirthschaftliche Akademie zu Hohenheim in Württenberg an. In dem einsamen Orte fand er wol eine lohnende Beschäftigung, jedoch nicht den gewohnten Umgang mit Männern anderer Richtung und nicht den Genuß der Kunst. Er wanderte daher jeden Sonnabend über die Höhen, welche das Schloß Hohenheim von [64] Stuttgart trennen, dorthin und Montags morgens wieder zurück; namentlich in der Familie des Physikers Zech, wo er auch Vischer wieder traf, wurde er als Freund des Hauses aufgenommen. Obwohl L. bereits eine Anzahl bemerkenswerther physikalischer Arbeiten hatte erscheinen lassen, galt er unter seinen Fachgenossen vornehmlich als Mathematiker; nach und nach entwickelte er sich indeß doch immer mehr zum vollendeten Physiker. Im Herbst 1868 wurde er an Stelle von Beetz als Professor der Physik an die Universität Erlangen berufen. Dieses kleine ruhige Städtchen war für den stillen Gelehrten das richtige Arbeitsfeld. Hier schuf er während 18 Jahren seine bedeutendsten Arbeiten. 1869 bemühte man sich, ihn an das Polytechnikum zu Zürich zurück zu holen. Er lehnte den Ruf ab, nahm dagegen 1886 einen ehrenvollen Ruf an die Münchener Universität als Nachfolger Jolly’s an. Hier wirkte er noch 13 Jahre segensreich als Lehrer und Forscher, wenn auch in seinen Arbeiten zu seinem Leidwesen viel mehr behindert als an der kleinen Universität Erlangen durch die mancherlei geschäftlichen Abhaltungen, wie Prüfungen u. ä. Er war zugleich Conservator des physikalisch-metronomischen Instituts des Staates und technisches Mitglied der Normal-Aichungs-Commission. Im J. 1899 bekleidete er das Rectorat der Universität. Am 19. Juni desselben Jahres starb er nach längerem Leiden; schon seit einigen Jahren war er zuckerkrank gewesen.

Unter den wissenschaftlichen Arbeiten nehmen den ersten Platz seine optischen Untersuchungen ein, und unter diesen wiederum diejenigen über Dispersion und Absorption des Lichtes. Man wußte zwar lange, daß beide Erscheinungen sicherlich von der Constitution des betreffenden Mittels in seinem molekularen Aufbau abhängig sind; aber erst L. unternahm es, in die Dispersionstheorie das körperliche Molekül selbst rechnend einzuführen. Er betrachtet nicht mehr den schwingenden Aether allein, sondern zugleich die Beeinflussung der Schwingungen der Körpermoleküle durch diesen; diese Moleküle werden gemäß ihren „Eigenschwingungen“ natürlich in sehr verschiedener Weise auf die auftreffenden Aetherschwingungen reagiren. L. leitet hierfür nun Formeln ab. Das Endresultat, die „Lommel’sche Dispersionsformel“, hat sich bei allen experimentellen Nachprüfungen als zuverlässig erwiesen, ja, was noch wunderbarer ist, sie wird ihren Werth auch nach den geänderten Anschauungen der neuesten Zeit behalten. Man hat ja jetzt die Vorstellungen der elastischen Optik fallen lassen und an Stelle der Verrückungen und Zugspannungen, mit denen diese arbeitete, elektrische und magnetische Zwangs- oder Polarisationszustände gesetzt, die sich, periodisch mit Ort und Zeit veränderlich, durch das Feldmedium hindurch fortpflanzen. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß die meisten Ergebnisse der älteren Optik von diesem Wandel der Vorstellungen unberührt bleiben, da die Formen der Differentialgleichungen, auf die man in beiden Fällen geführt wird, die gleichen sind und nur die eintretenden Constanten verschiedene Bedeutung haben. Durch Verfolg seiner Grundvorstellung von der Wechselwirkung der Moleküle und des Lichtäthers hat L. auch auf den Gebieten der Fluorescenz und Phosphorescenz bemerkenswerthe Resultate erhalten; insonderheit wurde er dadurch zu merkwürdigen Analogien zwischen akustischen und optischen Erscheinungen geführt, und wenn die theoretischen Folgerungen durch den Versuch auch nicht immer bestätigt worden sind, so haben doch manche der von ihm infolge dieser Untersuchungen neu in die Optik eingeführten Begriffe im weiteren Verfolg die schönsten Früchte gezeitigt, so z. B. der Begriff der Dämpfung, welche die Moleküle beim Schwingen erfahren. – Ein drittes großes Gebiet der Optik ist durch ihn zum Abschluß gelangt, das der Beugungserscheinungen, und hier hat er sich nicht nur als Theoretiker, [65] sondern ebenso als äußerst minutiös arbeitender Experimentator erwiesen. Außer durch diese Hauptarbeiten hat sich L. aber auch noch auf fast allen anderen Gebieten der Optik durch kleinere Beiträge bethätigt; zu erwähnen sind da eine große Reihe von Einzelforschungen über Interferenzerscheinungen, Doppelbrechung, Polarisation und Circularpolarisation, Oberflächenfarben u. s. w. Auch auf die Lichterscheinungen in der Atmossphäre wandte er seine optischen Lehren an, so zur Erklärung des Regenbogens, der Dämmerungsfarben, des sogenannten Heiligenscheins. Auch eine Arbeit über die Beziehungen des Lichtes zu dem grünen Farbstoff der Pflanzen, dem Chlorophyll, wäre zu erwähnen. Anmerken müssen wir ferner noch, daß L. sich bei all seinen optischen Untersuchungen auch als sehr geschickter Construkteur von Apparaten erwies; eine ganze Reihe der von ihm eingeführten optischen Untersuchungsmittel wird sicherlich zum eisernen Bestande jedes physikalischen Cabinets gehören. – Als in den letzten Jahren die epochemachenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektricität die Physiker in Athem hielten, wandte auch L. diesen Untersuchungen sich zu; auch hier sind eine Reihe trefflicher Versuche von ihm zu erwähnen, wie die Darstellung der Magnetkraftlinien und der äquipotentiellen Linien stromdurchflossener Platten. – Auf rein mathematischem Gebiete sind seine Arbeiten über die Bessel’schen Functionen anzuführen, die ja auch gerade für die Physik von so großer Bedeutung sind, weil die Differentialgleichung, der sie genügen, in fast allen Gebieten der Physik auftritt. Er hat sich mit diesen Funktionen eingehend befaßt, zahlreiche Tafeln für sie berechnet, ja ihnen eine eigene kleine Schrift gewidmet. – L. war endlich auch ein ausgezeichneter Lehrer, der es auch verstand, weiteren Kreisen sein Wissen zugänglich zu machen. Das bewies er in zahlreichen populären Vorträgen, sowie in seinem Lehrbuch der Experimentalphysik, das noch 1900 in 7. Auflage erschienen ist. Wenn sein Name trotzdem dem großen Publicum nicht geläufig geworden ist, so liegt das an der Eigenart des Gebietes, auf dem er Meister war. Uebrigens war L. seinem ganzen Wesen nach auch wohl der letzte, der nach äußeren Ehren gestrebt hätte.

Außer als gesondert herausgegebene Monographien finden sich seine zahlreichen Abhandlungen in den verschiedensten mathematischen, physikalischen und astronomischen Zeitschriften zerstreut, sowie auch in den Veröffentlichungen der Münchener Akademie der Wissenschaften.

Poggendorff, Biographisch-litterarisches Handwörterbuch. – Nekrolog von C. Voit in den Sitzungsberichten der mathematisch-physikalischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München XXX, 1900. – Leipziger Illustrirte Zeitung Nr. 2922; 29. Juni 1899 (mit Porträt).