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ADB:Ludwig I. (Landgraf von Hessen)

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Artikel „Ludwig I. (Landgraf von Hessen)“ von Hermann Diemar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 115–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig_I._(Landgraf_von_Hessen)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Ludwig I., gewöhnlich der Friedsame, von Zeitgenossen auch der Fromme genannt, Landgraf von Hessen (Landesherr 1413–1458), wurde geboren am 6. Februar 1402 zu Spangenberg als jüngstes Kind des Landgrafen Hermann des Gelehrten (s. A. D. B. XII, 125 ff.) und der Margarete von Nürnberg. Der Mutter bereits am 15. Januar 1406 beraubt, wurde L. schon am 10. Juni 1413 durch den Tod des Vaters Herr von Hessen. Er war der einzige damals lebende männliche Sproß des hessischen Hauses und ein gar zarter Knabe. Die Landgrafschaft war nach schweren Kämpfen und Wirren noch kaum wieder zur Ruhe gekommen; man sah in eine ungesicherte Zukunft. Aber L. ist persönlich und sachlich zu Kraft und Macht emporgestiegen; in langer und glücklicher Regierung hat er, und zwar gerade in einem für die deutschen Territorien allgemein entscheidenden Zeitpunkt, seinem Lande einen ungeahnten Aufschwung gegeben, hauptsächlich durch große persönliche Tüchtigkeit. Die fürs erste nöthige Vormundschaft führte Ludwig’s Schwager Heinrich der Milde von Braunschweig-Lüneburg, der aber schon am 14. October 1416 starb. Neben ihm hatte die hessische Ritterschaft Antheil an der Regierung, vertreten besonders durch die zwei Landvögte in Niederhessen und Oberhessen, Eckhard v. Röhrenfurt und Eckhard Riedesel. Ernstliche Schwierigkeiten brachte das Zwischenregiment nicht. Mit dem Erzstift Mainz wurde schon 1413 eine vorläufige Verständigung gewonnen, insbesondere über die verwirrten kirchlichen Verhältnisse in Hessen. Ererbte Fehden mit feindlichen Nachbarn verliefen günstig; starken Eindruck machte ein hessischer Sieg über den Grafen Johann V. von Nassau-Dillenburg in der Nähe von Herborn um 1416. Entscheidend wirkte wol die ungewöhnliche geistige Frühreife des lebhaft hervortretenden jungen Fürsten, ähnlich wie hundert Jahre später bei seinem Urenkel Philipp. Vom römischen König Siegmund empfing L. schon am 27. Mai 1417 zu Konstanz in eigener Person die Reichsbelehnung. Als dann die Hussitenkriege ausbrachen, nahm L. im Herbst 1421 persönlich Theil am Feldzug nach Böhmen, wie er im Frühling des Jahres auch den vorbereitenden Nürnberger Reichstag besucht hatte. Doch die Reichskriegzüge waren erfolglos, die anschließenden Reichsreformversuche vergeblich. Das politische Leben in Deutschland zog sich, soweit es fruchtbar war, immer mehr aus dem Ganzen in die einzelnen Theile zurück. Die deutschen Reichsstände, sich selbst überlassen, sahen sich hingewiesen auf staatliche Sonderausbildung ihrer Territorien. In Hessen blieb die Hauptaufgabe zunächst noch die weitere Auseinandersetzung mit Mainz. Mit dem Erzbischof Konrad III. (1419–1434) schloß L. 1422 einen neuen Vertrag. Doch brach dann der alte Hader noch einmal sehr kräftig wieder aus; Konrad erklärte 1427 dem Landgrafen den Krieg. Gerade hundert Jahre nach dem mainzischen Siegeszuge von 1327 mußten nochmals die Waffen entscheiden. Sie entschieden, und zwar diesmal endgültig, zu Gunsten der hessischen Selbständigkeit. L. persönlich gewann einen völligen Sieg über die mainzischen Scharen, die von Fritzlar aus in Niederhessen einfielen, bei Großen-Englis im [116] Juli 1427. Und der Erzbischof selbst erlitt im August eine Niederlage bei Fulda. Der Abt, die Stadt und das Stiftsland von Fulda standen zum Landgrafen gegen Mainz. L. erlangte einen sehr günstigen Frieden. Der werdende hessische Territorialstaat ist in seiner Befestigung fortan von Mainz nicht mehr gestört worden. Das Verhältniß der landesherrlichen und der hierarchischen Gewalt in Hessen, besonders bezüglich der geistlichen Gerichte, ist zu dauernder Ordnung gebracht worden. Die lange Regierungszeit des nächsten Erzbischofs Dietrich (1434–1459) blieb durchaus friedlich und freundlich für L. Diesem selbst übertrug Dietrich 1439 den Schutz seiner Gebiete in Hessen und auf dem Eichsfeld. Die politische Lage erwies sich immer mehr dem staatlichen Ausbau der Landgrafschaft günstig. Das Gelingen dieses Ausbaues aber war großentheils Ludwig’s eigenes Verdienst. An L. tritt zunächst ein religiöser Zug hervor. So hat er 1429 eine Wallfahrt nach dem heiligen Grabe zu Jerusalem unternommen, 1431 gleich hinter einander zwei Wallfahrten nach St. Josse bei Montreuil, südlich von Boulogne, und nach Wilsnack in der Mark Brandenburg. Daneben jedoch entwickelte L. von früh an eine zielbewußte Politik. Anfangs gepflegte Beziehungen zu niederrheinischen Ständen ließ er nachher zurücktreten. Sehr eng schloß er sich dagegen fortan politisch zusammen mit dem Hause Wettin. Am 22. October jenes Jahres 1431 erneuerte er zu Rotenburg a. d. Fulda die Erbverbrüderung mit diesem seit 1423 kurfürstlichen Hause, dessen Haupt, der Kurfürst Friedrich der Streitbare von Sachsen, ihm hierbei seine Tochter Anna anverlobte. Und als dann die Vermählung mit der am 5. Juni 1420 geborenen jugendlichen Prinzessin schon am 8. September 1433 unter großen Festlichkeiten in Kassel vollzogen wurde, erlangte L. hiermit zugleich die Rückgabe von Eschwege und Sontra an Hessen, einen nicht unwesentlichen territorialen Gewinn. Das zweite neue Kurhaus des Reiches aber war dem Landgrafen durch nahe Verwandtschaft verbunden; Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg war Ludwig’s Mutterbruder. Neuerweiterungen seines Territorialbesitzes sind dem Landgrafen im Laufe der Zeit an vielen Stellen gelungen. Dazu erwarb L. zahlreiche Schirmherrschaften, so über die Reichsabteien Hersfeld (1432) und Corvei (1434) und über eine Reihe auswärtiger Städte, und Lehnshoheiten, so über die beiden großen und durch ihre Lage für die Landgrafschaft sehr wichtigen Grafschaften Ziegenhain mit Nidda (1437) und Waldeck (1438). In Lehnsverhältnisse zu Hessen traten außerdem z. B. die Herren von Plesse (1447), von Lippe (1449), von Büren (1456) und die Grafen von Rietberg (1456). Die Grafen von Waldeck, noch mehr die von Ziegenhain waren öfters unbequeme, selbst gefährliche Feinde der hessischen Landgrafschaft gewesen, insbesondere in Verbindung mit dem Mainzer Erzstift; die Gewinnung der Lehnsherrlichkeit über sie war ein großer Fortschritt. Für Ziegenhain und Nidda geschah es mit Einwilligung der Abteien Hersfeld und Fulda, daß der Graf Johann der Starke sein ganzes Besitzthum zu hessischem Lehen machte. Er soll es zum Lohn dafür gethan haben, daß er 1429 in Venedig, wegen früherer Kaufmannsberaubung festgenommen, durch L. ausgelöst ward. Die endgültigen Folgen des waldeckischen und des ziegenhainischen Lehnsauftrages sind dann sehr verschieden gewesen; der ziegenhainische von 1437 hatte von vorn herein eine sehr viel größere Bedeutung dadurch, daß Graf Johann der Letzte seines Geschlechtes war. Eine merkwürdige politische Episode, die aber L. nichts weniger als Erfolg brachte, fiel in dasselbe Jahr 1437. Auf dem Reichstage zu Eger, dem L. damals beiwohnte, wurde er im Juli von Kaiser Siegmund mit Zustimmung der Reichsstände beauftragt, die Lande Brabant, Holland, Seeland, Hennegau, Antwerpen, Friesland und Limburg alle als [117] von ihrem Herrn, dem Herzog Philipp dem Guten von Burgund, widerrechtlich in Besitz genommen, für das Reich wieder einzuziehen. Es war eine Demonstration, die dem mächtigen burgundischen Herrscher gegenüber völlig aussichtslos war. Daß L. sich für sie gebrauchen ließ, erklärt sich wol aus der ihm vielleicht vom Kaiser eingeredeten Hoffnung, für sich selbst etwas bei der Sache zu gewinnen in Anbetracht seiner brabantischen Herkunft. Man weiß nicht, wie weit sich die Gedanken Ludwig’s verstiegen haben mögen; die phantastischen Erzählungen der Chronisten geben immerhin zu denken. Jedenfalls jedoch ist Ludwig’s Staatsaction kläglich gescheitert. Im August 1437 traf er, freilich durchaus nicht etwa kriegerisch gerüstet, in der Reichsstadt Aachen ein und versuchte eine diplomatische Verhandlung anzuknüpfen mit den vier Hauptstädten von Brabant, die ihm einfach erwiderten, daß Herzog Philipp ihr rechter Herr sei. Im September unternahmen dann einige niederrheinische Feinde Philipp’s einen Einfall in Limburg, wurden aber nach Aachen zurückgeworfen. Darauf zog L. von dort alsbald nach Hause. Allem Weiteren machte der Tod des Kaisers noch vor Ablauf des Jahres ein Ende. Wie Siegmund’s Erbe Albrecht von Oesterreich zugleich Nachfolger im Römischen Königthum wurde (L. war 1438 zur Wahlzeit in Frankfurt), so kam dann auch bei der Reichs-Neuwahl von 1440 ernstlich wol nur das Haus Habsburg in Frage, und es war wol nur ein Wahlmanöver, daß der Inhaber der böhmischen Wahlstimme und ebenso allerdings auch der Kurfürst von Brandenburg unseren Landgrafen mit in die Debatte zogen. Die Sache selbst steht fest, wenn auch die näheren Angaben, die Enea Silvio hierüber vorbringt, keinen Halt haben (so wenig wie die über des Landgrafen Todesart). Aber die Wahl war einstimmig: Friedrich von Steiermark begann seine lange und träge Regierung. Immer bedeutungsloser wurde die Reichsgeschichte für die deutschen Territorien. Innerdeutschland ist in den nächsten Jahrzehnten von zahlreichen einzelnen großen Fehden durchzogen und vielfach zerrüttet worden. Hessen jedoch hat diesmal für keine von ihnen den Schauplatz gebildet. Das Land genoß durch die Umsicht seines Fürsten einen ziemlich ungestörten Frieden. L. ist noch zuweilen in kriegerischen Unternehmungen außer Landes gezogen, nicht sehr erfolgreich, viel häufiger aber hat er als Vermittler von Streitigkeiten gewirkt, als vielbegehrter und allgemein hochangesehener eifriger Schiedsrichter. Er erwarb sich in dieser seiner eigensten Thätigkeit, für die er unverdrossen gar manche weite Reise that, den Ehrentitel eines Friedensfürsten (princeps pacis, pacis oultor). Man erzählte, daß ihn beim Jubiläum von 1450 auch der Papst zu Rom besonders ausgezeichnet habe. Es war das Jahr, in dem der Graf von Ziegenhain verstarb und L. es also selbst noch erlebte, sein Territorium wesentlich vergrößert und abgerundet zu sehen durch den Anfall der ziegenhainischen Landstriche, die es früher durchquerten. Zu ihnen gehörten unter anderem die Städte Schwarzenborn, Ziegenhain, Treysa, Gemünden a. d. Wohra, Rauschenberg, Staufenberg, Stornfels und Nidda. Bald danach begann bereits unter L. ein anderer, viel reicherer Landerwerb für das hessische Haus wenigstens in Aussicht zu treten. L. hatte den zweiten seiner Söhne schon in dessen fünftem Lebensjahre, 1446, verlobt mit der einzigen Tochter des überreichen Grafen Philipp von Katzenelnbogen. Dieser nun verlor jetzt, 1453, seinen einzigen Sohn, Philipp den Jüngern. Der Vater blieb der Letzte des Stammes, seine Tochter Anna wurde zur Erbtochter. Und eine Stärkung seiner äußeren Stellung erhielt L. endlich kurz vor seinem Tode noch dadurch, daß jetzt in die sächsisch-hessische Erbverbrüderung auch das brandenburgische Kurhaus mit eintrat, am 29. April 1457 zu Naumburg a. d. Saale. Im Inneren war Ludwig’s Regierung [118] typisch für die damalige Ausbildung geschlossener Territorialstaaten. Gegenüber den kleinen Gewalten und der Hierarchie erhob sich die fürstliche Landesherrschaft zu mehr und mehr überragender Macht. Sie begann die Berufstände der Ritterschaft, des Bürgerthums und zum Theil auch des Clerus ihrer Oberhoheit fester zu unterstellen und territorial zusammenzubinden. Sie ward zur Trägerin eines erweiterten Staatsgedankens in der Fürsorge für das gemeine Landeswohl und als Hort des ständeverbindenden Rechts. Hessen weist unter L. alle diese Züge der Entwicklung deutlich auf. Und daß hierbei der persönliche Antheil Ludwig’s ein bewußter und schöpferischer, daß seine landesherrliche Thätigkeit eine selbständige und bedeutende war, ist sicher. Er baute Burgen, machte sich eine treue Lehnsmannschaft, hielt seine Straßen rein, schützte und förderte den Handel, ordnete die Münze, handhabte Landes- und Stadtpolizei, griff reformirend in das Klosterleben, überwachte die geistliche Gerichtsbarkeit und war selbst ein fleißiger und kluger Richter. Man rühmte, daß er nie ein unrechtes Urtheil gesprochen habe. Ein Denkmal seiner Rechtspflege ist die Gerichts- und Polizeiordnung, die er 1455 erließ. L. macht, soviel wir von ihm wissen, den Eindruck einer umsichtigen und thatkräftigen, ruhigen und festen, milden und gerechten Persönlichkeit. Hessen, sagt ein Zeitgenosse, freute sich eines solchen Herrn. L. starb am 17. Januar 1458 zu Spangenberg. Seine Gemahlin Anna von Sachsen, die ihn nur bis zum 17. September 1462 überlebte, hatte ihm folgende Kinder geschenkt: Ludwig II. (geboren 1438), Heinrich III. (geboren 1441), Elisabeth die Schöne, die 1464 mit Graf Johann III. von Nassau-Weilburg vermählt ward und 1480 starb, Hermann (geboren 1449/50), der Kurfürst von Köln ward und 1508 starb, und Friedrich, der schon 1463 starb. Dazu kam noch ein nachgeborenes Söhnchen, das jedoch nur ganz kurze Zeit gelebt haben kann.

Wigand Gerstenberg, Landeschronik von Hessen: Gerstenberg’s Werke, herausgegeben von Diemar (im Erscheinen), S. 282 ff. – Johann Nuhn, Hessische Chroniken: Selecta Senckenberg III, 397 ff. und V, 441 ff. – Rommel, Geschichte von Hessen II, 261 ff. – Landau in Zeitschrift für Hessische Geschichte V, 77 ff. – Diemar in Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, N. F. VIII, 1 ff. und in Zeitschr. f. Hess. Gesch., N. F. XXVII, 21 ff.