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ADB:Lutz, Johann

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Artikel „Lutz, Johann“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 709–711, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lutz,_Johann&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 17:35 Uhr UTC)
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Lutz: Johann L. (häufig „Hans Lutze(l)“ genannt), hervorragender Kirchenbaumeister, geb. 1473 zu Schussenried, dem Hauptorte der damaligen Klosterherrschaft gleichen Namens und jetzigen Marktflecken im württembergischen Oberschwaben, † zwischen 1525–1550 in Tirol, erhielt seine erste Ausbildung ohne Zweifel in dem Kloster seiner Heimath, dem reichsunmittelbaren, 1803 säcularisirten Prämonstratenserstifte Schussenried und erscheint in der Oeffentlichkeit zum ersten Male 1500 oder 1501 in Botzen. Hier war nämlich der auf [710] der Nordseite zwischen Chor und Schiff stehende Thurm der gothischen Pfarrkirche zu „U. L. Frau“, eines Münsters im Kleinen, kurz zuvor in Folge einer Unvorsichtigkeit des Thurmwächters dermaßen ausgebrannt, daß derselbe in seinem oberen Theile ganz umgebaut werden mußte. Zunächst zog man nun darum 1499 oder 1500 den gesuchtesten Kirchenbaumeister jener Zeit Burkhard Engelberg von Hornberg im württembergischen Schwarzwalde, Baumeister bei St. Ulrich und Afra in Augsburg, welcher sich nicht lange vorher als „des Pfarrthurms zu Ulm und anderer schadhaften Gezarken großer Wiederbringer“ einen bedeutenden Namen gemacht hatte, zu Rathe. Engelberg fertigte dann auch den Riß zu dem neu aufzuführenden Thurme, wofür er 100 fl. und 25 fl. extra erhielt, und übertrug alsbald am 3. Februar 1501 mit Genehmigung der Kirchenverwaltung die Bauleitung einem Landsmann, dem durch ihn empfohlenen und wahrscheinlich auch von Augsburg aus mitgebrachten Meister Hansen L., Palier von Schussenried. In Folge dessen wurde der Baucontrakt mit L. zunächst auf 4 Jahre abgeschlossen und später wieder erneuert; am Bau arbeitete neben L. u. A. auch dessen Bruder Jörg L., für die Meisterschaft hatte L. neben dem Gesellenlohn noch 16 fl. rh. jährliche Zulage, welche ihm 1505 in Anerkennung seiner Verdienste auf jährlich 20 fl. erhöht wurden. 1508 wurde der Bau vollendet. Als Kern wurde das Viereck des alten Thurmes beibehalten, dessen Ecken mit starken, reichgestalteten, in Spitzthürmchen endenden und den Abschluß anzeigenden Pfeilern versehen wurden. Ueber diesem Viereck ersteht ein zweites Viereck von zwei Stockwerken, wovon das untere mit blinden, das obere mit offenen durch schöne Maßwerke bekrönten Fenstern ausgestattet ist. Eine Gallerie schließt und krönt diesen Theil; darüber erhebt sich ein Sechseck gleichfalls von zwei Geschossen, an denen die Flächen des unteren wieder mit Fensterblenden, die des oberen mit offenen, reich verzierten Fensterbogen versehen sind. Der Uebergang vom unteren Viereck zum Sechseck wird durch Eckthürmchen vermittelt, die vom Viereck aufspringen und in üppig geschweiften Bogen zum Sechseck hinübergreifen. Das Sechseck selbst ist am oberen Ende wieder durch eine Gallerie mit Eckfialen bekrönt und über dasselbe erhebt sich als Abschluß nach oben ein sechseckiger durchbrochener Helm, der durch einen Kranz von Eckthürmchen, die mit reichvergoldeten Kugeln abschließen, ebenfalls in zwei Geschosse vertheilt erscheint. Die Spitze endlich schließt ein eiserner Thurmknopf mit dem eisernen Kreuz von 125 Pfd. im Gewicht, deren Vergoldung 100 Ducaten erforderte. – Endlich den 16. Septbr. 1519 war laut einer in der Glockenstube angebrachten Inschrift der herrliche Thurm mit seinem kunstreich durchbrochenen Steindach vollendet; und steht als ein erhabenes Kunstwerk deutscher Baukunst in seiner Art beinahe einzig und nur im Thurme des Wiener Stephansdomes seinesgleichen findend da. Daneben hatte L. noch Zeit gefunden, im Vereine mit seinen Gesellen in den Jahren 1513 und 1514 die prachtvolle figurenreiche Kanzel aus weißem Sandstein herzustellen, welche die aus dem Achteck gebildete Kelchform hat und an welcher die Kirchenväter und andere Heilige angebracht sind. – Nach der Fertigstellung des Thurmes ließ die Bürgerschaft des jungen ausgezeichneten Meisters – jetzt im Rathhause hängendes – Bildniß mit dem Thurm über ihm im Hintergrund malen. L. scheint sich in Tirol, das ihm zur zweiten Heimath wurde, gefallen zu haben, da er nach dem Baue in Bozen verblieb und u. A. daselbst in den Jahren 1519 und 1520 das ehrenvolle Amt eines Spitalmeisters bekleidete; seine Familie scheint sich später an dem damaligen, zwischen Botzen und Brixen gelegenen Silberbergwerk Villanders bei Klausen betheiligt zu haben und wurde bald – und zwar zuerst der 1582 gestorbene Mich. Lutz – in den Adelstand erhoben. – Sein Todesjahr hat sich bis jetzt nicht ermitteln, ebensowenig hat sich bis jetzt etwas Zuverlässiges über seine Bildungsentwickelung, [711] seine weiteren Lebensschicksale und insbesondere auch über weitere Spuren seines künstlerischen Schaffens erheben lassen. – L. war lange Zeit ganz verschollen und hat blos noch in Sagen fortgelebt, wie solche auch sonst gern von alten Domen und Bauhütten erzählt werden. Nach der einen hätte ein in Wirklichkeit gar nicht existirender Geselle Wilh. Großmund von Botzen aus Neid und Eifersucht dem L. im Thurme eine Falle gelegt, sei aber selbst hineingefallen. Eine andere, nicht minder grundlose Sage erzählt, daß der Thurm, als derselbe meisterhaft und fehlerlos schlank aufwärts strebend vollendet war, in der dritten Nacht nach seiner Aufrichtung angefangen habe, sich auf eine Seite zu neigen und L., ähnlich wie Mathäus Böblinger in Ulm (Bd. II, 758) ein Spiel der Hölle wähnend, unter Zurücklassung einer Forderung sich auf und davon gemacht, spurlos verschwunden sei und dann mit seiner Entfernung das Sinken des Thurmes von selbst aufgehört habe.

Z. Th. nach handschriftlichen Mittheilungen des Oberforstmeisters Ph. Nees in Botzen; die Notizen in den Werken von Tschischka, Nagler, im tirolischen Künstlerlexikon und a. gehen über das Allerdürftigste, wie Namens- und Heimathsangabe nicht hinaus; der Artikel über L. im Karlsruher Unterhaltungsblatt von 1835 Nr. 40 nebst Lithographie (von Arth. von Schwalbenstein), abgedruckt im Tiroler Almanach I von 1836 unter Beigabe einer besseren Lithographie ist lückenhaft und zumeist unhistorisch.