ADB:Marx, Karl (Theoretiker des Sozialismus)

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Artikel „Marx, Karl“ von Gustav Groß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 541–549, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marx,_Karl_(Theoretiker_des_Sozialismus)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:08 Uhr UTC)
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Band 20 (1884), S. 541–549 (Quelle).
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Marx: Karl M., wurde am 5. Mai 1818 zu Trier geb. Sein Vater, ein getaufter Jude, war Advocat und Bâtonnier des Barreau beim Landgerichte zu Trier. Entsprechend dem Wunsche seines Vaters widmete M. sich ursprünglich dem Studium der Jurisprudenz, ohne jedoch diesem Fache besonderen Eifer zuzuwenden, so daß er auch nie ein juristisches Examen abgelegt hat. Vielmehr beschäftigte er sich hingegen mit Geschichte und Philosophie. Im J. 1842 beabsichtigte er sich als Docent der Philosophie an der Universität Bonn zu habilitiren. Diesen Plan gab er jedoch auf, als man seinem Freunde Bruno Bauer, der als Docent der Theologie in Bonn wirkte, die venia legendi entzog. Er widmete sich nun der schriftstellerischen Thätigkeit und wurde zunächst Redacteur der Rheinischen Zeitung in Köln, legte jedoch die Redaction noch vor der im März 1843 erfolgten Unterdrückung dieser Zeitung nieder. Diese Thätigkeit war für den weiteren Lebenslauf Marx’s insofern von großer Bedeutung, als eine Polemik, welche er in der Rheinischen Zeitung gegen die Augsburger Allgemeine Zeitung führte, den ersten Anstoß zu seinen eingehenderen nationalökonomischen Studien gab.

Bald darauf beginnt das Wanderleben Marx’s. Zunächst ging er im Herbst 1843 auf Arnold Ruge’s Aufforderung nach Paris, um dort mit diesem gemeinsam die deutsch-französischen Jahrbücher herauszugeben. Von dieser Zeitschrift ist nur ein Doppelheft erschienen. Dasselbe enthält unter anderem zwei [542] größere Aufsätze von M.: „Zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie“ und „Zur Judenfrage“. Der ersterwähnte Aufsatz ist für die Beurtheilung von Marx’s Individualität von der größten Wichtigkeit. Schon hier gelangt seine mehr negative Lebensanschauung, seine später immer mehr entwickelte kritische Richtung und endlich seine heilige Ueberzeugung von der unrechtmäßigen Unterdrückung des Proletariats zum Ausdruck. Auch vertritt er schon hier die Ansicht, daß die politische Oekonomie die Grundlage des ganzen übrigen gesellschaftlichen Lebens bildet. Der zweiterwähnte Aufsatz, eine Kritik zweier Schriften von Bruno Bauer, bietet doppeltes Interesse. Einmal hat M. hier religiöse Fragen, die er sonst nur gestreift hat, etwas eingehender behandelt. Er verlangt die Umwandlung des christlichen Staates, in einen atheistischen, einen demokratischen Staat, „der die Religion unter die übrigen Elemente der bürgerlichen Gesellschaft verweist“. Nichts desto weniger tritt er keineswegs unbedingt für die Emancipation der Juden ein. Das Hinderniß desselben erblickt er nicht in der Religion der Juden, sondern in ihrem Eigennutz und Schacher. So gelangt er zu dem Schluße: „Die gesellschaftliche Emancipation der Juden ist die Emancipation der Gesellschaft vom Judenthum“.

Noch ein Aufsatz der „Jahrbücher“ verdient hier Erwähnung. Es ist die Abhandlung Friedrich Engels’:[WS 1] „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“. Durch diesen Aufsatz scheinen nicht nur die Anschauungen Marx’s mehrfach beeinflußt worden zu sein, sondern er gab auch den ersten Anlaß zu näherem Verkehr mit dem damals in Manchester ansässigen Engels, und damit zu einem Freundschaftsbunde, der bis zum Tode Marx’s angedauert hat.

Anfang des J. 1845 wurde M. von Guizot[WS 2] aus Paris ausgewiesen und ging nach Brüssel, wohin auch Engels übersiedelte. Dieser Aufenthalt in Brüssel, der bis Ende Februar 1848 dauerte, um welche Zeit M. auch hier ausgewiesen wurde, war eine Periode des eifrigsten geistigen Schaffens. Hier entstanden zunächst in Gemeinschaft mit Engels mehrere philosophische Arbeiten: „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, gegen Bruno Bauer und Consorten“ (1845), dann eine Kritik der damaligen (1845–47) neuesten deutschen Philosophie (Bauer, Max Stirner, L. Feuerbach) und des damaligen deutschen Socialismus. Diese letztere Arbeit ist bisher nicht publicirt worden. Es soll jedoch ein von Engels bearbeiteter Auszug derselben erscheinen. Von größerer Bedeutung ist die 1847 erschienene, von M. allein verfaßte Schrift: „Misère de la philosophie, réponse à la philosophie de la misère de M. Proudhon. In der scharfen Kritik, welcher M. die ökonomischen Ansichten Proudhon’s unterzieht, finden sich in nuce bereits die Grundzüge seines später entwickelten Systemes. So finden wir hier schon die später über Gebühr breitgetretene Arbeitswerththeorie, ebenso die später im „Capital“ so herrlich entwickelten Ansichten über die Bedeutung der Arbeitstheilung, die Maschinen, die Kämpfe der Fabrikanten gegen die strikenden Arbeiter mit Hülfe neuer Maschinen etc. Einen wesentlichen Unterschied jedoch zeigt die „misère de la philosophie“ gegen Marx’s spätere wissenschaftliche Arbeiten. In dieser Schrift herrscht noch nicht die absolute Mißachtung aller anderen Nationalökonomen, der M. vielleicht mehr Feinde zu verdanken hat, als seiner extremen Richtung.

In den Brüsseler Aufenthalt fällt endlich auch der Eintritt Marx’s in den „Bund der Communisten“ und damit der Beginn seiner Thätigkeit als Arbeiterführer. Dieser Bund war 1836 in Paris gegründet worden. Während seines dortigen Aufenthaltes hat M. zwar mit den leitenden Persönlichkeiten verkehrt, ohne jedoch in den Bund einzutreten.

Die Centralbehörde war schon 1840 nach London übersiedelt. Von dieser wurden nun M. und Engels, welche in Brüssel den deutschen Arbeiter-Bildungs-Verein [543] gegründet hatten, 1846 zum Eintritte in den Bund aufgefordert. Gleichzeitig erklärte die Centralbehörde sich bereit, einen Congreß nach London einzuberufen, auf welchem die Anschauungen jener als Bundesdoctrin proclamirt werden sollten. M. und Engels traten also ein und Anfang 1848 erschien zum ersten Male das von ihnen gemeinsam verfaßte, auf dem Congreße im November 1847 acceptirte „Manifest der communistischen Partei“. Dieses Manifest ist in zahlreichen deutschen, englischen und französischen Ausgaben, außerdem auch polnisch, russisch und dänisch erschienen. Die letzten deutschen Auflagen von 1872 und 1883 sind von den beiden Verfassern, beziehungsweise von Engels allein mit Vorworten versehen, worin das Manifest als in der Hauptsache auch noch jetzt maßgebend bezeichnet ist. Dasselbe ist also nicht nur von Wichtigkeit, weil es in knapper Kürze die Ansichten und praktischen Ziele Marx’s darlegt, sondern auch deshalb, weil es wohl mit Recht als das Glaubensbekenntniß der communistischen Partei betrachtet werden kann.

Das Manifest, ein wahres Meisterstück agitatorischer Geschicklichkeit, schildert zunächst den Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und den Proletariern. Die Bourgeoisie habe zunächst alle „feudalen, patriarchalen, idyllischen Verhältnisse“ zerstört und an deren Stelle die Herrschaft des Capitales und die freie Concurrenz gesetzt. Die Arbeiter sind zum bloßen Arbeitsinstrument geworden, das von dem Bourgeois der verschiedenen Classen ausgebeutet wird. Vom Beginne seiner Existenz beginnt aber auch das Proletariat seinen Kampf gegen die Bourgeoisie. Die Communisten werden als jene proletarische Partei bezeichnet, welche stets – ohne Rücksicht auf die Nationalität – die Interessen der Gesammtbewegung vertritt.

Als das Ziel des Communismus wird bezeichnet: Die Abschaffung des Eigenthums, wenigstens des heutigen bürgerlichen Eigenthums, sowie die Abschaffung der Familie, das letztere unter dem Vorwande, daß in der heutigen Bourgeois-Gesellschaft überhaupt keine Familie bestehe. Als concrete Forderungen für die vorgeschrittensten Länder werden folgende zehn Punkte aufgestellt: 1) Expropriation des Grundeigenthums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben. 2) Starke Progressivsteuer. 3) Abschaffung des Erbrechtes. 4) Confiscation des Eigenthums aller Emigranten und Rebellen. 5) Centralisation des Credits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatscapital und ausschließlichem Monopol. 6) Centralisation des Transportwesens in den Händen des Staates. 7) Vermehrung der Nationalfabriken, Productionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plane. 8) Gleicher Arbeitszwang für Alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau. 9) Vereinigung des Betriebes von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmälige Beseitigung des Unterschiedes von Stadt und Land. 10) Oeffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Production etc. etc.

Es ist dies meines Wissens die einzige Stelle in Marx’s Schriften, wo er positive Forderungen aufstellt, während er es sonst beinahe ängstlich vermieden hat, „Recepte für die Garküche der Zukunft zu verschreiben“. Wenngleich nicht angedeutet wird, wie diese Forderungen erreicht werden sollen, so wird doch schwerlich jemand glauben, daß auch nur ein Theil dieser Forderungen, welche die vollständige Umwälzung der Gesellschaft bedeuten, auf friedlichem Wege erreicht werden könnte. Auch die Verfasser des Manifestes haben sich gewiß nicht im entferntesten einer solchen Illusion hingegeben. Dies beweist eine Stelle in dem Abschnitt über das Verhältniß der Communisten zu den übrigen Parteien. „Die Communisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die [544] bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände“. „Sie erklären offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“.

Das Manifest schließt mit dem Satze: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“, in dem so recht das Princip der Nationalitätslosigkeit zum Ausdrucke gelangt.

Uebrigens war der „Bund“ in seiner damaligen Gestalt nicht von langer Dauer. Während der Revolutionszeit wurde seine Thätigkeit sistirt, „indem nun wirksamere Wege für die Geltendmachung seiner Zwecke offen standen“.

M. selbst wurde Ende Februar 1848 auch aus Belgien ausgewiesen. Er begab sich nach Deutschland zurück und gab dort vom 1. Juni 1848 bis 18. Mai 1849 die „Neue Rheinische Zeitung“ heraus. In dieser Zeitung verschonte M. weder das Frankfurter Parlament und die Reichsregierung, noch auch die reactionären Regierungen mit seinen sarkastischen Angriffen. Zweimal vor die Assisen gestellt, wurde er beide Male freigesprochen, bis endlich das Blatt einfach unterdrückt und M. selbst aus Preußen ausgewiesen wurde.

M. begab sich nun zunächst nach Paris, wol in der Hoffnung, hier die proletarische Bewegung wieder entfachen zu können. Nachdem diese Hoffnung an der Demonstration vom 13. Juni 1849 gescheitert war, wurde M. von Bonaparte zum zweiten Male aus Frankreich ausgewiesen. Er begab sich nach London, wo er von nun an seinen bleibenden Wohnsitz nahm. Hier gab er zunächst, wieder im Vereine mit Engels, der ihm nach der Niederwerfung des badischen Aufstandes gefolgt war, gewissermaßen als Fortsetzung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ eine Monatsschrift unter demselben Namen heraus. Dieselbe überlebte aber das J. 1850 nicht. Das letzte Doppelheft erschien im November.

Schon vor dem Eintreffen Marx’s in London hatte sich hier die Centralbehörde des Bundes der Communisten reconstruirt und M. trat selbstverständlich wieder in dieselbe ein. In Folge verschiedener Streitigkeiten fand jedoch am 15. September 1850 eine Spaltung dieser Centralbehörde statt. Die Majorität mit M. und Engels verlegte den Sitz der Centralbehörde nach Köln, während die Minorität, geführt von Willich[WS 3], sich in London selbständig constituirte. Dem Kölner Bunde wurde durch den Communisten-Proceß von 1852, über welchen M. in der 1853 erschienenen Schrift: „Enthüllungen über den Kölner Communisten-Proceß“, mancherlei Aufklärungen gegeben hat, ein Ende bereitet. Kurz nach der am 12. November 1852 erfolgten Verurtheilung der Angeklagten in diesem Proceße, erfolgte auch die formelle Auflösung des Bundes.

Durch eine Reihe von Jahren lebte M. nun in London in voller Zurückgezogenheit, theils mit seinen großen wissenschaftlichen Studien, theils als Mitarbeiter an amerikanischen Zeitschriften beschäftigt. Auch „der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ erschien zuerst 1852 in der amerikanischen Monatsschrift „Die Revolution“ (2. Aufl. Hamburg 1869). In dieser Schrift, welche zum Theil schon in anderer Form 1850 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erschienen war, giebt M. eine Darstellung der Vorgänge in Frankreich während der J. 1848–51. Man würde irren, darin eine eigentliche pragmatische Geschichtsschreibung des Staatsstreiches und seiner Vorbereitung suchen zu wollen. Es ist eine Reihe von Geist und Witz sprühenden Aphorismen, die man viel eher als einen Commentar zur Geschichte dieser Jahre bezeichnen könnte. Was die Tendenz der Schrift anbelangt, so findet nur die proletarische Bewegung vom Juni 1848 Gnade vor den Augen Marx’s, während alle, alle übrigen Parteien mit dem gleichen Hohn und Haß behandelt werden. Namentlich [545] spricht aber fast aus jeder Seite ein wahrhaft glühender Haß gegen Louis Napoleon und die Bande vom 10. December.

Erst gegen Ende dieses Jahrzehnts trat M. wieder in größerem Maße vor die Oeffentlichkeit. Er war durch Karl Vogt in einer ganz unqualificirbaren Weise angegriffen worden und antwortete diesem in dem umfangreichen, 1860 in London erschienenen Pamphlete „Herr Vogt“. (Ich übergehe hier vorläufig die „Kritik der pol. Oekonomie“, um dieselbe weiter unten im Zusammenhang mit dem „Capital“ zu besprechen). In glänzender Weise weist M. hier die Angriffe Vogt’s zurück. Form und Inhalt des Buches erscheinen aber nur begreiflich, wenn man berücksichtigt, daß M. aufs Aeußerste gereizt worden war. Es wird hier nämlich coram publico die gesammte schmutzige Wäsche der deutschen Emigrantenschaft gewaschen und das ist – sehr viel. Daneben tritt auch hier wieder jene edle Erbitterung gegen den Bonapartismus vielfach in den Vordergrund.

Wenige Jahre später fand M. Gelegenheit, seine Bemühungen zur Vereinigung der Proletarier aller Nationen mit besserem Erfolge wieder aufzunehmen. Nachdem zuerst 1862 bei Gelegenheit der Londoner Weltausstellung Verbindungen zwischen den englischen und französischen Arbeitern angeknüpft worden waren, fand am 28. September 1864 jenes berühmte Meeting in der St. Martins-Hall statt, auf welchem die Constituirung der „Internationalen Arbeiter-Association“ beschlossen wurde. Auch M. war hier anwesend, obwol er sich an den vorhergehenden Verhandlungen nicht in hervorragendem Maße betheiligt zu haben scheint. Er wurde in das provisorische Comité gewählt und blieb von diesem Augenblicke an bis zur Verlegung des Generalrathes nach New-York unbestritten der Führer und das geistige Haupt der Internationalen Arbeiter-Association, obwol er dem Generalrathe nominell, immer nur als correspondirender Secretär für Deutschland angehört hat. Fast alle Adressen, Proclamationen und anderweitigen Publicationen des Generalrathes während dieser Zeit sind von M. verfaßt, so auch die Inauguraladresse vom 1. November 1864 sowie die Statuten der Internationalen Arbeiter-Association.

Die erwähnte Adresse, welche die für die Internationale maßgebenden Principien darlegen sollte, zeichnet sich – im Vergleiche mit dem Manifest von 1847 – durch eine gewisse Mäßigung aus. Dieselbe bespricht das Elend der arbeitenden Klassen, welches durch den gewaltigen Aufschwung der Industrie und des Exportes in keiner Weise gemildert wurde. Die englische Zehnstunden-Bill und die Errichtung von Cooperativfabriken mit Beseitigung des Lohnsystems werden als Erfolge der Arbeiter anerkannt und Weiterarbeiten in dieser Richtung empfohlen. Erfolge seien aber nur möglich, wenn die Arbeiter verschiedener Nationalitäten sich gegenseitig unterstützen, woran sie durch die auswärtige Politik der Regierungen gehindert werden. Der Schluß der Adresse ist identisch mit dem des Manifestes von 1847: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“. Wenn also die Inauguraladresse auch in gemäßigterer Form auftritt, der Grundgedanke ist derselbe geblieben wie damals.

Vermöge der Statuten war die Herrschaft des Generalrathes, d. h. Marx’, über die sich immer mehr ausbreitende Internationale Arbeiter-Association eine ziemlich unumschränkte. Die Congresse, welche 1866–69 in Genf, Lausanne, Brüssel und Basel abgehalten wurden, hatten daher eigentlich auch keine andere Bedeutung, als daß die Beschlüsse des Generalrathes durch dieselben bestätigt wurden. 1870 wurde die Propaganda der Internationalen durch den Krieg, wenn auch nicht unterbrochen, so doch gelähmt. Eine um so wichtigere Rolle spielte dieselbe im nächsten Jahre, in welchem ihre Mannschaften zum ersten [546] Male im Feuer exercirten. So weit ersichtlich, ist allerdings der Ausbruch des Aufstandes in Paris ohne unmittelbares Zuthun des Generalrathes erfolgt. Um so entschiedener ergriff derselbe nach der Niederwerfung des Aufstandes die Partei der Commune. In einer vom 30. Mai 1871 datirten, von allen Mitgliedern des Generalrathes unterfertigten Adresse „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ äußert der Generalrath seine Ansicht über die Commune. Das Schriftstück erinnert in der Darstellung und Schreibweise wesentlich an den „18. Brumaire“. Nur spricht daraus noch mehr Fanatismus und wilder Haß gegen die Bourgeoisie. Während die Regierung von Versailles und ihre Anhänger zu wahren Ungeheuern gestempelt werden, erscheinen die Communards als reine Engel. Gewiß ist auch von Seiten der Regierungstruppen in jenen Tagen viel, sehr viel geschehen, was nicht zu billigen ist. Aber es ist im höchsten Grade bedauerlich, daß ein Mann wie M., der ja nicht nur Arbeiterführer, sondern auch Gelehrter in des Wortes vollstem Sinne war, nicht Ein Wort der Mißbilligung für die Zerstörungsgreuel der Commune gefunden hat.

Trotzdem bildeten M. und seine Anhänger in gewissem Sinne noch die gemäßigte Partei der Internationalen Arbeiter-Association. Der Russe Bakunin war der Führer der radikalsten Fraction, der Anarchisten. Die Spaltung zwischen den beiden Parteien ging so weit, daß Bakunin und seine Anhänger auf dem Congresse im Haag 1872 ausgeschlossen wurden. Auf demselben Congresse setzte M. es durch, daß der Sitz des Generalrathes nach New-York verlegt werde, um so dem Kampfe mit den Anhängern Bakunin’s ein Ziel zu setzen und überdies, weil die öffentliche Fortexistenz der Internationalen Arbeiter-Association in Europa wegen der allgemeinen Verfolgung unmöglich geworden war. Mit dieser Verlegung hört auch die officielle Betheiligung Marx’ an der Internationale auf. Dabei blieb er aber der Rathgeber und das wirkliche Centrum der ganzen proletarischen Bewegung, der er auch für lange Zeit die Richtung vorgezeichnet hat.

Es erübrigt noch die Besprechung der wissenschaftlichen Theorie Marx’. Dieselbe ist niedergelegt in der Schrift „Zur Kritik der politischen Oekonomie“ und in seinem großen Werke „Das Capital“, dessen bisher einziger Band bereits in drei Auflagen erschienen ist (1867, 1873 und 1883). Der zweite Band soll demnächst nach dem hinterlassenen Manuscript von Engels herausgegeben werden.

M. beginnt seine Darstellung mit der Entwicklung seiner Werththeorie. Die Basis derselben bildet die Anschauung, daß Gebrauchswerth und Tauschwerth nicht nur in keinem directen Zusammenhange stehen, sondern sogar Gegensätze sind. Der Gebrauchswerth erscheint nicht nur als eine Eigenschaft der Waare, sondern wird mit dieser identificirt. Er ist zugleich der stoffliche Träger des Tauschwerthes, d. h. des quantitativen Verhältnisses, der Proportion, worin Gebrauchswerthe gegen Gebrauchswerthe anderer Art ausgetauscht werden. Während der Gebrauchswerth qualitativ sehr verschieden ist, ist der Tauschwerth nur quantitativ wechselnd, indem jede Waare in gleicher Weise die Fähigkeit besitzt, gegen andere ausgetauscht zu werden, und nur die Menge der Waaren, gegen welche sie ausgetauscht wird, verschieden ist.

Woher entspringt nun der Tauschwerth? Ausschließlich aus der auf die Herstellung einer Waare verwendeten menschlichen Arbeit. Er ist „Arbeitsgallerte, krystallisirte Arbeit“. Die Menge der verwendeten Arbeit wird gemessen nach der Arbeitszeit. Bei der verschiedenen Qualität der menschlichen Arbeit kann jedoch nicht die Arbeitszeit, welche auf jede einzelne Waare verwendet wurde, deren Tauschwerth bestimmen, sondern die zur Herstellung erforderliche Arbeitszeit muß zurückgeführt werden auf eine Durchschnittsarbeitskraft und der Tauschwerth wird bestimmt durch die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Es ist also „die zur Herstellung eines Gebrauchswerthes nothwendige Arbeitszeit, welche seine Werthgröße [547] bestimmt“ (S. 6) *). Der Werth einer Waare wird in der einfachsten Form ausgedrückt durch ihr Werthverhältniß zu einer anderen Waare. Hierbei erscheint die erste Waare als relative Werthform, die zweite, welche der ersten in verschiedener Quantität gleichgesetzt wird, als Aequivalentform des Werthes. Ebenso kann eine ganze Reihe von Waaren untereinander gleichgesetzt werden, oder endlich es kann eine Reihe von Waaren einer bestimmten Waare gleichgesetzt werden. In diesem letzteren Falle, der allgemeinen Werthform, stellen sämmtliche Waaren ihre Werthe einfach dar, weil in einer einzigen Waare und einheitlich, weil in derselben Waare. Die Reihe von Waaren erscheint in der Relativform des Werthes, die eine ihnen gegenübergestellte Waare in der Aequivalentform. Wird nun eine specifische Waarenart immer in der Aequivalentform gesetzt, so wird diese „zur Geldwaare oder functionirt als Geld“ (S. 38). Das Geld dient so zunächst als Maßstab des Werthes der anderen Waaren. „Der Werthausdruck einer Waare in Gold – x Waare A = y Goldwaare – ist ihre Geldform oder ihr Preis“ (S. 65). M. findet also keinen wesentlichen Unterschied zwischen Werth und Preis, sondern erblickt im Preise eben nur eine besondere Ausdrucksform des Werthes, die in Geld. Die Function des Geldes bleibt nicht auf die Werthmessung beschränkt. Vielmehr vermittelt dasselbe zunächst auch in der Gestalt der Münze die Circulation, dient also als Circulationsmittel. Weiter wird das Geld auch Schatzbildungsmittel und Zahlungsmittel. Im Welthandel endlich streift das Geld seine Formen von Münze, Scheidemünze und Werthzeichen wieder ab und wird in der Form von Barren Weltgeld.

Die wichtigste Function des Geldes ist aber seine Verwendung als Capital. M. unterscheidet in der Waarencirculation zwei verschiedene Formen, nämlich den Umtausch von Waare gegen Geld, um mit diesem andere Waaren zu kaufen (W - G - W), und den Ankauf von Waaren in der Absicht, diese Waaren wieder gegen Geld zu verkaufen (G - W - G). Worin liegt aber nun die ökonomische Begründung dieser Circulationsprocesse, da ja immer nur Waaren von gleichem Werthe gegen einander ausgetauscht werden können? Bei der ersten Form W - G - W haben die beiden Endglieder allerdings gleichen Tauschwerth, aber verschiedenen Gebrauchswerth, und in der verschiedenen Nützlichkeit derselben für das betreffende Wirthschaftssubject liegt auch die wirthschaftliche Begründung des Tauschprocesses. Wie aber bei der zweiten Form? Endglieder derselben sind beiderseits Geldsummen von gleichem Gebrauchswerth. Soll nun jemand überhaupt eine Veranlassung haben, einen derartigen Tauschproceß einzugehen, so müssen die Tauschwerthe der Endglieder verschieden sein. Die Formel muß sich also so gestalten: G - W - G + G. Woher stammt nun dieses Plus? Dasselbe kann nur auf die Weise entstehen, daß jemand eine Waare kauft, deren Werth sich unter seinen Händen vermehrt. Eine solche Waare ist aber einzig und allein die Arbeit. In dieser Verwendung des Geldes nun zum Ankauf von Arbeit mit der Absicht, das Arbeitsproduct wieder zu verkaufen, erblickt M. die Capitaleigenschaft des Geldes. Also nicht das Geld als solches, noch weniger sachliche Productionsmittel, sondern eben diese Verwendung des Geldes erscheint ihm als Capital. Das Capital ist ihm ein „gesellschaftliches Productionsverhältniß“, ein „historisches Productionsverhältniß“. (Lohnarbeit und Capital, Separatabdruck aus der neuen Rheinischen Zeitung, Breslau 1880.)

Im Capital unterscheidet M. einen constanten und einen variablen Bestandtheil, je nachdem das Geld zur Beschaffung von Productionsinstrumenten oder zum Ankaufe von Arbeitskraft verwendet wird. Constant nennt er den ersten Theil deshalb, weil sein Werth im Productionsprocesse nicht vermehrt wird. Auf [548] den Werth des Productes geht nur so viel vom Werth des constanten Capitals über, als an Rohstoffen, Arbeitsinstrumenten etc. verbraucht wird. Anders beim variablen Capital. Der Werth der Arbeitskraft wird bestimmt durch die zu ihrer Reproduction nothwendigen Lebensmittel, bzw. durch die zur Production derselben nothwendige gesellschaftliche Arbeitszeit. Indem nun der Capitalist nur diesen Werth für die Arbeitskraft bezahlt, die Arbeitskraft aber in weiterem Maße ausbeutet, erzielt er einen Mehrwerth, ein Surplus, welches er sich aneignet, ohne einen berechtigten wirthschaftlichen Anspruch darauf zu haben. Der Arbeitstag zerfällt in zwei Bestandtheile, deren einer den Werth der Arbeitskraft reproducirt, während der andere Mehrwerth producirt.

Dieser Mehrwerth nun kann wieder ein absoluter oder ein relativer sein. „Durch Verlängerung des Arbeitstages erzielter Mehrwerth ist absoluter; der Mehrwerth dagegen, der aus Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Veränderung im Größenverhältnisse der beiden Bestandtheile des Arbeitstages entspringt, ist relativer Mehrwerth“ (S. 312). Während nun die Production des absoluten Mehrwerthes eine verhältnißmäßig einfache ist und in dem beständigen Bestreben des Capitalisten gipfelt, den Arbeitstag über das nothwendige Maaß zu erweitern, ist die Production des relativen Mehrwerthes eine um so mannigfaltigere. Die Theilung der Arbeit, die Einführung und Verbesserung von Maschinen, die Einführung von Vorrichtungen, durch welche der Arbeiter gezwungen wird seine Arbeitskräfte mehr anzuspannen, kurzum alle Institutionen, welche eine erhöhte Productivität der Arbeit bezwecken, erzielen gleichzeitig eine Vermehrung des relativen Mehrwerthes. Hier in der Schilderung des Kampfes um die Länge des Arbeitstages, noch mehr aber wol in der Darstellung des Einflusses verbesserter Productionsmethoden und neuer Maschinen auf die Zustände der arbeitenden Klassen zeigt sich M. als unübertroffener Meister, sowol in der Beobachtung als in der Erklärung der beobachteten Erscheinungen und in der Art der Darstellung.

Der von den Capitalisten lucrirte Mehrwerth wird theilweise als Revenue zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, zum größeren Theile aber wieder als Capital verwendet, das wieder Mehrwerth erzeugt. Hierdurch erklärt sich dann das stete Anschwellen, die Accumulation des Capitals. Woher stammt aber der ursprüngliche Stoff des Capitals? Bei der Schilderung des ursprünglichen Accumulationsprocesses des Capitals unterscheidet M. zwischen landwirthschaftlichem und industriellem Capital. Das landwirthschaftliche Capital soll entstanden sein durch Expropriirung des Landvolkes, indem das alte Gemein- und Feudaleigenthum in absolutes Privateigenthum und so der Bauer in einen Lohnarbeiter umgewandelt wurde. Die industriellen Capitalisten hingegen sind zum kleinsten Theile aus Zunftmeistern etc. entstanden, während die Hauptmenge des industriellen Capitals dem Wucher, der Ausbeutung der Colonien und dem Protectionssysteme mit seinen directen staatlichen Unterstützungen seine Entstehung verdankt.

Wohin soll nun die stetig wachsende Accumulation des Capitals endlich führen? M. deutet seine Ansicht hierüber mit den Worten an: „Die Centralisation der Productionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer capitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des capitalistischen Privateigenthums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriirt.“ (S. 790).

Wenngleich die Darstellung Marx’ stellenweise etwas einseitig ist, wenngleich die Basis seiner Theorie, die Werththeorie, vielfach angreifbar ist, so werden doch auch seine entschiedensten Gegner nicht bestreiten können, daß er zur Klarstellung der Entwicklungsgesetze der Volkswirthschaft viel, sehr viel, ja vielleicht mehr als alle neueren Nationalökonomen beigetragen hat.

[549] Die Vollendung seines großen Werkes wurde durch den Tod Marx’ unterbrochen. Schon Ende der siebziger Jahre begann der bis dahin sehr rüstige Mann zu kränkeln. 1881 starb seine Gattin, eine Schwester des ehemaligen preußischen Ministers v. Westphalen, mit welcher er in sehr glücklicher Ehe gelebt hatte. Von diesem Schicksalsschlage hat er sich nie wieder erholt. Nachdem er in südlichen Klimaten Linderung seiner körperlichen Leiden gesucht hatte, kehrte er etwas gekräftigt im Herbste 1882 nach London zurück. Da starb im Januar 1883 seine älteste Tochter, die mit Longuet, dem Redacteur der Pariser „Justice“, vermählt war. Dieser Schlag warf ihn von neuem aufs Krankenlager und am 14. März 1883 verschied er sanft in seinem Armsessel.

Er hinterließ noch zwei Töchter; die ältere ist die Gattin Laforgué’s[WS 4], eines Führers der revolutionären Pariser Arbeiterpartei; die jüngere, Eleanor M., wurde von ihm in Gemeinschaft mit seinem alten Freunde Engels mit der Ordnung seines litterarischen Nachlasses betraut.


[547] *) Ich citire nach der dritten Auflage des „Capitals“.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Engels (1820–1895), Unternehmer und politischer Philosoph.
  2. François Guizot (1787–1874), französischer Außenminister.
  3. August Willich, vgl. den Artikel in der Wikipedia.
  4. Paul Lafargue (1842–1911), verheiratet mit Jenny Laura Marx (1845–1911); beide begingen gemeinsamen Suizid.