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ADB:Mauthner, Josef

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Artikel „Mauthner, Joseph“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 771–773, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mauthner,_Josef&oldid=- (Version vom 29. November 2024, 10:05 Uhr UTC)
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Mauthner *): Joseph M., Lyriker, am 15. Februar 1830 zu Prag als Sohn eines wohlhabenden und gebildeten israel. Fabrikanten geboren, wurde durch Privatunterricht sorgfältig gebildet, wobei seine Lehrer, die bekannten Dichter Moritz Hartmann und Siegfried Kapper, seine poetische Begabung erkannten und nährten. Als Aeltester mußte er am 15. Geburtstage von den geliebten Studien weg ins Contor, daher den Bildungsgang autodidaktisch vollenden, bewährte übrigens durch frühreifen durchdringenden Verstand kaufmännische Anlagen neben reger Phantasie. Als der Vater 1848 sein Geschäft nach Wien verlegte, warf sich der jugendliche Feuerkopf in den Strudel der damaligen Bewegung, trat schon im März in die Wiener Akademische Legion und betheiligte sich nicht nur, wie Moritz Hartmann’s Aufzeichnungen über die Wiener Octobertage lebendig erzählen (Hartmann’s Gesammelte Werke X, 1874, S. 51 ff.), an den Kämpfen der Aufständischen, sondern auch mit kühnen Barrikadenliedern an der Revolutionspoesie. Nach dem Fehlschlagen der demokratischen Hoffnungen widmete sich M. wieder dem kaufmännischen Berufe; ja, als bald darauf der Vater erkrankte, lastete auf des Jünglings Schultern nicht nur die Sorge für das Geschäft, sondern auch für den Unterhalt der Familie, also auch der Geschwister: der spätere Reichsrathsabgeordnete Max und der, Joseph im Tode vorangegangene Dr. Philipp M., zwei vielgenannte Persönlichkeiten in Oesterreichs öffentlichem Leben, waren J. Mauthner’s jüngere Brüder. Im J. 1856 heirathete er; diese Ehe beglückte ihn durch das zärtliche Verhältniß zur Gattin und den Kindern ungemein: man lese unter seinen Gedichten die Sprossen des Liebesfrühlings, die er über die älteste Tochter ausschüttet, überhaupt den ganzen Cyklus „Meine Familie“, sodann die pietätvolle Skizze über sein Leben und Wesen aus der Feder seines Sohnes vor der posthumen „Gedichte“-Ausgabe. Wenn auch mit geringerer Begeisterung als der Freiheit blieb er dem Berufe treu, übrigens mit wechselndem Glücke. Mehr als einmal hatte er durch Energie und Speculation Millionen erworben. Wiederholt hat er sein mühsam errungenes Vermögen eingebüßt, so auch Ende der achtziger Jahre schwere Verluste erlitten, nachdem [772] seit dem Jahre des allgemeinen „großen Krachs“, 1873, seine finanzielle Lage keine rosige mehr gewesen und der Tod seines Bruders Philipp, dessen bedeutender Einfluß ihn immerhin stark gestützt, ihn doppelt hart erschüttert hatte. Mögen nun diese mittelbar oder unmittelbar den Sanguiniker immer mehr in Schwermuth und Lebensüberdruß hineingejagt haben, eine Stimmung, die schon verzweiflungsvolle Verse von 1883 spiegeln, die Aufregungen über arges materielles Unglück, wachsende körperliche Leiden, gewiß auch der Zwiespalt zwischen täglicher Thätigkeit und den Idealen seines Strebens verdüsterten das Gemüth des Sechzigjährigen dermaßen, daß er, in seiner Widerstandskraft gelähmt, sich am 23. April 1890 durch einen Revolverschuß in die Schläfe in seiner Wiener Wohnung erschoß. Er hatte sein Haus bestellt, mit einem ergreifenden Abschiedsgedicht, das seines Lebens Facit zieht, die Hinterlassenen zu trösten versucht und sein psychologisch feines Tagebuch mit der Schilderung seiner letzten Stunden, das Wort „Ende“ daruntersetzend, abgeschlossen.

Joseph Mauthner’s Entschlossenheit zur Selbstvernichtung deckt sich mit seiner ganzen Art, welche die Ueberzeugung seines Gefühls durch all die fünftehalb Jahrzehnte seines Doppellebens, des geschäftlichen, auf pekuniären Gewinn abzielenden, und des gedanklich hochstrebenden, in tiefer Poesie ankernden, festgehalten hat. Der Mann, dem fast alle erregenden Wandlungen seines bewegten Lebens einen poetischen Niederschlag urechter Stimmung erzeugten, wollte nie und nimmer die reifen Früchte, die ihm so die Muse in Schmerzenstunden in den Schoß warf, der Oeffentlichkeit preisgeben. Ein Weltmann und ein Mann der Welt, ein bekanntes Mitglied der Wiener Gesellschaft (in engern Kreisen daselbst „der Pepi Mauthner“ genannt), trug er doch in sich eine unbezwingliche Scheu vor dem Gedrucktwerden. So äußerte denn der Kenner und Kritiker, der seinen Namen wie seine Poesie anläßlich des bevorstehenden Sexagennariums ans Licht gezogen, M. verdiene ernstlich begrüßt zu werden einmal durch die Kunst seiner Leistung, zweitens durch die Kunst, wie er sie verbirgt. Es ist dies Karl Emil Franzos, der zuerst 1883 in seinem „Deutschen Dichterbuch aus Oesterreich“ (S. 75–77) vier tiefempfundene Proben der Mauthner’schen Lyrik vorlegte, die ersten zugänglich gemachten seit einigen Zeitgedichten radicaler Tendenz, welche der Verfasser im Herbste des Sturmjahres 1848 veröffentlicht hatte. Dann brachte Franzos in seiner Zeitschrift „Deutsche Dichtung“ VII, Heft 10 (S. 247–51), zu dem auf das Datum des Erscheinens fallenden 60. Geburtstage Mauthner’s einen warmen Glückwunsch-Artikel „Zum Jubiläum eines Unbekannten“ mit der Namensangabe am Schlusse, einladenden sinnigen Proben und nachdrücklichen Hinweisen auf die Eigenart des zurückhaltenden Poeten. Diese Charakteristik erweiterte der Entdecker dieses poetischen Genius im Nachrufe auf den kaum zwei Monate später dem Selbstmord Verfallenen i. d. „Deutschen Dichtung“ VIII, Heft 6, S. 152, endlich in der „Deutschen Dichtung“ IX, S. 56 bezw. („Die Gedichte des Unbekannten“) S. 209/11, der Voranzeige und ausführlichen Besprechung der sofort nach dem Hinscheiden durch den Sohn Dr. Isidor Mauthner, sicherlich auf Franzos’ Anlaß, aus fast unabsehbarer Zahl in dünnem Bändchen getroffenen Auswahl der „Gedichte“ (1891). Es darf als besonderes Verdienst des ja in poetisch-litterarischen Funden und Rettungen mannichfach glücklichen K. E. Franzos gelten, daß er die Theilnahme für den dichterischen Reichthum des selbstgenügsamen Joseph Mauthner entschieden geweckt, die Herausgabe des Blüthenstraußes unmittelbar nach dem Tode des so traurig aus dem Diesseits Entflohenen, als das Interesse noch wach war, gefördert und in der gedruckten Auslese den starken triebkräftigen Funken göttlicher [773] Weihe gar verständnißinnig aufgezeigt hat. Das scharfe selbständige Gepräge der Individualität, die leidenschaftliche und dennoch fast überall in sanften oder gebrochenen Tönen abgemilderte Gluth, der ruhelose Drang zum Schönen, zum Idealen, die unaufdringliche Spiegelung der auf- und niederwogenden äußern wie innern Erlebnisse, die klare edle Sprache und kunstvoll einfache Versbehandlung: all das leuchtet aus der geschickten Mustersammlung der Poesien des anfangs thatenfrohen, allmählich immer elegischeren Sanguinikers hervor, für die K. E. Franzos nicht nur die vollgeziemende Aufmerksamkeit erobert, sondern auch die richtigen Gesichtspunkte rechter Würdigung geliefert hat.

Vgl. außerdem: die Notiz in Franzos’ Dtsch. Dichterbuch aus Oesterreich S. XXXI. – Lebensbild bei Frz. Brümmer, Lexikon d. dtsch. Dichter u. Prosaisten des 19. Jahrh.5 III, 34. – Mauthner’s Leben und Wesen überblickt der Sohn vor den „Gedichten“ 1891. – Nachruf Wiener „Neue Freie Presse“ Nr. 9218 (23. April 1890) Abendblatt S. 1 (Nr. 9219 Morgenblatt S. 14 Todesanzeige).

[771] *) Zu S. 256.