ADB:Kapper, Siegfried
Moritz Hartmann und Alfred Meißner dichterisch productiv gewesen und hatte besonders als glücklicher Vermittler slavischer Volkspoesien selbst in weiteren Kreisen Anerkennung gefunden; als Wiener Student veröffentlichte er dann seine „Slavische Melodien“ (1844) und seine Gedichte in böhmischer Sprache „Cêské listy“ ( d. i. Böhmische Blätter, 1846), von denen sich die letzteren eines außerordentlichen Erfolges rühmen konnten. K. war übrigens der erste Jude, der tschechisch schrieb. Unmittelbar nach Abschluß seiner Studien folgte K. einem Rufe als Arzt nach Karlstadt an der türkisch-kroatischen Grenze, und er that dies um so bereitwilliger, als ihm hierdurch Aussicht geboten ward, sein Studium des Südslaventhums, dem er sich seit Jahren zugewendet, durch eigene Anschauung zu erweitern und zu ergänzen. In diesem Bestreben durch südslavische und serbische Dichter und Gelehrte, wie Wuk Stefanowitsch Karadschitsch, Iwan Mazuranitsch und Emmerich von Tkalac, gefördert, bereiste er Bosnien, die Herzegowina, Dalmatien, die Inseln des Quarnero und kehrte im Februar 1848 nach Wien zurück, ursprünglich in der Absicht, sein Studium auch über die unteren Donauländer auszubreiten. Indeß bestimmte ihn der Ausbruch der Märzereignisse und seine persönliche Theilnahme an denselben, vorerst noch in der Kaiserstadt zu verbleiben und für die Versöhnung der sich damals schon bekämpfenden verschiedenen Nationalitäten durch Wort und Schrift zu wirken, ein zwar wohlgemeintes Bestreben, das ihm aber sowol von deutscher als auch von tschechischer Seite nur bittere Enttäuschung eintrug. Dann war er in gleichem Sinne besonders für das „Konstitutionelle Blatt“ thätig als Berichterstatter, zuerst über den Verlauf der Revolution in Wien, später über die Verhandlungen in den Reichstagen zu Wien und Kremsier und über die Ereignisse auf dem ungarischen Kriegsschauplatze. Nach Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung nahm K. seinen früheren Plan wieder auf und bereiste in den Jahren 1850 und 1851 wiederholt Slavonien, die Wojwodina, Serbien, Bulgarien, die Moldau und Walachei. [41] Die auf diesen Reisen gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen legte K. theils in selbständigen Reiseschriften, wie „Südslavische Wanderungen“ (II, 1851), „Christen und Türken. Reisebilder von der Save bis zum eisernen Thor“ (1854), theils in einer Reihe von Feuilletons unter dem Titel „Ein Ausflug nach Bukarest“ in der „Kölnischen Zeitung“ nieder. Diese Arbeiten zeugen von scharfer Beobachtung, Geist und historischem Sinn und zeichnen die eigenthümliche Wirklichkeit der südslavischen Länder treu und lebenswahr. Ihnen schloß sich an als ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte die historische Monographie „Die serbische Bewegung in Süd-Ungarn“ (1851), welche anonym erschien. Poetische Ergebnisse dieser Reisen waren die „Gesänge der Serben“ (II, 1852), in denen er eine Auswahl der schönsten Volkspoesien der Serben darbot, und dann seine bedeutendste Schöpfung, die epische Dichtung „Lazar, der Serbenczar. Nach serbischen Sagen und Heldengesängen“ (1851; 2., verb. Aufl. u. d. T. „Fürst Lazar. Epische Dichtung“, 1853). Dieses Epos ist nicht, wie manche Kritiker aus dem Titelzusatz geschlossen haben, eine bloße Uebersetzung serbischer Volksrhapsodien, die K. zu einem künstlerisch geordneten Ganzen zusammengestellt und dort, wo Lücken auszufüllen gewesen, ergänzt habe; es ist vielmehr durchgehends eine organisch auf dem Boden der serbischen Sage, Geschichte und einiger Volksliederfragmente aufgebaute, dem Dichter wesentlich eigene Schöpfung, die das Leben und Denken des serbischen Volkes mit farbenvoller Treue veranschaulicht. „Ein kräftiger Realismus hält den romantischen und idealen Elementen die Wage; viele Schilderungen sind voll lebendiger Charakteristik; die eingeflochtenen Nachbildungen der Volkslieder sind fließend wie selbstverfaßte und bewahren doch die nationale und individuelle Eigenthümlichkeit.“ In den Jahren 1852 und 1853 unternahm K. weitere Reisen durch Deutschland und Italien; als er sich dann 1854 mit einer Schwester seines Freundes Moritz Hartmann verheirathet hatte, ließ er sich in Dobritz bei Prag als Stadtarzt nieder. Von hier aus machte er als freiwilliger Arzt und zugleich als Berichterstatter für die „Kölnische Zeitung“ den Feldzug in Piemont und der Lombardei (1859) mit und übersiedelte im Herbst 1860 als praktischer Arzt nach der böhmischen Kreisstadt Jungbunzlau. Inzwischen war er auch als Schriftsteller nicht unthätig gewesen und hatte außer einigen novellistischen Arbeiten, wie „Herzel und seine Freunde. Bilder aus dem böhmischen Schulleben“ (1853), „Falk. Eine Erzählung“ (1853) und „Das Vorleben eines Künstlers. Roman“ (1855) auch „Die Handschriften von Königinhof und Grünberg. Altböhmische Poesien aus dem 10. bis 12. Jahrhundert“ (1859) herausgegeben. Seine Vorliebe für Wanderungen und slavische Poesie blieb ihm auch im höheren Mannesalter, wovon seine Schriften „Das Böhmerland. Wanderungen und Ansichten mit Illustrationen“ (1863), „Märchen aus dem Küstenlande“ (1865), „Serbische Nationalpoesie“ (II, 1871) und „Gusle. Serbische Gedichte“ (1874) Zeugniß geben. K. starb während eines Aufenthalts in Pisa am 7. Juni 1879.
Kapper: Siegfried K., mehrseitig verdienter Schriftsteller, Dichter und Ethnograph, wurde am 21. März 1821 zu Smichow, einem Vororte von Prag, von jüdischen Eltern geboren. Während der Knabe seinen ersten Unterricht in der tschechischen Volksschule erhielt, bereitete ihn sein Vater, der 1795–1816 in verschiedenen Instituten der Schweiz, des Elsaß und Süddeutschlands als Lehrer gewirkt hatte, durch den Unterricht im Deutschen vor, worauf er 1830 bis 1836 das Gymnasium auf der Kleinseite in Prag besuchte und dann an der dortigen Hochschule bis 1839 Philosophie studirte. Nachdem er ein Jahr lang eine Hofmeisterstelle bekleidet hatte, ging er nach Wien, wo er sich 1841 bis 1846 dem Studium der Medicin widmete und sich 1847 die Doctorwürde erwarb. Schon in Prag war er neben seinen Alters- und Studiengenossen Friedrich Bach,- Wurzbach’s Lexikon d. Kaiserthums Oesterreich X, 451. – Ignaz Hub, Deutschlands Balladen- und Romanzen-Dichter III, 450. – Heinrich Kurz, Litteraturgeschichte IV, 362.