ADB:Molitor, Wilhelm
v. Geissel einige beigesteuert hatte. In den nächsten fünfzehn Jahren ruhte Molitor’s Feder, weil er, obwohl sich ihm eine glänzende Zukunft eröffnet hatte, in dem erwählten Berufe doch keine Befriedigung fand und sich deshalb mit ganzer Kraft einem neuen zuwandte. [439] Er schied 1849 aus dem Staatsdienste, studirte in Bonn Theologie und erhielt schon 1851 in Speyer die Priesterweihe. Nach einer viermonatlichen seelsorgerischen Thätigkeit in der Gemeinde Schifferstadt wurde er vom Bischof Dr. Nik. Weis als dessen Geheimsecretär und als Domvicar nach Speyer zurückberufen und schon am 11. November 1857 zum Domcapitular ernannt. Daneben verwaltete M. noch die Aemter eines Domkustos, eines Pönitentiars und bis 1865 dasjenige eines Professors der Kunstgeschichte und Homiletik am Priesterseminar. Auch gab er sich nun wieder schriftstellerischer Thätigkeit hin, theils auf theologischem und juristischem Gebiete, theils in der idealen Welt der Poesie. So lange Bischof Dr. Weis lebte, wohnte M. in dessen Hause und blieb sein vertrauter und einflußreicher Secretär, unternahm auch mit ihm 1856 und 1861 Reisen nach Rom. Hier lernte Papst Pius IX. diesen bedeutenden katholischen Schriftsteller kennen; er verlieh ihm 1864 die Würde eines Dr. theol. und berief ihn 1868 als Consultor zur Theilnahme an den Vorarbeiten für das Vaticanische Concil nach Rom. In den Jahren 1875–77 gehörte M. als Vertreter eines unterfränkischen Wahlkreises dem bairischen Abgeordnetenhause an; aber der feinfühlende Dichter fand keinen Geschmack an den Aufregungen der Debatten, legte sein Mandat nieder und beschränkte sich hinfort auf die Erfüllung seiner Amtspflichten und auf litterarische Thätigkeit. Er starb in Speyer am 11. Januar 1880.
Molitor: Wilhelm M., wurde am 24. August 1819 zu Zweibrücken in der Rheinpfalz geboren und entstammte einer streng katholischen Juristenfamilie. Er widmete sich, der Familientradition folgend, von 1836 bis 1840 in Heidelberg und München gleichfalls dem Studium der Rechte, trat dann in Zweibrücken eine zweijährige Rechtspraxis an und 1848 nach glänzend bestandener Staatsprüfung als Accessist bei der Regierung zu Speyer in den Staatsdienst, wo er später zum Präsidialsecretär ernannt ward. In diese Zeit fallen auch seine ersten schriftstellerischen Arbeiten, die er unter dem Pseudonym R. Ulrich Riesler veröffentlichte, der Roman „Die schöne Zweibrückerin“ (II, 1844), das Schauspiel „Kynast“ (1844), die dramatische Studie „Der Jungfernsprung“ (1845) und endlich die anonym herausgegebenen „Domlieder“ (1846), Lieder und Romanzen vom Kaiserdom in Speyer, wozu auch der CardinalDie schönwissenschaftlichen Werke Molitor’s in der zweiten Periode seines Schaffens sind besonders eine Reihe von Dramen, wie „Maria Magdalena“ (Dram. Gedicht, 1863, 2. Aufl. 1873), „Das alte deutsche Handwerk“ (Dram. Gemälde, 1863), „Die Freigelassene Neros“ (1865), „Claudia Procula“ (1867), „Julian, der Apostat“ (1867), „Des Kaisers Günstling“ (Tragödie aus den Zeiten der Märtyrer, 1874), „Die Blume von Sicilien“ (Dram. Legende, 1880; 2. Aufl. 1897), ferner die Festspiele „Weihnachtstraum“ (1867), „Das Haus zu Nazareth“ (1872) und „Die Weisen des Morgenlandes“ (1877). „In allen diesen Dramen wiegt eine pädagogische Tendenz vor. Der Dichter ist bemüht, nicht nur dem deutschen Volke biblische oder religiöse Stoffe, sondern auch den katholischen Vereinen deutsche Schauspiele specifisch römischer Tendenz zur Aufführung darzubieten. Der Werth der Bühne für die Veranschaulichung religiöser Wahrheiten erscheint dem Dichter ganz besonders groß; es reizte ihn zur Abfassung von Dramen vor allem der Umstand, daß die deutsche Litteratur an bedeutenden Dramatikern streng katholischer Richtung arm zu nennen ist.“ Nun sind aber die vom Dichter gewählten Stoffe nicht nach dem Geschmack der Gegenwart; die Mehrzahl der Leser – selbst die katholischen – wendet sich gleichgültig ab von Märtyrer-Tragödien, und so theilen Molitor’s Dramen das Schicksal so vieler anderen Autoren: sie erblicken nie das Bühnenlicht und bleiben Buchdramen. Dazu kommt, daß sie keineswegs allen Anforderungen der Kritik an die Technik entsprechen, trotzdem eine edle, gedankenreiche Sprache sie durchzieht und die Charakterisirung der handelnden Personen vortrefflich genannt werden muß. Am höchsten vom litterarischen Standpunkte aus sind die drei „Dramatische Spiele“ (1878) zu stellen, die dramatische Legende „Sankt Ursulas Rheinfahrt“, das Lustspiel „Die Villa bei Amalfi“ und das dramatische Märchen „Schön Gundel“. Auch als Novellist ist M. aufgetreten in „Der Jesuit“ (Novelle, 1873), „Herr von Syllabus“ (Criminalnovelle, 1873), „Memoiren eines Todtenkopfs“ (Roman, II, 1875), „Der Gast im Kyffhäuser“ (Ein Märchen in 12 Abenteuern, 1880), die er sämmtlich unter dem Pseudonym Benno Bronner herausgab, und in „Der Caplan von Friedlingen“ (Eine didaktische Novelle, 1877). Unter seinen übrigen Schriften wären noch hervorzuheben mehrere [440] „Predigtsammlungen“, „Ueber kanonisches Gerichtsverfahren gegen Cleriker“ (1856), „Das Theater in seiner Bedeutung und in seiner gegenwärtigen Stellung“ (1866), „Ueber Goethe’s Faust“ (1869), „Papst Pius IX. in seinem Leben und Wirken“ (mit Dr. Hülskamp, 3. Aufl., 1873) und „Rom. Wegweiser durch die ewige Stadt“ (mit Wittmer, 1866). Nach Molitor’s Tode erschienen seine „Gedichte“ (1884), größtentheils Gelegenheitsgedichte im engsten Sinne, die aber den formgewandten, geistvollen und frommen Poeten deutlich erkennen lassen. „Ebenso hervorragend wie an Geistesgaben, war M. an edlem Charakter. Die katholische Kirche der Pfalz hat durch seinen Tod einen empfindlichen, ja kaum ersetzbaren Verlust erlitten. Dies das Urtheil eines streng lutherischen Geistlichen der Pfalz.
- Pfälzisches Memorabile. Gabe des evang. Vereins für die protestantische Pfalz (von Joh. Schiller), 1880; 8. Heft, S. 164; 9. Heft, S. 39. – Heinrich Keiter, Zeitgenössische katholische Dichter Deutschlands, 1884, S. 225 ff. – Karl Leimbach, Die Dichter der Neuzeit und Gegenwart, 6. Bd., S. 359. – Joseph Kehrein, Biographisch-litterarisches Lexikon, 1. Bd., S. 266. – Deutscher Hausschatz, Jahrg. 1879/80, Bd. 6, S. 341. – Alte und Neue Welt, 14. Jahrg., 1880, S. 408.