Zum Inhalt springen

ADB:Mosbrugger, Leopold

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Moßbrugger, Leopold“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 404–405, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mosbrugger,_Leopold&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:31 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Mostaert, Franz
Band 22 (1885), S. 404–405 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Leopold Moosbrugger in der Wikipedia
Leopold Moosbrugger in Wikidata
GND-Nummer 101590970
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|22|404|405|Moßbrugger, Leopold|Moritz Cantor|ADB:Mosbrugger, Leopold}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=101590970}}    

Moßbrugger: Leopold M., Mathematiker, geb. am 24. Januar 1796 in Constanz, † am 12. Aug. 1864 in Aarau. Er war der älteste Sohn des tüchtigen Porträtmalers Wendelin M. Die Mutter starb schon 1798, und da der Vater durch seinen Beruf zu häufiger Abwesenheit gezwungen war, so wuchs der Knabe ziemlich erziehungslos auf. Auch die zweite Frau des Vaters scheint ihm die Mutter keineswegs ersetzt zu haben. Nimmt man die ganz trostlosen Zustände des Schulwesens im damaligen Constanz hinzu, die Störungen des Unterrichtes durch einziehende und sich entfernende französische Besatzung, die im Allgemeinen zu Ueppigkeit und Wohlleben geneigte Natur der Constanzer, von der M. selbst oft genug in späteren Jahren erzählte, so kann es nicht wundern, wenn die Schulzeugnisse des unbändigen Jungen durchaus nicht glänzend waren. Einmal ist ihm nachgesagt: exhibuit diligentiam exiguam; ein anderes Mal heißt es: Leopold M. habe für alles andere eher Fähigkeit als für Mathematik. Und doch ging seine Neigung gerade auf diese letztere Wissenschaft. Der Vater glaubte den Lehrern mehr als dem Sohne und gestattete diesem nur das Studium der Cameralwissenschaften, nicht aber der Mathematik als solcher. M. besuchte von Herbst 1818 bis Ostern 1821, also durch 5 Semester, in Heidelberg die für das Cameralfach vorgeschriebenen Vorlesungen, unter Anderen auch die des Mathematikers Schweins. In jene Zeit fällt auch die Anknüpfung einer Freundschaft mit dem berühmten Geometer Jacob Steiner, welche die Universitätsjahre überdauerte. Im J. 1822 bestand M. die Staatsprüfung und fand Anstellung in seiner Vaterstadt, wo er ein Jahr arbeitete. Immermehr zog es ihn jetzt zur Mathematik, und endlich ließ der Vater sich bestimmen, seine Einwilligung zu zwei weiteren Studienjahren zu geben, welche M. von Herbst 1823 bis ebendahin 1825 in Freiburg zubrachte, wo er unter Buzengeigers (Bd. III, S. 678) Leitung an die höhere Mathematik sich machte, und zwar in Privatissimen, da irgend tiefereindringende eigentliche Vorlesungen nie gehalten wurden. Mit glänzendem Zeugnisse seines Lehrers nach Constanz zurückkehrend gab M. von nun an mathematischen Privatunterricht sowohl Schülern der beiden höchsten Lycealklassen als jüngeren Offizieren. Auch auf Arenenberg gab er 1827–29 mehrere Mal wöchentlich dem damaligen Prinzen Louis Napoleon Stunden in der Mathematik. Zu einer festen Anstellung konnte er nicht gelangen, auch nachdem er aushilfsweise 1829 im Lyceum beschäftigt worden war. Sein allzuvernachlässigtes Aeußere scheint der Haupthinderungsgrund gewesen zu sein. Zu Ostern 1830 legte Franz Xaver Bronner (Bd. III, S. 361) sein mathematisches Lehramt an der Cantonsschule zu Aarau nieder, um in die [405] Stellung als Bibliothekar einzutreten. M. meldete sich zum Ersatze und wurde nach einem von Bronner abgenommenen Examen angestellt. Von nun an gehörte M. 32 Jahre lang jener Cantonsschule an. Wegen andauernder Erkrankung seiner Augen, welche M. wesentlich am Unterricht hinderte, kam er 1862 um seine Entlassung ein, die ihm in ehrenvollster Form zu Theil wurde. Der Tod überraschte ihn auf einem Spaziergange, wenige Minuten nachdem er einem ihm bekannten Lehrer freundlich grüßend zugenickt hatte, in dessen Armen er verschied. M. war ein Original in des Wortes ganzer Bedeutung, und die Ueberlieferung hat eine Menge der drolligsten Geschichtchen von ihm aufbewahrt, welche ein langjähriger Freund an der Cantonsschule zu Aarau, Professor Dr. Rauchenstein, gesammelt hat. Auch von Moßbrugger’s Familienleben mit Frau und Tochter gibt derselbe Gewährsmann ein anmuthendes Bild. Eine schriftstellerische Thätigkeit entwickelte M. erst von seinem 45. Lebensjahre an und zwar auf zwei Gebieten, auf dem der Raumgeometrie und dem der Gleichungen. In ersterer Beziehung ist seine „Analytische Geometrie des Raumes mit Berücksichtigung der neueren geometrischen Verwandtschaften“ (Aarau 1845) zu nennen, und ebenso „Größtentheils neue Aufgaben aus dem Gebiete der Géometrie descriptive“ (Zürich 1845) neben mehrfachen Abhandlungen in Grunert’s Archiv seit dessen erstem Erscheinen (1841). Die Gegenstände sind in der etwas weitspurigen Weise der damaligen Zeit, aber ziemlich vollständig behandelt, und beide Lehrbücher fanden gute Aufnahme. In der Gleichungslehre hielt M. an der Möglichkeit einer allgemeinen algebraischen Lösung der Gleichung n. Grades fest und veröffentlichte sogar außer Aufsätzen in dem genannten Archive ein Buch über eine, wie er glaubte, gelungene Lösung 1859. Die Unrichtigkeit seiner Schlüsse wurde durch eingehende Recensionen in Grunert’s Archiv Bd. XXXV nachgewiesen und insbesondere gezeigt, daß seine Methode schon bei der Gleichung 4. Grades Falsches ergebe. M. sah auch nachträglich seinen Irrthum in der Behandlung, nicht aber den ein, welchen er durch Glauben an die Möglichkeit einer algebraischen Lösung überhaupt beging.

Zur Erinnerung an Professor Leopold Moßbrugger von Professor Dr. Rudolf Rauchenstein. Aarau 1865.