ADB:Nürnberger, Joseph Christian Emil
Funk, damaligen Vorstehers der Magdeburger Domschule, erwarb er sich gründliche Kenntniß in den mathematischen Wissenschaften und trank so tief aus dem Brunnen des classischen Alterthums, daß er für sein ganzes Leben in steter und enger Berührung mit den alten Schriftstellern blieb. Leider war es ihm nicht vergönnt, sich dem Studium der Wissenschaften widmen zu können; vielmehr wurde er durch den verderblichen Einfluß, den sich ein Schurke im elterlichen Hause zu erringen gewußt hatte, in die damals trostlose Laufbahn eines preußischen Postbeamten hinabgestoßen. Nachdem N. als solcher zuerst in Magdeburg, Zerbst und Bernburg gearbeitet, kam er 1801 als Postsecretär nach Landsberg a. d. Warthe. Hier, an der großen Heerstraße von Paris nach Petersburg, lernte er in den Kriegsjahren alle Personen kennen, die damals in dem Weltendrama eine Rolle spielten, von Napoleon und Alexander bis zu Davoust und Ney herab, und seine Kenntniß der französischen Sprache, eine damals für einen Deutschen seltene Fertigkeit, kam ihm dabei so wohl zu statten, daß ihm manche interessante Berührung mit den Koryphäen jener Gigantenzeit zutheil wurde. Aber mitten in den kriegerischen Drangsalen versäumte er doch nicht seine Lieblingswissenschaften. Noch in Landsberg verfaßte er seine tiefsinnige „Theorie des Infinitesimal-Kalküls“ (1812), in welcher er auf die überraschendste Weise, auf entgegengesetztem, ganz selbständigem Wege zu den Resultaten der „Theorie der Funktionen von Lagrange“ gelangte. Im November 1813 wurde N. als Commissarius der Posten im Königreich Sachsen nach Leipzig und Halle versetzt. In der letzteren Stadt schrieb er „Die letzten Gründe der höheren Analysis“ (1815) und erwarb sich durch seine Dissertationsschrift „Untersuchungen und Entdeckungen in der höheren Analysis“ (1816) die Würde eines Doctors der Philosophie. Im J. 1816 kam N. als Postmeister nach Sorau in der Niederlausitz. Hier nahm er seine Studien der classischen Litteratur wieder auf, übersetzte die Aeneide Virgils (IV, 1821), in welche Uebersetzung das 2. und 4. von Schiller übersetzte Buch aufgenommen wurde, die „Oden des Horaz in deutschen Reimversen“ (II, 1825), „Virgil’s Georgika“ (1825), die „Eklogen“ (1828), „Ovid’s Metamorphosen in deutschen Jamben“ (1831) und „Tibull’s Elegien“ (1838). Es muß zugegeben werden, daß die Form, welche N. für die Gedichte des römischen Alterthums wählte, dem alterthümlichen Geiste weniger förderlich sein konnte, doch ist das Urtheil einer litterarischen Clique jener Zeit, wonach „Horaz und Virgil, nürnbergerisch gehobelt, als Puppen von Holz am Drahte sich drehen“ unbegründet und hart. Im J. 1823 zum Hofrath ernannt, kam N. 1829 als Postmeister nach Landsberg a. d. Warthe, wurde hier später zum Geheimen Hofrath, zum Postdirector ernannt und mit der Führung des dortigen Postamts [57] betraut. Da seine amtlichen Functionen durch besondere Gunst des Generalpostmeisters v. Nagler bedeutend ermäßigt waren, fand N. vollauf Muße, schriftstellerisch weiter zu wirken. So schuf er eine Reihe astronomischer und naturwissenschaftlicher Werke („Astronomische Abendunterhaltungen“, 1831; „Natur- und gewerbswissenschaftliche Berichte“, 1837 ; „Astronomische Reiseberichte“, 1839; „Ueber das Zerfallen unseres Planeten-Systems in zwei große Gruppen“, 1839), die alle den Geist ernster Philosophie und tiefer Betrachtung tragen, vor allem aber jenes großartige Werk, das bestimmt war, eine längst gefühlte Lücke in der Litteratur auszufüllen, sein „Populäres astronomisches Handwörterbuch“ (II, 1841–1848), das er bis zum Buchstaben W fortführte, und das von S. Nathan und Woldemar Nürnberger vollendet ward. Ebenso fruchtbar war er auf schöngeistigem Gebiete. Seinem „Novellenkranz“ (1830) folgten „Erzählungen“ (II, 1834), „Ernste Novellen und Skizzen“ (1839) und „Ernste Dichtungen“ (1842); sein bedeutendstes Werk auf diesem Gebiete bleibt jedoch sein philosophischer Roman in Briefen an eine Freundin, „Stillleben“ (1839), worin er von einem Gange durch die Weltenordnungen über uns die triumphirende Ueberzeugung von der Fortdauer der menschlichen Seele nach dem körperlichen Tode als leuchtende Sternenfrucht herab bringt. Bei Gelegenheit seiner Jubelfeier am 12. December 1847 wurde N. zum Oberpostdirector ernannt und am 6. Februar 1848 starb er zu Landsberg a. W.
Nürnberger: Joseph Emil N. entstammte einer französischen Familie, welche infolge der Aufhebung des Edicts von Nantes aus der Provence flüchtete und in dem gastlichen Nürnberg den französischen Familiennamen mit dem der deutschen Stadt vertauschte. Geboren am 25. October 1779 zu Magdeburg als der Sohn eines Kriegs- und Domänenraths, erhielt N. im väterlichen Hause eine ausgezeichnete Erziehung. Unter Leitung des Rectors- Neuer Nekrolog der Deutschen, 26. Jahrg., S. 154.