ADB:Nagler, Carl Ferdinand Friedrich von

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Artikel „Nagler, Karl Ferdinand Friedrich von“ von Ernst Kelchner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 233–237, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nagler,_Carl_Ferdinand_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 02:59 Uhr UTC)
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Nagler: Karl Ferdinand Friedrich v. N. war einer höheren Beamtenfamilie der fränkisch-brandenburgischen Fürstenthümer entsprossen, zu Ansbach im J. 1770 geboren. Nachdem er sorgfältig ausgebildet worden war, trat er in den Staatsdienst des Markgrafen von Ansbach und Baireuth. Hier erregte er die Aufmerksamkeit des dirigirenden Ministers Hardenberg, der ihn bald in sein Vertrauen und seine unmittelbare Nähe zog. Nachdem N. als Assessor beim ersten Senate der Kriegs- und Domänenkammer zu Ansbach gestanden, wurde er bald nach Berlin in das Ministerium berufen, wo er im Cabinetsministerium eine Stellung als Expedient der Verwaltung des fränkischen Departements, welche Hardenberg neben seiner Ministerstellung beibehielt, erhalten hatte. Als nun Hardenberg die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernahm, trat N. 1804 als Rath in die neue Ministerialsphäre über und erwarb sich die hohe Gunst des Königs nicht allein, sondern stieg auch immer mehr in dem Vertrauen des Ministers Hardenberg. Im J. 1806 erhielt er den für ihn gewiß betrübenden Auftrag, sein engeres Vaterland, das Fürstenthum Ansbach, im Namen des preußischen Staates an die Franzosen zu übergeben, welchen Auftrag er, wenn auch mit schwerem Herzen, zur vollen Zufriedenheit seiner Regierung vollzog. Unterdessen hatte sich N. in der persönlichen Gunst des Monarchen so zu befestigen gewußt, daß selbst, als Hardenberg gestürzt war, er seine Stellung beibehielt. Und nachdem der Minister Stein, der nicht besondere Vorliebe für N. hatte, auch aus dem Ministerium schied, und vollends sein Schwager Altenstein und der Graf v. Dohna das Portefeuille erhielten, schien das launische Hofglück ihm dauernd lächeln zu wollen.

Er begleitete Friedrich Wilhelm III. im J. 1809 als Vicegeneralpostmeister [234] auf der Reise nach St. Petersburg. Als Cabinetssecretär führte er die Privatcorrespondenz der Königin Luise, war geheimer Staatsrath noch ehe der König sein Hoflager nach Berlin zurückverlegte und war im besten Zuge noch höher zu steigen, als ihm im J. 1810 die Zurückberufung seines ehemaligen Gönners und nunmehrigen Gegners Hardenberg ein unwillkommenes Halt! gebot und eine unfreiwillige Muße auferlegte, die er mit Kunststudien erträglich auszufüllen wußte. Von 1811–1821 befand er sich großentheils auf Reisen; damals legte er den Grund zu der werthvollen Kupferstich-, Holzschnitt- und Gemäldesammlung, welche er später (mit Ausnahme der Gemälde) dem Staate verkauft hat und die heute noch eine Zierde und werthvollen Bestandtheil der betreffenden Kunstanstalten zu Berlin bilden. Hier sei auch noch erwähnt, daß N. sich ein nicht geringes Verdienst dadurch erwarb, daß er in Deutschland, namentlich aber in Baiern, durch sein rasches Handeln im Ankauf, viele Kunst- und Alterthumsgegenstände, die damals zu wahren Schleuderpreisen zu erhalten waren, sowol vom gänzlichen Untergange als auch vor der Verbringung in das Ausland errettete. Es dankt ihm mancher Gegenstand der Kunst und des Alterthums seine Erhaltung. Die in der Noth des Jahres 1815 gegebenen constitutionellen Verheißungen erwiesen sich als nichtig; die Zeit liberaler Neigungen war für Preußen dahin; die Anhänger des Alten triumphirten und N., bisher disponibler Staatsrath, ward, nachdem er 1821 zum Präsidenten des Generalpostamts avancirt war, 1823 nach Hardenberg’s Tode Generalpostmeister. In dieser Stellung war er bedacht, dem preußischen Postwesen nach wohlerwogenem Plane eine bisher nicht gekannte Ausbildung zu geben. Es geschah dieses durch eine Belebung der ganzen Maschine, durch Beschleunigung und Sicherstellung aller Postexpeditionen, durch Vereinfachung des Geschäftsganges, durch Berücksichtigung begründeter Wünsche des Publikums, durch Anstellung tüchtiger Beamten, für deren Gehaltsverbesserung in eben dem Maße mehr gesorgt ward, als ihre Geschäfte und ihre Verantwortlichkeit zunahmen, durch Vermehrung der Postcurse und deren genaues Ineinandergreifen, durch zweckmäßige und bequemere Einrichtung der Postwagen, durch Uebereinkünfte mit den Nachbarstaaten. Jede Verbesserung dieser Zweige der Postverwaltung fand in herkömmlichen Mißbräuchen große Schwierigkeiten, wozu noch mehrere kamen, auf welche der Generalpostmeister nicht unmittelbar einwirken kann. So blieb für die von den Provinzialständen vernachlässigten Heerstraßen und Posten noch zu thun übrig, allein hier hätte selbst der redlichste Wille an der Allgewalt tiefeingewurzelter Mißbräuche und an der Trägheit des Bestehenden scheitern müssen. Die Unzufriedenheit des Publicums hatte, soweit sie sich in Zeitungen und öffentlichen Blättern äußerte, von jeher wenig Eindruck auf N. gemacht; eigenmächtig und stolz auf das Geleistete, kehrte er sich nicht im Geringsten an das Dreinreden unberufener Dritter. So ließ er die Eisenbahnen, für die sich gleich die öffentliche Meinung entschieden aussprach, anfangs ganz unbeachtet. Er war nicht ein geschworner Feind derselben, aber der große Lärm, den diese Neuerung hervorrief, hatte den jugendlich energischen Generalpostmeister, der unterdessen ein Greis geworden, verstimmt. In seiner Correspondenz an seinen Vertrauten, Hofrath Kelchner, finden sich viele hierauf bezügliche Stellen. Mit Verwunderung berichtete er über den Menschenzusammenlauf, über die Frequenz, deren sich die Bahn nach Potsdam zu erfreuen habe, meint aber mit vielwissender schadenfroher Miene, die Sache werde noch ein böses Ende nehmen. „Ich hasse die Eisenbahn nicht, schwärme auch nicht für sie. Der König theilt diese Ansicht.“ Einer so großen Verkehrsrevolution, wie der durch die Eisenbahn bewirkten, konnte N. allerdings sich nicht entgegenstellen, und so lief die Gleichgiltigkeit, welche der preußische Generalpostmeister gegen das neue Institut scheinbar an den Tag legte, thatsächlich bald auf eine stille Befehdung desselben hinaus. [235] Er hintertrieb jede Combination, durch welche die Eisenbahnen mit dem Postdienst in Verbindung gesetzt werden konnten und ging nur widerstrebend Verträge mit den Eisenbahnen ein, die Privatunternehmungen geworden waren. Ueber die steigende Heftigkeit der Angriffe, denen seine Verwaltung ausgesetzt war, mochte ihn die unausgesetzte Gunst seines Königs trösten. Er war im J. 1823 geadelt, 1824 Gesandter am Bundestag geworden und ward mit Führung der Geschäfte der Residentur bei der damals noch freien Stadt Frankfurt betraut. Der Aufenthalt in Frankfurt bot ihm Gelegenheit, wichtige sociale Verbindungen anzuknüpfen, ist ihm aber darum nicht in völlig ungetrübter Erinnerung geblieben; wie er denn auch Frankfurt in späteren Briefen an seinen Freund und Vertrauten Kelchner (A. D. B. XI, 556), ein Klatschnest nennt und sich gern darüber tröstet, daß er von den Frankfurtern vergessen sei. Diese Erscheinung hing mit seiner Stellung und Berufung eng zusammen. N. schloß sich vollkommen den Ansichten derer an, welche im Bund nur ein wirksames Polizeiorgan gegen die Ausschreitungen der Liberalen, einen Gensd’armen gegen Turner und Studenten erblickten. Auf dem Johannisberger Congreß ließ er sich vom Fürsten Metternich, dem er eine für einen preußischen Staatsmann fast allzu unbedingte Verehrung widmete, über das „höchst gefährliche Treiben“ der Burschenschaftler und Journalisten Vorlesungen halten. In den Kreisen der freier denkenden Diplomaten war er deshalb nicht gerne gesehen, und wie sich selbst in seiner nächsten Nähe Gegenstrebungen zeigten, wie wenig beliebt er bei dem Personal der eigenen Gesandtschaft war, läßt sich immerhin aus den sonst wenig zuverlässigen Mittheilungen Kombst’s schließen. Kombst behauptet, in Nagler’s Hause sei von einem Mitgliede der Gesandtschaft in Gegenwart und Beifall der anderen ausgesprochen worden, daß es ein glücklicher Tag für das Personal sein werde, wo man in scheinbarer Trauer der Leiche des gegenwärtigen Chefs zu folgen haben werde. N. hatte wohl die Stimmung seiner Untergebenen erkannt; er griff daher mit der ihm eigenen Energie ein, erbitterte aber freilich dadurch nur noch mehr. Der Zwist mit dem späteren Plaggeist seines Lebens: Kombst und dessen Amtssuspension sollte ihm noch bis an sein Lebensende schwere Stunden bereiten. Gegen diesen talentvollen, aber gewissenlosen Litteraten trug N. stets mit Furcht gemischten Haß. Wie Kombst seinem ehemaligen Chef gegenüber Alles für erlaubt ansah, die amtliche Stellung, die er in Frankfurt eingenommen, dazu mißbrauchte, gestohlene Actenstücke über die Reactionspartei am Bundestage zu veröffentlichen und besonders den preußischen Bundestagsgesandten grau in grau schilderte, so bot auch N. seinen ganzen Einfluß auf, um diesen unversöhnlichen Gegner mundtodt zu machen. Er ließ Kombst auf Schritt und Tritt bewachen und verfolgen, seine Freunde und Agenten konnten ihm keinen größeren Dienst erweisen, als durch Mittheilungen über das Treiben dieses Mannes. Die Enttäuschungen, welche der liberalen Partei nach den Befreiungskriegen vorbehalten waren, die Verfolgungen, welche seit den Karlsbader Beschlüssen über Burschenschaftler, Turner und wie die gefährlichen Schwärmer für Deutschlands Einheit heißen mochten, verhängt wurden, hatten manche politisch Verdächtige, nicht den schlechtesten Theil der Nation gezwungen, im Auslande das bittere Brot des Exils zu essen. In all diesen Flüchtlingen sah N. die Mitverschworenen Kombst’s. Kein Name ist in die politischen Untersuchungen, in die dunklen Schliche des geheimen Polizeiwesens jener Tage tiefer verwickelt als der Nagler’s. Als Generalpostmeister hatte N. sein Department instruirt, daß ihm von allen Orten, wo preußische Postbeamten saßen, Nachrichten zukamen. Sie mußten alle Schriften, die den Chef in politisch oder socialer Beziehung interessirten, einschicken. In Saarbrücken saß Opfermann, der die französischen Depeschen öffnete und perlustrirte und Briefe, die von Bedeutung waren, einsendete. In Wetzlar war der [236] Landrath v. Sparre für N. thätig. Aber auch die höheren Polizeibeamten wurden angewiesen, dem königlichen Bundestagsgesandten von allen einigermaßen wichtigen Ereignissen, welche in ihrem Wirkungskreise vorkamen, Meldung zu machen.

Seine Grundanschauung ging dahin, daß die Post mehr Institut des Staates als Institut für das Publikum sei. Von diesem Gesichtspunkte aus mochte er wohl eine Entschuldigung für den Unfug des Brieferbrechens finden, der unter seinem Regime in Preußen ähnlich wucherte wie in Oesterreich unter Metternich und Sedlnitzky. In späteren Jahren bekannte er ganz offen, daß er sich an die „albernen Brieferöffnungsscrupel“ niemals gekehrt hätte: wollte wol einen Unterschied zwischen der in Preußen geltenden Methode, wonach man die Briefe blos perlustrire und der österreichischen, wo man sie gleich intercipire, zu Gunsten der ersteren statuiren. Er pflegte zu erzählen, daß der Meister in solchen Dingen der Großfürst Konstantin gewesen, welcher ihn einmal weitläufig davon unterhalten und geäußert habe, daß er wahrscheinlich die ausgesuchteste Sammlung von unterschlagenen Briefen besäße. Er habe sie in Maroquin binden lassen und sie machten in 33 Bänden seine Cabinetsbibliothek und interessanteste Lectüre aus.

Wie sehr man nichtsdestoweniger mit Nagler’s Leistungen an höchster Stelle zufrieden war, beweist seine im J. 1836 erfolgte Ernennung zum Geheimen Staatsminister, nachdem er im vorhergehenden Jahre (1835) von seinem Posten als Bundestagsgesandter in Frankfurt zurückberufen wurde. In Berlin fuhr er fort die ganze Kraft seines hochgebildeten Geistes und seiner reichen Erfahrung seinen großartigen und weitgreifenden Reformen des preußischen und deutschen Postwesens zu widmen, wie er es auch während seiner Anwesenheit in Frankfurt zu thun gewohnt war. Grenzenlos ist der Antheil Nagler’s bei der Erkrankung und dem Tode Friedrich Wilhelms III., denn er ahnte, daß eine neue Zeit andere Männer ans Ruder bringen würde. In der That ward N. nach Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung immer mehr bei Seite geschoben. Obgleich er seine Stellung beibehielt, so konnte er sich im Grunde doch nicht verhehlen, daß die Zeit definitiv vorbei war, wo es darauf ankam, die frischen Bedürfnisse des Volkes zu ersticken, die Wünsche der Neuerer mit Polizeimitteln niederzuhalten und wo man den Ständen, wenn sie sich vielleicht herausnahmen politische Rechte zu beanspruchen, auf gut Naglerisch tüchtig auf die Finger klopfte. Er selbst sah dieses wol ein, denn unterm 19. März 1841 klagt er in einem Brief an Hofrath Kelchner: „Ich bin zu alt, um in alle Formen zu passen.“ Und so hat ihn denn ein gutes Geschick sanft hinweggerafft, ehe er Zeuge davon werden konnte, daß das seit 1815 begründete System in den Stürmen von 1848 kläglich unterging. Er starb am 13. Juni 1846 zu Berlin.

Briefe des Staatsministers und Generalpostmeisters v. Nagler an einen Staatsbeamten. Herausgegeben von E. Kelchner und K. Mendelssohn-Bartholdy, Leipzig 1869, 2. Bde. – Preußen und Frankreich zur Zeit der Julirevolution. Vertraute Briefe des preußischen Generals v. Rochow an den preußischen Generalpostmeister v. Nagler. Herausgegeben von Ernst Kelchner und Prof. Dr. Karl Mendelssohn-Bartholdy, Leipzig 1871. – G. Kombst, Actenstücke aus den Archiven des deutschen Bundes. Leipzig 1838 und Straßburg 1837, 1. Ausgabe; Derselbe, Der deutsche Bundestag gegen Ende des J. 1832, Straßburg 1836; Derselbe, Erinnerungen aus meinem Leben. Leipz. 1848. – Corvin, Aus dem Leben eines Volkskämpfers, Amsterdam 1861, 4 Bde. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 1846, Bd. I, Weimar 1848. – Stephan, Geschichte der preußischen Post von ihrem Ursprunge bis auf die [237] Gegenwart, Berlin 1859. – König, Geschichte der Briefgeheimnißverletzungen und der schwarzen Cabinette in Preußen-Deutschland. Bern 1879 etc.