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ADB:Nichelmann, Christoph

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Artikel „Nichelmann, Christoph“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 570–572, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nichelmann,_Christoph&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 07:49 Uhr UTC)
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Nichelmann: Christoph N., geb. zu Treuenbriezen am 13. Aug. 1717, † in ärmlichen Verhältnissen zu Berlin am 20. Juli 1762, königlich preußischer Kammermusikus und zweiter Cembalist der königl. Operncapelle, hatte seinen [571] ersten Clavierunterricht von den beiden im Amte sich folgenden Stadtorganisten seiner Vaterstadt, Andreas Schweinitz und Christoph Lippe, im Gesange vom Cantor Joh. Pet. Bübel erhalten. Schon im jugendlichen Alter Neigung und Talent zur Musik bemerkenswerth bethätigend, ward er dann von seinem Vater 1730 nach Leipzig gebracht und genoß nun hier als Thomasschüler die Unterweisung Joh. Seb. Bach’s, während zugleich dessen ältester Sohn, Wilhelm Friedemann, seine Fortbildung im Clavierspiele unternahm und seine ersten Compositionsversuche überwachte. Drei Jahre lang war es ihm vergönnt der Schüler so bedeutender Meister zu sein. Aber seine Neigung war nicht darauf gerichtet, sich als Kirchencomponist und Orgelspieler zu perfectioniren; ihn zog zumeist die Oper an. Damit war es jedoch zu damaliger Zeit in Leipzig schlecht bestellt. Obwol die seit 1678 in Hamburg bestehende ständige deutsche Oper längst nicht mehr auf der Höhe ihres einstigen Ruhmes stand und von ihrem seinerzeitigen Glanze viel verloren hatte, besaß sie dennoch durch ganz Deutschland noch immer ein großes Renommée und übte auf Musiker und Publicum bedeutende Anziehungskraft. Berühmte Tonsetzer und Capellmeister, wie Reinhard Keiser (1673–1739), Georg Ph. Telemann (1681–1767), Joh. Mattheson (1681–1764) wirkten noch in der reichen Handelsstadt und zogen stets, wie schon zu Anfang des Jahrhunderts, strebsame junge Männer nach der norddeutschen Kunst- und Handelsmetropole. N., nachdem er über die wichtigste seine Zukunft betreffende Frage mit sich einig geworden war, entschloß sich rasch zur Wanderschaft und bald sehen wir ihn in Gesellschaft eines Schulkameraden, Joh. Gottfr. Böhm, der alten Hansestadt, zusteuern. Er machte hier die Bekanntschaft der drei oben genannten Männer und lernte von ihnen, was jeden in seinem Fache besonders auszeichnete, von Keiser das Natürliche und Anmuthige der theatralischen Musik, Telemann machte ihm den Unterschied zwischen italienischer und französischer Musik anschaulich, Mattheson führte ihn in die Geheimnisse des Recitativstils ein. Mit Eifer setzte er seine Studien mehrere Jahre hindurch fort, ward hierauf kurze Zeit Musiklehrer im Hause des Grafen Rantzau, der im Oldenburgischen ein Gut besaß und wandte sich dann (1738) nach einem kurzen Besuch seiner Heimath, nach Berlin. Da war für den Moment für einen strebsamen Musiker allerdings nur wenig zu suchen, denn noch herrschte dort der Corporalstock des strengen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. N. trat zuerst als Secretär in die Dienste des Grafen Barfuß, folgte ihm jedoch nicht, als derselbe sich 1739 auf seine Güter in Ostpreußen begab. Bald brach auch für die preußische Residenz und die Musikpflege in ihr eine neue, lange erhoffte Blütheperiode an. 1740 bestieg der junge König Friedrich II., dem die Nachwelt den wohlverdienten Beinamen des Großen gab, den Thron. Vom ersten Augenblick seiner Regierung an war er bemüht, den Musen eine Stätte in seinem Lande zu bereiten. Eine seiner frühesten Maßnahmen betraf die Gründung der königlichen Capelle und Oper und N., dessen Aufenthalt sich in diese kunstbelebte Zeit ausdehnte, fand jetzt reichliche Gelegenheit, sich in seinem Berufe zu vervollkommnen. Joh. Joach. Quanz, der Flötenmeister und Liebling des Königs, nahm mit ihm den Gradus ad Parnassum von Joh. Fux, das damals berühmteste Lehrbuch der Composition, durch; C. H. Graun, der k. Capellmeister und von Friedrich II. so hochgeschätzte Tonsetzer unterrichtete ihn in der Gesangscomposition. Er versuchte sich von jetzt ab in Vocalsätzen und schrieb zwei Theile mit je 12 Claviersonaten, die später in Nürnberg gedruckt wurden. Um diese Zeit starb sein Vater, der ihn bisher unterstützt und dadurch die Fortsetzung seiner Studien ermöglicht hatte. Er sah sich nun auf eigene Füße gestellt und in der Lage, auf ein Unterkommen bedacht zu sein. Obwol ihm seine so einflußreichen Lehrer gewiß wohlwollten, war nun eben doch in der königlichen Capelle keine Stelle [572] frei und so entschloß er sich, eine Reise nach England und Frankreich zu unternehmen, um in diesen Ländern sein Glück zu versuchen. Er verließ Ende August 1744 Berlin und verweilte zunächst wieder in Hamburg. Im Begriffe, von dort die beabsichtigte Ueberfahrt nach London anzutreten, sah er sich durch einen königlichen Befehl zurückgerufen. Nachdem er am 16. März 1746 in Berlin wieder eingetroffen war, erhielt er Anstellung als zweiter Cembalist. In dieser Stellung verblieb er 12 Jahre; seit 1756 privatisirte er. N., obwol kein besonders fruchtbarer Componist, zählt doch zu den angesehensten Tonsetzern der Berliner Schule. Er schrieb zu des Königs Zufriedenheit die Oper: „Il sogno di Scipione“ von Metastasio, die am 27. März 1746 im Schloßtheater zu Berlin aufgeführt wurde, und 1747 ein von Nicolai gedichtetes Schäferspiel: „Galatea“, wozu Friedrich II. selbst die Sinfonie und zwei Arien, Quanz ebenfalls einige Arien componirten. Sechs deutsche Lieder finden sich in den bei Birnstil, Voß und Lange in Berlin zwischen 1756 und 1760 erschienenen Sammlungen („Neue Lieder zum Singen am Clavier“, „Geistliche Oden, in Melodien gesetzt von einigen Tonkünstlern Berlins“, „Geistliche, moralische und weltliche Oden von verschiedenen Componisten“, „Clavierstücke nebst einigen Oden“). Außer den schon oben genannten Sonatenlieferungen wurden Nichelmannsche Claviersätze in die seit 1760 von Birnstil herausgegebenen vielfachen Sammlungen aufgenommen. In den „Clavierstücken“ begegnen wir einem Rondo seiner Composition, im „Musikalischen Allerlei“ zwei hübschen Piecen: „La gaillarde“ und „La tendre“ (1761). 3 Sonaten erschienen nach seinem Tode in den von A. Weyer 1774 (2. Aufl.) publicirten Sonaten und Fugen von K. Ph. E. Bach, G. Fr. Händel und Chr. N. Der zweite Cembalist der königlichen Capelle zeichnete sich jedoch nicht allein als geschickter Virtuose und gründlicher Tonsetzer aus; auch als Schriftsteller bewährte er sich. 1755 erschien bei J. Christian Schuster in Danzig in einem dem Könige dedicirten Quartband: „Die Melodie nach ihrem Wesen sowol als nach ihren Eigenschaften“, mit dem Ciceronischen Motto: Ars cum a natura profecta sit, nisi natura moveat ac delectet, nihil sane egisse videtur. Das mit 82 Kupfertafeln ausgestattete Werk behandelt in 63 Kapiteln eingehend alles auf die Melodie bezügliche, und sucht schließlich zu beweisen, daß nur diejenigen Gesangstücke vollkommen zu gefallen vermögen, in denen die Singweise durch die Harmonie entsprechend unterstützt und dadurch die Absicht des Componisten ausgedrückt und empfunden wird. Gegen diese vortreffliche Schrift erfolgte von einem Anonymus (Casp. Dünkelfeind) ein Angriff: „Gedanken eines Liebhabers der Tonkunst über Hrn. Nichelmann’s Tractat von der Melodie“, Nordhausen 1755. Dieses Elaborat rief eine Entgegnung, ob von N. selbst oder einem seiner Freunde geschrieben, ist zweifelhaft, hervor: „Die Vortrefflichkeit des Hrn. C. Dünkelfeind über die Abhandlung von der Melodie, ins Licht gesetzt von einem Musikfreunde“.