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ADB:Niemann, Eduard

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Artikel „Niemann, Eduard“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 674–676, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niemann,_Eduard&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 12:22 Uhr UTC)
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Niemann: Eduard N., lutherischer Theolog, Prediger und Kirchenmann des 19. Jahrhunderts, geb. am 20. Februar 1804 zu Neuenkirchen bei Melle im Fürstenthum Osnabrück, † am 12. August 1884 im Bad Wildungen, Fürstenthum Waldeck. – Er war der Sohn eines hannoverschen Amtsvogts, zeigte [675] früh hervorragende Gaben und einen eisernen Fleiß, widmete sich dem Studium der Theologie in Göttingen und Halle und trat schon im 21. Lebensjahr 1825 ins Pfarramt als Rector und Diakonus in seinem Geburtsort Neuenkirchen, wo er im Feuer der ersten Liebe predigend und wirkend unvergessen geblieben ist. 1829 wurde er auf Grund einer begeisterten und mit Begeisterung aufgenommenen Wahlpredigt als zweiter Prediger an die Aegidienkirche zu Hannover berufen, wo er mit wachsendem Beifall unter allen Classen der städtischen Bevölkerung wirkte, obgleich Anfangs bei der damals noch vorherrschenden rationalistischen Strömung von vielen als Mystiker oder Pietist halb verachtet halb gefürchtet und durch allerlei wunderliche Nachreden verdächtigt, die er aber durch sein ebenso achtunggebietendes als feines und liebenswürdiges Auftreten bald zu überwinden wußte. Größer noch wurde seine Wirksamkeit, als er 1832 von dem damaligen Generalgouverneur, späteren Vicekönig von Hannover, dem Herzog Adolf von Cambridge zum dritten Hof- und Schloßprediger berufen wurde und zugleich als Assessor in das hannover’sche Consistorium eintrat. Bald war er der gesuchteste und gefeiertste Prediger der Stadt Hannover, eine der einflußreichsten Persönlichkeiten im hannoverschen Kirchenregiment. Von König Ernst August wurde er bald nach dessen Regierungsantritt 1838 zum zweiten Hofprediger, 1841 zum Consistorialrath ernannt; von der Göttinger theologischen Facultät erhielt er honoris causa die theologische Doctorwürde (März 1845). Als er aber zu Pfingsten 1844 es gewagt hatte, in öffentlicher Predigt einen freimüthigen Tadel gegen die hannoversche Regierung auszusprechen, weil diese einen kirchlichen Festtag zur Eröffnung der hannover-braunschweigischen Eisenbahn gewählt hatte, fiel er bei dem König, der in seinem selbstherrlichen Gefühl die Stellung eines Hofpredigers von derjenigen eines Hofdieners nicht zu unterscheiden wußte, in Ungnade. Doch behielt er nicht nur seine kirchliche Stellung, sondern wurde auch 1850 zum Oberconsistorialrath, 1854 von König Georg V. zum Generalsuperintendenten von Kalenberg, 1866 zum außerordentlichen Mitglied des neuerrichteten evangelisch-lutherischen Landesconsistoriums ernannt. Lutherisch-orthodox, aber mit pietistischer Färbung, in seinen dogmatischen Ansichten besonders an Nitzsch und Martensen,[WS 1] später wohl mehr noch an Thomasius und Philippi sich anschließend, hat N. durch seine Predigten und Schriften wie durch seine seelsorgerliche und kirchenregimentliche Thätigkeit, durch seine lebhafte und belebende Theilnahme an Prüfungen und Visitationen, an Pastoralconferenzen und Synoden, an Conventen und frommen Vereinen, besonders auch Vereinen für innere und äußere Mission etc. zum Wiedererwachen des geistlichen Lebens und zur Wiederbelebung kirchlicher Ordnungen und Einrichtungen in der lutherischen Landeskirche Hannovers wesenlich beigetragen, hat aber auch in den kirchlichen Kämpfen zwischen einer neuorthodoxen, hochkirchlichen und einer liberalen theils altrationalistischen, theils modern-kritischen Richtung, von denen jene Kirche in den letzten Decennien bewegt war, activ und passiv eine hervorragende Rolle gespielt – so bei den liturgischen Reformen, wie sie theils für die hannoversche Landeskirche theils für die evangelische Kirche Deutschlands angestrebt wurden (liturgische Conferenzen in Hannover, Eisenacher Conferenzen etc.), so bei dem hannoverschen Katechismusstreit 1862, wo N. als Vorsitzender der Katechismuscommission und Verfasser des betr. Consistorialausschreibens schwere Angriffe und sogar persönliche Gefahren zu bestehen hatte, ferner in den Verhandlungen über Neugestaltung der hannoverschen Gemeinde- und Kirchenverfassung 1862 ff., über ein neues Kirchengesangbuch und Lectionar, über die Hermannsburger Mission und ihre Stellung zur lutherischen Landeskirche, bei den Verhandlungen der hannoverschrn Landessynode und Pastoralconferenz über die Ritschl’sche Theologie 1882 etc. Nachdem N. bis in sein hohes Lebensalter trotz mancher Krankheitsfälle und manchen häuslichen [676] Kreuzes doch im Ganzen eine jugendliche Geistesfrische sich bewahrt und schon 1875 sein 50jähriges Amtsjubiläum, 1882 seine goldene Hochzeit gefeiert hatte, starb er unerwartet schnell während eines Badaufenthaltes in Wildungen im 81. Lebensjahre am 12. August 1884 und wurde am 15. August unter großer Theilnahme in Hannover beerdigt. Die lutherische Geistlichkeit Hannovers beklagte in ihm „einen langjährigen treuen Arbeiter und Kämpfer für das Wohl der Kirche, einen der ersten und begabtesten Zeugen von Christo nach dem Neuerwachen des christlichen Lebens, einen Mann der theologischen Speculation, eine anerkannte Autorität auf liturgischem und katechetischem Gebiet, den geistlichen Vater seiner Pastoren und Superintendenten, einen christlichen Lebenszeugen des 19. Jahrhunderts.“ Von seinen Schriften sind zu nennen mehrere gedruckte Predigten und Predigtsammlungen z. B. über das Vaterunser, die zehn Gebote, die Auferweckung des Lazarus; Grabrede für König Ernst August, „Zeitpredigten vom Jahre 1848 etc.“, „Reden aus dem geistlichen Amt“ 1873, „Grundriß der christlichen Lehre“ 1847, vermischte Aufsätze und Vorträge z. B. über die Unsündlichkeit Christi, über die Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts, „Humanität und Christenthum“ 1878, „Altes und Neues in Vorträgen und Abhandlungen“ 1878.

Vgl. den Nekrolog in der hannov. Pastoral-Correspondenz 1884, Nr. 18. – Zur Erinnerung an OCR. D. Niemann ebendas. Nr. 19–22. – Neue Ev. Kirchenzeitung 1884 S. 579. – Allg. Ev. luth. Kirchenzeitung 1884, S. 800 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hans Lassen Martensen (1808–1884) war ein dänischer Theologe und wie Nitzsch Vertreter der Vermittlungstheologie.