ADB:Parrot, Georg Friedrich von
Recke-Napiersky III, 364 schreiben) in der damals würtembergischen, jetzt französischen Stadt Mömpelgard oder Montbeliard im Dep. Doubs geboren, an demselben Ort, wo zwei Jahre später Cuvier das Licht der Welt erblickte. P. besuchte das unter Leitung des Rectors Veron stehende Gymnasium und ging dann 1781, erst 14 Jahre alt, auf die Karlsakademie nach Stuttgart, woselbst gleichzeitig mit ihm Cuvier seine Studien machte. Er beschäftigte sich mit der „ökonomischen“ Wissenschaft, trieb aber daneben mit Vorliebe die Mathematik und Physik. Achtzehn Jahre alt verließ er die Akademie und suchte als Privatlehrer in Frankreich sein Brod. Er lebte zwei Jahre im Hause des protestantischen Grafen Herici. Hier machte er die Bekanntschaft des berühmten Astronomen Lalande und erwarb sich dessen Gunst, indem er ihm ein kleines selbstverfaßtes Lehrbuch der Mathematik vorlegte. Lalande wünschte das Büchlein gedruckt zu sehen, doch kam es nicht dazu; durch Nachlässigkeit eines Buchhändlers ging während der damaligen Wirren das Manuscript verloren. Dann lebte P. zwei Jahre lang als Lehrer der Mathematik in Karlsruhe und später in Offenbach am Main, neben seiner Lehrthätigkeit wissenschaftlichen Problemen die freien Stunden widmend. Früh hatte er sich verheirathet; seine Frau, Wilhelmine Lefort, aus der Genfer Familie, welche durch Peter des Großen Günstling bekannt geworden, wurde ihm aber schon 1794 durch den Tod entrissen, nachdem sie ihm zwei Söhne Wilhelm und Friedrich geschenkt hatte. Nach dem Hinscheiden der Frau verließ P. 1795 mit seinen beiden Söhnen die deutsche Heimath und begab sich nach Livland. Er folgte einem Rufe als Erzieher der Söhne des Grafen Carl Sievers in Wenden. In Livland wurde er bald heimisch, verheirathete sich 1797 in Riga mit A. H. v. Hausenberg, nachdem er kurz vorher die Stellung eines beständigen Secretärs der livländischen gemeinnützigen und ökonomischen Societät in Dorpat erhalten hatte. Durch seine litterarischen Leistungen, sowie durch die Thätigkeit, welche er in seinem neuen Amt entwickelte, lenkte er die Aufmerksamkeit der maßgebenden Kreise auf sich, so daß er 1800 die Aufforderung erhielt, an der neuzugründenden Universität in Dorpat die Stelle eines ordentlichen Professors der Physik zu übernehmen. P. folgte dem Rufe – für die zu gründende Anstalt war er, der Mann der Wissenschaft und der praktischen Erfahrung, der bewährte Erzieher, eine ausgezeichnete Wahl. Nachdem P. von der Universität zu Königsberg i. Pr. 1801 den Doctortitel erhalten hatte, trat er mit einer Schrift: „Ueber den Einfluß der Physik und Chemie auf die Arzneikunde, nebst einer physikalischen Theorie des Fiebers und der Schwindsucht“ (82 S., Dorpat 1802), sein Lehramt an, das er 25 Jahre inne hatte. Die Geschichte der deutschen Universität zu Dorpat während der ersten 25 Jahre ihres [185] Bestehens ist eng an den Namen Parrot’s geknüpft; vielseitig als Organisator, als Lehrer, als Gelehrter hat er gewirkt – die Früchte seiner Thätigkeit sind heute noch zu finden. Es ist sehr zu bedauern, daß nicht einer der Zeitgenossen Parrot’s die Verdienste desselben um die Universität in gebührender Weise der Nachwelt überliefert hat; eine ausführliche Biographie Parrot’s ist nicht geschrieben worden, ebensowenig als eine eingehende Geschichte Dorpats. Am 21. April 1802 wurde die neubegründete Universität zu Dorpat mit 19 Studenten eröffnet; nach der lateinischen Inaugurationsrede des Prorectors Lorenz Ewers, eines Theologen, hielt P. eine deutsche Rede „Ueber einige Ansichten der Naturkenntnisse, in Ansehung ihres Einflusses auf Menschenkultur, sowohl von der intellectuellen als von der moralischen Seite betrachtet“. Als Lorenz Ewers seiner Kränklichkeit wegen sehr bald vom Amt eines Rectors zurücktrat, wurde P. zum Rector erwählt. Am 22. Mai 1802 besuchte Kaiser Alexander auf der Durchreise Dorpat und die neue Universität. P. empfing den Monarchen mit einer französischen Rede, welche sehr wohlgefällig aufgenommen wurde. Hier knüpfte sich zwischen dem edlen Beherrscher des mächtigen Reichs und dem hervorragenden Gelehrten ein Band, wie es wohl selten zwei Personen so verschiedener Sphären vereinigt; ein Band, welches insonderheit der jungen Pflanzstätte der Wissenschaft, der neuen Universität zu großem Segen und bedeutendem Vortheil gereichte. Im October desselben Jahres (1802) reiste P. als Rector nach St. Petersburg, um persönlich dem Kaiser die Bitten der Mitglieder der Universität, bestimmte Vorrechte derselben zu gewähren, an’s Herz zu legen. Der hochherzige Monarch erfüllte die Bitten; er unterzeichnete am 12./24. December an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag die Stiftungsurkunde der Universität zu Dorpat. P. hatte das Glück, die Urkunde aus den Händen Alexanders selbst zu empfangen, um sie der Universität zu überbringen. Parrot’s Thätigkeit und Einfluß an der Universität ist von hoher Bedeutung gewesen; er war wiederholt Rector; er wirkte mit bei Feststellung der Universitätsstatuten, welche am 12. September 1803 die allerhöchste Bestätigung erhielten, er war Mitarbeiter an einem Entwurf der Verordnungen für die Studirenden. P. war nicht allein Gelehrter, sondern ein ausgezeichneter Geschäftsmann. Er ist im großen wie im kleinen für das Wohl der Universität besorgt und stets zu ihrem Dienst bereit; wiederholt hält er akademische Festreden, widmet den verstorbenen Collegen Nachrufe; aber er verfaßt auch eine Ordnung für die Löschanstalten der Universität und giebt genaue Vorschriften zum Bau eines Thurmes, der zur Aufnahme des Refractors der Sternwarte bestimmt ist. Alle schwierige Verhältnisse, in welche die junge Universität gerieth, löst P. mit Geschick und Umsicht. Er ist wiederholt in St. Petersburg und vermittelt persönlich zwischen der Universität und dem Curator, wenn möglich mit dem Kaiser. – Alexander schenkte ihm volles Vertrauen und P. stand deßhalb in Dorpat in ganz besonderem Ansehen, zumal da er auch mit dem Kaiser Briefe wechselte. Der Inhalt dieser gewiß hochinteressanten Correspondenz ist leider nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen; es ist auch nicht bekannt, wohin nach dem Tode Parrot’s die Briefe gelangt sind. P. war aber auch als Lehrer von großer Bedeutung für die Universität – es genügt hier die Bemerkung, daß unter seinen zahlreichen Schülern einige später als Gelehrte sich bekannt gemacht haben. Es sei hier hingewiesen auf seinen Sohn und Nachfolger Friedrich P., auf die nachmaligen Petersburger Akademiker A. R. Kupffer und E. Lenz. – Im October 1826 erbat sich P. seine Entlassung aus dem Amt eines ordentlichen Professors und folgte einem Ruf an die k. Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Im Jahre 1840 ließ er sich auch als Akademiker emeritiren und starb hochbetagt auf einer Reise zu Helsingfors am 8./20. Juli 1852.
Parrot: Georg Friedrich v. P. wurde am 5. Juli 1767 n. St. (nicht am 15. Juli, wie[186] P. war ein geistreicher Mann von vielseitiger Bildung, ein vortrefflicher Redner und ein fleißiger Schriftsteller. Das Verzeichniß der von ihm verfaßten Abhandlungen, Reden, Monographien und Lehrbücher, wie dasselbe bei Recke-Napiersky sich findet, ist sehr groß. Einiges davon kann angeführt werden: „Theoretische und praktische Anweisung zur Verwandlung einer jeden Art von Licht in eines, das dem Tageslicht ähnlich ist“ Wien 1791. „Esprit de l’education, ou catechisme des pères et des instituteurs“ Francfort sur le Main 1793. „Grundriß der theoretischen Physik zum Gebrauche für Vorlesungen“ 3 Theile, Dorpat 1811 (der 3. Theil unter dem Titel: Grundriß der Physik der Erde und Geologie). „Coup d’oeil sur le magnetisme animal“ St. Petersbourg 1865. „Ueber die Capillarität“ Dorpat 1817. „Entretiens sur la Physique“ Tome I–VI, Dorpat 1819–1824. Außerdem größere und kleinere Abhandlungen im Voigt’s Magazin für den neuesten Zustand der Naturgeschichte, in Gilberts Annalen der Physik, in den Schriften der Petersburger Akademie. Ueber Parrot’s wissenschaftliche Bedeutung liest man im Rückblick auf die Wirksamkeit der Universität Dorpat 1866, p. 57: „In letzter Beziehung (wissenschaftliche Arbeiten) ist der Antheil hervorzuheben, welchen P. an der Ausbildung der wichtigen Lehre von der Durchdringlichkeit organischer Membranen gebührt, die als Scheidewand zwischen Flüssigkeiten von verschiedener Natur ausgespannt sind. Die große Tragweite dieser Lehre ist freilich erst später erkannt worden, nachdem sie von Dutrochet 1826 unter dem Namen der Endosmose und Exosmose aufgestellt, zur Erklärung für die Bereitung des Saftes in den Pflanzen benutzt wurde, und besonders, nachdem sie in jüngster Zeit durch Graham zu einem neuen Verfahren chemischer Abscheidungen, der Dialyse geführt hat. P. aber hat das Verdienst, den in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von Nollet entdeckten Fundamentalversuch nicht nur 1802 wieder aufgenommen und erreicht zu haben, sondern auch der Erste gewesen zu sein, der es aussprach, daß dieser Vorgang zur Erklärung der Secretionen im thierischen Körper dienen könnte und zur Erklärung der Assimilation und Reproduction den Schlüssel bieten würde („Ueber den Einfluß der Physik und Chemie auf die Arzneikunde“, 1802, § 52–56). Gegen Volta’s Contacthypothese ferner stellte er die chemische Hypothese auf und sprach dabei einzelne Sätze aus, die später auch von de la Rive-Faraday gefunden worden sind („Skizze einer Theorie der galvanischen Electricität“ in Gilbert’s Annalen der Physik Bd. XII, S. 49). Hat er sich hiernach an dem Fortschritt der Wissenschaft in bemerkenswerther Weise betheiligt, und dabei eine die Tragweite einzelner Lehren vorausahnende Scharfheit bewiesen, so war er nicht minder darauf bedacht, von den physikalischen Lehren nützliche Anwendungen zu machen, wie er sich zum Beispiel mit der Verbesserung des Sprachrohrs, der Pumpe, der Farbe, des Blitzableiters u. A. beschäftigt hat.“