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ADB:Peter III.

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Artikel „Peter, Herzog von Holstein-Gottorp, Kaiser von Rußland“ von Ferdinand von Krogh in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 469–473, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Peter_III.&oldid=- (Version vom 11. Dezember 2024, 16:28 Uhr UTC)
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Peter (Karl Peter Ulrich), Herzog von Holstein-Gottorp, als Kaiser von Rußland: Peter III.; geboren am 21. Februar 1728 auf dem Schlosse zu Kiel als der einzige Sohn Herzog Karl Friedrich’s von Holstein-Gottorp und der Großfürstin Anna von Rußland, der ältesten Tochter Kaiser Peter’s des Großen. Kaum ein Jahr alt, verlor der Prinz schon die Mutter; die zahlreiche weibliche Bedienung, welcher er nun überantwortet [470] ward, übte durch ihre übertriebene Aengstlichkeit einen schädlichen Einfluß auf seine Entwicklung, dessen Folgen sich zunächst in einer gewissen scheuen Furchtsamkeit zeigten. Auch den Vater verlor der Prinz schon mit elf Jahren. Geschwister hatte er nie gehabt, stand somit jetzt ganz vereinsamt da.

Wir müssen einen Rückblick auf die Schicksale des Vaters werfen. Karl Friedrich war der Sohn Herzog Friedrich IV. (A. D. B. VIII, 21) und der schwedischen Hedwig Sophie, der ältesten Schwester König Karl XII. Auch er war in früher Kindheit Waise geworden; auch er hätte wie später sein Sohn aus eigenen Erfahrungen „die Leiden eines Knaben“ schreiben können. In Erinnerung an die eigene traurige Kindheit hatte er in Betreff der Erziehung seines Sohnes, der er besondere Sorgfalt zuwendete, letztwillig Alles bis ins Kleinste geordnet. Zu seinem Vormunde hatte er den Prinzen Friedrich August von Holstein-Gottorp, dritten Sohn Bischofs Christian August, bestellt, der in Gottorp’schen Diensten stand und das besondere Vertrauen des Herzogs genoß. Diesem hatte er ans Herz gelegt, die Umgebung seines Sohnes vorsichtig zu wählen, auf seine Ausbildung, auch auf die körperliche, die größte Aufmerksamkeit zu verwenden, und vor Allem darauf zu sehen, daß dem Knaben eine liebreiche Behandlung zu Theil werde. Von alledem geschah gerade das Gegentheil. Als Karl Friedrich am 18. Juni 1739 starb und nun der elfjährige Sohn ihm als Herzog von Gottorp folgte, bedurfte es demnach der Ernennung einer vormundschaftkichen Regierung. Auf den jungen Herzog gingen zugleich die Erbansprüche seines Vaters an die schwedische Krone über. Denn als Karl XII. von Schweden am 14. November 1718 vor Friedrichshall fiel, ohne Leibeserben zu hinterlassen, hätte ihm Karl Friedrich als Sohn seiner älteren Schwester folgen sollen, wie ihn denn auch Karl XII. immer als seinen Nachfolger behandelt hatte. Seine Thronbesteigung wäre indessen gleichbedeutend gewesen mit einer Fortsetzung des Krieges gegen Dänemark zur Geltendmachung der Gottorpischen Ansprüche an Schleswig. Deswegen war eine Hofpartei und die Armee seiner Throncandidatur entgegen. Die Armee pronuncirte statt seiner die jüngere Schwester des verstorbenen Königs, Ulrike Eleonore, Gemahlin des Landgrafen Friedrich von Hessen (A. D. B. VII, 522), zur Königin von Schweden, und die ad hoc einberufenen Stände bestätigten diese Wahl. Ulrike Eleonore lebte aber in kinderloser Ehe. Somit war, wenn sie starb, Karl Peter Ulrich der letzte Sprößling des alten schwedischen Königshauses, während ihm zugleich als Enkel Peter’s des Großen Ansprüche auf die Thronfolge in Rußland zur Seite standen.

Auf die Nachricht vom Tode Herzog Karl Friedrich’s nahm nun aber der damalige Bischof von Lübeck, Herzog Adolph Friedrich (A. D. B. I, 114) als ältester Agnat die Vormundschaft und die Administration des Landes für sich in Anspruch und trat sie mittelst Patentes vom 21. Juni 1789 an. Sein jüngerer Bruder, der obengenannte Prinz Friedrich August, verzichtete auf die ihm testamentarisch übertragene Vormundschaft, nahm seinen Abschied aus Gottorpischen Diensten, ging ins Ausland und überließ den ihm so warm ans Herz gelegten Pflegebefohlenen seinem Schicksal. Das Testament des seligen Herzogs ward einfach ad acta gelegt. Zum Hofmeister des jungen Herzogs ward Graf Brümmer ernannt; ein früherer Cavallerieofficier, den der selige Herzog wegen seines anstößigen Lebenswandels des Landes hatte verweisen wollen. „Il est bon pour dresser un cheval mais non pour élever un prince“ äußerte über ihn Professor Mildt, der französische Lehrer des Prinzen. Ein im großherzoglich oldenburgischen Haus und Centralarchiv aufbewahrtes Memorial enthält eine Zusammenstellung der dem Grafen Brümmer zur Last gelegten Mißgriffe in der Erziehung des Herzogs. Zur Residenz war diesem das Schloß Kiel angewiesen. [471] Der Unterricht, in dem die fremden Sprachen natürlich eine Hauptrolle spielten, dauerte von Morgens bis Abends spät; von Erholung, Bewegung in freier Luft, Anregung im Umgang mit Altersgenossen war keine Rede. Ermüdet und ermattet von Schulstunden mußte der Prinz oft stundenlang auf das Essen warten, wenn sich Graf Brümmer eben auf der Jagd oder im Salon der Frau v. Brockdorff ergötzte. Unter der Tafel liebte es Graf Brümmer, sich in platten und frivolen Scherzen zu ergehen. Abends mußte der Prinz in Uniform den Gesellschaften beiwohnen, die Brümmer in den herzoglichen Gemächern veranstaltete, und am Tanze der Erwachsenen Theil nehmen. Wenn seitens der Lehrer geklagt ward, daß der Prinz wenig Sinn für die Grammatik zeige, gab es heftige Auftritte und unpassende Strafen; so ließ ihn Graf Brümmer an seinen Arbeitstisch binden, mit entblößten Knieen auf Erbsen liegen oder stundenlang mit einem Eselsbild um den Hals zum öffentlichen Aergerniß umhergehen. Das mag als Probe aus einer langen Reihe von ähnlichen Beschwerden genügen. Das Aergste aber, was dem Prinzen widerfuhr, war doch die Art, wie man den Religionsunterricht betrieb: je nachdem die Aussichten auf die Thronfolge in Rußland oder in Schweden mehr in den Vordergrund traten, ward er in griechisch-katholischer oder in lutherischer Confession unterrichtet, wobei fanatische Geistliche sich bemühten, ihm Mißtrauen und Haß gegen die Lehren der gerade bei Seite geschobenen Religion einzuflößen. So ward der religiöse Frieden des Knaben zerstört und ihm gegen den griechisch-katholischen Cultus ein Widerwillen beigebracht, über den er auch später nie vollständig hat Herr werden können. In wie hohem Grade Brümmer’s Behandlung das Gemüth des Prinzen verbittert hat, sollte sich später zeigen. Der einzige Lichtblick in diesen trüben Kindertagen war der Verkehr mit der Jungfrau Alinius, seinem Kindermädchen, dem noch der Kaiser später seine Dankbarkeit bezeigte.

1741 hatte die jüngste Tochter Peter des Großen, Elisabeth, den russischen Thron bestiegen. Sie wollte dem Prinzen P., als dem Sohn ihrer älteren Schwester, die Nachfolge auf den russischen Thron sichern und wünschte deswegen seine Uebersiedlung nach Petersburg. In Kiel, wo er der Gegenstand inniger Theilnahme war, machte man Miene, sich seiner Ueberführung zu widersetzen. Er ward aber nächtlicher Weile an Bord eines russischen Kriegsschiffes gebracht, das gleich darauf in See ging. Im Februar 1742 hielt der Prinz seinen Einzug in Petersburg, von der Kaiserin in herzlicher Weise empfangen und unter endlosen Festlichkeiten. Die Kaiserin wandte nun seiner Ausbildung ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Seine Kränklichkeit aber, wiederholte ernstliche Krankheiten und die unter diesen Umständen doppelt ermüdenden Anstrengungen des Hoflebens, denen er sich trotzdem nicht entziehen durfte, wirkten auf das Störendste ein. Am 7./18. November 1742 trat er zur griechisch-katholischen Kirche über, und ward als Peter Petrowitsch „ex jure sanguinis“ zum Großfürsten-Thronfolger erklärt.

Bald nachher am 4. Januar 1743 fand sich in Moskau eine schwedische Gesandtschaft ein, um dem Prinzen im Namen des schwedischen Reichsraths die schwedische Krone anzutragen. Um des bereits erfolgten Uebertritts zur griechischen Kirche willen war die Sache hinfällig, sie scheint aber auf den Prinzen, den man über seine Aussichten auf den schwedischen Thron nie genügend aufgeklärt hatte, einen tiefen Eindruck gemacht zu haben. Er gab seinem Schmerz über den Verlust der schwedischen Krone in einer Weise Ausdruck, welche die Altrussen, bei denen seine Throncandidatur viele Gegner hatte, verletzte. Die Sache ward ausgebeutet, um ihm bei der Kaiserin zu schaden und ihn beim Volke unpopulär zu machen. Schon hier liegen die kleinen Anfänge der großen [472] Bewegung, die später gegen ihn ins Werk gesetzt wurde; es ist „le commencement de la fin“.

Im Herbst 1743 erkrankte P. so schwer, daß man für sein Leben bangte. Dies veranlaßte die Kaiserin, welche das Aussterben der Nachkommenschaft Peters des Großen befürchtete, die Vermählung des 16jährigen Prinzen gegen den dringenden Rath der Aerzte in Erwägung zu nehmen: ihre Wahl fiel auf die dem Holstein-Gottorpischen Hause verwandte Prinzeß von Anhalt-Zerbst, die spätere Kaiserin Katharina II. Sie traf mit ihrer Mutter im Februar 1744 in Moskau ein, trat am 9. Juni d. J. zur griechischen Kirche über und erhielt den Namen Katharina Alexiewna. Als im Herbst 1744 die Residenz von Moskau nach Petersburg verlegt wurde, erkrankte der Großfürst auf der Reise dahin in Chotilowo an den Blattern. Die Kaiserin war Tag und Nacht an seinem Bett „dans une consternation excessive“, wie der preußische Gesandte unter dem 12. November 1744 berichtete. Der Großfürst erholte sich zwar; gleichwol aber wurde ihm die Krankheit verhängnißvoll. Zunächst hörten, damit die Reconvalescenz nicht gestört werde, seine Studien auf. Dann aber entstellten die Pockennarben sein Gesicht dergestalt, daß Katharina des peinlichen Eindrucks nicht Herr werden konnte. Auch ihm selbst entging dies nicht, und es liegen hier die Anfänge einer Verstimmung, die später so schwere Folgen nach sich ziehen sollte. Es kam aber noch Eines hinzu. Während der Tage, wo man den Tod des Großfürsten fürchtete, waren Alle, und die Kaiserin nicht am wenigsten, von der Frage der Nachfolge im Reich tief bewegt. Im Staatsrath brach sich die Ansicht Bahn, daß in diesem Falle seine Verlobte, die Großfürstin Katharina zu seiner Nachfolgerin zu ernennen sei. Es blieb dies kein Geheimniß; wer vermag zu sagen, welche Gedanken damit in der Seele der jungen, ehrgeizigen Fürstin aufgekeimt sind?

Die Vermählung erfolgte am 1. September 1745. Das eheliche Verhältniß war bald und oft getrübt. Es scheint sogar, daß Katharina schon früh an Machinationen gegen den Thronfolger Theil genommen hat.

Als Herzog von Holstein erhielt P. am 11. Juni 1745 vom deutschen Kaiser veniam aetatis. Die Regierung über den Gottorper Antheil am Herzogthum Holstein führte er von Petersburg aus mit zwei Conseils, deren eines seinen Sitz in Petersburg, das andere in Kiel hatte. Er nahm nun Einsicht in die unverantwortliche Art und Weise, wie während seiner Minderjährigkeit die Regierung geführt worden war, und eine tiefe Mißstimmung erfaßte ihn unter den Klagen und gegenseitigen Anschuldigungen, die jetzt von drüben her zu ihm drangen. Der Gottorpische Gesandte in Stockholm, Geheimrath v. Holmer, welcher Mitglied des Conseils in Kiel gewesen war, wurde sofort abberufen. Der bis dahin, auch in Petersburg, vielvermögende Hofmarschall Graf Brümmer ward in ländliche Einsamkeit nach Trittau verbannt. Die Kieler Kanzlei ward neu geordnet und dem Präsidenten strenge Disciplin eingeschärft. Der Kieler Postmeister, welcher das Briefgeheimniß nicht geachtet hatte, ward zur Rechenschaft gezogen. Der Justizpflege, der Verwaltung, der Universität wandte der Herzog seine Aufmerksamkeit zu und ging überall ohne Ansehen der Person vor, wie verschiedene Rescripte an das Kieler Conseil beweisen. Hatte er früher auf das Andrängen des Hofkanzlers Pechlin zu der berüchtigten Verfolgung des Geheimraths Westphalen (s. d.) selbst die Hand geboten, so zeigte er sich jetzt, über den wahren Sachverhalt aufgeklärt, bemüht, das an Westphalen begangene Unrecht wieder gut zu machen.

1754 ward dem Großfürsten ein Sohn geboren, der nachmalige Kaiser Paul, durch welchen er der Stifter des in Rußland regierenden Hauses ward.

[473] Am 25. December 1761/5. Januar 1762 starb Kaiserin Elisabeth und Peter III. bestieg den Thron. Seine ferneren Thaten und Schicksale gehören ganz der russischen Geschichte an, und können hier nur flüchtig angedeutet werden. Er begann seine Regierung damit, 20000, unter Elisabeth nach Sibirien Verbannten die Freiheit zu schenken. Reformen sollten auf allen Gebieten sofort ins Leben treten. Die heimliche Kanzlei ward abgeschafft, jene Staatsinquisition, die seit den Zeiten Iwan’s des Großen so viel Unglück über Rußland gebracht hatte. Anwendung von Tortur und Knute ward verboten. Unterm 27. März/7. April 1762 legte der Kaiser dem Senat sein nationalökonomisches Programm vor: Die Waldungen sollten gegen Ausforstung geschützt werden, der Handel mit Korn und Vieh freigegeben, Handelsfactoreien errichtet, der Preis auf Salz herabgesetzt werden. Eine verbesserte Organisation der Rechtspflege ward in Aussicht genommen und ein sogenannter Wohlfahrtsausschuß ernannt mit der Aufgabe, das allgemeine Wohl der Unterthanen zu überwachen. Die Einfuhr verschiedener Luxusgegenstände ward verboten. Auch Heer und Flotte sollten reorganisirt werden, das Heer nach preußischem, die Flotte nach englischem Muster. Sogar auf die griechische Kirche und ihre Klöster erstreckte sich dieser hastige Reformeifer des Kaisers. Friedrich der Große bemerkte auf die Nachricht hiervon: „attaquer ces archimandrites et ces popes c’était se faire des ennemies irréconciliables.“ Aber auch auf vielen anderen Gebieten fühlte man sich in seinen berechtigten wie unberechtigten Interessen bedroht und beeinträchtigt. Noch aufregender vielleicht wirkte des Kaisers auswärtige Politik. Er war bekanntlich seit lange ein begeisterter Verehrer Friedrich des Großen, mit dem er in intimem Briefwechsel stand. In der That war es ein kühner Griff in das Rad der Weltgeschichte, als der Kaiser plötzlich die europäische Coalition sprengte, durch welche Friedrich II. sich auf das Aeußerste bedroht sah. Am 16. März 1762 ward zwischen Rußland und Preußen der Waffenstillstand geschlossen, am 5. Mai der Friede, in welchem die eroberten und fast schon incorporirten preußischen Provinzen wieder herausgegeben wurden. Wenn zu gleicher Zeit der Krieg mit Dänemark auszubrechen drohte – die Heere waren bereits in Marsch –, so war dieser Krieg, in dem man nur die Verfolgung Gottorpischer Hausinteressen sah, nicht minder unpopulär.

Die sorgfältig vorbereitete Revolution kam am 28. Juni/9. Juli 1762 zum Ausbruch. Katharina wurde zur Kaiserin ausgerufen, Peter III. verhaftet und nach Ropscha gebracht. Hier ward er am 6. Juli/17. Juli in brutalster Weise meuchlings ermordet.