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ADB:Plitt, Gustav Leopold

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Artikel „Plitt, Gustav Leopold“ von Albert Hauck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 304–307, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Plitt,_Gustav_Leopold&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 07:55 Uhr UTC)
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Band 26 (1888), S. 304–307 (Quelle).
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Plitt: Gustav Leopold P., protestantischer Kirchenhistoriker, wurde am 27. März 1836 zu Genin, einem Lübeck’schen Dorfe, in welchem sein Vater Pfarrer war, geboren. Seine Schulbildung empfing er zuerst im elterlichen Hause, dann auf dem Gymnasium zu Lübeck; die Universitätsjahre (1854–58) verbrachte er zu Erlangen und Berlin. Im Januar 1862 habilitirte er sich in Erlangen als Privatdocent in der theologischen Facultät; 1867 wurde er außerordentlicher, 1875 ordentlicher Professor der Theologie. Er starb am 10. September 1880.

Der erste Mann, welcher einen nachhaltigen Einfluß auf P. übte, war der Director des Gymnasiums in Lübeck, Classen; er wußte den Zug zu geschichtlichen Studien, der seinem Schüler angeboren war, zu nähren und zu fördern. Für die Bildung der theologischen und kirchlichen Anschauungen Plitt’s war die Berührung mit J. Chr. K. v. Hofmann ausschlaggebend. Zwar einen Schüler Hofmann’s kann man ihn nicht nennen; Hofmann war Exeget, P. aber ließ sich durch ihn nicht für die biblischen Studien gewinnen; seine Neigung zog ihn zur Kirchengeschichte, er hat in der ersten Zeit seiner Privatdocententhätigkeit das Gebiet der Exegese höchstens gestreift, bald ganz darauf verzichtet. Was er Hofmann verdankte, war das Ideal einer kirchlichen Wissenschaft, das ihm während seines ganzen Wirkens vorschwebte. Hofmann legte Werth darauf, von Gesinnungsgenossen und Gegnern als confessionell lutherischer Theologe anerkannt zu werden; aber der Buchstabe des lutherischen Bekenntnisses galt ihm nicht als Lehrgesetz: er nahm das Recht in Anspruch „alte Wahrheit auf neue Weise zu lehren“. Man weiß, welchen Anstoß man gerade im confessionellen Lager an der Freiheit nahm, mit welcher er sich auf dem dogmatischen Gebiete bewegte. P. lernte frühzeitig diesen Standpunkt theilen: Freiheit der wissenschaftlichen Bewegung und Treue gegen die Kirche, der er angehörte, galten ihm nicht als widersprechend. Sein Ziel war: als Historiker der Kirche zu dienen, wie ihr Hofmann als Bibelforscher diente. Die Berliner Studienzeit war für Plitt’s Entwickelung nicht von derselben Bedeutung wie die Erlanger Jahre. Es ist seltsam, daß er L. v. Ranke ferne blieb, während ihn Niedner anzog. Doch war die Weise dieses speculirenden Kirchenhistorikers der schlichten, ich möchte sagen, sachlichen Geistesart Plitt’s zu fremd, als daß er ihn auf die Dauer hätte festhalten können. Weder in den kirchenhistorischen Vorlesungen noch in den Werken Plitt’s findet sich eine Spur von Niedner’schem Einfluß. Nahe [305] schloß er sich an Trendelenburg an: doch fesselte ihn mehr die Persönlichkeit des feinsinnigen Philosophen, als daß er zum Schüler seiner Philosophie geworden wäre. Auch Piper’s Begeisterung für eine „monumentale Theologie“ fand an ihm einen manchmal zweifelnden, im Ganzen jedoch zustimmenden Hörer.

Seine litterarische Thätigkeit begann P. mit der Herausgabe der Festpredigten des h. Bernhard, 1860. Es folgte seine Dissertation „De autoritate articulorum Smalcaldicorum symbolica“, 1862. Zu diesem Gegenstand führte ihn der Gegensatz gegen Heppe’s bekannte Hypothese über die confessionelle Entwickelung der altprotestantischen Kirche Deutschlands. Heppe hatte, um seine Ansicht zu stützen, sich darauf berufen, daß die Schmalkaldischen Artikel in der altprotestantischen Kirche des symbolischen Ansehens entbehrten. P. meinte diesen Satz widerlegen zu können. Das ist ihm meines Erachtens nicht gelungen; im übrigen aber war sein Widerspruch gegen Heppe sehr begründet. Für die Richtung der litterarischen Thätigkeit Plitt’s ist die Wahl dieses ersten Themas bezeichnend. Es lag ihm nicht nur an der Erschütterung einer, wie er überzeugt war, unrichtigen Fassung der Reformationsgeschichte, sondern eben so sehr daran zu verhüten, daß die Geltung eines kirchlichen Bekenntnisses wankend zu werden scheine. Bei der Reformationszeit ist P. geblieben. Zunächst veröffentlichte er ein Paar kleinere Arbeiten, 1863 einen Vortrag über Friedrich den Weisen als Schirmherrn der Reformation, 1864 eine Ausgabe und Erläuterung der loci communes Melanchthons. Seine Absicht war, durch das erstere Schriftchen die Annahme zu widerlegen, daß die Reformation nur durch thätige Mitwirkung der weltlichen Gewalt zu Stande gekommen sei. Er erblickte darin einen Vorwurf gegen die evangelische Kirche, der, wenn er wahr wäre, für ihren Bestand bedenklich machen müßte. Deshalb lag ihm daran, ihn zu entkräften. Friedrichs Verdienst fand er mehr im Gewährenlassen als im Handeln, wie er sagt: in dem unparteiischen Schutz eines gewissenhaften Fürsten, der allen seinen Unterthanen die Freiheit des Gewissens sichern wollte. Man wird an der Richtigkeit des letzteren Satzes zweifeln dürfen. Die Fassung der Aufgabe charakterisirt aber wieder Plitt’s Standpunkt. Nach einer anderen Seite geschieht das durch die Ausgabe der loci. P. wollte Melanchthon’s Werk nicht als ein Lehrbuch für die Gegenwart betrachtet haben, denn er hielt ein bloßes Reproduciren der reformatorischen Lehre für ganz unberechtigt, daran werde die Kirche ihren Halt nimmermehr finden können. Aber er wünschte, daß die Kenntniß der reformatorischen Theologie bei den Dienern der Kirche ausgebreiteter sei, als es der Fall ist; denn er lebte der Ueberzeugung, daß ein gesunder Fortschritt nur möglich sei bei stetem Rückblick: das Vergangene sei nicht einfach normativ, aber jede rechte Weiterbildung müsse an das Vergangene anknüpfen. In diesem Gedanken ließ er die 1. Auflage der loci wieder abdrucken und versah sie mit zahlreichen Erläuterungen. Besonderen Werth verleiht dem Werke die ausführliche geschichtliche Einleitung.

In den Jahren 1867 und 1868 erschien Plitt’s Hauptwerk, seine zweibändige Einleitung in die Augustana. Das Werk bietet mehr als dieser Titel erwarten läßt; denn der erste Band enthält eine eingehende Geschichte der deutschen Reformation bis zum Augsburger Reichstag, der zweite eine genaue dogmengeschichtliche Erläuterung der Augsburger Confession. Die allzu bescheidene Fassung des Titels war ohne Zweifel für die Verbreitung des Buches hinderlich, sie entspricht aber durchaus Plitt’s kirchlichen Ueberzeugungen. Das Bekenntniß als für die Gegenwart unmittelbar bedeutend war ihm wichtig, sein Verständniß suchte er durch sein Werk zu fördern. Denn er urtheilte, daß in der Gegenwart mehr noch als vordem das Studium der kirchlichen Bekenntnißschriften [306] für den Theologen nothwendig sei: es beginne die Verbindung zwischen Kirche und Staat sich zu lösen. Falle für die Kirche die äußere Stütze hinweg, die in dieser Verbindung liege, so werde vor allem das Bekenntniß es sein, das die Glieder der evangelischen Kirche einige. In diesen Gedanken arbeitete er. Daraus erklärt es sich, daß er unternahm, die Geschichte der evangelischen Kirche bis zum Augsburger Reichstag darzustellen, also bis zu einem Punkte, den man schwerlich als eine Epoche abschließend bezeichnen kann. Der praktische Zweck des Werkes erwies sich hier als hinderlich. Sieht man von ihm ab und betrachtet man das Buch als solches, so wird man ihm volle Anerkennung nicht versagen können. Wol erweiterte P. unsere Kenntniß der Vorgänge nicht wesentlich, er arbeitete, so viel ich sehe, nur mit gedrucktem Materiale: aber er besaß eine ausgebreitete Kenntniß der gedruckten Quellen, ihm eignete die Gabe einfach und anschaulich zu erzählen, er war unbefangen und gerecht in seinem Urtheile. Eine Fortsetzung dieses Werkes erschien 1873 unter dem Titel „Die Apologie der Augustana geschichtlich erklärt“. Daß das spätere Buch an Interesse hinter dem früheren einigermaßen zurücksteht, liegt an dem Stoff. An diese Arbeiten schließt sich eine Anzahl kleinerer Schriftchen an: „Luther vor Kaiser und Reich“, 1869; „Die vier ersten Lutherbiographen“, 1876; „Jodocus Trutsetter“, 1876; „Gabriel Biel als Prediger“, 1879. Aus seiner akademischen Lehrthätigkeit erwuchs seine „Geschichte der lutherischen Mission“ 1871, und sein „Grundriß der Symbolik“ 1875. Unmittelbar praktischen Zweck hatte seine Studie über die Albrechtsleute oder die evangelische Gemeinschaft, 1877: er wollte dem Vordringen des Methodismus in das evangelische Deutschland wehren. Seine verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Schellings – er war mit einer Enkelin des Philosophen vermählt – führten ihn zur Herausgabe des Briefwechsels Schellings (Aus Schellings Leben. In Briefen. 2 Bde. 1869–70).

Während seiner letzten Lebensjahre beschäftigte ihn vor allem die Herausgabe der 2. Auflage der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. Auf den Wunsch des Begründers dieses Werkes, seines Collegen Herzog, und des Verlegers entschloß er sich zum Eintritt in die Redaction. Die Grundsätze für die neue Auflage sind von ihm aufgestellt; er entwarf auch einen ziemlich eingehenden Plan für die Ausarbeitung im einzelnen; ebenso ist die im Vergleich mit der ersten Auflage etwas geänderte kirchliche Haltung des Werkes auf ihn zurückzuführen. Er nahm das lebhafteste Interesse an dieser Arbeit: daß er scheiden mußte, ohne ihre Vollendung zu erleben, gehörte zu dem, was ihm das Sterben bitter machte. Bis zu den letzten Wochen vor seinem Tode hat er von der Redactionsthätigkeit nicht gelassen. Die selbständige Production hörte dabei nicht auf. Nicht nur bearbeitete er für die Realencyklopädie, sowie auch für die allgemeine deutsche Biographie eine große Anzahl von Artikeln, zumeist über Personen der Reformationszeit: er faßte den Gedanken zu einem neuen größeren Werke. In seinem Schriftchen über die Lutherbiographen äußerte er den Wunsch, es möchte als reife Frucht tiefer und umfassender Forschung eine Lutherbiographie erwachsen, die auch durch eine den Forderungen des jetzigen Geschmackes entsprechende Darstellung geeignet wäre, ein Volksbuch für die evangelische Christenheit Deutschlands in unseren Tagen zu werden, wie es Mathesius’ Predigten für die vorigen Jahrhunderte gewesen sind. Der Wunsch sprach den letzten litterarischen Plan seines Lebens aus: er wollte die Geschichte Luthers für einen weiteren Leserkreis darstellen; das sollte seine Gabe zum Lutherjubiläum werden. Ohne viel davon zu reden, hat er die Arbeit begonnen: aber er konnte sie kaum zur Hälfte vollenden. Das Buch ist, von seinem Freunde, Hauptpastor Petersen in Lübeck, zu Ende geführt, im J. 1883 erschienen.

Hand in Hand mit der litterarischen Arbeit ging bei P. die Thätigkeit als [307] akademischer Docent. Er wurde gerne gehört, und das mit Recht. Zwar mangelte ihm das die Jugend leicht bestechende Pathos, aber er war lehrhaft im besten Sinne des Wortes. Dies zeigte sich gerade in der Beschränkung auf das, was er für nothwendig und nützlich hielt.

Daß ein Mann, der auch die wissenschaftliche Arbeit unter einem praktischen Gesichtspunkt betrachtete, sich dem Leben nicht entfremdete, ist selbstverständlich. P. betheiligte sich rege an der Politik: wie Hofmann, so gehörte auch er der baierischen Fortschrittspartei an. Ebenso lebhaft beschäftigten ihn die kirchlichen Fragen: wie selbständig er in seinem Urtheil war, beweist sein energisches Eintreten für die preußische Maigesetzgebung (vgl. die Broschüre „Ein Wort für die preußische Kirchengesetzgebung“ 1873). Er war Jahre lang Vorstand eines freiwilligen Armenvereins, stand an der Spitze des bairischen Vereins für Judenmission, machte sich im Jahre 1870 verdient um die Einrichtung der Felddiakonie. In diesen verschiedenen Beziehungen und Thätigkeiten bewies er sich immer als der gleiche: ein Mann, einfach, klar und bestimmt im Reden und Handeln, ohne alles Prunkende und Prahlerische, von entgegenkommender Freundlichkeit, reizbar nur wenn ihm anspruchsvolle Phrasenhaftigkeit gegenübertrat, billig urtheilend auch wenn ihm Unrecht geschah.

Vgl. die Lebensskizze von Frank, Prot. Real-Encykl. XII, 69 ff.