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ADB:Poglietti, Alessandro

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Artikel „Poglietti, Alessandro“ von Emil Naumann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 366–367, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Poglietti,_Alessandro&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:03 Uhr UTC)
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Poglietti: Alessandro P. gehörte der neuvenetianischen Tonschule an, welche nach des Verfassers Illustr. Musikgeschichte (W. Spemann) I, S. 483 bis 496 die zweite Epoche der Blüthe der kirchlichen Tonkunst in Venedig umfaßt, deren Entwickelung hauptsächlich in das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts fällt und die unter ihre Großmeister Männer wie Frescobaldi, Legrenzi, Lotti, Caldara und Marcello zählt. Poglietti’s Lebensumstände sind nicht näher bekannt; mit Sicherheit ist nur nachzuweisen, daß er von 1661 bis 1683 als kaiserlicher Hoforganist in Wien lebte. Ricercaten von P. befinden sich in der Privatbibliothek des Königs von Sachsen. Dieselben sind enthalten in einem, von der Hand des späteren kursächsischen Kammermusikus Zelenka († 1745) herrührenden, Copien fugirter Tonsätze umfassenden Notenbande. Als der Verfasser zuerst Einsicht von den Ricercaten Poglietti’s gewann, überraschte ihn deren Aehnlichkeit mit den derselben Gattung angehörenden fugirten Tonsätzen Seb. Bach’s dermaßen, daß er, ehe er den in jenem Manuscript nur ein paarmal oder unvollständig vorkommenden Namen P. auffand, den großen [367] Cantor von St. Thomas in Leipzig für den Componisten der Ricercaten halten mußte. Nähere Nachforschungen, deren Resultate der Verfasser in Nr. 35 u. 36 der Neuen Berliner Musikzeitung vom Jahre 1875 zum ersten Mal veröffentlichte, ergaben erstens, daß P., wie oben gesagt, in Wien angestellt gewesen, woselbst der berühmte Theoretiker Fux († 1741) seine nachgelassenen Werke kennen gelernt und seine Schüler, zu denen Zelenka gehörte, auf dieselben aufmerksam gemacht hat. Zweitens brachten die erwähnten Nachforschungen dem Verfasser Sicherheit darüber, daß Bach die Ricercaten Poglietti’s gekannt hat und daß dieselben nicht ohne Einfluß auf seinen fugirten Stil geblieben sind, wie dies auch besonders deutlich aus den vom Verfasser in der genannten Zeitung in Notenbeispielen mitgetheilten Proben aus Poglietti’s Orgelstücken zu ersehen ist.

Bach ist bei seinen wiederholten Ausflügen von Leipzig nach Dresden (später vielleicht auch durch Vermittlung seines von 1733–1747 als Organist der Sophienkirche in der sächsischen Hauptstadt wirkenden Sohnes Friedemann) jedenfalls in ein näheres Verhältniß zur kurfürstlichen Capelle getreten, wie dies schon aus dem Umstande hervorgeht, daß dieselbe vollzählig seinem Orgelconcert am 14. Septbr. 1731 in der vorhin genannten Kirche beiwohnte. Daß Bach bei diesen Beziehungen zur ganzen Genossenschaft auch den einzelnen Capellmitgliedern und vor Allem einem Manne von der Bedeutung Zelenka’s nicht fremd gegenüber gestanden, kann man wohl annehmen, selbst wenn man dabei Rochlitzens (Für Freunde der Tonkunst) Mittheilung über die hohe Werthschätzung, welche Bach dem Zelenka als Componisten habe zu Theil werden lassen, gar nicht in Betracht zieht. Durch Zelenka nun hat Bach jedenfalls Kenntniß von Poglietti’s Ricercaten erhalten und von ihrer tiefen Wirkung auf ihn kann sich Jeder überzeugen, der dieselben mit fugirten Tonwerken Bach’s vergleicht. Unsere Einordnung Poglietti’s unter die Jünger der neuvenetianischen Schule gründet sich auf die, dem Stil der berühmtesten Lehrer derselben innig verwandte Art der Behandlung und Fugirung der Themen seitens Poglietti’s. Auch ward uns auf unsere Anregung hin von Wien aus ein nicht in Zelenka’s Codex enthaltenes Thema Poglietti’s mitgetheilt, was auf die musikalische Factur und Manier der Organisten der Neuvenetianer hindeutet. Jedenfalls bleibt es von einem, die gesammte Tonkunst angehenden großen historischen Interesse, daß wir in Alessandro P. einem Meister begegnen, der dadurch, daß er ausschließlich Organist und deshalb auch vorwaltend Fugist war, unter den von jenseits der Alpen her auf Bach wirkenden Meistern einen bedeutenderen Platz einnimmt, als Legrenzi, Albinoni und Vivaldi. Bei P. kann man nicht bloß mehr von zufälligen und vereinzelt, oder sehr allgemein gebliebenen Einwirkungen auf den deutschen Großmeister, sondern mit Recht schon von einem Vorläufer desselben und seines Stils sprechen.