Zum Inhalt springen

ADB:Polko, Elise

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Polko, Elise“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 95–98, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Polko,_Elise&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 04:49 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Poel, Piter
Nächster>>>
Pollack, Leopold
Band 53 (1907), S. 95–98 (Quelle).
Elise Polko bei Wikisource
Elise Polko in der Wikipedia
Elise Polko in Wikidata
GND-Nummer 116263008
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|53|95|98|Polko, Elise|Franz Brümmer|ADB:Polko, Elise}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116263008}}    

Polko: Elise P., Sängerin und Schriftstellerin, wurde nach der Angabe ihres Bruders, des Professors Dr. Hermann Vogel – sie selbst verweigerte beharrlich jegliche Auskunft darüber – am 31. Januar 1823 in Leipzig geboren. Sie war die älteste Tochter des bekannten Pädagogen Karl Christoph Vogel, der seit 1816 Lehrer an dem berühmten Lang’schen Erziehungsinstitut in Wackerbartsruh bei Dresden war, nach Lang’s Tode die Leitung dieser Anstalt übernahm, sie aber 1823 auflöste und dann an den Stadtschulen [96] in Torgau und Krefeld wirkte, bis er 1832 zur Reorganisation und Leitung der allgemeinen Bürgerschule nach Leipzig berufen ward. Elise erhielt unter ihres Vaters Leitung eine vortreffliche Erziehung und ihr Talent für Musik, das sie schon frühzeitig bekundete, die sorgsamste Pflege. Der rühmlichst bekannte Musikdirector Pohlenz und später der Gesangsprofessor Ferd. Böhme in Leipzig waren ihre Lehrer, und Lehrer und Schülerin arbeiteten sich gegenseitig so trefflich in die Hände, daß Elise schon im 17. Lebensjahre als Sängerin mit dem besten Erfolge auftreten konnte. Dieses erste Debut wurde für sie insofern von großer Bedeutung, als Felix Mendelssohn Elisens Eltern um die Erlaubniß bat, die Tochter unter seiner Aegide weiter in die Oeffentlichkeit einführen zu dürfen. Und als diesem Wunsche gern entsprochen wurde, nahm der Meister mit dem ihm eigenen, ebenso theilnahmvollen wie rühmenswerthen Kunsteifer sich der vorwärts strebenden Künstlerin an und bewirkte später ihr mit schönstem Gelingen gekröntes Auftreten in einer Reihe von Gewandhausconcerten. Die rückhaltlose Anerkennung, welche Elise mit ihren Gesangsleistungen im öffentlichen Musikleben Leipzigs zu theil ward, fand auch bald auswärts ihren Widerhall. So sang sie unter lebhaftem Beifall in den 1845 zu Dresden von Ferd. Hiller begründeten und dirigirten Abonnementsconcerten, wie auch öfters in den unter Leitung von Rob. Franz bestehenden Winterconcerten in Halle. Auch in Berlin, wohin sie von Mendelssohn warm empfohlen war, und wo sie im Hause seiner Schwester Fanny Hensel Aufnahme fand und auch den bedeutendsten, künstlerisch und geistig hervortretenden Personen begegnete, hatte sie Gelegenheit, Proben ihres großen Talents abzulegen. Im Hinblick auf das lebhafte, mit regster Phantasie begabte Wesen seiner Schülerin wies der an der fortgesetzten Gesangsausbildung Elisens nach wie vor betheiligte Professor Böhme mit innerster Ueberzeugung auf den offenkundigen Beruf zur Bühnenlaufbahn hin. Einer derartigen Thätigkeit waren jedoch die Eltern der Künstlerin aus mehrfachen Gründen abhold, so daß von einer Aufnahme oder Verfolgung eines dahin zielenden Studiums nicht weiter die Rede sein konnte. Dagegen gaben sie ihre Zustimmung, das Gesangsstudium allseitig zu vervollständigen, und so begab sich Elise, mit einflußreichen Empfehlungen von Mendelssohn versehen, 1847 nach Paris, um hier den Unterricht des berühmten Manuel Garcia zu genießen. Sie hat später die reizvollen Unterrichtsstunden bei diesem Meister unter „Rue Chabannis Nr. 6“ in ihren „Musikalischen Märchen“ anmuthend geschildert. Nach Ausbruch der Februar-Revolution (1848) in Paris verließ Elise diese Stadt und kehrte in die Heimath zurück. Auf der Rückreise lernte sie ihren späteren Gatten, den Ingenieur Polko von der Köln-Mindener Eisenbahn kennen, und die Vermählung mit ihm (1849) entführte sie der Kunst, zunächst nach Duisburg, später für viele Jahre nach Minden, 1877 nach Wetzlar und 1880 nach Deutz, wo ihr Gatte die Stellung eines Eisenbahnbetriebsdirectors inne hatte. An Stelle der Musik trat nunmehr eine außerordentlich rege schriftstellerische Thätigkeit, die sich auf die verschiedensten Gebiete erstreckte, aber mit Vorliebe sich den Erzählungen und Charakterschilderungen aus der musikalischen Welt zuwandte. Gleich ihr erstes Werk „Musikalische Märchen, Phantasien und Skizzen“ (3 Reihen, 1852–72; Ausgabe in 2 Bdn., wovon der erste in 25., der zweite in 15. Auflage erschien 1904), gewann ihr ein dankbares Publikum. „Mit großer Erzählerkunst berichtet sie aus Vergangenheit und Gegenwart, aus den Zeiten der Troubadours, aus dem Leben berühmter früherer Dichter, insbesondere aber über berühmte Componisten des vorigen Jahrhunderts. In wohlfließendem Feuilletonstil verarbeitet sie ihre Studien und Kenntnisse, insbesondere über das Rococozeitalter, welches [97] sie mit farbiger Anschaulichkeit vorzuführen versteht.“ Demselben Genre gehören an „Alte Herren, die Vorläufer Joh. Seb. Bachs“ (sechs Kantoren der Thomasschule in Leipzig, 1865), „Aus der Künstlerwelt“ (II, 1858–63. Neue Ausg. u. d. T. „Künstlermärchen und Malernovellen“, 1879), „Unsere Musikclassiker“ (6 biogr. Lebensbilder, 1880), „Meister der Tonkunst“ (ein Stück Musikgeschichte in Biographien, 1897), „Bedeutende Menschen“ (Porträtskizzen, Lebenserinnerungen und Novellen, 1895), „Verklungene Accorde“ (Gedenkblätter, 1868, 3. Aufl. 1873). Von echter Liebe zeugen die „Notizen und Briefe über und von Dr. Karl Vogel“ (ihrem Vater, 1863), die „Erinnerungen an einen Verschollenen. Aufzeichnungen und Briefe von und über Eduard Vogel“ (ihren Bruder, den berühmten Afrika-Reisenden, 1863), und die „Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy“ (1868). Besonders werthvoll sind ihre biographischen Porträtbilder über „Eine deutsche Fürstin. Pauline zur Lippe“ (1870) und „Die Königin Luise“ (1881). Eine große Reihe von Schriften der Elise P. trägt den Charakter der Anthologie; wir zählen deren 20, für alle möglichen Verhältnisse berechnet; von ihnen haben sich „Dichtergrüße. Neuere deutsche Lyrik, ausgewählt“ (1860, 15. Aufl. 1896) und „Unsere Pilgerfahrt von der Kinderstube bis zum eigenen Herd“ (1863, 9. Aufl. 1892) weiter Verbreitung erfreuen dürfen. Daran schließen sich mehrere Jugend- und Kinderschriften und endlich eine Reihe von Romanen („Ein Familien-Ideal“, 1880; „Ein Frauenleben“, II, 1854; „Faustine Hasse“, II, 1860, 4. Aufl. 1895; „Getrennt“, 1882, 2. Aufl. 1898; „Die Bettler-Oper“, III, 1864; „Nicolo Paganini und die Geigenbauer“, 1876; „Umsonst“, 1878, 3. Aufl. 1904; „Sie schreibt!“ 1869, 2. Aufl. 1895) und Novellen, die teils einzeln, teils in Sammlungen erschienen. Die Aufzählung derselben mag uns erspart bleiben, sind ja doch von den „Neuen Novellen“ nicht weniger als 18 Folgen (1861–78) erschienen, und man muß wirklich den Fleiß und die Schaffensfreude bewundern, welche die Dichterin bis in ihr Alter erfüllten. „Sie besaß eines jener zartbesaiteten, empfindungsreichen, poesieempfänglichen und phantasieerfüllten Gemüther, wie sie nur weiblichen Charakteren von ausgezeichneter geistiger Begabung eigen zu sein pflegen, mit allen Vorzügen eines warm und lebhaft pulsirenden, instinktiven Gefühlsvermögens, aber auch in der Regel mit einer größeren oder geringeren Beimischung von sentimental empfindsamer Ueberspannung und reich gestimmter Schwärmerei. Dabei hat sie sich jedoch die volle, naiv edle Weiblichkeit und Grazie, sowie den reinsten Sinn für die naturgemäße Bestimmung ihres Geschlechts zu bewahren gewußt, weit entfernt, der modeartig herrschenden Emancipationssucht ihrer gegenwärtig in der Litteratur zahlreich vertretenen Genossinnen irgend einen Tribut zu zollen. Ihre Schriften offenbaren, abgesehen von der gewandten Beherrschung des Materials und der Darstellung, ein reines, keusches Frauengemüth, nicht minder, wie es ehedem ihr anmuthvoller, fein empfundener, aus dem Innern quellender Gesang that.“ Das Glück des häuslichen Stilllebens, das so wohlthuend auf ihre Thätigkeit eingewirkt hatte, sollte im herannahenden Alter der Dichterin noch schwere Trübungen erfahren. Sie mußte ihren einzigen Sohn ins Grab betten, und bald darauf, am 5. Februar 1887, entriß ihr der Tod auch den Gatten. Im J. 1891 verlegte sie ihren Wohnsitz nach Wiesbaden, mit Beginn des Jahres 1895 nach Frankfurt a. M. und 1898 nach München. Während eines Aufenthalts in Schliersee (1898) erlitt sie einen schweren Unfall, an dessen Folgen sie am 15. Mai 1899 in München im Hause ihrer Schwester Julie Dohmke verstarb.

Mittheilungen aus der Familie. – Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, 4. Bd., 1900, S. 124 (Hyac. Holland). – Frauen der [98] Zeit. Supplement zu: Männer der Zeit. Biogr. Lexikon der Gegenwart, S. 85. – Leipziger Illustr. Zeitung vom 25. Mai 1899. – Sophie Pataky, Lexikon deutscher Frauen der Feder, 2. Bd., S. 144.