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ADB:Rademacher, Johann Gottfried

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Artikel „Rademacher, Johann Gottfried“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 116–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rademacher,_Johann_Gottfried&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:10 Uhr UTC)
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Rademacher: Johann Gottfried R., Arzt, ist am 4. August 1772 zu Hamm in der Grafschaft Mark geboren. Sein Vater bekleidete die Stelle eines Gerichtsdirectors, seine Mutter war eine Tochter von H. Chr. Brande, der bei Lebzeiten Apotheker des Königs von England gewesen war und auch in der Heilkunde ein nicht gewöhnliches Maß von Kenntnissen besessen hatte. Seine erste Ausbildung erhielt R., der in der Jugend oft kränkelte und eine überaus zarte und schwächliche Constitution besaß, in seiner Vaterstadt; später kam er in die lateinische Schule nach Schwelm. Im Alter von 18 Jahren bezog er die Universität Jena zum Studium der Medicin. Die Erzählungen der Mutter über[WS 1] den frühverstorbenen Großvater, dessen Studien, Reisen und Lebenserfahrungen, sowie gewisse Rücksichten auf seinen Gesundheitszustand mögen bei R. wohl die Neigung zum Studium gerade der Heilkunde angeregt haben. Er hörte bei Loder, Gruner, Stark, Bretschneider und besonders bei dem von Weimar eben nach Jena berufenen Hufeland. 1794 promovirte er mit einer Dissertation über den Unterschied zwischen dem Rheumatismus und der Gicht, ging in demselben Jahre nach Berlin, wo er ein Jahr lang zu seiner weiteren Ausbildung zubrachte und das Staatsexamen absolvirte. Nachdem er dann kürzere Zeit in Cleve als Arzt prakticirt hatte, ließ er sich 1797 in Goch, einem Städtchen am Niederrhein unweit der holländischen Grenze, nieder, übernahm das Stadtphysicat und die Armenpraxis und war hier 53 Jahre lang bis zu seinem Lebensende ununterbrochen und ausschließlich in seinem Berufe (darunter 40 Jahre lang als einziger Arzt der Stadt und näheren Umgebung) als vielbeschäftigter und besonders auch wegen seines fleckenlosen Charakters hochangesehener und beliebter Arzt in segensreicher Weise thätig. 1798 hatte er sich mit der Wittwe seines Bruders, einer geborenen v. Manger aus Ringenberg bei Wesel, einer ebenso gebildeten wie gutmüthigen und namentlich durch großen Wohlthätigkeitssinn ausgezeichneten Dame vermählt, mit der er eine glückliche Ehe 39 Jahre lang bis zu ihrem 1837 erfolgten Tode führte. Zur Zeit der französischen Occupation war R. mit der Stelle eines Districtsarzts für den Cleveschen Bezirk betraut worden; er legte aber 1809 dieses Amt nieder, weil ihm die französische Regierung für seine vielfachen Bemühungen kaum die Reisekosten vergütigte. Das ihm bei der Wiederbesetzung des Cleveschen Landes durch Preußen angetragene Kreisphysicat in Cleve schlug er aus. 1844 feierte er sein 50jähriges Doctorjubiläum und wurde bei dieser Gelegenheit durch vielfache [117] Ehrenbezeugungen ausgezeichnet, 1846 legte er seine Stellung als städtischer Armenarzt, die er fast 50 Jahre lang verwaltet hatte, und 1848 die als Arzt des Waisenhauses zu Goch nieder. Im letztgenannten Jahre begann er zu kränkeln, sodaß er seit 1849 seine Praxis nicht mehr ausüben konnte und starb am 9. Februar 1850. – R. hat im 4. u. 5. Decennium dieses Jahrhunderts als Schöpfer seiner berühmten „Erfahrungsheillehre“ ein unverdientes Ansehen genossen. Diese Lehre, die ihrem Ursprung und Wesen nach nichts als eine Ausgeburt der Arcanengrübelei der Paracelsisten, eine Erneuerung der Lehre von den sogenannten Signaturen war, fußte hauptsächlich auf folgenden Grundsätzen: Es läßt sich, sagt R., nie mit Sicherheit aus Symptomen auf das Wesen der Krankheit ein Schluß ziehen, da die Krankheitserscheinungen nicht immer in den primärerkrankten Organen, sondern oft nur durch sogenannte consensuelle Zustände in anderen Partieen des Körpers sich offenbaren. Während z. B. eine Krankheit des Gesammtorganismus sich durch fixen Schmerz an einer bestimmten Stelle kundgibt und dadurch eine Organkrankheit vortäuscht, tritt umgekehrt oft genug der Fall ein, daß eine Krankheit eines einzelnen Organs sich durch Fieber oder allgemeine Schwäche manifestirt und keine sonstigen Symptome vorhanden sind, welche für die Afficirung einer einzelnen Körperpartie sprechen. Da ferner alle mikroscopischen und chemischen Wahrnehmungen nur Krankheitsproducte zeigen, so sei auch hieraus nichts für das Wesen der Krankheit Charakteristisches zu entnehmen. Sichere Kenntniß vom eigentlichen Wesen der Krankheit gewinne der Arzt nur aus dem Verhältniß derselben zu den Heilmitteln, zur Heilwirkung der Arznei. Dieses sei etwas sinnlich Erkennbares und geeignet, über die eigentliche Natur der Krankheit aufzuklären. Demgemäß unterscheidet R. Universalmittel, welche die meisten Krankheitsformen zu beseitigen vermögen, wie Kupfer, Eisen, Würfelsalpeter und bezeichnet die betreffenden Krankheiten als Kupfer-, Eisen- und Salpeterkrankheiten, sowie Organmittel, welche nur auf ein einzelnes Organ einwirken. In der letzten Abtheilung müsse man wieder besondere Unterarten unterscheiden, je nach dem entsprechenden wirksamen Heilmittel; so gibt es z. B. nach R. in der Leber eine Schöllkraut-, Frauendistel-, Terpentin- und Quassiakrankheit u. s. w. Die Auffindung der richtigen Mittel für jede einzelne Krankheit könne nur empirisch durch Versuch und Probiren geschehen. Die Rademacher’sche Methode ist also ein „Naturforschen“ im strengsten Sinne, freilich unter Verleugnung aller rationellen, aus der Kenntniß der Anatomie, Physiologie u. s. w. hergeleiteten Grundsätze, die vollständig von diesem System ignorirt werden. Publicirt hat R. diese Lehre, welche übrigens eine große Zahl von Anhängern unter Aerzten der verschiedensten Kategorie zählte, zuerst in der Schrift: „Rechtfertigung der von den Gelehrten mißkannten, verstandesrechten Erfahrungsheillehre der alten scheidekünstigen Geheimärzte und treue Mittheilung des Ergebnisses einer 25jährigen Erprobung dieser Lehre am Krankenbette“ (2 Bände, Berlin 1842, 1846, 1847, 1849). Daß diese Lehre nur eine ephemere Geltung in der Medicin haben könne, ist von den einsichtsvolleren Zeit- und Berufsgenossen Rademacher’s vorausgesehen worden. In der That ist die Geschichte über dies System zur Tagesordnung übergegangen. Kaum dürfte es wohl noch heutzutage irgendwo Jemanden unter den Aerzten geben, der demselben huldigte. „Man darf“, sagt Haeser in einem Referat über die Bergrath’sche Lebensbeschreibung Rademacher’s (Canstatt’s Jahresbericht de 1850, II, p. 7), „mit Bestimmtheit behaupten, daß die große Abgeschlossenheit Rademacher’s, gesteigert durch die geschilderte entschiedene Schroffheit der Gemüthsart nicht geringen Antheil an der Entstehung einer Lehre hatte, welche einen von ihrem Urheber selbst wohl am wenigsten erwarteten Beifall gefunden hat.“

[118] Vgl. Biographisches Lexicon hervorragender Aerzte, herausgegeben von A. Hirsch, Bd. IV, S. 657.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: üher