ADB:Rheinau, Walther von
Philipp der Karthäuser – dichtete. Der Dichter nennt sich am Schlusse dieses Werkes und gibt als seine [379] Heimath Bremgarten a. d. Reuß an; er lebte in dürftigen Verhältnissen und mußte sich mit Schreiberarbeit seinen Lebensunterhalt verdienen (289, 40 ff. nôtig gnuog nâch und vorn, des meistig aller bejag an schrîbens arbeit gelag). Er kann also nicht Mönch im Benedictinerkloster Rheinau gewesen sein, und der Zusatz von Rînouwe bei seinem Vornamen weist uns auf ein Geschlecht de Rinouwe, das sich in den seiner Heimath benachbarten Städten Zürich und Winterthur nachweisen läßt. Ein besitzloser Sprößling dieser angesehenen und begüterten Familie mag unser Walther gewesen sein. Die landläufige theologische Gelehrsamkeit kann er leicht in einer Klosterschule mit dem Latein erworben haben.
Rheinau: Walther v. R., geistlicher Dichter aus dem Aargau, der um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts ein nahezu 15000 Verse umfassendes Marienleben auf Grund der damals sehr beliebten Vita beatae virginis et salvatoris metrica – vgl. über diese den ArtikelSeine Sprache würde noch auf die Zeit vor 1300 passen. Da er aber bereits das Passional kennt, welches schwerlich vor dem letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts gedichtet ist, so dürfen wir sein Werk wol erst um den Anbruch des neuen Jahrhunderts ansetzen. Er steht seiner Quelle mit weniger Tact und Selbständigkeit gegenüber als andere Dichter und folgt ihr zuweilen auf Irrpfaden des Geschmackes, welche selbst der trockene und poesielose Karthäuser Philipp gemieden hatte. Aber er hat an den Personen der heiligen Geschichte mehr als das Interesse des frommen Herzens: in den Seelenschilderungen tritt das Streben nach psychologischer Vertiefung deutlich hervor. Der Mangel eigener Begabung und eines höheren Schwungs der Phantasie wird besser als etwa bei Bruder Philipp verdeckt durch eine gute litterarische Bildung. Auf Walther’s Sprache ruht noch ein Abglanz der höfischen Blüthezeit, deren beste Traditionen ihm durch Konrad v. Würzburg und besonders durch den Dichter des Passionals vermittelt werden. Vielleicht stand auch er wie dieser Letztere in Beziehungen zu einer Commende des deutschen Ordens, in dessen Kreisen sich die lateinische Quelle und ihre Bearbeitungen besondern Ansehens erfreuten.
- Handschriften: in Stuttgart (Cod. theol. N. 22) und in Karlsruhe (Nr. 35, besser, aber am Schlusse defect), dazu ein Züricher Fragment. – Ausgabe der Stuttgarter Handschrift (mit theilweiser Heranziehung der Karlsruher) von A. v. Keller in vier Tübinger Fest- und Decanatsprogrammen 1849, 1852, 1853, 1855. – A. Voegtlin, W. v. R. und seine Marienlegende (Straßb. Diss.) Aarau 1886. – A. Hauffen im Anzeiger f. deutsch. Alt. 14, 35 ff. und in der Zeitschrift für deutsches Alterthum 32, 337 ff.