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ADB:Riefstahl, Wilhelm

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Artikel „Riefstahl, Wilhelm“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 539–541, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Riefstahl,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 15:00 Uhr UTC)
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Riefstahl: Wilhelm R., Landschafts-, Genre- und Architektur-Maler, geb. am 15. Aug. 1827 zu Neu-Strelitz, kam nach Absolvirung der dortigen Realschule zu einem Zimmermaler; sein Drang nach höherer Thätigkeit führte ihn nach Berlin, wo R. bei Aug. Wilhelm Ferdinand Schirmer an der Akademie Aufnahme fand (1843), aber durch Lithographiren und andere Arbeiten seinen Unterhalt erwerben mußte. So bildete sich R. gleichmäßig im figürlichen wie im architektonischen Fache aus. Franz Kugler empfahl den gewissenhaften Zeichner an E. Guhl und J. Caspar, die Herausgeber der „Denkmäler der Kunst“ (Stuttgart bei Ebner), worauf R. für dieses damals epochemachende Werk alle Zeichnungen zum architektonischen Theile desselben auf mehr denn 20 Tafeln (gestochen von H. Gugeler) lieferte. R. studirte damit die ganze Geschichte der abendländischen Architektur; er zeichnete nicht allein die Ansichten und Grundpläne, sondern auch die Durchschnitte und alles Detail mit streng fachwissenschaftlicher Kenntniß. Dadurch gewann R. die Grundlage, welche ihm für seine späteren Leistungen als Architekturmaler von größter Wichtigkeit wurde. Vorerst wendete er sich freilich noch dem Landschaftsfache zu, machte eine Studienreise nach der Insel Rügen, wo er köstliche Motive fand und zu ganz originell componirten Bildern verarbeitete, in welchen sich schon sein eigenartiges Talent, den Charakter einer Landschaft durch adäquate Staffage zur stimmungsvollsten Wirkung zu bringen, ganz überraschend aussprach. Zu den frühesten Schöpfungen dieser Art gehört eine fein gestimmte „Nordische Haide“ (1850), ein ächtes Stück Ossian voll Poesie und Naturwahrheit; eine „Landschaft aus Mecklenburg“ (1853) und ein „Sonnenaufgang über der Haide“, womit der Künstler den einförmigen nordischen Dünenländern das Geheimniß ihres schlichten Zaubers entlockte. Dann kam ein „Dorfkirchhof“ (1854), welcher gleich bei seinem Erscheinen zu den gediegensten Leistungen im Gebiete der neueren landschaftlichen Composition gerechnet wurde. Neue Wanderzüge am Rhein, durch Westfalen und den Teutoburger Wald brachten die köstlichste Ausbeute, dazu gehört auch ein „Heidelberg“ (1854), eine „Märkische Landschaft“, ein „Mondaufgang“ und das „Schloß im Walde“, welche R., der das Gebiet der Lithographie längst technisch beherrschte, selbst auf Stein zeichnete. So bahnte er sich frühzeitig seinen eigenen Weg und [540] gewann mit jedem neuen Werke – dazu gehören auch das „Landhaus“ und die „Westfälische Dorfkirche“ (1857) – einen geachteten, guten Klang und Namen. In der ganzen Reihe seiner stets vorrückenden Arbeiten ist kein Stillstand oder Mißerfolg zu verzeichnen. Kein Freund von Wiederholungen, erfrischte er sich auf fortwährenden Reisen. So kam R. zu Ende der fünfziger Jahre nach Tirol, wo ihn besonders das Passeirerthal fesselte, ebenso nach Appenzell und in den Bregenzer Wald. Mit dem künstlerischen Gestalten der hier gefundenen Motive und Stoffe beginnt eine neue Epoche für den Maler, welcher nun ebenbürtig mit Knaus und Vautier seine Erfolge errang. Indem R. den Figuren allmählich ein größeres Recht einräumte und eine uns vollständig fesselnde, die innigste Theilnahme wachrufende Handlung erfand und darstellte, drängte er unwillkürlich die Landschaft in den Hintergrund, für welche dann später, als weitere Phase seiner Entwickelung, die Architektur nachrückte. Als ein Vorläufer dieser tiefentwickelten, psychischen Charakter-Malerei, worin R. mit dem geistverwandten Passini wetteifert, mag der „Appenzeller Gerichtstag“ und die „Trauerversammlung“ gelten. Frische erquickende Alpenluft athmet in den Passeirer Bildern: in der „Prozession“, dem „Taufgang“, dem „Brautzug“ und voraus in jener „Morgenandacht der Paßeirer Hirten“ (1864; National-Galerie in Berlin). Ueberraschend und tiefergreifend ist der „Allerseelentag im Bregenzer Wald“ (1869; National-Galerie in Berlin) mit seiner so elegisch-friedlichen Stimmung; Scenerie und Staffage sind gleich bedeutend und wirken, sich wechselseitig hebend, zusammen. Damit setzte er dem armen Michel Felder, welcher 1839 geboren zu Schopernau, neben dem harten Pflug auch die Feder führte und als anmuthiger Schriftsteller das Leben der Bregenzer Wäldler in novellistischer Form schilderte, aber schon am 26. April 1869 verstarb, ein rührendes pietätvolles Denkmal. eine mächtige, neue Förderung erfuhr R. durch einen längeren Aufenthalt zu Rom (1868 auf 1869), wo den Künstler das colossale „Leben auf der Piazza della Rotonda“ vor dem Pantheon zu einem Bilde begeisterte, in welchem der classische, grandiose Hintergrund und das heutige buntlebige Gewimmel sich die Wage halten. Noch zweimal ging R. nach Rom (1874 und 1877), angezogen durch den Zauber des dortigen Volkslebens. Zwischendurch hatte er eine Professur an der Kunstschule zu Karlsruhe übernommen (1870), aber nach drei Jahren schon wieder niedergelegt, worauf 1875 eine Berufung als Director an diese Anstalt erfolgte, welche R. nach zweijähriger Führung abermals verließ, um zu München, wohin er nach einer neuen Romreise bleibend seinen Wohnsitz verlegte (1878), mit voller Kraft und Muße uneingeschränkt der Ausübung seiner Kunst zu obliegen. Mit höchster Formvollendung entstanden das „Begräbniß in Appenzell“ (1873), die Scene „Im Refectorium“ (1874), die „Trauerversammlung vor einer Kapelle im Bregenzerwald“ (1877), die „Prozession durch das Forum Romanum“ (1879) u. s. w. Mit jedem neuen Bilde errang R. neuen Boden; zu den verschiedenen Auszeichnungen zählt die gleichzeitig mit Munkacsy und K. G. Pfannschmidt erfolgte Aufnahme als Ehrenmitglied der Akademien zu München und Berlin. Der Maler arbeitete mit einer virtuosen Beherrschung aller Mittel und mit einer staunenswerthen Objectivität, welche ihn, so nahe bei der Wahl von geistlichem Ceremoniell und Ritus oft auch die Versuchung lag, niemals doch zu einer ironischen Tendenz verleitete. Nie führte ihm der Humor oder die leiseste Laune die Hand, im Gegentheil gab er „dem Gedanken Ausdruck, daß das Wort des Priesters berufen sei, den Menschen der stillen und einsamen Bergwelt in seiner Scheu vor den Elementarkräften der Natur zu beruhigen, in seiner Trauer und Trübsal zu trösten und zu erheben“; sein tiefdurchdachtes Bild „die Segnung der Alpen“ (1881) versinnlicht ebenso wie die frühere „Strandpredigt auf Rügen“ diese Idee in beredter [541] Weise. Beinahe jedes Jahr reifte bei seinem unglaublichen Fleiße ein neues Bild, so z. B. 1883 der „Anatomiesaal zu Bologna“; 1884 die auch räumlich ausgedehnte und mit einer Unzahl von Figuren staffirte Composition „Glaubensboten in Rhätien“, welche als ein wahres Stück Culturgeschichte in großartiger, landschaftlicher Umrahmung gerühmt wurde; 1886 kam ein Abendgottesdienst „Aus dem Kreuzgang zu Brixen“ und anklingend an ein früheres Motiv, 1887 die „Andacht im Kreuzgang zu Botzen“, nebst dem „Kinderbegräbniß im Thal Passeier“ und einer „mittelalterlichen Klosterschule“ (1888). Auf der Berliner Ausstellung 1888 erschien noch die „Tiroler Bauerndeputation vor dem Herrn Erzbischof“; dagegen wurde die „Feuerweihe am Charsamstag“ (mit dem Motiv aus Stuls im Hinter-Passeier) nicht mehr zeitig genug fertig, um noch auf der Jubiläums-Ausstellung im Münchener Glaspalast, wo R. als Jury-Mitglied viele gute Arbeitszeit verlor, aufgenommen zu werden. Daselbst zog er sich auch eine Erkältung zu, welche, wie es scheint, ein lange vorbereitetes Leberleiden zeitigte. Deß ungeachtet nahm er noch im Juli ein neues Project vor (dessen Handlung im Chor des Kapuzinerklosters zu Meran spielen sollte), da aber nahte nach den qualvollsten Leiden der Tod am 11. October 1888. R. war im eigentlichen Sinne ein Autodidakt, der seinen eigenen Weg fand und ging; obwohl in derselben Luft wie seine besten Zeitgenossen lebend, blieb er doch von jeder Kameraderie und Anlehnung frei und lieferte, in Farbe und Zeichnung ein Meister ersten Ranges, den besten Beweis, daß es außer der so überschwänglich ausposaunten Freilichtmalerei doch noch eine andere Kunst gebe. In R. war „der Mensch dem Künstler ebenbürtig; ernst und gemessen in seiner Lebensführung, hat er ebenso durch charaktervolle Bestimmtheit wie durch die Leutseligkeit seines Herzens sich zahlreiche Freunde erworben“. Viele seiner Schöpfungen sind durch Steindruck, eine geringere Anzahl durch Holzschnitt, die Mehrzahl durch Photographie verbreitet. Eine dritthalbhundert Nummern umfassende, nach vollendeten Oelbildern, Studien und Skizzen, Aquarellen und Zeichnungen historisch geordnete Ausstellung seines reichen Nachlasses wurde in München und Berlin veranstaltet.