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ADB:Rinckart, Martin

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Artikel „Rinckhart, Martin“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 74–76, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rinckart,_Martin&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:24 Uhr UTC)
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Rinckhart *): Martin R., deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts, ist am 23. April 1586 zu Eilenburg in Sachsen geboren, wo ihm sein Vater, ein Küfermeister, in der Ortsschule eine derart sorgfältige Erziehung angedeihen ließ, daß er sich schon im 15. Lebensjahre zu Leipzig an der Universität dem Studium der Theologie widmen konnte. Rinckhart’s stark entwickelte musikalische Begabung – schon in Eilenburg eifrig gepflegt – half ihm über die materiellen Schwierigkeiten seines Leipziger Aufenthaltes hinweg. Im J. 1610 konnte er schon als Cantor, bald jedoch auch als Diakon zu Eisleben seinen Unterhalt finden und nach einem vierjährigen Aufenthalte zu Erdenborn, wo er das Pfarramt verwaltete, erhielt er das Archidiakonat in seiner Vaterstadt, das er am 27. April 1617 antrat. Hier wirkte er während des ganzen 30jährigen Krieges, trotz den härtesten Schicksalsschlägen, die ihn und seine Gemeinde trafen, mit einer selbstlosen Hingabe und Aufopferung, die ihn zu einer der rührendsten Erscheinungen jener Zeit machen. Während andere in jenen Tagen schwerer Heimsuchung schwankten und dem Triebe der Selbsterhaltung eilfertig folgten, ging er aus allen erschütternden Ereignissen geläutert und gefestigt hervor. Mitten in der furchtbarsten Kriegsplage, der alles verheerenden Pest und Hungersnoth, versah er in Treue und Gottvertrauen sein Amt, und weder der Verlust seiner Habe noch sonst welche Kümmernisse, ja nicht einmal die entfesselten Leidenschaften seiner Gemeindekinder, die ihm seine Treue mit schwärzestem Undank lohnten, konnten ihn in seiner Hingabe und Frömmigkeit – durch die er sogar die Stadt einmal vor Brandschatzung schützen konnte – irre machen. Doch ihm wurde die heißersehnte Herzensfreude zu Theil, den „edlen Frieden“ zu erleben, wenn er ihn auch nicht lange überlebte.

In diesen Zeiten des schweren Leidens entrang sich der Brust des vielgeprüften Gottesmannes das herrliche Kernlied der evangelischen Kirche „Nun danket alle Gott“. Hauptsächlich mit diesem Liede, in dem er naive Innerlichkeit der Empfindung mit der Kraft des Ausdruckes in glücklichster Weise verbindet [75] und mit welchem er der protestantischen Kirche ein würdiges Seitenstück zum Ambrosianischen Lobgesang schenkte, hat er sich sein dauerndes Andenken gesichert. In seiner treuen Einfalt spricht er zu jedem Herzen, und das „Tischgebetlein“, wie R. es schlicht nannte, ist zu einem wahren Gemeinde- und kirchlichen Volksliede geworden, das seither zu der schönen Crüger’schen Melodie fast in allen erhebenden Augenblicken des öffentlichen Lebens als ergreifender Weihgesang ertönt. Mit keinem seiner anderen Lieder, wie sehr sie im Tone an Rinckhart’s Vorbilder, Johann Heermann’s Dichtungen erinnern und obgleich sie frei von jener „Seelenfüßigkeit“ waren, in der die geistliche Lyrik des vorschreitenden 17. Jahrhunderts schwelgte, hat R. je gleiche Erfolge erzielt, allerdings erreichte auch kein zweites die naive und doch bedeutende Art, mit der er in diesem „Danklied der lobsingenden Gotteskinder“ erlebte Empfindung objectiv darstellte. Einen Kranz sinniger Züge hat die Sage um das Lied geschlungen, so daß nicht nur die Text-, sondern auch die Entstehungsgeschichte verdunkelt erscheint. Es ist jedoch nicht, wie früher angenommen wurde, nach dem westfälischen Frieden, sondern wahrscheinlich schon gegen 1630 gedichtet worden.

Von Rinckhart’s anderen Liedern, die er in den Sammlungen „Meißnische Thränensaat“ (1637), „Catechismuslieder“ (1645) u. a. veröffentlichte, ist das auch in Olearius’ Singekunst und sonst noch abgedruckte „Vaterunserlied“ das werthvollste, weil es – wenn auch sonst etwas phantasielos nüchtern – neben treuherziger Frömmigkeit auch volksthümliche Ausdrucksweise verräth. R. hat auch, dem theoretisirenden Zuge der damaligen Litteratur folgend, in dem seinen Catechismusliedern vorgedruckten „Summarischen Discurs oder Durch-Gang, Von Teutschen Versen, Fuß-Tritten vnd vornehmsten Reim-Arten. Oder Teutsche Prosodia“ metrische, von wenig Selbständigkeit zeugende Lehren vorgetragen. Er selbst hat übrigens wenig die strengen Kunstregeln beachtet, so daß ihm Neumeister die nicht unverdiente Censur ertheilen konnte „multorum poëta poëmatum; artis tamen ac elegantiae non multae“. Nicht ohne Bedeutung ist seine Thätigkeit als dramatischer Dichter. Rinckhart hatte, von Polycarp Leyser u. a. angeregt, den Plan gefaßt, die Geschichte der Reformation in einer Reihe von sieben Stücken zu dramatisiren, von denen aber infolge des inzwischen hereingebrochenen „großen Krieges“ kaum alle zu Stande gekommen sein werden. Bekannt sind nur die „Jubelcomoedia“ Indulgentiarius Confusus, welche die Tetzelepisode aus der Reformationsgeschichte behandelt und der „Eislebische Christliche Ritter“, der die „weitläufige Weltgeschichte des Religionsstreites compendiös“ darstellt. In sehr durchsichtiger Allegorie, und mit Verwendung des die Weltliteratur bis auf Swift und Lessing durchwandernden Motives vom Vater und den drei Söhnen, wird der „letzte deutsche Wundermann Luther“ in seinem Kampfe gegen Pseudo-Petrus (Papst) und den Ritter Johann (Calvin) verherrlicht. Die Technik ist im einzelnen herzlich schlecht, aber der große Apparat von Personen wird nicht ungeschickt gehandhabt, die Helden sind glücklich charakterisirt und es wird der nicht immer erfolgreiche Versuch gemacht, sie in der Sprache zu differenziren. Gelegentlich werden volksthümliche Bergreihen fremder Autoren, z. B. Melchior Francke’s „Das Bergwerk wolln wir preisen“ eingeschoben. Sein 1625 gedruckter „Müntzerischer Bauernkrieg“ soll „ein unsäglich roher Wust von Scenen in einem drolligen, auf komische Wirkung abzielenden ungeschickten Stile“ (Gervinus) sein. Von anderen Stücken ist kaum mehr als der Titel bekannt, und Rinckhart’s Name hat sich nur durch sein Danklied bis auf unsere Tage erhalten.

R. ist zwar von einzelnen seiner Zeitgenossen überschätzt, aber sonst doch auf seinen richtigen Werth hin beurtheilt worden. Der Ausdruck „rinkartisiren“, den ein übereifriger Lobpreiser nach berühmteren Vorbildern landläufig machen [76] wollte, ist wol kaum je angewendet worden. R. starb nach einer mehr als 30jährigen Seelsorgerthätigkeit in seiner Heimathsgemeinde am 8. December 1649. Die vielgedeutete Inschrift in der Stadtkirche, wo er beerdigt liegt, berichtet von ihm mehr gut gemeint als gesagt:

„Der Rinck-art seinen Rinck getrost vnd vnverdrossen,
Hat viermal siebenmal doch gäntzlich nie beschlossen,
Biß er den Frieden-Schluß vnd diesen Chor besang,
Er sang vnd singet noch sein ewig-lebelang.“

Plato, Martin Rinckhart. Leipzig 1830. – J. D. Vörckel, M. R. Eilenburg 1857. – Rinckhart’s geistliche Lieder, herausgeg. von Joh. Linke. Gotha 1886. – Der Eislebische Christliche Ritter. Ein Reformationsspiel von M. R. (Braune’s Neudrucke Nr. 53 und 54). Halle 1884.

[74] *) Zu Bd. XXVIII, S. 628. Die verspätete Fertigstellung der Artikel Rinckhart und Rist (s. u.) fällt dem Herrn Verfasser nicht zur Last. Er hatte die Güte, sie erst nachträglich zu übernehmen, als der ursprüngliche Bearbeiter leider erkrankte.