ADB:Rothmann, Christoph
R. Wolf’s Wunsch hin so competente und localkundige Forscher wie Schwabe und Curtze sich um die Klarstellung dieser Verhältnisse bemüht haben. Die Angabe der „Geschichte der Astronomie“, daß 1596 das Todesjahr Rothmann’s sei, ist zweifellos unrichtig, denn eine seiner theologischen Schriften stammt noch vom Jahre 1599, während allerdings der 1608 gedruckte „Bericht von der Tauffe“ als „posthum“ bezeichnet wird. Ebensowenig wissen wir von Rothmann’s Jugendjahren; er begegnet unsern Blicken zuerst 1577, indem ihn [371] da, nachdem Praetorius (s. A. D. B. XXVI, 519) den betreffenden Ruf ausgeschlagen hatte, Landgraf Wilhelm V. in Kassel als seinen „Mathematicus“ anstellt; bei dieser Gelegenheit wird uns kund, daß R. in Wittenberg Theologie und Mathematik studirt hatte und mit materieller Unterstützung seines Anhalter Landesfürsten Joachim zur Besichtigung der eben damals berühmt werdenden Kasseler Sternwarte nach Hessen gereist war; Wilhelm’s scharfer Blick erkannte das Talent und wußte es für seinen Dienst zu gewinnen. Denn ein bedeutendes Talent besaß R. allerdings neben einem allen Anzeichen zufolge sehr wenig liebenswürdigen Charakter; auch war er nicht sowol zum Beobachter recht geschickt, wol aber in um so höherem Maße für Rechnungs- und Reductionsarbeiten. Da der selbst in der Sternkunde vortrefflich beschlagene Landgraf diesen Sachverhalt richtig herausfühlte, so berief er zur Ergänzung als „Hofuhrmacher“ den trefflichen Schweizer Mechaniker Justus Bürgi, und durch das Zusammenwirken dieser beiden Männer wurde das Observatorium in Kassel auf eine Höhe gehoben, welche fast mit der von Brahe’s „Uranienburg“ erreichten concurriren konnte.
Rothmann: Christoph R., Astronom, geboren zu Bernburg, † ebenda. Es ist auffallend, daß man die Geburts- und Todeszeit des in seiner Art doch immer hervorragenden Mannes gar nicht genauer zu bestimmen in der Lage ist, obwohl aufUm seine Verdienste ins richtige Licht zu setzen, bemerken wir, daß R. die von Regiomontanus angegebene Methode der Azimutbestimmung erheblich verbessert und als einer der ersten deutschen Astronomen – nur Werner war ihm darin vorangegangen – die Polhöhe als arithmetisches Mittel aus der oberen und unteren Culminationshöhe eines Circumpolarsternes definirt hat. Er drang darauf, Sonnenparallaxe und Refraction zu berücksichtigen, und wenn er auch erstere viel zu groß annahm und von der zweiten irrig vermuthete, daß sie für Zenitdistanzen kleiner als 70° nicht mehr einen merkbaren Einfluß ausübe, so wird durch diese wol zu entschuldigenden Irrthümer der Umstand doch nicht alterirt, daß R. jede Beobachtung vor ihrer weiteren Verwendung erst mit den nöthigen Correctionen versehen wissen wollte. So durfte der „hessische Sternkatalog“, welcher 121 scharf bestimmte Sterne enthält und in den Jahren 1567 bis 1586 von Wilhelm selbst und seinen beiden Gehülfen zustande gebracht wurde, als eine Meisterleistung jener Zeit gelten; herausgegeben ward er freilich erst viel später durch Snellius („Coeli et siderum inerrantium observationes Hassiacae“. Leyden 1618). R. war auch, im Gegensatze zu den meisten seiner damaligen Fachgenossen, ein eifriger Kometenbeobachter; derselbe Snellius nahm Rothmann’s „Descriptio accurata cometae anni 1585“ in sein eigenes, 1619 zu Leyden erschienenes Kometenwerk auf. Für eine schärfere Eintheilung der Zeit interessirte sich R. lebhaft; er betont ausdrücklich die relativ lange Dauer und Meßbarkeit der Zeitsecunde und erwähnt in der Einleitung zum hessischen Sternverzeichniß, daß man in Kassel eine ganz besondere Secundenuhr – Bürgi’s Pendeluhr (?) – zur Verfügung gehabt habe. Daß R. als der erste Europäer die besondere Natur des Zodiakallichtes constatirte, darf gleichfalls nicht unverschwiegen bleiben. Seiner theoretischen Ansicht nach war R. bereits überzeugter Coppernicaner und vertrat diesen seinen Standpunkt auch in Briefen gegen Tycho Brahe, der in seinen Antworten die bekannten, etwas kindlichen Gründe gegen die heliocentrische Weltanschauung entwickelt; wie richtig R. über solche Fragen dachte, geht u. a. auch daraus hervor, daß er schon vor Galilei von der „dritten Erdbewegung“ Coppernic’s als „überflüssig“ nichts wissen wollte. Zwischen 1580 und 1590 entstand Rothmann’s heute noch handschriftlich in Kassel befindliche, von Billwiller und Wolf aber wissenschaftlich ausgenutzte „Doctrina triangulorum“, ein theilweise dem coppernicanischen Vorbilde angepaßter Lehrbegriff der gesammten Trigonometrie, welcher aber auch manch eigenes enthält, so z. B. eine hübsche geometrische Auflösung der Aufgabe, aus den drei Winkeln eines Kugeldreieckes die drei Seiten zu finden. Dagegen rühmte sich R. mit Unrecht der Erfindung der „Prostaphaeresis“, d. h. eines Verfahrens, [372] um die Producte goniometrischer Functionen in Summen zu verwandeln; dieses Verfahren brachte Wittich der Idee nach von seiner dänischen Studienreise mit, und Bürgi hat es dann weiter ausgebildet.
Warum R. von einem Ausfluge, welchen er 1590 zum Besuche Tycho’s auf die Insel Hveen unternahm, nicht wieder nach Kassel zurückgekehrt ist und ohne eigentliche Verabschiedung den Dienst seines gütigen Herrn verlassen hat, wird wol niemals aufgeklärt werden. Jedenfalls lebte derselbe von obigem Zeitpunkte an in seiner Vaterstadt Bernburg, hing die Astronomie an den Nagel und betheiligte sich umso eifriger litterarisch an den theologischen Zänkereien jener streitlustigen Zeit. Die Unsterblichkeit freilich wäre ihm keine der Arbeiten aus dieser zweiten Periode seines Gelehrtenlebens zu sichern im Stande gewesen.
- R. Wolf, Astronomische Mittheilungen, XXXIII. – R. Wolf, Geschichte der Astronomie, S. 228, 272 ff., 344 ff., 370 ff., 381 ff., 387, 409, 693, München 1877. – Mädler, Geschichte der Himmelskunde von der ältesten bis auf die neueste Zeit, I, S. 200 ff., 226, Braunschweig 1877. – Geschichte der Astronomie von den ältesten bis auf gegenwärtige Zeiten, I, S. 274, Chemnitz 1792. – Matsko, Programma, quo prosthaphaeresis inventori suo Chr. Rothmanno vindicatur, Rinteln 1781.