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ADB:Rotter, Ludwig

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Artikel „Rotter, Ludwig“ von Max Dietz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 392–394, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rotter,_Ludwig&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 18:20 Uhr UTC)
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Rotter: Ludwig R., namhafter Kirchencomponist, ist geboren zu Wien am 6. September 1810. Schon frühzeitig trat seine Anlage und lebhafte Neigung zur Musik zu Tage. Diese Keime seines aufsprießenden Talents half zunächst sein kunstgebildeter Vater Dr. juris Josef R. weiter entwickeln und brachte sie durch Unterweisung in dienlichen Kenntnissen zu rascherer Entfaltung. Während des Besuches der lateinischen Schulen am Wiener akademischen Gymnasium [393] unterließ es der lernbegierige Knabe nicht, sich fleißig im Clavier-, Violin- und später auch im Orgelspiel zu üben. Schon damals, bald nach Beginn der Gymnasialstudien, entstanden seine ersten Compositionsversuche, ohne daß er bisher irgend einen dahin abzielenden theoretischen Unterricht empfangen hatte, ein Versäumniß, welches in der Folge durch ernste, eindringende Studien in Harmonielehre und Contrapunkt nachgeholt wurde. Nach beendeten Humanitätsclassen beschloß R., die Musik zu seiner ausschließlichen Lebensaufgabe zu machen; dies um so lieber, als Aufführungen einiger seiner Kirchenmusikstücke in ihm die Ueberzeugung von seinem Berufe als Tonsetzer gefestigt und die Liebe zur Kunst nur noch mehr entfacht hatten. Vorläufig sah er sich freilich darauf angewiesen, Unterricht im Clavierspiel und Generalbaß zu ertheilen, inzwischen aber setzte er seine Studien in Spiel und Composition eifrig fort, so daß gerade in diesem Zeitraume allmählich die innere Ausreifung seines Künstlerthums sich vollzog. Durch seine Gabe, am Piano in den mannichfaltigsten Stilarten zu improvisiren, ward er in kunstliebenden Kreisen bekannt, und so konnte es nicht fehlen, daß sich Schüler in großer Anzahl fanden. Sehr förderlich erwies sich für ihn die Bekanntschaft mit Sternen der damaligen in Wien so hochbeliebten italienischen Oper, mit Sängern vom Range eines Rubini, Tamburini, Berretoni, Monelli u. a. Diese berühmten Gesangskünstler wurden in Häuser des hohen Adels theils zu musikalischen Productionen, theils zur Ertheilung höherer Ausbildung im Gesange gebeten, und sie wählten R. zur Begleitung am Clavier, wobei seine Fertigkeit im a vista-Spiele und seine Geschicklichkeit im raschen Transponiren von Tonstücken hervortrat. Solcherart in nutzbringender Weise vielfach in Anspruch genommen, drängte es ihn nicht darnach, eine seinen sonstigen Neigungen zwar entsprechende, aber damals meist kärglich dotirte Anstellung zu erlangen. Da indeß nach Ablauf geraumer Zeit die Organistenstelle an der landesfürstl. Pfarrkirche „am Hof“ vacant wurde, so zögerte er nicht, sie zu übernehmen, theils um seiner Vorliebe für Kirchenmusik Genüge zu thun, theils auch um hierdurch den Weg zu einträglicheren Posten sich zu bahnen. Im J. 1843 ward er Professor der Harmonielehre, des Generalbasses und Orgelspiels am Wiener Kirchenmusikverein, dann im J. 1845 als Nachfolger des geschätzten Componisten Josef Drechsler Chordirector und Capellmeister an der vorhin erwähnten Pfarrkirche. Lange Jahre hindurch war R. nebenher eifrig thätig in Composition, insbesondere im Schaffen von kirchlicher Musik. Er entfaltete hierin eine große Fruchtbarkeit, die in zahlreichen Aufführungen seiner Messen, Gradualen, Offertorien und ähnlicher Werke in der Hofcapelle, wie auch in vielen anderen Kirchen Wiens und anderwärts sich kundgab. Die k. k. Hofcapelle berücksichtigte seine theoretisch wie praktisch erprobte Qualification, indem sie ihn 1858 zum Mitglied, 1862 zum zweiten Hoforganisten und nach dem Ableben des berühmten Theoretikers Simon Sechter zum ersten Hoforganisten ernannte. Im J. 1870 avancirte er mit Beibehaltung der ersten Hoforganisten- und früher erwähnten Chordirectorsstelle zum k. k. Vice-T. Hofcapellmeister. Eine in den letzten Jahren seines Wirkens immer stärker hervortretende Schwerhörigkeit nöthigte den bescheidenen Mann, um Dispens von persönlichen Diensten anzusuchen, was ihm auch in huldvollster Berücksichtigung seiner vieljährigen Leistungen und Wirksamkeit bewilligt ward. Erfreuliche Anerkennungen seines Verdienstes sind ihm sowol von Seite des k. k. Oberstkämmereramtes, wie auch von Seite hoher kirchlicher Autoritäten und zahlreicher Kunstfreunde wiederholt zu theil geworden. Das Mozarteum, der Dommusikverein zu Salzburg, die Kirchenmusikvereine zu Wien, Prag, Innsbruck und Preßburg wählten ihn zum Ehrenmitgliede. Ende 1880 ward er zudem von Sr. Majestät [394] dem Kaiser durch Verleihung des Ritterkreuzes des Franz-Josephordens ausgezeichnet.

Von seinen Werken mögen hier erwähnt sein: Zahlreiche Messen – theils solenn, theils kurzgefaßt –, Pastoral-, Fasten-Messen, 2 Requiem (in G-moll und A-moll mit großem Orchester), Gradualen, Offertorien, Tantum ergo, Veni sancte, Te Deum, Ave Maria etc. Ein kleinerer Theil hiervon ist bei Fr. Glöggl in Wien in Druck erschienen und später in das Verlagseigenthum der Firma Spina übergegangen. Außerdem veröffentlichte er ein theoretisch-praktisches Werk über Generalbaß und Harmonie, betitelt „Harmonologie“ (Wien 1849) und eine Fuge in C-moll für Pianoforte, beide ebendaselbst, eine Sonate für Pianoforte zu 4 Händen, op. 12 (Verlag von Müller’s Wittwe u. Sohn), Kanons, Fugen u. a. m. Der Vollständigkeit wegen sei auch die Musik zu einem Zauberspiel „Der Genius der Genügsamkeit, oder Mode, Luxus und Verschwendung“ genannt, das im J. 1837 im Leopoldstädter Theater aufgeführt ward, ferner mehrere Ouverturen, die seiner Zeit in Concertprogrammen figurirten, aus früherer Zeit: Pianofortestücke, Variationen, Notturnos, Rondos u. s. w.

R. zählt zu den renommirtesten kirchlichen Tonsetzern Oesterreichs. Seine Compositionen sind sehr geschätzt und werden häufig zu Gehör gebracht. Sie tragen durchweg den Stempel eines gesunden musikalischen Talents, das, jeder Bizarrerie und Gesuchtheit fremd, die ihm reichlich zuströmenden musikalischen Ideen in edle, schöne Form zu kleiden weiß. Eine gediegene Ausarbeitung, Correctheit im musikalischen Satzbau, eine gewählte und stets auf Sangbarkeit bedachte Stimmführung sind Eigenschaften, die sämmtlichen seiner Compositionen eigen. Seine kirchlichen Werke, denen im Allgemeinen ein weicher, auf schöne Klangwirkung gerichteter Charakter innewohnt, zeigen eine würdige Haltung. Mitunter streifen sie ans Weltliche, sind aber in überwiegender Mehrzahl – im Sinne der Wiener Schule – religiös empfunden. Nicht nur in seinen größeren Werken, wie z. B. in der Pastoralmesse und den beiden Requiem, in denen sich sein tüchtiges contrapunktisches Können offenbart, auch in den kleineren Stücken gewahrt man eine Meisterhand. Sein Stil ist oft groß und feierlich, wie im „Operuit“, oft schwungvoll und glänzend, wie im „Jubilate“; namentlich überrascht er zuweilen durch innige Melodieen von vollendeter Anmuth und Lieblichkeit. Sein ungedrucktes, im November 1842 componirtes „Salve Regina“ für Altstimme mit Chor und Orchester, ist da als ein wahres Muster hervorzuheben. Dieses Stück voll sattesten Wohlklangs, gewinnender Wärme des Ausdrucks und blühender Erfindungsfrische darf den gelungensten Compositionen seiner Art angereiht werden.