ADB:Rumann, Wilhelm
Ernst August R. (s. o.), studirte er in Göttingen, am 18. October 1801 immatriculirt, bis Herbst 1804 die Rechte. Er bekleidete bereits die Stelle eines Hof– und Kanzleiraths bei der Justizkanzlei in Hannover, als die französisch-westfälische Zeit hereinbrach, und wurde in dieser zum Substitut des procureur an der cour impériale zu Hamburg befördert, sich durch seine Befähigung für das öffentlich-mündliche Verfahren auszeichnend. In den Jahren 1816–18 war er in Paris als Mitglied der Liquidationscommission thätig und wirkte Dank seiner Gewandtheit und dem unmittelbaren Verkehr mit dem zum Schiedsrichter bestellten Herzog von Wellington so erfolgreich wie kein anderer Reclamant für sein Land. Dabei verfuhr er im höchsten Maße uneigennützig und kehrte eher mit Schulden, als mit persönlichen Vortheilen aus Paris heim. Als dann Liquidationscommissionen der einzelnen Länder die von Frankreich durch die Convention vom April 1818 überwiesene Bauschsumme zur Befriedigung der noch unerledigten Reclamationen zu verwenden bestellt wurden, berief man in die hannoversche Behörde R. nebst dem Hofrath Lichtenberg und dem Kanzleirath Rose (s. ob. S. 181). Alsbald nach Rückkehr der rechtmäßigen Herrschaft war R. mit der Verwaltung der Stadt Hannover in Verbindung gekommen. Wurde damals auch die alte Stadtverfassung mit ihrer Trennung von Alt- und Neustadt, der selbständigen Magistratsverwaltung in der Altstadt, der Abhängigkeit der Neustadt von der Regierung wiederhergestellt, so behielt man doch die Besorgung der Polizei als eines gesonderten Verwaltungszweiges durch einen unmittelbar unter der Regierung stehenden Chef bei. Da R. sich in dieser eine Zeitlang von ihm bekleideten Stelle den Ruf eines fähigen und energischen Mannes erworben hatte, so lenkte man 1824 in der hauptstädtischen Bürgerschaft, als ihr erst seit 1821 im Amt befindlicher Stadtdirector Hoppenstedt zum Geh. Cabinetsrath ernannt wurde (s. A. D. B. XIII, 117), die Blicke auf R. Erst vor kurzem von der Landdrostei zu Aurich als Regierungsrath an die zu Hannover versetzt, trug R., als ihm die ersten Eröffnungen durch Bürgervorsteher B. Hausmann gemacht wurden, Bedenken, den königlichen Dienst mit dem städtischen zu vertauschen. Als er aber mit großer Mehrheit durch Magistrat und Bürgervorsteher zum Stadtdirector erwählt wurde, nahm er das Amt an und wurde am 6. October [639] 1824 durch den Landdrosten eingeführt. Die Hoffnungen, die man auf ihn setzte, hat er vollauf erfüllt und das Amt mit voller Hingebung, zu hohem Ruhme für sich und die Stadt verwaltet. Seine Thätigkeit zerfällt in eine communale und eine politische. Beide beginnen und enden ziemlich gleichzeitig. Für die Stadt handelte es sich in jener Zeit zunächst um Einführung der neuen Stadtverfassung vom 12. März 1824. R. erwarb sich das Verdienst, einen raschern Geschäftsgang und Besserungen im Cassen- und Rechnungswesen einzuführen und die Stadt auf dem Gebiete des materiellen wie des geistigen Wohles zu heben. An Stelle des unzureichenden Stadtlazareths entstand das in Linden errichtete städtische Krankenhaus, das 1833 eröffnet, der ärztlichen Leitung von Holscher (s. A. D. B. XII, 774) unterstellt wurde; 1835 trat die höhere Bürgerschule ins Leben, die Lieblingsschöpfung Rumann’s, eine vorzüglich organisirte Lehranstalt, an der ausgezeichnete Kräfte, wie der Director A. Tellkampf, F. Callin u. a., derer der Verfasser dieses Artikels stets dankbar gedenken wird, lange Jahre wirkten. Mannichfach wurden städtische Neubauten unternommen: das Schützenhaus in der Ohe, der Umbau des Rathhauses u. a. Man hat R. dabei Neigung zu unnöthiger Pracht vorgeworfen, ein Tadel, der die städtischen Bauten vor der langweiligen Nüchternheit der Regierungsbauten jener Zeit bewahrt hat; schwerer wiegt der Vorwurf, daß er dem Stadtbaumeister Andreä gestattete, den Umbau des gothischen Rathhauses im Stil eines venetianischen Palastes zu beginnen. Der starke Wille des Stadtdirectors, sein selbstherrisches Wesen brachte ihn wol in Conflicte mit dem Magistrat wie mit dem jungen Bürgervorstehercollegium; wie völlig er aber doch der Mann ihres Vertrauens war, zeigt seine Erwählung zum Abgeordneten 1826 und 1831. In der wichtigen Session des Frühjahrs 1831 bestellte ihn die zweite Kammer zu ihrem Präsidenten und zu einem der sieben Commissare, welche mit ebenso vielen Vertretern der ersten Kammer und der Regierung den Entwurf des Staatsgrundgesetzes vorzuberathen hatten. R. betheiligte sich lebhaft an den Arbeiten, besonders an den Capiteln, welche die Gemeinden und das Verhältniß von Staat und Kirche betrafen. Auch in der auf Grund der neuen Verfassung berufenen zweiten Kammer führte R. das Präsidium und war wiederholt in der Lage, bei Stimmengleichheit durch seine Stimme die Entscheidung zu geben. Die Verwicklungen, welche sich an den Thronwechsel des Jahres 1837 knüpften, trugen Rumann’s Namen in weite Kreise. In dem Kampf um das Staatsgrundgesetz war R. eines der Häupter. Wenn während dieses Kampfes einzelne seiner Handlungen mit seiner sonstigen Haltung in Widerstreit standen und ihm von den Freunden des Rechts heftige Vorwürfe zuzogen, so waren sie doch weder aus einem Wechsel seiner Gesinnung, noch aus einem Schwanken über die zu ergreifende Partei zu erklären. In seiner Rechtsansicht offenbar von Anfang an entschieden, schwankte er nur über das dem Könige und seinem Cabinet gegenüber einzuschlagende zweckmäßigste Verfahren. So kam es, daß er, der den Kampf gewissermaßen eröffnet hatte, fast anderthalb Jahre zögerte, bis er wirksam eingriff. – Das Regiment des Herzogs von Cambridge als Vicekönigs war geeignet, einem Manne von der Umsicht und Entschiedenheit Rumann’s eine einflußreiche Stellung zu verschaffen, noch weitreichender, als ihm sein hervorragendes Amt sicherte. Als er am 25. Juni 1837 die Bürgerschaft in einem langen Zuge nach dem Schlosse Montbrillant hinausführte, um sich von dem Herzoge zu verabschieden, vermochte R. wie der Angeredete, ihrer Bewegung kaum Herr zu werden. Man fühlte, die Tage einer wohlwollenden, milden Regierung waren vorüber. Als R. am 28. Juni den neueinziehenden König Ernst August am Calenbergerthore empfing, erwiderte dieser auf die begrüßende Anrede streng, er werde dem Lande ein gerechter und gnädiger König sein und behielt die ihm [640] überreichten Schlüssel der Stadt zurück. Am nächsten Mittage präsidirte R. der zweiten Kammer. Nach der Vorschrift des Staatsgrundgesetzes § 13 hatte der König den Antritt seiner Regierung durch ein Patent, in welchem er bei seinem königlichen Worte die unverbrüchliche Festhaltung der Landesverfassung versichert, zur öffentlichen Kunde zu bringen. Statt dieses Patents wurde R. als erster Erlaß des neuen Herrschers ein von dem Minister v. Schulte contrasignirtes Rescript behändigt, das die versammelten Stände vertagte. R. richtete, nachdem er das Schreiben hatte verlesen lassen, die Frage an die Versammlung, ob Jemand Bemerkungen dazu zu machen habe. Stüve, der Abgeordnete für Osnabrück, erhob sich darauf zu den Worten, er glaube, der König habe die Regierung noch gar nicht angetreten, offenbar von der Rechtsansicht geleitet, das Gesetz verlange als erste Regentenhandlung die Ausstellung des Patents. Stüve erwartete, ein anderer Deputirter werde seine Bemerkung aufnehmen. Als das nicht geschah, schloß R. die Sitzung. Dieser Hergang hat R. eine Fülle von Vorwürfen zugezogen; eine ganze Litteratur von Angriffen und Vertheidigungen hervorgerufen. Jacob Grimm klagte ihn an, durch voreilige Schließung der Kammer das Land seines Vertheidigungsmittels beraubt zu haben, Dahlmann warf ihn zu denen, die lächelnd der Vernichtung der Verfassung zusahen. Stüve dagegen bezeugt, von R. nicht unterbrochen zu sein, ja durch seine Aufforderung erst den Muth zu seiner Bemerkung gewonnen zu haben. Wäre R. der gehorsame Diener des Königs gewesen, gewillt, sich jedem Winke zu fügen, er hätte das Vertagungsrescript verlesen und die Sitzung aufheben müssen. Erst die Sprachlosigkeit der Versammlung zusammen mit der Erwägung, daß nach dem bereits erfolgten Auseinandergehen der ersten Kammer eine gültige Beschlußfassung nicht mehr möglich war, bewog ihn zu seinem Schritte. Wenn Dahlmann den Namen Rumann’s denen hauptstädtischer Reputationen zugesellte, die in jenen Tagen Schiffbruch gelitten, so hatte er nachher genugsam Gelegenheit, seinen Irrthum einzusehen, zunächst allerdings den äußern Anschein für sich. Am 15. Juli empfing R. die mit dem Kronprinzen in die Residenz einziehende Königin Friederike und überreichte ihr ein von dem hannoverschen Leibpoeten Wilhelm Blumenhagen verfaßtes Gedicht, das die Deutung zuließ, als solle die Vernichtung der Verfassung verherrlicht werden. R. entschuldigte sich, er habe, durch ein trauriges Familienereigniß jener Tage beschäftigt, die Verse nur flüchtig gelesen. Am Hofe schmeichelte man sich jedenfalls, ihn gewinnen zu können; er wurde häufig zur königlichen Tafel befohlen, erhielt Neujahr 1838 das Commandeurkreuz des Guelfenordens und Ernst August nannte ihn einen mächtigen Mann, dessen Beistand er bedürfe. Nachdem das Patent vom 1. Nov. 1837 das Staatsgrundgesetz für erloschen erklärt hatte, war in den städtischen Collegien der Residenz der Gedanke einer Beschwerde an den deutschen Bund angeregt worden; da aber R. sich der Ausführung widersetzte, unterblieb das Vorgehen, das sonst für viele Communen des Landes bestimmend hätte wirken können. Daß R. seine Rechtsansicht nicht geändert hatte, zeigt die Wahl zu der auf den 20. Februar 1838 einberufenen Ständeversammlung. Einstimmig erklärten die Mitglieder des Wahlcollegiums, Magistrat, Bürgervorsteher und Wahlbürger, nur unter einem die fortdauernde Geltung der Verfassung von 1833 anerkennenden Vorbehalte wählen zu wollen, und als das königliche Cabinet einen solchen Vorbehalt zurückwies, wählten sie ebenso einstimmig denselben Abgeordneten vorbehaltlos und gaben den gleichen Protest zur Sicherung des Staatsgrundgesetzes zu Protocoll. Der Stadtdirector selbst war allerdings nicht der erwählte Abgeordnete der Residenz, wie ununterbrochen in den Jahren 1826–37. Ob R. im Frühjahre 1838 ein Einlenken des Königs möglich hielt, wie es an verschiedenen Stellen damals geschah, z. B. im Göttinger Senate? Durch seinen [641] Verwandten, den Justizkanzleidirector Leist (s. A. D. B. XVIII, 226), der bei ihm wohnte, hatte R. allerdings das Mittel, genau über alle Strömungen unterrichtet zu sein. Im Juni 1838 trat offenbar in der Regierung eine Wendung zu rücksichtslosem Vorgehen ein: Cabinetsrath Rose wurde verabschiedet, der Minister v. Arnswaldt sah sich genöthigt, seine Entlassung zu nehmen, jetzt wurde auch endgültig mit R. gebrochen und ihm bedeutet, man wolle mit ihm und seinem ganzen Magistrat nichts mehr zu schaffen haben. Erst ein Jahr später, als der König eine Mehrheit der Ständeversammlung durch Wahlquälereien aller Art gewonnen hatte, zeigten sich die Rückwirkungen: der hauptstädtische Abgeordnete schied aus, um nicht durch seine Theilnahme eine Anerkennung der Verfassung von 1819 zu Stande zu bringen, Magistrat und Bürgervorsteher versagten die Vornahme einer Neuwahl und richteten am 15. Juni einen geharnischten Protest gegen die sog. Ständeversammlung an den deutschen Bund. Nach Zurückweisung der ersten Eingabe reichten sie eine gemäßigtere ein unter Zufügung einer eingehenden Rechtsdeduction. Der Protest vom 15. Juni kam dem Cabinet zu und schien die gewünschte Gelegenheit zu bieten, den Magistrat und seinen Leiter zu verderben. Eine Proclamation des Königs vom 16. Juli kündigte die unverzügliche Einleitung einer Criminaluntersuchung gegen den Magistrat und die sofortige Suspension des Stadtdirectors vom Amte an, dessen Stelle ein vom König ernannter Commissar, der Oberamtmann Hagemann, einnehmen sollte. Diese Verletzung der Stadtverfassung, welche bei Verhinderung des Stadtdirectors den Syndicus zur Leitung der Geschäfte berief, zusammen mit den auf ihren Stadtdirector gerichteten Angriffen, erregte die Bürgerschaft aufs höchste. Gewaltsam wurde die auf den 17. Juli angesetzte Beeidigung des Commissars gehindert und dem Könige durch eine in das Schloß entsandte und von der Bürgerschaft begleitete Deputation die Beschwerde der Stadt vorgetragen. Der König gab nach und der Stadtsyndicus übernahm die Geschäfte. Die Anklage gegen den Magistrat lautete auf Verletzung der der Majestät schuldigen Ehrerbietung, Calumnien und öffentliche Injurien gegen die Regierung. Die Vertheidigung führte Stüve. Die Justizkanzlei zu Hannover erkannte nur den letztgedachten Punkt der Anklage als begründet und verurtheilte R. zu acht Wochen Gefängniß oder 400 Thaler Geldstrafe. Gegen diesen unterm 25. August 1841 gefällten Spruch appellirte der Fiscal und beantragte Strafschärfung bis zu zehn Jahren Zuchthaus, aber das Celler Tribunal bestätigte 1843 lediglich das Urtheil der Vorinstanz. Die städtischen Collegien wünschten die Wiedereinsetzung Rumann’s, mußten aber bei seiner eigenen Abneigung gegen diesen Schritt sich zu seiner Pensionirung verstehen und suchten dazu die pecuniäre Beihülfe der Regierung nach, die großmüthig den Ruhegehalt mit 3000 Thalern ganz auf die königliche Casse übernahm. Seit dieser Zeit lebte R. zurückgezogen in Hannover. Nur zu einem kurzen politischen Nachspiel berief ihn das Jahr 1848. Zu der auf Grund des neuen Verfassungsgesetzes vom 5. September 1848 einberufenen Ständeversammlung wählte im Januar 1849 die Hauptstadt R. zusammen mit K. Goedeke als Abgeordneten der zweiten Kammer. In der kurzlebigen Versammlung trat er für die Verbindlichkeit der Grundrechte ein und nahm nach der Vertagung der Kammern an den Schritten der in Hannover wohnhaften Abgeordneten Theil, welche eine schriftliche Erklärung der Mehrheit der Ständeversammlung zu Gunsten der Frankfurter Reichsverfassung und der Uebertragung der Kaiserwürde auf den König von Preußen zu Stande brachten. Als nach Auflösung der Ständeversammlung im August 1849 Neuwahlen stattfanden, unterlagen die beiden bisherigen Abgeordneten der Hauptstadt den Candidaten der ministeriellen Partei.
Rumann: Wilhelm R., geboren am 18. Juli 1784 zu Celle, † am 18. October 1857 zu Hannover. Sohn des Geheimraths- [642] Conversations-Lexikon der Gegenwart IVa (1840) S. 661. – Oppermann, Zur Geschichte Hannovers passim; Art. Hannover in der 3. Aufl. des Rotteck-Welcker’schen Staatslexikons. – Dahlmann, Zur Verständigung (kl. Schriften S. 254). – J. Grimm, Meine Entlassung (kl. Schriften I, 34). – Briefwechsel zwischen Grimm, Dahlmann und Gervinus, hg. von Ippel I, 148, 172, 176 ff., 180. – B. Hausmann, Erinnerungen aus dem 80jähr. Leben (1873) S. 111, 122, 138 ff., 150 ff., 206. – Frensdorff, Stüve (Preuß. Jahrb. Bd. 36, S. 592). – Zeitg. f. Norddeutschland 1857 Nr. 2688, 2690, 2692.