ADB:Runde, Justus Friedrich (Jurist)
Schütze in verdientem Ansehen stand, erhielt er seinen Unterricht, und er war in seinem 18. Jahre zum Abgang auf die Universität reif, als der Tod seines Vaters im Juli 1759 und die dadurch herbeigeführte hülflose Lage der Familie ihn zwang, noch vier Jahre lang in Wernigerode zu bleiben und durch Privatunterricht nicht nur seinen Unterhalt, sondern auch ein geringes Capital sich zu erwerben, welches ihn, in Verbindung mit zwei Stipendien, in den Stand setzte, im J. 1763 die Universität Halle zu beziehen. Hier verlebte er ein Jahr im theologischen Studium; verschiedene Rücksichten bewogen ihn jedoch zu Ostern 1764 nach Göttingen zu gehen, wo er in Folge mehrerer Empfehlungsschreiben dem Hofrath Georg Ludwig Böhmer bekannt und von diesem zum Informator seiner jüngeren Kinder angestellt wurde. Im Hause dieses vortrefflichen Mannes und großen Civilisten gestaltete sich nicht nur seine Lage aufs günstigste, – es nahm auch sein eigenes Studium eine ganz andere Richtung. Das trübe pietistische Gewand der Theologie auf der Universität Halle konnte einem hellen Kopfe und geistig frohen Gemüthe nicht zusagen; im Böhmer’schen Hause, im täglichen Verkehr mit dem gelehrten und jovialen Juristen war genug Reiz und Gelegenheit gegeben, um den Uebertritt unter die Fahne der Themis zu veranlassen. Der junge Theologe wandte sich denn auch Ostern 1765 der Rechtswissenschaft zu, besuchte die Vorlesungen von Gebauer, Ayrer, Böhmer, Meister und Andern, und benutzte die erlangten Kenntnisse sofort, um mit Andern, denen solche Hülfe Noth that, die juristischen Collegien zu repetiren, während er gleichzeitig die Correctur und Registerarbeit bei den Böhmer’schen Druckschriften übernahm. So war er im J. 1769 völlig vorbereitet, das Examen zur Erlangung der Doctorwürde zu machen, die ihm dann auch nach Vertheidigung seiner Inauguraldissertation: „De confirmatione caesarea juris primogeniturae in familiis illustribus Germaniae“, am 2. Juni 1770 ertheilt wurde. Während er dann, einigermaßen sorgenvoll, in die nächste Zukunft schaute und gespannt den Anmeldungen zu seinen für Ostern 1771 angekündigten Vorlesungen über römische Alterthümer und Pandekten entgegen sah, ward ihm unerwartet und ungewöhnlich früh ein Lehrstuhl zu theil, der völlig seinen Neigungen entsprach: er erhielt am 19. April 1771 den Ruf als Professor juris civilis et publici am Collegium Carolinum zu Kassel mit 500 Thlr. Besoldung. Diese Stiftung des verstorbenen Landgrafen Karl, eröffnet im J. 1769, hatte die Bestimmung, Studirende durch die schönen und humanistischen Wissenschaften zum Brodstudium auf der Universität vorzubereiten, und zugleich den Söhnen der Kaufleute und Fabrikanten eine höhere Bildung für das Leben zu bieten. Allein weder von den Einen noch von den Anderen wurde die Anstalt viel benutzt; sie welkte bald dahin und erhielt nur durch das dazu gekommene medicinische und chirurgische Seminar eine zeitweilige Lebenskraft. Landgraf Friedrich erweiterte das Carolinum, so daß auch Philologie, Theologie und Jurisprudenz in zweijährigen Cursen den übrigen Studien beigestellt wurden. Unter den Juristen befand sich Höpfner, dessen Nachfolger [678] dann R. ward. Dieser trat sehr bald in nähere persönliche Beziehungen zu dem eigentlichen Mäcen aller wissenschaftlichen Bestrebungen in Kassel, dem Staatsminister Grafen v. Schlieffen. Unter den Professoren befand sich auch der Mediciner Böttiger, in dessen Hause R. dessen Schwägerin, eine Tochter des Amtmanns Kriegsmann zu Gladenbach kennen lernte, mit der er sich im April 1772 verheirathete. Sein Leben gestaltete sich nun zu einem sehr glücklichen, und seine Thätigkeit als Rechtsgelehrter fand große Anerkennung. Außer den Schriften, welche seinen Namen der Nachwelt erhalten haben, schrieb er viele kleinere Abhandlungen, die ihm Ruhm und Ehre eintrugen. 1774 erhielt er von der Universität Göttingen eine goldene Medaille für eine Preisschrift; auswärtige gelehrte Gesellschaften ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede; in Kassel selbst ward er mit verschiedenen Ehrenämtern betraut, und als er einen Ruf nach Jena ausschlug, steigerten sich seine ohnehin schon günstigen pecuniären Verhältnisse noch bedeutend. Sie machten ihm eine angenehme Geselligkeit möglich, die sich der glücklichsten Häuslichkeit anschloß, und die um so interessanter war, als sich damals bedeutende geistige Größen auf kürzere oder längere Zeit nach Kassel gewandt hatten, von denen u. a. Johannes v. Müller, Georg Forster, Sömmering und Dohm zu nennen sind. Mit dem letztern durch Grundsätze, Geist und Verdienst gleich ausgezeichneten Staatsmann und Gelehrten stand R. in engerem freundschaftlichen Verkehr, dem nach der Trennung ein fortgesetzter Briefwechsel folgte. In der ersten Hälfte des Jahres 1783 ward R. eine Professur in Göttingen mit dem Hofrathstitel angetragen; seine Vorliebe für Kassel ließ ihn lange schwanken, ob er dem Rufe folgen sollte; und nur die mit jedem Jahre deutlicher sich herausstellende Erkenntniß, daß das Carolinum eine Zwitteranstalt sei, die den Bedürfnissen der Zeit nicht entsprach, brachte ihn zu dem Entschlusse, in die neu angebotenen Verhältnisse hinüberzutreten; Ostern 1785 siedelte er über nach Göttingen. In dieser jüngsten Universität Deutschlands, die von London und Hannover aus vorzugsweise für die praktischen Brodstudien bestimmt war, hatte sich ein Kreis junger feuriger Männer zusammen gefunden, der unter dem Namen „der Hainbund“ eine Stelle in unserer Litteraturgeschichte einnimmt. War derselbe auch bereits seit einem Jahrzehnt aufgelöst, so machte sich sein Einfluß doch noch geltend, als R. sich den dortigen Juristen ersten Ranges anschloß, die in den letzten zwanzig Jahren des vorigen Jahrhunderts die Georgia Augusta in dieser Beziehung zu der bedeutendsten Universität Deutschlands machten. Mit gewohntem rastlosen Eifer widmete R. sich seinem Berufe; seine Collegien gehörten zu den besuchtesten; sein Vortrag war auf Manuscript gegründet, nicht gerade belebt sondern ruhig, aber durch Consequenz und Gründlichkeit für alle Zuhörer anziehend. Neben seiner schriftstellerischen Thätigkeit eröffnete sich ihm hier auch ein reiches Feld praktischen Wirkens. Im J. 1789 traf ihn das Unglück seine Gattin zu verlieren; die Rücksicht auf seine fünf Kinder ließ ihn im J. 1790 zu einer neuen Ehe schreiten mit der Tochter seines Collegen Meister, und auch diese Verbindung gestaltete sich zu einer sehr glücklichen. – Seine Vorliebe für das deutsche Recht bethätigte R. durch sein bedeutendstes Werk, welches im J. 1791 unter dem Titel: „Allgemeines deutsches Privatrecht“ erschien, in der juristischen Welt Epoche machte, und seinen Namen dem der ersten Männer seines Faches beigesellte. Es erlebte acht Auflagen, von denen die letzte im J. 1829 erschien. Dieses Privatrecht unterscheidet sich von den bis dahin gangbar gewesenen Lehrbüchern vorzüglich durch sein System, und durch den Gebrauch der deutschen Sprache; hervorgehoben werden muß daneben der darin geführte Beweis eines deutschen Privatrechts, und besonders die Begründung desselben durch die Natur der Sache, anstatt durch die Uebereinstimmung der Particulargesetze. R. nahm [679] aber zur Bestimmung der Natur der Sache nicht ein bloß aus theoretischen Vernunftschlüssen hergeleitetes ideales Recht an, sondern er folgerte dieselbe aus der durch das Studium des positiven Rechts gebildeten praktischen Vernunft. Wenn auch jetzt veränderte Verhältnisse andere Ansprüche machen, denen spätere Gelehrte gerecht wurden, so behält doch dies Buch als Stufe in der Rechtsentwicklung[WS 1] der Deutschen einen dauernden Werth, und der Name des Verfassers ist unvergessen. – Er bekleidete wiederholt das Amt eines Protectors der Universität Göttingen, war Decan und Ordinarius der Juristenfacultät, und erhielt 1806 den Titel „Geheimer Justizrath“. Am 28. Februar 1807 starb er nach einem längeren qualvollen Krankenlager an einer Verknöcherung der Speiseröhre. In dem „Morgenblatt von 1807“ ist ihm folgender Nachruf gewidmet: „Runde’s gerader, offener biederer Sinn, seine seltene deutsche Treue brachten ihn den Herzen seiner Freunde näher als eine gewöhnliche freundschaftliche Verbindung reicht. Er war einer der Glücklichen, die in ihrer Laufbahn mit sicherem und ruhigen Schritt ungehindert fortgehen und einen Wirkungskreis nicht nur erreichen, sondern auch vollkommen ausfüllen, der ihrer Thätigkeit und ihren Neigungen entspricht. Für das Studium vaterländischer Geschichte, Rechte und Verfassung war eine frühe Neigung in ihm erwacht, der er ununterbrochen treu geblieben. Das Glück begünstigte diese Neigung, indem es ihn einer Akademie wie Göttingen zuführte, wo dieses Studium von jeher seine thätigsten Pfleger gefunden hat.“
Runde: Justus Friedrich R. ward am 27. Mai 1741 in Wernigerode geboren, als das sechste Kind des dortigen Stadtsyndikus Johann Martin R. In der Oberschule daselbst, welche unter dem DirectorAnmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Rechtsententwicklung