ADB:Rupert von Deutz
Reiner sagt in seinem Werke: De claris scriptoribus monasterii s. Laurentii cap. 11 (bei Migne, Patrol. lat. 204. 20) über R.: a puerolo penes nostrum est educatus monasterium. Hier wurde er von Abt Berengar in der klösterlichen Disciplin und vom gelehrten Mönche Heribrand, dem Nachfolger Berengar’s, in allen Wissenschaften herangebildet. Die Priesterweihe empfing R. erst spät, vielleicht bald nach 1100, theils aus Demuth, theils aus Abneigung gegen den damaligen schismatischen Bischof von Lüttich. R. trat bald selbst als Lehrer an der Klosterschule zu St. Laurenz auf und erwarb sich frühzeitig einen solchen Ruf, daß von auswärts sogar Lernbegierige zu seinen Vorträgen herzuströmten; auch begann er damals schon seine schriftstellerische Thätigkeit. Als Abt Berengar dem Tode nahe war und gerade in Lüttich Kriegsunruhen herrschten, empfahl der sterbende Abt seinen Schützling R. dem Abte Chuno von Siegburg, welcher auch R. im J. 1113 mit sich nach Siegburg führte. Chuno, welcher 1126 Bischof zu Regensburg wurde, blieb der beständige Gönner Rupert’s und förderte dessen wissenschaftliche Bestrebungen, indem er ihn zur Ausarbeitung verschiedener Commentare zu einzelnen Büchern der heil. Schrift anregte. In Siegburg hörte R. von durchreisenden Scholastikern, daß der berühmte Anselm von Laon und Wilhelm von Champeaux, Bischof von Chalon, eigenthümliche Ansichten über das Verhältniß des göttlichen Willens zum Sittlich-Bösen vortragen; sofort verfaßte R. seine Schrift „De voluntate Dei“, in welcher er jene Meinungen Anselm’s und Wilhelm’s bekämpft. Anselm, welcher von Rupert’s Schrift bald Kenntniß erlangt hatte, schrieb an Heribrand in Lüttich, klagend über R., worauf dieser von Heribrand eingeladen wurde, in Lüttich zu erscheinen und hier in einer Disputation seine Aeußerungen über Anselm zu rechtfertigen. R. kam wirklich nach Lüttich und errang sich durch seinen [700] gründlichen Nachweis des Irrthums Anselm’s den Beifall Heribrand’s und einer zahlreichen Zuhörerschaft. Ja R. reiste 1117 sogar selbst nach Frankreich, um mit Anselm und Wilhelm zu disputiren; den ersteren traf er gerade im Sterben, mit Wilhelm disputirte er wirklich in erfolgreicher Weise. Im J. 1120 wurde R. auf Veranlassung des Erzbischofs Friedrich von Köln, dem er von Chuno empfohlen worden war, für die eben erledigte Abtei Deutz gegenüber von Köln als Abt gewählt. Hier setzte R. seine schriftstellerische Thätigkeit fort, ohne seine Berufsgeschäfte als Abt zu vernachlässigen. Im Spätherbste 1124 besuchte er Rom und Montecassino. Die noch übrige Zeit seines Lebens widmete R. vorzüglich dem Studium der h. Schrift, dem Mittelpunkte seiner ganzen Thätigkeit. Der unermüdet eifrige und demüthig-fromme Abt starb am 4. März 1135; seine Grabschrift im Kloster Deutz war noch im vorigen Jahrh. zu lesen. R. genoß schon zu Lebzeiten großes Ansehen; der berühmte Propst Gerhoch von Reichersberg besprach sich mit ihm über theologische Fragen und nannte ihn einen Engel. Er war auch einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit; wenn ihn auch manche an Tiefe des Wissens überragen, so kommen ihm doch, was die Vielseitigkeit der Kenntnisse und die Großartigkeit der Auffassung betrifft, wenige gleich. Seine zahlreichen Schriften behandeln vorzugsweise die h. Schrift, von welcher er sehr viele Bücher erklärt hat. Seine Exegese ist noch vorwiegend allegorisch-moralisch, doch finden sich auch zahlreiche Auslegungen grammatisch-historischer Art, daher Rupert’s Commentare heutzutage noch benützt werden. Am gelungensten ist seine Erklärung zum Johannesevangelium. Außer den beiden kleinen Arbeiten „De voluntate Dei“ und „De omnipotentia divina“, sowie dem Werke „De glorificatione Trinitatis et processione Spiritus sancti“ hat R. keine eigentlich dogmatischen Schriften verfaßt; hingegen kommen viele Fragen der Glaubenslehre gelegentlich zur Besprechung. R. war ein Gegner der formalen Dialektik, wie sie damals namentlich in Frankreich gepflegt wurde. Seine Sprache ist hie und da, insbesondere wo er über die Eucharistie spricht, unklar und auch zu wenig bestimmt. Schon zu seinen Lebzeiten warf ihm der Abt Wilhelm von St. Thierry bei Reims vor, daß er in seiner Schrift „De div. officiis“ II, 9 einen unpassenden Vergleich vom Sonnenlichte, welches im Monde wirksam sei, auf die Eucharistie angewendet habe. Insbesondere im 16. und 17. Jahrh. waren Rupert’s Aeußerungen über die Eucharistie Gegenstand eingehender Untersuchungen von Seite katholischer und protestantischer Gelehrten. Bellarmin (controv. fid. de sacr. Euch. libr. III, cap. XI u. XV), Vasquez (in 3 dist, 80 c. 1) u. A. klagen R. an, daß er nur eine Art Impanation oder Consubstantiation angenommen, keineswegs aber die Transsubstantiation gelehrt habe. Claudius Salmasius, der unter dem pseudonymen Titel: Simplicius Verinus eine Schrift de transsubstantiatione erscheinen ließ, berief sich für seine Ansicht, daß vor dem 4. Lateranconcil die Lehre von der Wesenswandlung in der Kirche unbekannt gewesen sei, vorzüglich auf R. Es finden sich nun in dessen Schriften allerdings Ausdrücke, welche im Sinne einer Consubstantiation genommen werden können, so z. B. de div. off. II, 2. 9, besonders in Exod. II, 10, wo er sagt: Substantiam panis et vini non mutat, dagegen spricht er aber oft von einem transferri, transmutari, converti in substantiam corporis et sanguinis wie de div. off. II, 2. 6; III, 7. 10. Eingehend behandelt diesen Gegenstand der Mauriner Gabriel Gerberon in seiner Apologia pro Ruperto Abbate Tuitiensi, in qua de eucharistica veritate eum catholice sensisse et scripsisse demonstrat, Paris. 1669 (bei Migne 167, c. 23 sqq.). Am richtigsten scheint J. Bach, Die Dogmengeschichte des Mittelalters I, 414, über die Sache zu urtheilen, wenn er sagt, R. stelle die Destruction der Substanzen von Brot und Wein in Abrede, lehre hingegen eine Annahme, ein Erhobenwerden [701] derselben zu den Substanzen des Leibes und Blutes; allerdings kommt dies dem vollen Transsubstantiationsbegriffe nicht gleich. Ganz unbegründet ist aber die Beschuldigung, R. habe nur figürlich und symbolisch die Eucharistie aufgefaßt. Am deutlichsten spricht R. die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi in der Vorrede des Commentars zum Johannesevangelium aus. Ferner wurde Rupert’s Incarnationslehre irrig aufgefaßt und gegen ihn, wie man meint, selbst vom h. Norbert der Vorwurf erhoben; als hätte er gesagt, der heilige Geist habe in Maria Fleisch angenommen. Wieder Andere glaubten aus Rupert’s Schriften herauszulesen, daß er das Buch der Weisheit nicht zu den kanonischen Büchern rechne, daß er die Engel aus der Finsterniß geschaffen sein lasse oder ihnen einen Leib aus luftiger Substanz zuschreibe. Sonderbar genug war der Vorwurf, R. setze die Schriften gewisser Theologen nicht gleich den Schriften der Apostel und Kirchenväter. Nicht minder wurde R. auch von den Adoptianern des 12. Jahrh. verunglimpft. – Außer Exegese und Dogmatik behandeln Rupert’s Schriften noch Ascetik und Liturgie; auch in der Geschichte und Dichtkunst versuchte sich R. nicht ohne Glück. Die zahlreichen Schriften Rupert’s führen wir im nachfolgenden in chronologischer Reihenfolge an. Im Laurentiuskloster zu Lüttich sind folgende verfaßt: 1) Zwei Hymnen auf den heiligen Geist: Deus meus et Dominus und Flamini magno. 2) „Liber de diversis scripturarum sententiis“, welche Schrift aber sowie 3) das Gedicht „De incarnatione Domini“ verloren gegangen sind. 4) Eine Chronik des St. Laurentiusklosters in 5 Büchern; ein Theil davon bei Pertz, Monum. Germ. Scriptt. VIII, 261–279. 5) Lebensbeschreibungen des h. Augustin und der h. Odilie, beide verloren. 6) „De divinis officiis libri XII“, verfaßt um 1111, nach 1126 dem Bischof Chuno zugesendet. In diesem Werke bespricht R. die Liturgie der Kirche, handelt über das Brevier, die Glocken, den Altar, die Kirchengeräthe, erklärt die Perikopen des Kirchenjahres; überall sucht R. in den mystischen Sinn der heiligen Gebräuche, Zeiten u. s. w. einzudringen; auch für die Geschichte der Liturgie ist dieses Werk von Wichtigkeit. 7) Wahrscheinlich ist noch in Lüttich verfaßt der „Commentar zum Buche Job“ in 42 Capiteln, ein Auszug der Moralia in librum Iob von Gregor dem Großen. – In Siegburg entstanden folgende Schriften: 8) „De voluntate Dei“, in 26 Capiteln. 9) „De omnipotentia Dei“ in 27 Capiteln. 10) Der Commentar zum Johannesevangelium in 14 Büchern, dem Bischofe Chuno gewidmet. 11) Der Commentar zur Apokalypse, in 12 Büchern, dem Erzbischof Friedrich von Köln dedicirt. Dieser umfangreiche Commentar hat das Eigenthümliche, daß viele Stellen der Apokalypse auf Begebenheiten des Alten Bundes bezogen werden. 12) Das umfangreichste Werk Rupert’s: „De Trinitate et operibus ejus“, 42 Bücher, gewidmet Chuno, damals noch Abt von Siegburg, behandelt die ganze Weltgeschichte nach drei Gesichtspunkten; es werden alle Thatsachen von der Schöpfung der Welt an als Werke der einzelnen göttlichen Personen aufgefaßt; das Werk des Vaters geht nach R. von der Schöpfung bis zum Sündenfalle, das des Sohnes vom Sündenfalle bis zum Tode Christi, das des heiligen Geistes reicht von der vollbrachten Erlösung bis zum Ende der Welt; an der Hand dieser Dreitheilung werden die einzelnen heiligen Bücher, der Pentateuch, die Bücher Josua, der Richter, der Könige, die Psalmen, die 4 großen Propheten und die 4 Evangelisten oft in geistreicher Weise erklärt. 13) Der Commentar zu den 12 kleinen Propheten, zusammen 34 Bücher. Zuerst schrieb R. seine Erklärung zu den ersten 6 Propheten, später erst jene zu den letzten 6. Zwischen beide trat 14) die Schrift „De victoria verbi Dei“ in 13 Büchern. Dieses großartig angelegte Werk schildert den beständigen Kampf des Bösen mit dem Guten in einzelnen Repräsentanten, in den gefallenen Engeln, in Cham, [702] in den Brüdern Joseph’s, in den Feinden des Volkes Israel, in Nabuchodonosor u. s. w. bis zum letzten Kampfe des Antichrist und schließt mit dem endlichen Siege Christi. 15) Der Commentar zum Hohen Liede, 7 Bücher, bezieht dieses Buch fast ausschließlich auf die Gottesmutter Maria. 16) „Vita s. Heriberti, archiepisc. Coloniens.“, auf Bitten des Abtes Marquard von Deutz auf Grundlage einer älteren Vita des h. Heribert verfaßt. 17) „Vita s. Eliphii martyris“. – Der Lebensepoche Rupert’s als Abtes von Deutz gehören nachstehende Schriften an: 18) „Super quaedam capitula regulae s. Benedicti“, in 4 Büchern. 19) „Altercatio monachi et clerici, quod liceat monacho praedicare“; beide kleine Schriften sind verwandten Inhalts und besprechen gewisse, gerade damals oft erörterte Differenzpunkte zwischen Kanonikern und Mönchen. Ebenso 20) „De vita vere apostolica dialogorum libri V.“. Es nennt sich zwar R. nicht ausdrücklich als den Verfasser dieser Schrift, doch sprechen viele Momente deutlich für dessen Autorschaft. 21) „De laesione virginitatis“, ein moral-casuistisches Schriftchen. 22) „De gloria et honore filii hominis super Matthaeum“, 13 Bücher, auf Verlangen Chuno’s gearbeitet, enthalten eine Polemik gegen die Adoptianer des 12. Jahrhunderts mit Zugrundelegung eines großen Theiles des Matthäusevangeliums. 23) Eine Arbeit über die Bücher der Könige, welcher R. den Titel: „De glorioso rege David“ gab, ist nicht auf uns gekommen. 24) „De glorificatione Trinitatis et processione spiritus sancti“, 9 Bücher, dem Papste Honorius II. von R. persönlich überreicht. 25) „Annulus sive Dialogus inter Christianum et Iudaeum“, 3 Bücher, eine Apologie des Christenthums, um die ungläubigen Juden zu überzeugen, daß die messianischen Weissagungen des Alten Bundes an Jesus von Nazareth in Erfüllung gegangen seien. 26) „De incendio oppidi Tuitiensis“, wegen der vielen schönen Betrachtungspunkte auch Libellus aureus genannt. 27) „De meditatione mortis“, 2 Bücher, und 28) der Commentar zum Buche Ecclesiastes, 6 Bücher. Die in der Stadtbibliothek zu Cambray entdeckten 13 Gedichte, welche Dümmler zuerst herausgab, und welche sich auf die verwirrten Zustände der Kirche zu Lüttich am Ende des 11. Jahrhunderts beziehen, werden von Manchen R. zugeschrieben; es wären dieselben dann unter die Erstlingsarbeiten Rupert’s zu rechnen. Vielleicht ist hiermit der Tractatus de Antichristo, den R. verfaßt haben soll, identisch. Unter allen Schriften Rupert’s wurde zuerst die „De victoria verbi Dei“, Augsburg 1487, gedruckt. Ein großes Verdienst um die Sammlung der Handschriften Rupert’s erwarb sich Joh. Cochläus, Decan am St. Bartholomäusstifte zu Frankfurt. Hierauf erfolgten Ausgaben der bis dahin aufgefundenen Werke Rupert’s zu Köln 1526–29 und 1577. Der Commentar zu den 6 letzten Propheten, zum Johannesevangelium und zur Apokalypse, sowie die Schriften „De voluntate et omnipotentia Dei“ erschienen 1524 zu Frankfurt, der Commentar zu Johannes wieder zu Paris 1545. Dann folgten die Gesammtausgaben zu Mainz in 2 Bänden 1631, Chastelain’s Ausgabe zu Paris 1638, 2 tomi in fol., ein Abdruck der Mainzer Edition; hierauf erschien 1748–51 die viel gerühmte Venediger Ausgabe, 4 Bände fol., endlich Migne, Patrol. lat., tom. 167–170.
Rupert von Deutz (Rupertus Tuitensis), Abt und kirchlicher Schriftsteller des 12. Jahrh. Wo und wann R. geboren ist, läßt sich nicht genau bestimmen. Wahrscheinlich war er ein Deutscher und stammte entweder aus Lüttich selbst oder doch aus der Umgebung dieser Stadt. Sehr jung noch wurde er dem Benedictinerkloster St. Laurenz in Lüttich zur Erziehung und Ausbildung übergeben; der Annalist dieses Klosters- Ueber das Leben, die Schriften und die Theologie Rupert’s handeln: Honor. Augustodun., de script. eccl. IV, 16. – Anonymus Mellicensis, Script. eccl. 167. – Trithemius, De script. eccl. 364, welcher ein besonderer Verehrer Rupert’s war und eine eigene Lobrede aus denselben hielt (bei Migne, 167, 3–11). – Mathias Agricius Witlich, Declamatio de Ruperto Abb. Tuit. (bei Migne, 167, 15–24). – Bellarmin-Labbé, De script. eccl. 364–366. – Mabillon, Annales ord. s. Bened tom. V et VI. – Ziegelbauer, Hist. rei litterar. ord. s. B. II, 38–42; IV, 18. 28–30. 40–43 u. s. w. – Histoire littéraire de la France 11, 422–587. – Const. [703] Schäzler, Die Lehre von der Wirksamkeit der Sacramente ex opere operato in ihrer Entwicklung innerhalb der Scholastik, München 1860, S. 45–58. – J. Bach, Die Dogmengeschichte des Mittelalters, I. Theil Wien 1873, S. 412–423; II. Theil Wien 1875, S. 243–297. – Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 1874, 2. Band, S. 108. 268. – R. Rocholl, Rupert von Deutz, Gütersloh 1886, wo von S. 269–288 die zu Cambray entdeckten Gedichte sich auch befinden.