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ADB:Schelble, Johann Nepomuk

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Artikel „Schelble, Johann Nepomuk“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 745–747, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schelble,_Johann_Nepomuk&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:43 Uhr UTC)
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Schelble: Johann Nepomuk S., Gründer des Cäcilien-Vereins in Frankfurt a. M., geboren am 16. Mai 1789 zu Hüffingen im Schwarzwalde[1][2], † am 7. August 1837 in seinem Geburtsorte. Wir besitzen über sein Leben und Wirken eine kleine Schrift von J. Weismann, betitelt: Worte der Erinnerung, Frankfurt a. M. 1838, die nicht im Buchhandel erschien; sie gibt uns ein vortreffliches Bild des viel verehrten Mannes. Auch bei Hiller in seinen Erinnerungen, 1884, S. 100 und in Mendelssohn’s Briefen ist er vielfach mit anerkennenden Worten erwähnt, so daß der Mann in seinem ganzen liebenswürdigen, bescheidenen Wesen vor uns steht. Im J. 1800 trat er als Chorknabe in das Kloster Marchthal, wo er neben freier Kost und Kleidung auch wissenschaftlichen und musikalischen Unterricht erhielt. Als das Kloster 1803 aufgehoben wurde, kehrte er zu seiner Familie zurück und besuchte die Schule in Donaueschingen, wo er an dem kunstliebenden Fürsten von Fürstenberg einen Beschützer fand. Hier hatte er an dem Musiklehrer Weiße, einem Schüler des Gesanglehrers Raff in München, einen tüchtigen, wenn auch einseitig gebildeten Lehrer. Im J. 1807 verließ er das elterliche Haus und wollte zu Vogler in Darmstadt gehen, fand aber in Stuttgart am Hofsänger Krebs einen so warmen väterlichen Freund, daß er dort blieb, auf Vermittlung Krebs’ vor dem Könige sang und als Hofsänger angestellt wurde. Als der König um 1812 ein Musikinstitut zur Bildung tüchtiger Musiker gründete, fand auch S., der sich bereits als Lehrer eines guten Rufes erfreute, Anstellung und in einem Berichte der älteren Leipziger musikalischen Zeitung wird besonders seiner Leistungen als Lehrer erwähnt. Trotz der günstigen Stellung, die er sich in Stuttgart durch seine Leistungen erworben hatte, genügte ihm der Wirkungskreis nicht und er suchte nach der Anregung einer großen Stadt. Er wandte sich daher 1813 nach Wien und trat hier als Componist einer Oper, von Liedern und Instrumentalsätzen, sowie als Sänger auf. [746] Besonders in letzterer Eigenschaft hatte er eine Höhe erreicht, die ihn bald zum Liebling des Wiener Publicums machte. Leider ließ er sich verleiten, auf der Bühne aufzutreten, doch da ihm jegliche Darstellungskunst mangelte, so konnte er es nie zu einem nennenswerthen Erfolge bringen. Er ging darauf nach Preßburg an die neu eingerichtete Oper, doch auch hier war ihm der Erfolg nicht hold, so daß er nach Ablauf der eingegangenen Verbindlichkeit wieder nach Wien zurückkehrte und sich ganz dem Studium der großen älteren und neueren Meister widmete. Hier reifte in ihm der Plan, seine Kräfte nur der Bekanntmachung der Heroen in der Kunst zu widmen. Doch wie er diese Idee verwirklichen konnte, lag noch im Keime versteckt. 1816 ging er nach Berlin und ließ sich wieder verleiten auf der Bühne aufzutreten. Obgleich man seine wundervolle Stimme bewunderte, bedauerte man sein steifes Spiel. Da er infolge dessen keine feste Anstellung finden konnte, wandte er sich nach Frankfurt a. M. und hier engagirte man ihn nach einigen Gastrollen für die Oper. Seine Stimme war kein eigentlicher Tenor, doch durch Uebung erweiterte er sie nach der Höhe zu bis zum eingestrichenen as und sogar bis a. Ganz besonders wurde die gleichmäßige Ausbildung derselben gerühmt und in der classischen Oper eines Mozart feierte er hier die größten Triumphe. Was ihm an Darstellungskraft versagt war, erreichte er durch die größte Kunst des Gesanges und der bis dahin ganz unbekannten declamatorisch-dramatischen Wiedergabe des Textes. Je einfacher die Composition war, desto größer war der Erfolg, den er mit seinem Vortrage erreichte. Es konnte nicht fehlen, daß er in Frankfurt mit den angesehensten Familien in Verbindung trat, besonders da er auch Gesangunterricht ertheilte, und so reifte in ihm der Plan, seine alte Lieblingsidee zu verwirklichen und einen Gesangverein zur Pflege der classischen Meister zu gründen, besonders da ihn ein rheumatisches Leiden und eine plötzlich eintretende Heiserkeit sehr oft am Auftreten auf der Bühne verhinderte. Am 24. Juli 1818 fand eine Versammlung von Freunden Schelble’s statt, welche die Gründung eines Musikvereins unter seiner Leitung beschlossen und einen Abend in der Woche für regelmäßige Zusammenkünfte festsetzten. Etwa 20 Personen nahmen anfänglich Theil und am 28. October desselben Jahres wurde vor einem kleinen Zuhörerkreise die Zauberflöte aufgeführt, am 22. November war der Chor schon bis auf 50 Personen angewachsen und eine Cantate von S. selbst zur Aufführung gebracht. Am 30. Januar 1819 wurde Mozart’s Requiem gesungen und am 18. April mit einem Chor von 73 Mitgliedern eine Messe desselben Meisters. S. entwickelte hierbei ein Directionstalent, welches er sich selbst kaum zugetraut hatte, und der Verein wuchs an Mitgliedern zusehends. Händel’s, Bach’s, Cherubini’s und Mozart’s große Chorwerke folgten nun rasch aufeinander. Seit 1819 hatte er mit Rossini’s Tancred der Bühne entsagt und von 1821 ab sorgte der Verein für einen Jahresgehalt für seinen Director und legte dem Vereine zugleich den Namen „Cäcilien-Verein“ bei. In gesicherter und angesehener Stellung verheirathete er sich nun 1820 mit einem Fräulein Molli Müller aus Königsberg. Jetzt wurden auch Abonnements-Concerte eingerichtet; das erste brachte am 21. December 1821 Händel’s Judas Maccabaeus zur Aufführung. Neben den bereits schon genannten Meistern brachte er aber auch ältere italienische Meister zu Gehör: wie Palestrina, Durante, Scarlatti, Lotti u. A. Seit dem Jahre 1828 weihte S. seinen Verein fast ausschließlich in die großen Chorwerte Seb. Bach’s ein und wenn man bedenkt, wie schwer das große Publicum sich diesem Meister nähert, so ist es um so mehr anzuerkennen, daß er es verstand, seine Chorsänger und Zuhörer in einer Weise für Bach zu begeistern, daß er eine Zeitlang nichts anderes als Bach’sche Werke aufführen konnte, darunter die große H-moll-Messe und die Matthäuspassion; in letzterer sang er selbst den Evangelisten, da er Niemanden für diese außerordentlich schwierige Partie finden [747] konnte. Das Jahr 1831 sollte ein Jahr der Prüfung für S. und den Verein werden, denn in diesem Jahre lief das Decennium ab, für welches eine Reihe wohlhabender Männer sich verpflichtet hatten, jährlich eines größere Summe beizutragen. Sie zogen sich sämmtlich zurück und S. sah sich genöthigt auf eigene Kosten den Verein weiter zu führen. Private erhöhte Thätigkeit durch Unterricht ertheilen mußte die fehlende Summe ersetzen, und so sehen wir S. sich in den besten Mannesjahren aufreiben und einem baldigen Tode entgegen gehen. Im J. 1837 war er bereits so hinfällig, daß er zur Erholung nach seinem Geburtsorte reiste, doch kehrte er nicht mehr von da zurück, sondern starb noch in demselben Jahre. Und nun zum Schluß noch einige Worte Mendelssohn’s, die Schelble’s Thätigkeit so treffend schildern. In einem Briefe an Zelter vom 15. Februar 1832 schreibt er u. A.: „Dafür ist aber wieder der Cäcilien-Verein dort, wegen dessen allein man schon in Frankfurt gern sein muß; die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, daß es eine Freude ist; er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder; außerdem hat aber S. des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa 30 Stimmen, wo er am Clavier singen läßt und seine Lieblingssachen, die er dem großen Verein nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet. Man kann kaum glauben, wie viel ein einziger Mensch, der was will, auf alle andern wirken kann; S. steht dort ganz allein, Sinn für ernste Musik ist gewiß nicht vorzugsweise in Frankfurt, und doch ist es merkwürdig, mit welcher Freude und wie gut dort die Dilettantinnen das „wohltemperirte Clavier“, die Inventionen, den ganzen Beethoven spielen, wie sie das Alles auswendig wissen, jede falsche Note controlliren, wie sie wirklich musikalisch gebildet sind. Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis geschaffen und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht.“ Wenn man dieses hohe Lob eines so genialen Mannes mit dem Urtheile vergleicht, welches der Redacteur der Allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig 36 Jahre später fällt (Jahrg. 1868, S. 388), in dem S. jeglicher Einfluß auf das Musiktreiben Frankfurt’s abgesprochen und einseitige Richtung vorgeworfen wird, so wird man recht inne, daß Tadeln leichter als Loben ist und daß Begebenheiten nach 36 Jahren anders erscheinen, als sie in der That waren. Wie recht Mendelssohn hatte und wie segensreich Schelble’s Einfluß war, ersieht man aus den Urtheilen, die Mendelssohn über andere Städte fällt, so über München, wo man 1830 die Classiker kaum dem Namen nach kannte. Frankfurt war durch S. eine Oase in der Wüste geworden und dies verdient gewiß hohes Lob.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 745. Z. 25 v. u. l.: Hüfingen in der Baar. [Bd. 33, S. 799]
  2. S. 745. Z. 25 v. u. l.: Hüfingen in der Baar. [Bd. 45, S. 671]