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ADB:Schickhardt, Heinrich

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Artikel „Schickhardt, Heinrich“ von August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 170–174, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schickhardt,_Heinrich&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 05:41 Uhr UTC)
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Schickhardt: Heinrich S., Baumeister, geboren am 5. Februar 1558 in dem altwürttembergischen Städtchen Herrenberg, † daselbst am 31. Dec. 1634, war der Sohn eines Schreinermeisters und besuchte vermuthlich nach dem Brauche wohlhabender Bürgerssöhne die Lateinschule seiner Vaterstadt. Er soll von Jugend auf Neigung zur Feldmesserei, Baukunst und Mechanik gezeigt haben; wir wissen aber nicht, wo und bei wem er eine Lehre in diesen Künsten durchgemacht hat. In dem auf der Stuttgarter königl. öffentlichen Bibliothek aufbewahrten „Inventarium“ seines Besitzes und seiner Thätigkeit, zugleich einer reichen Quelle seiner Lebensgeschichte, sagt S. nur, daß er im J. 1578 zu dem [171] fürstlichen Baumeister Georg Beer (vgl. Meyer, Allgem. Künstler-Lexikon, Bd. 3, S. 281 ff.) nach Stuttgart gekommen sei. Er machte bei demselben in den folgenden Jahren Pläne zu Stuttgarter Wohnhäusern und Adelsschlössern auf dem Lande und war im J. 1581 sein Gehilfe bei den Vorarbeiten zu dem Neuen Lusthause, durch welches sich dieser Meister unter die besten Architekten der deutschen Renaissance eingereiht hat. S. darf ganz als Schüler desselben in der höheren Baukunst angesehen werden, wie Beer selbst der Schüler von Albrecht Tretsch, dem Erbauer des Stuttgarter Alten Schlosses, gewesen war. Wie lange der junge Mann damals bei Beer blieb, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, daß er im J. 1584 sich mit der Tochter des Herrenberger Bürgermeisters Grüninger verehelichte und in das „Gericht“ d. h. den Gemeinderath seiner Vaterstadt aufgenommen wurde, also damals dort ansässig war, wie er denn auch zeitlebens Häuser und Güter daselbst besaß. Wir finden ihn aber auch auswärts beschäftigt, so in den Jahren 1588 und 1589 für die Stadt Eßlingen und im J. 1590 mit Privatgebäuden in Rottenburg a. N. und Colmar. In diesem Jahre scheint ihn Beer wieder an sich gezogen zu haben. Herzog Ludwig schickte die Beiden im Herbst nach Schiltach, einem damals württembergischen Schwarzwaldstädtchen, um die Bewohner bei dem Wiederaufbau ihrer Häuser nach einem großen Brande zu berathen. Im J. 1591 machte S. in herzoglichem Auftrage Grundrisse der Festungen Hohentwiel (hiervon auch einen perspectivischen Aufriß), Hohenasperg und Hohentübingen. Im J. 1593 baute er als „Diener“ Beer’s am Collegium Illustre in Tübingen. In demselben Jahre noch sandte ihn Herzog Ludwig nach der damals württembergischen Grafschaft Mömpelgart (Montbéliard), wo S. mit dessen Nachfolger (seit August 1593), Herzog Friedrich, in Berührung kam und bald einen großen Gönner an ihm gewann. Friedrich ließ ihn allmählich in die Stelle des alten Beer († 1600) einrücken und beschäftigte ihn, baulustig wie nur einer von den württembergischen Herrn, auf die mannichfachste Weise. Um ihn ganz nach Stuttgart zu ziehen, schenkte er ihm daselbst im J. 1596 einen Baugrund, nebst „Holz, Stein, Fenster, Ofen, auch Rüst-Holz“ zu einem eigenen Hause. Dafür machte S., um sich auf höhere Aufgaben vorzubereiten, im Januar 1598 auf eigene Kosten eine Studienreise nach Oberitalien. Aus einem mit Federzeichnungen versehenen Skizzenbuche (in der Stuttgarter königl. öffentlichen Bibliothek) sehen wir, daß sich der junge Meister in Ulm, Augsburg, Trient, Venedig, Padua, Vicenza, Mantua, Mailand, Verona etc. eben so sehr um Wasserwerke, Brücken- und Festungsbauten kümmerte, als um Kirchen- und Palastarchitektur. Noch in demselben Jahre 1598 vermaß er auch mit seinem Bruder Lukas den Neckar, mit dessen Schiffbarmachung damals Herzog Friedrich umging, von Cannstatt bis Heilbronn und machte eine Zeichnung dazu. Aber schon im Novbr. 1599 durfte er Italien wiedersehen und zwar diesmal im Gefolge seines Herzogs, der ihn vom Kopf bis zum Fuß wie „einen von Adel“ kleiden ließ und ihm in seine Haushaltung, damit die Seinigen in seiner Abwesenheit keinen Mangel litten, 100 Gulden und einen Eimer Wein verehrte. S. schrieb auch diesmal seine Beobachtungen unter Beifügung von Feder- und Tuschzeichnungen nieder und ließ darnach auf Befehl des Herzogs eine Reisebeschreibung drucken, welche zweimal im J. 1602 in Mömpelgart, einmal im J. 1603 auch in Tübingen erschien. Die kleine Gesellschaft reiste über Chur nach Mailand, Pavia, Genua, dessen Palastarchitektur den Meister viel beschäftigte, Massa, Pisa, Siena, Rom, Spoleto, Ancona, Ravenna, Bologna, Florenz, Livorno, Pisa, Lucca, Pistoja, Ferrara, Mantua, Verona, Vicenza, Padua, Venedig, Trient, Innsbruck, Ehrenberger Klause, Kempten, Schaffhausen, Basel, Mömpelgart und durch Elsaß und Baden zurück nach Stuttgart, wo der Einzug am 7. Mai 1600 stattfand. [172] Einige Bauten in Italien, die ihm besonders lieb waren, zeichnete S. in ein besonderes Heft und fügte denselben später noch französische und deutsche Gebäudeansichten bei. In dem gedruckten Reisewerke aber schildert er neben den Architekten- und Ingenieurschöpfungen ausführlich auch die Schicksale der Reise und gibt lebendige Schilderungen von Land und Leuten, welche in ihm einen grundgescheidten und kerntüchtigen Mann erkennen lassen. Er war nun in allen Stücken reif, um die mancherlei Geschäfte, welche sein Amt als fürstlicher Baumeister, oder, wie er heutzutage zu nennen wäre, als herzoglicher Hof- u. Landesbaudirector mit sich brachten, recht und redlich auszurichten. Eine Reise um das Herzogthum Württemberg in 31 und eine solche um die Grafschaft Mömpelgart in 10 Tagen mit seinem Herzog von Grenzstein zu Grenzstein vollführt (1604), mochten ihn die Größe seines Wirkungskreises erkennen lassen. In dem schon erwähnten Inventarium, geschrieben 1630–32, hat S. auf 38 Folioseiten alles verzeichnet, was er in 40 Jahren in- und außerhalb des Landes gebaut hatte. In seiner treuherzigen Art erinnert er selbst zur Einleitung daran, daß er tüchtigen Gehülfen manches überlassen und da und dort auch nur seinen Rath ertheilt habe, aber trotzdem sehen wir in eine erstaunliche Fülle von Arbeit hinein. Herzog Friedrich ließ – um nur die wichtigsten Aufgaben Schickhardt’s zu erwähnen – im J. 1596 das Bad Boll bei Göppingen neu aufbauen, in den Jahren 1598 und 1599 die Hauptstadt Montbéliard durch eine befestigte Neustadt vergrößern und daselbst im J. 1601 die Kirche zu St. Martin errichten. In das Jahr 1599 fallen auch die Pläne zu dem württembergischen Schwarzwaldstädtchen Freudenstadt, deren ersten S. selbst für besser hielt, als den zweiten steiffquadratischen, den der Herzog verlangt hatte und ausführen ließ. Bekannt ist die zwischen 1604 und 1608 erbaute Kirche daselbst, welche S., um sie als eine der vier Eckabschlüsse der Stadt zu verwenden, mit zwei rechtwinklig gegen einander stoßenden Schiffen so construirte, daß Männer und Frauen je auf eine Seite vertheilt, sich nicht sehen können, wohl aber den Geistlichen. Zur Architektur derselben hat S. in ähnlicher Weise Gothik- und Renaissancemotive gemischt verwendet, wie sein Meister Beer am Neuen Lusthause. Gelegenheit zur Verwerthung seiner italienischen Palaststudien gab ihm der Herzog in Stuttgart mit dem sogen. Neuen (Marstall-) Bau an der Südostecke des Alten Schlosses, einem prächtigen Steinbau. Er enthielt im Erdgeschoß Stallungen, in den zwei Stockwerken darüber große Säle, deren oberer mit dem dritten Stockwerk zusammen die fürstliche Rüstkammer barg. Wir kennen von diesem im J. 1757 ausgebrannten und im J. 1779 und 1782 bis zum Grunde abgetragenen Hause nur eine Beschreibung (in dem Büchlein: Kurtze Beschreibung deßjenigen was von einem Fremden in der – – Residentz-Stadt Stuttgardt – – Merckwürdiges zu sehen. [Stuttgart 1736]) und einige Abbildungen. Verständige Verbindung von deutschen und italienischen Renaissanceformen, seine, höchst lebhafte Verhältnisse und eine vornehme Zurückhaltung gegenüber den Ausschreitungen des Barock in den decorativen Theilen beweisen, daß S. nicht umsonst in Italien besonders seinen Palladio mit Eifer studirt hatte. Mit allerlei kleineren Aufträgen, namentlich auch kartographischen Arbeiten, welche S. sehr schön ausführte, nahm Herzog Friedrich den Meister so in Anspruch, daß dieser erzählt, er habe in 15 Jahren nicht über den halben Theil bei seiner Haushaltung sein können.

Als der Herzog im J. 1608 starb, schenkte sein Nachfolger, Herzog Johann Friedrich, dem Meister das gleiche Vertrauen. Er wollte durch ihn einen Palast an der Stelle des jetzigen Prinzenbaus neben der Stiftskirche, der schon von Herzog Friedrich (1601) geplant und in den Kellern fertig gestellt war, „weit schöner und größer als den Neuen Bau“ aufführen lassen; die Arbeit wurde aber wegen der schlechten Zeiten im J. 1624 wieder eingestellt. Von den übrigen Architekturaufgaben, [173] die er ihm stellte, seien genannt: der Thurm der Kirche zu Cannstatt (1609), das Badhaus zu Teinach (1617), der Entwurf zu dem schönen, von dem Stuttgarter Bildhauer G. Müller ausgeführten Marktbrunnen zu Tübingen (1617). Außerdem ließ er, wie sein Vorgänger, durch ihn Gewächshäuser und Gartenanlagen, Amts- und Pfarrhäuser, Brücken, Thore, Münzen, Mühlen, Bergwerke u. a. theils neu herstellen, theils umbauen. Ein ganzes Bündel mit Maschinenzeichnungen (auf der königl. öffentlichen Bibliothek in Stuttgart) beweist außer den erwähnten Skizzenbüchern, wie gründlich sich S. die mechanischen Kenntnisse seiner Zeit angeeignet hatte. Neben dem Landesherrn nahmen ihn die Edelleute für ihre Schlösser, die Gemeinden für Rathhaus-, Kirchen- und Schulbauten, die Bürger, zumal in Stuttgart (Keller’sches Haus [jetzt Nr. 5] auf dem Marktplatz 1613–16) häufig in Anspruch. Vielfach wurde er auch nach auswärts berufen, besonders von den Grafen von Hohenlohe, von den Reichsstädten Ulm, Eßlingen und Worms, von der vorderösterreichischen Regierung. Kaiser Rudolf II. berief ihn im J. 1604 zu einer Commission wegen der Befestigung der Stadt Ensisheim im Elsaß und wollte ihn ganz in seine Dienste ziehen; er bedankte sich aber, weil er wenig Lust hatte, sich außerhalb des Landes, „insonderheit in das Bapstum“ zu begeben. Als ihn Erzherzog Maximilian von Tirol im J. 1611 auf 6–8 Wochen gleichfalls zur Berathung in Festungsbausachen begehrte, verweigerte ihm sein Herzog den Urlaub „auß sondern bedenkhen“ d. h. wohl, aus politischen Gründen.

Der äußere Lohn für dieses arbeitsvolle Leben blieb, wie wir aus dem Inventarium ersehen, unserem Meister nicht vorenthalten. Nach allem Besitz an Häusern, liegenden Gütern, Kleinodien, Büchern und Geld, den er dort verzeichnet hat, muß er einer der wohlhabendsten Männer des damaligen Württemberg gewesen sein. Aber sein Alter reichte noch bis in die Tage, wo Glück und Wohlstand, so fest sie in langer Friedenszeit im deutschen Land gegründet schienen, überall ein jähes Ende nahmen. S. befand sich in Herrenberg, als nach der Schlacht von Nördlingen im September 1634 die Kaiserlichen und Baierischen mit Mord und Brand über Württemberg hereinstürmten und sich darin festsetzten. Der Greis wollte im Anfang December desselben Jahres eine Verwandte in seinem Hause gegen einen frechen Soldaten, der ihn selbst schon von der Straße aus mit einem durch das Fenster geworfenen Beil am Auge verwundet hatte, beschützen, wurde aber von demselben mit dem Degen durch die Brust gestoßen; er starb, nachdem er noch drei Wochen lang gelitten hatte. S. selbst hinterließ keinen Sohn. Wohl aber hat die Kunstgeschichte noch von einigen andern Mitgliedern dieser Familie zu reden. Der Großvater des Baumeisters, Heinrich S. (geb. 1464, † am 23. August 1540), war (mit seinem Vater gleichen Namens?) von Siegen in Nassau nach Herrenberg übergesiedelt, wo er das schöne Chorgestühl der Stadtkirche (im J. 1517 vollendet) schnitzte (vgl. C. Heideloff, Die Kunst des Mittelalters in Schwaben, S. 6 f.). Einer seiner Söhne, Lukas (I.), der Vater des Baumeisters (geb. 1511, † am 13. August 1558), war Schreiner in Herrenberg. Von ihm ist noch kein Werk bekannt. Ein anderer, Hans (geb. 1512, † am 17. October 1585), war Maler in Tübingen; er hat einen Theil der fürstlichen Grabsteine in der dortigen Stiftskirche bemalt (vgl. A. Wintterlin, Die Grabdenkmale Herzog Christophs von Württemberg u. s. w. in der Festschrift der königl. öffentl. Bibliothek zu Stuttgart zur 4. Säcular-Feier der Eberhard-Karls Universität zu Tübingen 1877, S. 22, Anm. 4). Ein Sohn dieses Hans kann gewesen sein der im Tübinger Todtenbuch unterm 20. Novbr. 1610 eingetragene „Apelles Schickart Pictor“, welcher aber in den Stammbäumen der Familie Schickhardt fehlt und bis jetzt noch mit keinem Werke nachgewiesen ist. Ein Sohn von Lukas (I.) war [174] auch Lukas (II.), (geb. 1560, † am 7. September 1602), welcher, wie oben erwähnt, mit seinem Bruder Heinrich den Neckar vermaß und nach dem Berichte seines Enkels Friedrich S. vom J. 1675 in die Kirche zu Herrenberg „die noch darin stehenden Bilder“ geschnitzelt hat. Ein Sohn von Lukas (II.), der Orientalist und Mathematiker Wilhelm S. (s. u.), war gleichfalls künstlerisch begabt. Er malte seinem Großvater mütterlicher Seite, dem Pfarrer Gmelin in Gärtringen ein (jetzt nicht mehr vorhandenes?) Epitaphium für die dortige Kirche und übte auch die Kunst des Holzschneiders und Kupferstechers. Wir kennen von ihm eine emblematische Darstellung des Namens Eberhart auf einem lateinischen Gelegenheitsgedicht zur Inscription des württembergischen Prinzen, späteren Herzogs, Eberhard III. vom J. 1627. Soviel uns bekannt ist, ruhte seitdem der künstlerische Genius der Familie, um erst in neuester Zeit mit einem jungen Landschaftsmaler, Karl S., wieder aufzuwachen. Ein Bildniß des Baumeisters können wir nicht namhaft machen.

Vgl. Eberh. v. Gemmingen, Heinrich Schickard’s, Baum. v. Herrenberg, Lebensbeschreibung. Tübingen 1821. – W. Lübke, Gesch. d. Renaissance in Deutschland (2. Aufl.), Abth. 1, S. 356 u. ö. – A. Klemm, Württemb. Baumeister und Bildhauer bis ums J. 1750 in Württb. Vierteljahrshefte f. Landesgesch. Jg. V. 1882, S. 143 f.