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ADB:Schleyermacher, Daniel

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Artikel „Schleyermacher, Daniel“ von Carl Krafft in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 478–481, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schleyermacher,_Daniel&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 09:01 Uhr UTC)
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Schleyermacher: Daniel S., Pastor zu Elberfeld und Ronsdorf, Mitstifter der Secte der Zioniten in Ronsdorf, Großvater des berühmten Theologen Friedrich Daniel Schleiermacher. Daniel S. wurde im J. 1697 zu Gemünd in Oberhessen geboren, sein Vater Heinrich S., wahrscheinlich Landwirth, war 1667 geboren. Er studirte in Hamburg, Bremen und Franeker, zog „wegen seiner Fähigkeiten, glatter Zunge und durchdringenden Verstand“ die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich, zu denen auch der ausgezeichnete Theologe Friedrich Adolf Lampe zu Bremen gehörte, der über seinen Schüler das weissagende Wort schrieb: „Was Schleyermacher betrifft, so scheint er mir etwas Fanatisches in sich zu tragen“. Im J. 1721 wurde er Hofprediger bei dem Fürsten Victor Amadeus Adolf zu Schaumburg, zu Nassau a. d. Lahn, bei dem er aber, weil er ihm einmal die Wahrheit zu scharf gesagt, in Ungnade fiel, und nach zweijähriger Thätigkeit entlassen wurde. Durch besondere Empfehlung gelang es ihm aber, als Pastor an die kleine und dürftige Gemeinde zu Oberkassel bei Bonn (dem Geburtsorte des Dichters Gottfried Kinkel) gewählt zu werden. Infolge seines Rufes als Kanzelredner wurde er 1729 an die größte und angesehenste reformirte Gemeinde, im Herzogthum Berg, nach Elberfeld gewählt. Schon im Reformationszeitalter hatte diese Stadt trotz der katholischen Obrigkeit, unter der sie stand, das reformirte Bekenntniß angenommen, hatte, begünstigt durch landesherrliche Privilegien, alle Nachbarstädte, selbst die Residenzstadt Düsseldorf überflügelt. Auch der verheerende Brand, welcher 1687 die ganze Stadt in Asche legte, hatte nur neue Thatkraft geweckt, so daß die Stadt zu bedeutendem Wohlstand gekommen, wobei der Kaufmannsstand, nach Goethe’s richtiger Charakterisirung Elberfelds, bei Erwerbung irdischer Güter die himmlischen nicht außer Acht ließ. Die geistigen Interessen bewegten sich damals beinahe ausschließlich um Kirche und Predigt und häuslichen Gottesdienst. Von Politik war die thatkräftige Bevölkerung der [479] Stadt ausgeschlossen, da der katholische Staat keine evangelischen Beamten anstellte. Eine weltliche deutsche Litteratur gab es noch nicht. Der gelehrte Stand war eigentlich blos durch Prediger und durch Lehrer der Lateinschule, welche Predigtamtscandidaten waren, repräsentirt. In dem Bürgerstande bestanden, als S. im J. 1730 sein Amt in Elberfeld antrat, in religiöser Hinsicht zwei verschiedene Richtungen. Die orthodox-reformirte (denn die lutherische Gemeinde war erst kurz zuvor aus Eingewanderten entstanden) bewegte sich in den Traditionen des 17. Jahrhunderts, ihr stand eine nicht unbedeutende Zahl von Bürgern gegenüber, welche von einer durch ganz Deutschland damals gehenden Erweckung ergriffen, außer der kirchlichen Erbauung eine innigere religiöse Gemeinschaft suchten. Eine fromme Engländerin Leade hatte über die Schranken der Confessionen hinaus eine religiöse Gemeinschaft unter dem Namen „Philadelphische Gesellschaft“ gestiftet, und in Deutschland war man in höheren und niederen Ständen eifrig nachgefolgt. Die Zinzendorfisch-Herrnhutische Gemeinde nannte sich selbst ebenfalls eine philadelphische. In Elberfeld war diese Richtung durch außerordentliche Erweckungsprediger w. z. B. den gewaltigen Redner Hochmann v. Hochenau, gefördert worden, war aber bereits in schwärmerische und excentrische Bahnen geleitet worden, als S. sein Amt antrat. Anfangs scheint er sich von eigentlicher Schwärmerei frei gehalten zu haben; sein Ansehen stieg, so daß er auch von der Bergischen Synode zu ihrem Assessor und bald darauf zum Präses (1732 und 1733) gewählt wurde. Während ihm aber die Bergische reformirte Kirche den Ehren- und Vertrauensposten ihres Präsidiums übergab, war bei S. schon ein Verhältniß eingetreten, welches mit seiner Stellung im Widerspruche war und welches für seine Zukunft verhängnißvoll geworden ist. Er war nämlich einem „Philadelphischen Geheimbunde“, dessen Geheimniß mit gegebener eidlicher Zusage bewahrt werden mußte, beigetreten und bereits am 11. September 1732 unter dem biblischen Namen Jedidja (des Herrn Geliebter nach 2. Sam. 12, 25) aufgenommen worden. Er hatte diesen Schritt erst nach längerem Bedenken und erst in einer Krankheit gethan, nachdem ihm von einem auswärtigen Prediger, der ebenfalls dem Bunde beigetreten, mit biblisch-prophetischen Drohungen zugesetzt war. Mit diesem schwärmerisch-apokalyptischen Bunde (der übpigens an anderen Orten Deutschlands Vorgänger gehabt hatte) hatte es folgende Bewandtniß: Ein aus Ronsdorf – eine Stunde von Elberfeld, damals aus einigen Bauernhöfen bestehender Ort – gebürtiger junger Mann, Elias Eller, war in Elberfeld Fabrikmeister in einer Floretfabrik einer Wittwe geworden, die ihn später zur Ehe nahm, obwohl sie viel älter war. Der arm nach Elberfeld gekommene aber begabte Jüngling war damit in die Stellung eines angesehenen Kaufherrn heraufgerückt, und andererseits gewann er durch seine phantasiereichen Auslegungen der Schrift in Erbauungsstunden eine geistliche Autorität unter seinen Gesinnungsgenossen. Diese Richtung stieg auf eine bedenklich schwärmerische Höhe, als eine Bäckerstochter von Elberfeld, Anna v. Büchel, hervorragend durch leibliche Schönheit und geistliche Gaben, in das Haus Eller’s eintrat. Sie empfand gewisse körperliche Bewegungen, in welchen eine Verzückung erfolgte, mit visionären Einsprachen, die als göttliche Offenbarungen betrachtet wurden. S. hat später, als er von der Secte zurückgetreten war, diese prophetischen Aussprüche der Anna v. Büchel, welche die zweite Frau des Elias Eller geworden war, in der Weise geschildert, daß sie vorgegeben habe, aus der geheimnißvollen Ehe mit Eller solle das Knäblein geboren werden, welches nach der Offenbarung Johannes alle Heiden mit dem eisernen Scepter weiden werde, sie selbst sei das apocalyptische Weib mit der Sonne bekleidet u. s. w. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß S. jahrelang in dieses chiliastische, sectirerische Treiben, welches er später in seiner Apologie als Gotteslästerung bezeichnete, tief verflochten [480] gewesen ist. Die ganze Sache hätte nicht einen so bedeutenden Anhang und Umfang finden können, wenn S. nicht dem Elias Eller und seiner Gattin als Theologe zur Seite gestanden hätte. In seiner späteren Rechtfertigungsschrift hat S. sein intimes Verhältniß zu dem Eller’schen Ehepaare verschleiert. Die Theilnahme an der geheimen Gesellschaft nahm übrigens nicht bloß in Elberfeld, sondern auch an anderen Orten durch Beitritt angesehener Kaufleute und begabter Prediger dermaßen zu, daß bei Eller der Plan entstand, Elberfeld, wo doch immer mit Vorsicht und Zurückhalt aufgetreten werden mußte, zu verlassen und auf den Bauernhöfen seiner Heimath, eine Stunde von Elberfeld gelegen, eine eigene Stadt zu gründen, ein Plan, der auch die finanzielle Begabung des Sectenstifters zeigt, denn es war eine gewinnbringende Speculation, eine Anzahl begüterter Familien in die neu zu gründende Gottesstadt aufzunehmen. Sowohl die pfälzische Regierung wie auch Friedrich der Große wurden für den Plan gewonnen. Nachdem zunächst die Erlaubniß zu einer selbständigen neuen kirchlichen Gemeinde erlangt war, wurde S. im J. 1741 der Pastor derselben, nachdem er von seiner Gemeinde zu Elberfeld und von seinen kirchlichen Vorgesetzten mit ehrenden Zeugnissen entlassen war. Bei fortwährender Zunahme der Gemeinde erhielt dieselbe im J. 1745 die Stadtgerechtigkeit; Eller wurde selbstredend Bürgermeister mit richterlichen Befugnissen, sodaß er, ähnlich wie Zinzendorf zu Herrnhut, Inhaber der weltlichen und geistlichen Gewalt war. Es scheinen aber in den folgenden Jahren dem S. die Augen aufgegangen zu sein und fand es Eller für nöthig, ihm einen zweiten Prediger, den durch rednerische und dichterische Gaben hervorragenden Pastor Wülfing von Solingen an die Seite zu setzen. Da aber der größere Theil der Gemeinde an S. hing, so wurde er von Eller als Hexenmeister, Gotteslästerer und Majestätsverbrecher angeklagt und in eine Criminaluntersuchung verwickelt, in deren Verlauf am 24. April 1750 ein Commando von 160 Mann Soldaten nach Elberfeld, wohin sich S. hatte zurückziehen müssen, abgesandt wurde, um ihn zu arretiren. Bei der Schwere der Beschuldigungen, die man bei der pfälzischen Regierung gegen S. angebracht hatte, und bei dem Bestechungssystem, welches damals sowohl in Mannheim wie in Berlin möglich war, erschien die Lage Schleyermacher’s als eine höchst gefährliche, weshalb er nach Arnheim in Holland zu seiner dort verheiratheten Schwester entfloh. In demselben Jahre gab er daselbst seine Vertheidigungsschrift heraus, worin er am Schlusse sagt: „Ich lebe als ein armer Flüchtling in der Welt, verstoßen aus meinem Amt, ich habe Haus und Hof müssen verlassen, mein Hab’ und Gut ist meinen Feinden zum Raub geworden, und Fremde sättigen sich von meinem Vermögen, ich muß in meinen alten Tagen aus meinem Vaterland fliehen und mich mit Thränen scheiden von Freunden und Verwandten, von Weib und Kindern; ich bin voll von Schmerzen und finde kaum eine bleibende Stätte; täglich schmähen mich meine Feinde, sie stellen meinem Gang Netze und drücken meine Seele nieder“. In tiefer Reue über seine Verirrungen soll S. sogar Kirchenbuße gethan haben; sein Gegner Eller starb übrigens schon im J. 1750 an der Wassersucht. Ein großer Theil der Ronsdorfer Gemeinde blieb ihrem ehemaligen Seelsorger auch in seinem Exile gewogen und wollte ihn sogar noch im J. 1765 wieder zu ihrem Prediger berufen, er scheint aber bald darauf gestorben zu sein. Ueber das Jahr seines Todes und überhaupt über seinen Ausgang fehlen uns die Nachrichten. Sein Sohn Gottlieb, der Vater des berühmten Theologen, kommt mehrfach in den Ronsdorfer Acten vor, wir finden ihn im J. 1741 als Theologiestudirenden in der Matrikel der Duisburger Universität, später kam er als reformirter Feldprediger nach Breslau, wo ihm im J. 1768 der Sohn Friedrich Daniel geboren wurde (der zweite Vorname sollte an seinen Großvater erinnern). Der Letztere hat bei einer Ferienreise an den Rhein im Hause [481] seines Schwagers E. M. Arndt die merkwürdige Aeußerung gethan: Ronsdorf spukt noch immer in mir. Es ist hier nicht der Ort, um aus den Schriften Schleiermacher’s, namentlich aus der ersten Ausgabe der Reden über die Religion gewisse Anklänge an das Ronsdorfer Ideal des neuen Jerusalems hervorzuheben.

Aus der großen Zahl von gedruckten und handschriftlichen Nachrichten heben wir hervor: Apologie und kurzbündige Deduction von Dan. Schleyermacher, Ev. Ref. Prediger und Diener des göttl. Worts zuletzt in der Gemeinde zu Ronsdorf im Herzogth. Berg, dienende zu einer gründlichen vertheidigung Seiner Person u. s. w. gegen die schnöden Lästerungen einer Ertzketzerischen Rotte, die ihn bis auf’s Blut verfolget. Arnheim 1750. 4°. – (Handschriftlich im Archiv zu Coblenz von Schleyermacher’s Hand): Index obsignatorum (Verzeichniß der ältesten Glieder der Eller’schen Societät). – (Für Schleyermacher gegen Eller’s Beschuldigungen) Responsum der theolog. Facultät zu Herborn vom 20. Nov. 1750, ob es mit der gesunden Vernunft und dem göttlichen Wort einstimmig sei, daß Menschen durch Mittel von Zauberei sich in der Gestalt von Ziegenböcken, Schlangen u. s. w. sehen lassen und Andern Schaden zufügen können (!!) – Krug, kritische Geschichte der protest. religiösen Schwärmerei im Herzogth. Berg. Elberfeld 1851. – Stosch, später Prof. in Duisburg und Frankfurt a. d. O., Reisebericht von 1740–42 in der Zeitschr. des Berg. Gesch.-Vereins, Bd. XV, 1879. – Göbel, Gesch. des christlichen Lebens in der rheinisch-westfälischen Kirche, 3. Bd. 1860.