ADB:Schmidlin, Christoph Friedrich

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Artikel „Schmidlin, Christoph Friedrich“ von Julius Hartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 86–89, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmidlin,_Christoph_Friedrich&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 05:09 Uhr UTC)
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Schmidlin: Christoph Friedrich Sch., 1780–1830. Württemberg hat im 19. Jahrhundert keinen verdienteren, mehr geliebten Staatsmann gehabt, als den bei seinem frühen Heimgang tief betrauerten Minister des [87] Innern, zugleich des Kirchen- und Schulwesens, Friedrich Schmidlin. Geboren zu Stuttgart am 25. August 1780 als Sproß einer altwürttembergischen Theologen- und Beamtenfamilie, Sohn des Gymnasialrectors Johann Christoph Sch., begann der Sechzehnjährige nach dem Wunsche der Mutter im Tübinger Stift das theologische Studium, vertauschte es aber nach 11/2 Jahren aus einem für die Zeit bezeichnenden Anlaß. Die Stiftler gaben durch die „Primi“ der „Promotionen“ einem unliebsamen Repetenten ihr Mißfallen kund, wofür die Abgesandten von der Oberbehörde je um eine Altersklasse zurückgesetzt wurden. Ergrimmt über solche Härte stellte der Vater Schmidlin’s dem Sohne frei, auszutreten, und dieser erhielt, wie er selbst schreibt, „sichtbar ungern“ die Entlassung. Im Herbst 1801 vollendete er sein Studium der Rechtswissenschaft mit dem Zeugniß vorzüglicher Kenntnisse und Aufnahme unter die Kanzleiadvocaten, d. h. die zur Proceßführung bei der „Kanzlei“, der obersten Landesbehörde, ermächtigten Anwälte. Um der mittlerweile Wittwe gewordenen Mutter aus den Kosten zu kommen, übernahm Sch. zunächst für einen krank gewordenen Freund die Stelle eines Hofmeisters bei drei jungen Metzler aus Frankfurt, die in Stuttgart im Hause der Erbin der Metzler’schen Buchhandlung, Frau Enslin, und ihres zweiten Gatten, Dr. Erhard, sich aufhielten. Nach diesem einjährigen Privatdienste, während dessen er in der schönen, reich begabten Tochter des Hauses, Caroline Enslin, die künftige Gattin kennen lernte, sah er sich ohne sein Zuthun auf die Liste der „Hofcommissarien“ gesetzt, welche die neuen durch den Pariser Frieden erworbenen Landestheile für den Herzog zu übernehmen hatten. Sch. vollzog diesen Auftrag von Ende November ab in dem Reichsstädtchen Weil zu allseitiger Befriedigung und wurde im Februar 1803, 221/2 Jahre alt, zum Oberamtmann in dem eben säcularisirten Kloster Schönthal an der Jagst ernannt. Die sieben Jahre, die er in diesem stillen Erdenwinkel an der Seite einer vortrefflichen Frau, Vater einer fröhlich gedeihenden Kinderschar, zubrachte, pries er lebenslang, obwohl der Verleumdungen zugängliche König Friedrich ihm wiederholt sich ungnädig zeigte, als eine gute Schule, die ihn mit der allmählichen Zunahme des Bezirks von 3000 auf 20 000 Einwohner in alle Verwaltungs- und Gerichtsgeschäfte einführte. Als ein Staatsvertrag mit Baiern und Baden 1810 die Auflösung des Oberamtsbezirks in Aussicht stellte, wurde Sch. mitten im Winter nach Freudenstadt versetzt. Auch dort entschädigte ihn für die anhaltende Ungunst des Gebieters die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten und Anhänglichkeit der Bevölkerung, und ebenso in Urach, wohin er 1814 geschickt wurde. Hier zeigte endlich auch König Friedrich dem Oberamtmann sich mehr gewogen; aber eine im Juli 1816 ihm angetragene Regierungsrathsstelle glaubte er als vermögensloser Vater von neun Kindern wegen des ungenügenden Gehaltes ausschlagen zu müssen und auch die ihm bald nach dem Regierungsantritt König Wilhelm’s förmlich übertragene Stelle eines Oberregierungsraths bei der Section der innern Verwaltung nicht antreten zu können. Aber von da an war, hauptsächlich durch den vielgeltenden Staatsrath v. Maucler, der Landesherr für den treuen, hervorragend tüchtigen Diener eingenommen und versicherte sich nun fortlaufend seiner Mitwirkung in dem großen Werk der Neueinrichtung des ganzen Staatswesens. Sch. hatte sich über diese freimüthig in einer Druckschrift und einer Namens der Uracher Amtskörperschaft verfaßten Eingabe an die Ständeversammlung ausgesprochen. Jetzt wurde er, Februar 1818, veranlaßt, über das von dem Präsidenten v. Malchus (siehe A. D. B. XX, 132 ff.) aufgestellte Programm einer neuen Aemterorganisation, mit Trennung von Justiz und Verwaltung, sich gutachtlich zu äußern, worauf man im März ihn einberief, sich mit dem Oberregierungsrath, späteren Staatsrath [88] Fischer über einen Organisationsentwurf zu verständigen. Im Juni wurde er Mitglied der kgl. Organisationscommission unter Maucler und in dieser Mitschöpfer der drei Edicte vom 31. December 1818, welche das hernach unter Schmidlin’s Departementsleitung ergehende, für das ganze Jahrhundert und länger geltende Verwaltungsedict von 1822 zusammenfaßt. Im November 1818 übernahm er dann die ihm längst übertragene Oberregierungsrathsstelle in Stuttgart, lebte sich, neben seiner Thätigkeit in der Organisationsvollziehungscommission, rasch in die ihm bis dahin fremde Behandlung der Kanzleiarbeiten ein, wurde im Sommer 1819 Regierungscommissär bei der in Ludwigsburg tagenden constituirenden Ständeversammlung, die unter dem Druck der politischen Zeitlage die längst umstrittene Landesverfassung rasch zu Stande brachte. Im ersten Landtage nach der neuen Ordnung, 1820, zeigt Sch. als Mitglied der gemeinschaftlichen Regierungs- und Ständischen Commission zur Prüfung der Organisationsedicte ein neues Talent: die Gabe des durch ein prächtiges Organ unterstützten freien, dabei warmen Vortrags, womit er als außerordentliches Mitglied des Geheimen Raths im Januar 1821 die Edicte vor den Ständen glänzend vertrat. Im April zum Staatsrath ernannt, wurde er, als Minister Otto dem Freiherrn v. d. Lühe im Geheimen Raths-Präsidium folgte, am 29. Juni mit der provisorischen Verwaltung des Departements des Innern, zugleich des Kirchen- und Schulwesens, betraut. Es geschah fast zu seinem Schrecken, denn fern jeder Streberei mißtraute er seiner Befähigung, und bereits hatte seine Gesundheit einen Stoß erlitten. Aber noch wuchs, wie er es bisher stets erfahren, mit der Aufgabe die Kraft, und neun Jahre hat er, seit Juni 1823 mit der Besoldung der wirklichen Geheimeräthe, seit dem 27. September 1824 wirklicher Geheimerath mit beträchtlicher Zulage, endlich seit 1. Juli 1827 als Minister – König Wilhelm I. war sparsam mit der Zutheilung der höchsten Würden – die beiden Departements mustergültig geleitet, mit voller Hingebung an die großen und kleinen Aufgaben, überall mit eigenen Augen sehend, mit jedem Geschäftszweige vertraut, die in der jungen Verfassung liegenden Keime in stetigem Fortschreiten zu fruchtbarer Entwicklung bringend, in Treue und Offenheit gegen seinen König, unwandelbarer Liebe zum Volk. Es war schwierige Zeit, das Verhältniß der liberalen Regierung zum Metternich-Bundestag ein vielfach getrübtes, das geplante Neue, wie theilweise das bereits ins Leben getretene, im Volk und bei der Volksvertretung auf manchen Widerspruch stoßend, der Staatshaushalt das ganze Jahrzehnt durch ein die neue Staatsverwaltung vielfach erschwerender. Aber zielbewußt, des Vertrauens seines Fürsten, des Ministerpräsidenten Maucler und der Stände nach jeder Trübung immer wieder sicher, führte der Minister seine Reformen durch; hier seien nur genannt das neue Bürgerrechtsgesetz, die den Zunftzwang aufhebende Gewerbeordnung, zwei die Lehrer und den Haushalt der Universität betreffende Gesetze, das besonders schwer durchzubringende Judengesetz, die einheitliche Regelung des katholischen Kirchenwesens in dem Lande, das erst vor kurzem aus einem ganz protestantischen ein zu 1/2 katholisches geworden war. Viel Unlust brachten dem schon länger kränkelnden Mann, der seine Tage gezählt wußte, die Verhandlungen über seinen liberalen Entwurf einer zeitgemäßen Verfassung der Landeshochschule, deren Niederhaltung von Bundeswegen er schmerzlich empfand. Mit Widerstreben fügte sich Sch. der Maucler’schen Octroirung einer bureaukratisch-polizeilichen Ordnung, deren baldige Zurücknahme vor dem Ansturm der Mehrheit des Senats und der Stände er nicht mehr erleben sollte. Ein schweres Magenleiden zwang den „schaffigen“, wie seine Frau ihn von jeher genannt, öfters auszusetzen, während die nach Süddeutschland eindringenden [89] Wirkungen der Julirevolution nach seiner Ansicht verlangten, daß der Mann auf seinem Platze sei. Der König bewies ihm fortwährend, trotz der Differenz in der Universitätsfrage, nicht bloß volles Vertrauen, sondern auch herzliche Theilnahme, und war mit den Besten seiner Räthe und seines Volkes schmerzlich betroffen, als nach Weihnachten 1830 die Kunde kam, der Treue, Vielverdiente sei nach einem Krankenlager von sieben Wochen am 28. December aus „einem Leben voll Sorgen und Mühen“, welche Worte er selbst für seine Grabschrift wählte, zur Ruhe eingegangen.

Mit der seit Jahren gleichfalls in ihrer Kraft gebrochenen Gattin, die schon nach 11/2 Jahren ihm in die Ewigkeit nachfolgte, erbten neben zwei Töchtern sieben Söhne den Segen des Gerechten: Eduard, 1803–1869, zuletzt Consistorialpräsident; Karl, 1804–1847, zuletzt Pfarrer in Wangen bei Göppingen, als liebenswürdiger Dichter noch heute geschätzt; Franz, 1806–1875, zuletzt Pfarrer in Uhlbach bei Cannstatt; Adolf, 1808–1875, zuletzt Oberregierungsrath; Julius, 1811–1881, zuletzt Regierungsdirector in Ellwangen; Otto, 1815–1845, Pfarrer in Bürg bei Neuenstadt am Kocher; Albert, 1816–1870, Oberzollinspector in Mannheim.

Was Julius Schmidlin in einer vortrefflichen handschriftlichen Biographie des Vaters aus dessen Aufzeichnungen und Briefen mittheilt, zeigt uns einen Ehrenmann von seltener Harmonie der besten deutschen Eigenschaften: hochgebildet und tiefen Gemüths, würdevoll und anspruchslos bescheiden, vorurtheilsfrei und wahrhaft fromm, geschaffen für öffentliches Wirken an hervorragender Stelle, doch am glücklichsten im schlichtbürgerlichen Familienkreis. Eingehende Aufschriebe, welche die nächsten Angehörigen gleich nach seinem Tode gemacht, führen uns an das Leidens- und Sterbelager eines Weisen, der in Seelenstärke, Gottvertrauen und Liebe zu den Seinen sich bewährt bis ans Ende. – Auch der Nekrolog des „Schwäbischen Merkurs“ vom 15. und 16. Januar 1831 preist in gleich warmen Worten den Staatsmann und den Menschen Friedrich Schmidlin.