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ADB:Schneckenburger, Matthias

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Artikel „Schneckenburger, Mathias“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 86–88, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schneckenburger,_Matthias&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 16:36 Uhr UTC)
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Schneckenburger: Mathias S. (1804–1848). S. wurde am 17. Jan. 1804 zu Thalheim bei Tuttlingen in Württemberg geboren und war ein Sohn des Tobias S., eines tüchtigen Landwirths und Kaufmanns. Den entscheidenden erzieherischen Einfluß übte aber weit mehr die Mutter aus, und mit ihr der mütterliche Großvater, der fromme Seidenfabrikant Haug, der, im Hause wohnend, sich viel mit dem hoffnungsvollen Enkel beschäftigte und Lust und Trieb zum geistlichen Beruf in ihm weckte. Die vorzügliche Begabung des Knaben und das reiche innere Leben zeigte sich nicht allein in seinen trefflichen Leistungen in der Lateinschule zu Tuttlingen, sondern auch in poetischen Versuchen, in geistlichen und weltlichen Liedern. Im 15. Jahre wurde er nach wohl bestandenem „Landexamen“ in das untere theologische Seminar in Urach aufgenommen, vier Jahre später stieg er in die höhere Studienanstalt zu Tübingen, und erst 20 Jahre alt erhielt er 1824 als der erste unter 38 Mitstrebenden die Magisterwürde, nachdem er mit selbständigen Arbeiten alle drei von der theologischen Facultät ausgesetzten Preise sich errungen hatte. Bengel, Steudel, später Kern und Baur waren hier seine Lehrer. Er verließ Tübingen 1826, um in Berlin seine Studien fortzusetzen, wo die Namen eines Schleiermacher, Neander, Hegel, Marheineke glänzten. Von ihnen allen nahm der frühe selbständig denkende Geist reiche Anregung, von keinem die allein entscheidende Richtung an. Schon 1827 kehrte er nach Tübingen zurück und wurde hier Repetent. Nachdem er einige Zeit als Vicar in Tuttlingen gewirkt, erhielt er 1831 die Stelle eines Helfers zu Herrenberg, wo er auch, später Pfarrer geworden, sich verheirathete. Schon 1826 durch seine Erstlingsschrift „Ueber Glauben, Tradition und Kirche“, besonders aber durch die wissenschaftlich hervorragende, 1828 erschienene Arbeit „Ueber das Alter der Proselytentaufe“, hatte er die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gezogen. Mit eben so viel Scharfsinn als gewissenhafter Gründlichkeit untersuchte er hier die ähnlichen Reinigungsgebräuche bei Persern, Aegyptern, Griechen und Israeliten, um sowol die Verwandtschaft, als auch die Verschiedenheit der christlichen Taufe von diesen Riten nachzuweisen. 1829 und 1830 folgten seine Aufsätze in der Tübinger theologischen Zeitschrift „Ueber Jacobus, den ersten Vorsteher der Gemeinde in Jerusalem“, und „Ueber den behaupteten Widerspruch zwischen Paulus und Jakobus“; 1832 seine lateinisch geschriebene Schrift: „Annotatio ad epistolam Jacobi perpetua cum brevi tractatione isagogica“, und im nämlichen Jahre seine zusammenfassenden „Beiträge zur Einleitung ins Neue Testament und zur Erklärung einiger schwieriger Stellen“. Nicht geringes Aufsehen erregten dann seine „Zweifel an dem apostolischen Ursprung des Evangeliums Matthäi“, in welchen er sich unumwunden als Anhänger einer zwar ernsten und vorsichtigen, aber von jeder kirchlichen Beschränkung freien historischen Forschung zu erkennen gab. Als nun 1834 die Regierung des Kantons Bern sich zur Errichtung einer eigenen Universität entschloß, glaubte sie in S. den richtigen Mann für ein theologisches Lehramt zu finden. Schon vor der Eröffnung der neuen Anstalt wurde derselbe nach Bern berufen und im Sommer 1834 begann er seine Thätigkeit mit Vorlesungen über die Apostelgeschichte, während er gleichzeitig in seiner Abhandlung über „Das Evangelium der Aegypter“ ein neues Zeugniß von seiner wissenschaftlichen Arbeitskraft gab. In Bern hatte der noch junge Gelehrte das Fach der Kirchengeschichte und der Dogmatik mit einander zu vertreten, und sah sich nun sowol durch diese Verbindung, als auch durch seine Versetzung in ein reformirtes Land [87] von selbst vornehmlich zum immer tiefern Eindringen in Dogmengeschichte und vergleichende Dogmatik hingezogen. Die Feinheit seiner Beobachtungsgabe, die Schärfe seiner Kritik, das umfassende historische Wissen und sein tiefes positives Gemüthsinteresse an der Religion und allen religiösen Erscheinungen, kamen auf diesem Felde gleichmäßig zu ihrem Rechte und machten ihn zu einem äußerst anregenden Lehrer. Er las über Apologetik, Religionsphilosophie, kirchliche Statistik, über den Einfluß der neuen Philosophie auf die Theologie, über die Collisionen der modernen Speculation mit dem Christenthum u. s. w., niemals den freien, ja vorwiegend skeptisch gerichteten Forscher, aber auch nie den Standpunkt des Theismus verläugnend. Mit besonderer Vorliebe trug er, frühere Beschäftigung wieder aufnehmend, seine „Neutestamentliche Zeitgeschichte“ vor, ein Gegenstand, den er zuerst als eigenes Fach in den Kreis der theologischen Wissenschaften eingeführt hat. Im J. 1841 veröffentlichte er die Schrift „Ueber den Zweck der Apostelgeschichte“ (Bern) und mit Eifer arbeitete er an einem größeren Werke, welches in zwei Bänden eine comparative Dogmatik der lutherischen und der reformirten Kirche bringen sollte, und keine Mühe scheute er, um zu diesem Zwecke nicht bloß die alten Lehrbücher der beiden Bekenntnisse, sondern auch Katechismen, Gebets- und Andachtsbücher kennen zu lernen. Vorarbeiten dazu waren einige Aufsätze in Zeller’s Theologischen Jahrbüchern, unter denen namentlich derjenige über „Die orthodoxe Lehre vom doppelten Stande Christi nach lutherischer und reformirter Fassung“ ein ungewöhnlich feines Verständniß für die psychologischen Probleme des Glaubens beweist. S. war einer der fleißigsten Mitarbeiter an A. Rheinwald’s „Allgemeinem Repertorium für die theologische Litteratur“, und eben hatte er noch die Redaction einer großen theologischen Realencyclopädie übernommen, als am 13. Juni 1848 ein plötzlicher Tod, die Folge eines wohl durch allzu große Arbeit gesteigerten Herzleidens, den erst im 44. Lebensjahre stehenden hinwegraffte.

S. war ein Theologe von seltener Vielseitigkeit, betrachtete aber, bei vollster Unabhängigkeit des Denkens und Forschens, wie einer seiner Collegen am Grabe bezeugte, „nicht die Wissenschaft an sich, sondern diese nur in ihrer Beziehung aufs Praktische als den höchsten Zweck der Theologie, und stellte darum seine Gelehrsamkeit überall, wo sich dafür Gelegenheit bot, in den Dienst des kirchlichen Lebens, in amtlichen Behörden, wie in religiösen Vereinen. Er war Mitglied der Berner „Generalsynode“ und der „Evangelischen Kirchencommission“ des Kantons, saß aber auch im Vorstand des „Missionsvereins“ und war einer der Mitbegründer des „Protestantisch-kirchlichen Hülfsvereins“ für zerstreute Glaubensgenossen, wie er denn auch, der Sitte des Landes folgend, öfters als Prediger auftrat mit Leistungen, welche man als „Musterstücke einer praktisch gewordenen tiefen Wissenschaftlichkeit“ bezeichnet hat. Im J. 1833 wurde S. zum Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft in Leipzig ernannt; 1835 ertheilte ihm die Universität das Ehrendiplom als Doctor der Theologie; einen Ruf nach Rostock lehnte er ab, um Bern treu zu bleiben, wo er sich, mitten in einer kirchlich und politisch zerrissenen Zeit, als Lehrer und als Mensch viele Freunde und hohe Anerkennung erworben hatte. Einzigartig und durchaus selbständig, wie seine Stellung zwischen den theologischen Parteien, war auch sein persönliches Wesen, das die scheinbar entgegengesetztesten Eigenschaften in sich vereinte. Er war ein älterer Bruder des Dichters Max S., den er zur Uebersiedelung in die Schweiz veranlaßt hat. Aus Schneckenburger’s Nachlaß ist herausgegeben worden: „Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs“, edirt von Ed. Güder, 1855; „Vorlesungen über N. T. Zeitgeschichte“, herausgegeben von Löhlin, mit Vorwort von Hundeshagen, [88] Frankfurt a. M. 1862; „Vorlesungen über den Lehrbegriff der kleinern protestantischen Kirchenparteien“, herausgegeben von Hundeshagen, Frankf. 1863.

E. Gelpke, Gedächtnißrede auf M. S., gehalten bei der Leichenfeier, Bern 1848, nebst einer Grabrede von C. Wyß. – Hundeshagen in Herzog’s Theol. Realencycl. – E. Müller, Die Hochschule Bern, Festschrift. Bern 1884 (S. 34).