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ADB:Scholze, Johann Sigismund

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Artikel „Scholze, Johann Sigismund“ von Reinhard Kade in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 231–233, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scholze,_Johann_Sigismund&oldid=- (Version vom 29. November 2024, 21:33 Uhr UTC)
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Scholze: Johann Sigismund S. (Sperontes). Seit der grundlegenden Arbeit über Sperontes von Professor Spitta in der Vierteljahrschrift für Musikwissenschaft I, 35 fg. 1885 sind wir über den bislang unbekannten Dichter „Sperontes“ völlig aufgeklärt. Wir wußten bis vor kurzem nur den Titel seiner Liedersammlung, die 1736 zuerst im Buchhandel zu Leipzig erschien. Er lautete: „Sperontes, singende Muse an der Pleisse in zweimahl 50 Oden, der neuesten und besten musikalischen Stücke mit den dazu gehörigen Melodien zu beliebter Klavierübung und Gemüthsergötzung. Nebst einem Anhang aus J. C. Günthers Gedichten. Leipzig. Auf Kosten der lustigen Gesellschaft 1736.“ Das aufs sauberste in Kupfer gestochene Titelblatt ist reich mit Amoretten, Schwänen und Tauben ausgestattet. Vor dem Titel ist ein von Richter entworfener, von C. F. Boetius radirter Kupferstich eingeheftet, ein Stück der äußern Stadt Leipzig darstellend, im Hintergrund Pleißenburg, Thomaskirche, Promenade, links das Schellhafersche Haus (Hôtel de Saxe), in dem schon in frühen Zeiten die Musikübungen der lustigen Gesellschaft unter Görner’s Leitung abgehalten wurden. Das Buch besteht aus 12¼ Bogen hochquart und enthält 100 Gedichte und 68 Musikstücke in der 1. Auflage, die sich nur in 2 bekannten Exemplaren in Spitta’s Händen und bei Herrn Oberamtsrichter Dr. Frese in Döbeln befindet. Zu den Liedern sind zwei Systeme verwendet. Schon 1740 war die 2. Auflage nöthig geworden (kein Exemplar bekannt) und 1741 erschien die dritte, von der es verhältnißmäßig mehrere Exemplare gibt. 1747 die 4. Auflage. – An diese erste Reihe von 100 Liedern schloß sich mit der Zeit eine zweite, schon 1742 benöthigte sich eine solche 1. Fortsetzung, 1743 die zweite, 1745 die dritte; 1751 erschienen alle vier Theile noch einmal zusammen. Aus dem Widmungsgedicht ergab sich, daß Sperontes nicht selbst [232] der Componist der Lieder war: „seine Muse habe, sagt er, ihr heischres Rohr, dadurch sie singt und spricht, der Saiten hellen Ton mit allem Fleiß verbunden.“ Das bestätigt die Buchhändleranzeige im Leipziger Meßkataloge von 1736: „Sperontes singende Muse an der Pleiße mit 100 Oden auf die neuesten besten und bekanntesten musikalischen Stücke mit denen dazu gehörigen Melodien“. Er legte also seine Dichtungen den schon vorhandenen Gesangs- oder Clavierstücken meistentheils unter. Er war daher zunächst Dichter und damit stimmt vortrefflich, was Zachariä, der Verfasser des „Renommisten“ von ihm sagt:

Speront reimt, doch reimt er für sich.
Was thut das? Ihr seid wunderlich;
Das kann ihm ja kein Mensch verwehren.“

Dazu paßt es denn, daß Speront auch 3 Schäferspiele: „das Kätzchen“, das „Strumpfband“ und die „Kirms“ dichtete. (Exempl. bei Spitta; das zweite wurde kürzlich in einem Berliner Antiquariat für 14 Mk. angeboten.) Die Mitwelt vermuthete einen gewissen M. Lorenz Mizler hinter dem Sperontes. So das Universallexikon von Zedler 1743. Aber Mizler, der Zeitgenosse Bachs, lebte 1743 beim Grafen Malachowski in Polen und befand sich noch dort 1748; dazwischen liegen gerade die Entstehungsjahre einiger Fortsetzungen der singenden Muse.

Der Name „Sperontes“ (sperare, hoffen) ergab auch nichts näheres. Deshalb untersuchte man ihn auf seine Dichtungen hin und fand, daß seine Wiege in Schlesien gestanden haben mußte. Sprachlichen Anhalt gab vor allem das Frauenlied an den heiligen Andreas: „Hoah iechs nich lang gesoat, Daß ke Mensche noach mier froat“ (I, 66). Zu den hier begegnenden Ausdrücken, wie kruppich (= krüppelig), hisch (= hübsch), ok (= auch), gesellten sich noch Reimauffälligkeiten. In einem andern Gedicht werden die Sudeten (IV, 40) erwähnt, in einem dritten sogar der Rübezahl (III, 49). Der Dichter lebte dann offenbar in Leipzig, feiert es in einem frischen Liede: (63) „das angenehme Pleiß-Athen Behält den Ruhm vor allen“. Er kennt das Rosenthal mit seiner angenehmen „Lustallee“, in dem er „die allerangenehmsten Gänge nach selbstbeliebter Länge durchwandeln“ kann. Er war arm, hatte studirt und kämpfte mit dem Drang des Daseins trotz der ideal geringen Ansprüche. Das war alles was wir aus dem Büchlein selbst wußten. Näher auf die Spur führte ein Doppelmonogramm auf dem Titelblatt des zweiten Theiles, das ein „J. S. S.“ und somit seine Anfangsbuchstaben darstellte. In gleicher Weise unterzeichnete er sich in dem äußerst geschmackvollen Abzug der ersten Fortsetzung von 1742, die Sperontes „seinen hoch- und werthgeschätzten Gönnern und Freunden wiedmete“. (Unicum, Leipziger Universitätsbibl. Litt. germ. 272. Noten in Rothdruck.) Diese Buchstaben „J. S. S.“ passen nach allen Untersuchungen nur auf einen Schlesier, damals in Leipzig: Johann Sigismund Scholze, geboren am 20. März 1705 zu Lobendau bei Liegnitz. Er besuchte 1720 die Schule zu Liegnitz und war dort wahrscheinlich bis zu seinem Abgange auf die Universität. Er studirte unzweifelhaft in Leipzig, wenngleich es nicht urkundlich zu belegen ist, da die Leipziger Matrikel seinen Namen nicht aufweist. 1729 ist er als Studiosus in Leipzig, auch als candidatus juris tritt er auf. Er ließ sich mit der Wittwe eines Traiteurs in Halle ein und wurde auf Befehl des Consistoriums am 3. Jan. 1729 zwangsweise in Leipzig getraut. Die Kinder starben früh, die Frau selbst am 12. Februar 1738. Er starb 1750, nur ein Kind stand ihm noch zur Seite. Am 30. September erhielt er sein ärmliches Leichenbegängniß.

Wir sehen, daß sich alles aufs beste mit dem Dichter der Singenden Muse vereinigen läßt, wenn wir das eine zugeben, daß Sperontes in Leipzig gestorben sei, was allerdings nicht absolut nachgewiesen werden kann. – S. war ein ungemein [233] geschickter Reimschmied, freilich kein groß erfindender Kopf. Doch pulst frisches, ungekünsteltes Leben in seinen Gedichten und treibt ihm einmal der Wein das Blut im Kreise, so gelingt ihm auch ein kerniges Lied, so das treffliche „Burgunder her, Burgunder her, Burgunder ist mein Leben“. Auch zarte Töne gibt sein Talent wieder, wie das Liebeslied: „Liebe mich redlich und bleibe verschwiegen“ (I, 12), das eine auffallende Aehnlichkeit hat mit dem Liede „Willst du dein Herz mir schenken“ aus Anna Magdalena Bach’s Klavierbuch. – Die wirkliche Bedeutung des Büchleins liegt darin, daß es eines der wenigen ist, das uns in seinen vier Theilen eine Reihe von ungefähr 248 kleinen Musikstücken aufbewahrt hat, die zu ihrer Zeit das Entzücken aller hausmusiktreibenden Kreise hervorriefen. Insofern bildet die „singende Muse“ den Hauptmittelpunkt solcher Kleinliederkunst. Hier freilich steigt die Schwierigkeit um das doppelte, nachzuweisen, wo S. die Melodien gesammelt und woher er sie entnommen hat. Bei einigen hat Spitta die französische Herkunft ergründet, bei einigen die Gräfeschen Oden (1737 vgl. A. D. B. IX, 557) als Quelle festgestellt. Aber hier bleibt der Forschung noch ein reiches Feld übrig, ebenso für die andere Frage: welche Verbreitung und allmähliche Umwandlung haben einzelne der Lieder des Sperontes im Laufe der Zeit erfahren? Daß manche in das Volks-Lustspiel des 18. Jahrhunderts eingedrungen sind, wissen wir jetzt. – Es bleibt die Singende Muse in der gesammten Liedlitteratur des 18. Jahrhunderts eine dem Forscher wie dem Künstler wohlthuende Erscheinung.