ADB:Schroth, Johann
Prießnitz (vgl. Pagel in der A. D. B. XXVI, 589) die Schule zu Freiwaldau und lernte lesen, schreiben und rechnen. Da sein Vater früh gestorben, übernahm er bald die Leitung der Wirthschaft und damit die Pflege der Pferde und die Leitung des Fuhrwerks. Von kräftiger Constitution wurde er beim Militär einem Kürassierregiment zugetheilt, doch bald widmete er sich wieder mit großer Unermüdlichkeit dem väterlichen Geschäft, nachdem er einen Hausstand begründet hatte. Im J. 1818 gelangte Sch. zu der Grundidee seiner äußerlichen Curmethode, die im Laufe der Zeit bis auf unsere Tage mit mehr oder weniger großen Abänderungen modificirt wurde. Steinbacher hat später einmal gesagt, daß Sch. durch ein „glückliches Unglück“ zu seiner Behandlungsweise gekommen sei. Ein Pferd hatte ihm nämlich durch einen Hufschlag das rechte Bein im Kniegelenk zerschmettert, die Heilung kam zwar zu Stande, aber es blieb eine Auftreibung der Kniescheibe mit Steifigkeit im Bein zurück. Ein Mönch vom Orden der barmherzigen Brüder rieth ihm, kalte Umschläge zu machen. Sch. legte einen nassen Leinwandlappen um sein Bein, band ein trockenes Tuch darüber, und erneuerte ihn, wenn er fast trocken war. Nach 10 Wochen sollen durch diese Behandlungsmethode Auftreibung und Steifigkeit [220] verschwunden gewesen sein. Entzückt von der zauberhaften Wirkung wandte er diese Therapie bei Mensch und Thier mit Erfolg an. Allmählich wurde seine Aufmerksamkeit auf die durchgreifende, auflösende, resorbirende Kraft des Wassers zum Zwecke der Erzielung feuchter Wärme mittelst solcher Umschläge hingelenkt. Unter anderem benutzte er die Thatsache, daß Mensch wie Thier von seinem ersten Entstehen bis zum Austritt aus dem Mutterleibe sich in feuchter Wärme befinde, und er schöpfte daraus die Ueberzeugung, daß die feuchte Wärme die Bedingung des Bestehens und Gedeihens aller Körper in der Thier- und Pflanzenwelt sei. Sein Wahlspruch lautete (nach Steinbacher): „Wie Brod und Wein wächst Fleisch und Bein in feuchter Wärme“. Diese äußere Behandlung wandte Sch. nun auch bei Erkrankungen innerer Organe an; später gestaltete er diese Umschläge zu ganzen Wickelungen und Einhüllungen aus.
Schroth: Johannes Sch. ist der Begründer des nach ihm benannten Heilverfahrens, das man schlechthin die „Schroth’sche Semmelcur“ nannte. Er wurde geboren am 2. Februar 1800 (nach Steinbacher s. u.), nach Andern (E. Freimund) am 11. Februar 1797 in Böhmischdorf unweit Freiwaldau in Oesterreichisch-Schlesien. Er, eines Fuhrmannes Sohn, besuchte mitDie weitere Beobachtung, daß erkrankte Hausthiere das Futter theilweise oder gänzlich vermeiden, wenig oder garnichts trinken, einen warmen Platz aufsuchen, und die Ruhe der Bewegung vorziehen und so genesen, brachte Sch. auf die Idee, eine Entziehungscur auch beim Menschen zu versuchen. Die Schroth’sche Curmethode hat verschiedene Etappen durchgemacht, und ist, wie bereits bemerkt, wegen der gegen sie erhobenen Anfeindungen oftmals modificirt worden. Eine große Litteratur hat sich darüber aufgesummt, und es ist manchmal gerade kein Vergnügen, sich durch die mehr oder minder unwissenschaftlichen Deductionen hindurchzulesen. So wird die Cur z. B. in einer zu Breslau 1844 erschienenen Schrift als „Die letzte Zuflucht“ bezeichnet; sie ist geschrieben von einem „Menschenfreunde“ nach einem älteren, von Sch. selbst veranlaßten Manuscripte und mündlichen Mittheilungen und persönlichen Erfahrungen. Der Herr Verfasser ist derart enthusiasmirt für die Cur, daß er ihren Vater in sehr hochtrabenden Strophen ansingt, wo es u. a. heißt:
Eine höh’re Macht ist’s, die ihn zwingt,
Durch Diät, durch Umschlag und durch Dünste
Mehr zu leisten, als durch bunte Künste
Vollstudirten Aerzten oft gelingt, u. s. w.
Es ist sehr zu bedauern, daß alle die Naturheilkünstler nicht selbst eine Darstellung ihrer Curen gegeben haben; sie wären wohl objectiver ausgefallen als die Verhimmelungen der Curgäste. Doch fehlte es in den folgenden Jahrzehnten nicht an Gegenstimmen. Dr. Gleich, ein praktischer Naturarzt und ärztlicher Dirigent einer Anstalt in München schreibt „über die Nothwendigkeit einer Reform der sogenannten Hydropathie (Kaltwasserheilkunde) oder Geist und Bedeutung der Schroth’schen Heilweise“ (München 1860): er spricht u. a. von den „Schroth’schen Gespenstern“, d. h. übelaussehenden Patienten, die durch die Hauptcur stark heruntergekommen waren. Am meisten scheuten sich vor diesen sogenannten Gespenstern jene Kranken, welche die sogenannte Prießnitz’sche Wassercur gebrauchten. Das geschah, wenn zufällig Gräfenberger Curgäste – Gräfenberg liegt ganz nahe bei Lindewiese – mit denselben zusammentrafen. Diese bildeten sich nämlich außerordentlich viel auf ihr gutes Aussehen ein und ahnten garnicht, wie Gleich bemerkt, daß dieses bloß die leere Täuschung sei. – Es dreht sich eben immer wieder um den Streit zwischen den Anhängern von Schroth und Prießnitz, der mit unglaublicher Heftigkeit geführt wurde. Aber an beiden Gründungsstätten der Curen, in Lindewiese und in Gräfenberg, ist viel gesündigt worden: der eine wollte mit kaltem Wasser, mit vielen Getränken seine Kranken überfluthend, bei grober Kost durch Abhärtung den Organismus zur Selbstheilung antreiben; [221] der andere wollte, so viel als möglich Flüssigkeiten entziehend, das Wasser innerlich scheuen und der trockenen Nahrung und der feuchten Wärme huldigen.
In sehr amüsanter Weise hat Hermann Klencke (vgl. über ihn Allg. D. Biogr. und Biogr. Lexikon der hervorragenden Aerzte) all die Modecuren – als da sind: Der Semmeldoctor, die Homöopathen –, die Wassercuren, die Elektriseure u. s. w. in Romanform besprochen in: „Selbstbekenntnisse oder 40 Jahre aus dem Leben eines oft genannten Arztes“ (III. Band, Lpz. 1855, S. 291 ff.).
Das Schroth’sche Heilverfahren hat seine Geschichte; es gehört zu den sogenannten Trockencuren, die in der älteren Litteratur unter dem Namen Diaita sicca gehen; es besteht im wesentlichen aus einer trockenen Diät, wobei als Getränk etwas Wein verabreicht wird, in Verbindungen mit feuchtwarmen Einhüllungen des Körpers. Wegen der speciellen Vorschriften sei auf die unten angegebene Litteratur verwiesen. Es mag nur hervorgehoben werden, daß selbst Schrothianer anführen, daß sie während der strengen Cur keine geringen Qualen auszustehen hatten; daß sich Fieber einstellte, der Appetit abnahm und große Abgeschlagenheit sich bemerkbar machte.
Nach Bedarf muß die Cur wiederholt werden, ehe der Patient in die Nachcur eintritt, die allmählich vom trockenen Regime zu gemischter Kost überleitet. Der erste, der sich in wissenschaftlicher Weise mit dem Schroth’schen Heilverfahren befaßte, war der jüngst verstorbene Polikliniker Th. Jürgensen; die Veranlassung dazu war ein Fall von Magenerweiterung, welche in einer sogenannten Schroth’schen Anstalt Genesung gefunden hatte, was Bartels, auf dessen Anregung Jürgensen diese Frage untersuchte, auf die Entlastung der katarrhalisch afficirten Magenwandungen infolge der Flüssigkeitsentziehung bezog. Jürgensen hat übrigens die Schroth’sche Diät modificirt; er kommt schließlich zu dem Schluß, daß das Verfahren als eine Entziehungscur bezeichnet werden muß, bei der zunächst Wasser, sodann aber auch feste Bestandtheile dem Körper entzogen werden; außerdem sah er die Körpertemperatur regelmäßig ansteigen (bis auf 40° C), und beobachtete bei unvorsichtiger Anwendung scorbutische Erscheinungen. Nach J. Bauer ist das Schroth’sche Verfahren kein indifferenter Eingriff, dessen Anwendung nur nach ganz bestimmten Indicationen zu geschehen hat. Kurz nach Bauer’s Veröffentlichung lenkte ebenfalls Paul Kadner die Aufmerksamkeit auf das Schroth’sche Heilverfahren; er selbst war in einer Schroth’schen Heilanstalt aufgewachsen. Kadner’s Vater war Arzt und Dirigent derselben und der Sohn hatte auf Wunderlich’s Klinik Gelegenheit gehabt, nach Schroth’s Methode zu behandeln; er gesteht indeß, daß er kein fanatischer Schrothianer ist, und daß die von ihm unternommenen Curen wesentliche Modificationen gegenüber den von Sch. verordneten aufweisen. Kadner scheint bei seinem individualisirenden Verfahren wirklich günstige Erfolge besonders bei chronisch exudativen Krankheiten erzielt zu haben. Fossangrives (Hygiène alimentaire des malades) empfiehlt die Cur ebenfalls, wenn es gilt, die Resorption von Exudaten und Transfudaten zu befördern, bei alter Syphilis und bei Magenerweiterung. Der letzte Kritiker der Schroth’schen Cur ist F. A. Hoffmann; er nennt sie eine der wunderlichsten Diätcuren, welche in die Gruppe der Unterernährungsdiät gehört. Nach den ihm gemachten Mittheilungen, waren es Hypochonder, denen die Cur sehr gut that und dann gewisse Fälle von hartnäckiger constitutioneller Syphilis mit starken Drüsenanschwellungen und Hautausschlägen. „Namentlich wenn das Quecksilber“, fährt Hoffmann fort, „und das Jodkalium nichts mehr nützen und nicht mehr vertragen werden, während die inneren Organe im wesentlichen gesund sind, aber entstellende Hautleiden oder hartnäckige [222] Periostitiden fortbestehen, so kann ein solches Eingreifen unzweifelhaft einen merkwürdigen Erfolg haben. (Neuerdings sucht man die Erfolge durch die Schroth’sche Cur bei chronischen Krankheiten durch eine Ueberladung des Organismus an Harnsäure zu erklären.) Diese Fälle werden jetzt, wo man die Syphilis so früh erkennt und gut behandelt, offenbar immer seltener.“
Sch. starb am 26. März 1856 zu Lindewiese in Oesterreichisch-Schlesien; dessen Sohn setzte die von ihm erfundene Heilweise unter Aufsicht eines praktischen Arztes in seiner Anstalt fort. In dem oben citirten Büchelchen von Dr. Gleich heißt es: „Schroth ist der originellste Mensch, den je die Erde getragen hat. Ein Schroth war nie da, ein Schroth wird in Tausenden von Jahren nicht wieder kommen. Er ist gleich ausgezeichnet als Menschenarzt, als Thierarzt und als Oekonom.“
Zum Schluß sei bemerkt, daß Steinbacher (l. c. Bd. 4, S. 76) berichtet, daß Sch. es durch ein eigenthümliches Verfahren vermochte, „sogleich auf den ersten Fingerdruck die in dem Blinddarm abgesackten und erhärteten Kothmassen zu erkennen“. (Der sogenannte Schroth’sche Handgriff.)
Seiner Naturheilmethode ist die Weltherrschaft nicht an die Stirn geschrieben, wie seine Freunde verkündeten; auf dem ihm in Lindewiese errichteten Denkmal (October 1870) prangen die Worte: „In feuchter Wärme gedeiht Holz, Frucht, Wein – selbst Fleisch und Bein“ und darunter die Worte: „Dem Wohlthäter der Menschheit. 1870.“
- Bartels, Pathologische Untersuchungen in: Greifswalder medicinische Beiträge. Bd. III, S. 54. Danzig 1864. – S. Möller, Das diätetische Heilverfahren Schroth’s und seine große Wirksamkeit im Lichte neuerer Forschung. Dresden o. J. (1894). – Vgl. die in W. Engelmann, Bibli. medico-chirurgica, 6. Aufl., Lpz. 1848 und Supplementheft. Lpz. 1868, S. 339 unter dem Stichwort Schroth angeführte Litteratur. – F. A. Hoffmann, in E. v. Leyden, Handbuch der Ernährungstherapie u. s. w. 2. Aufl. I. Band, Lpz. 1903, S. 434–437. – W. Ebstein, Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung. 8. Aufl. Wiesbaden 1904, S. 50. – Th. Jürgensen, Ueber das Schroth’sche Heilverfahren. Deutsches Arch. f. klin. Medicin. Bd. 1. 1866. – J. Bauer, Handbuch der allgem. Therapie. I. Band. 1. Theil. Lpz. 1883, S. 325–329. – Paul Kadner, Das Schroth’sche Heilverfahren. Berliner klin. Wochenschrift 1884, Nr. 9, S. 136–138. – H. Trachsler (E. Freimund), Johann Schroth’s Naturheilverfahren. 4. Aufl. Winterthur 1876. – Johann Schroth als Naturarzt … und dessen Semmelcur. Freiwaldau-Gräfenberg o. J. – J. Steinbacher, Handbuch des gesammten Naturheilverfahrens nach den modificirten Principien Schroth’s und Prießnitz’s. Besonders Theil II. Augsburg 1862. S. 22 ff.; auf S. 25 ein Porträt von Schroth, nach dem Leben gezeichnet von Ernst Laddey im Jahre 1849. – Gleich, Ueber die Nothwendigkeit einer Reform der sogen. Hydropathie u. s. w. Bd. 1 bis 4. Berlin 1866. – Bemerkungen über das Heilverfahren des … J. Schroth. Brünn 1851. – Die letzte Zuflucht oder der Naturarzt Johann Schroth u. s. w. Breslau 1844. – C. Zucchi, Giovanni Schroth ed il suo metodo di cura. Gazetta med. ital. lomb. Milano 1876, 7, s. III, 11–16. – Rippers Gräfenberger Erinnerungen, hrsg. von Leopold Katscher. 1906.