ADB:Schulz, Johann Heinrich

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Artikel „Schulz, Johann Heinrich“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 745–747, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schulz,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:09 Uhr UTC)
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Schulz: Johann Heinrich S., genannt der Zopfprediger oder auch der Prediger des Atheismus und des zureichenden Grundes, ist 1739 geboren, studirte 1758–61 unter Semler, Knapp und Michaelis zu Halle, wurde Lehrer an der Berliner Realschule, 1765 vom Präsidenten v. Pfuel zum Prediger in Gielsdorf und Wilkendorf, vom Herrn v. Bismarck zum Prediger in Hirschfelde bei Strausberg in der Mittelmark berufen, hierauf ordnungsmäßig examinirt und ordinirt, und hat diesen drei Gemeinden 26 Jahre vorgestanden. Seine Schriften, sämmtlich anonym erschienen, sind folgende: „Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen ohne Unterschied der Religion“ (1783 f.); „Philosophische Betrachtungen über Theologie und Religion überhaupt und die jüdische insonderheit“ (1784); „Predigt über die falsche Lehre von ewigen Höllenstrafen“ (1784); „Antwort der weltlichen Stände auf die Supplik, welche der protestantische Geistliche F. G. Lüdke über die Nichtabschaffung des geistlichen Standes bei ihnen eingereicht hat“ (1784); „Beurtheilung der vertrauten Briefe, die Religion betreffend“ (1786); „Der entlarvte Moses Mendelssohn“ (1786); „Erweis des himmelweiten Unterschiedes der Moral von der Religion“ (1788); „Ueber Religion, Deismus, Aufklärung und Gewissensfreiheit“ (1788). S. glaubte an Gott und Unsterblichkeit, aber die Freiheit hat er geleugnet. Der Mensch ist, wie jedes erschaffene Wesen, eine künstliche Maschine, nicht Herr seiner Handlungen, sondern wie ein Holz vom Strom fortgerissen. Alle unsere Empfindungen und Vorstellungen sind dem strengsten Gesetz der Nothwendigkeit unterworfen. Aber diese Lehre werde Niemand faul machen, weil in dieselbe zugleich alle unwiderstehlichen Ursachen eingeschlossen liegen, die den Menschen ununterbrochen [746] forthandelnd machen müssen. Ein zweiter Grundsatz von ihm war, daß die Religion nicht Fundament der Moral sein könne. Denn von Gott wissen wir nur, daß er der völlig unbekannte zureichende Grund der Welt ist, aber nichts von seinem Verhältniß zu uns und dem unsrigen zu ihm. Wir sind ebenso wenig vermögend, aus der Lehre von Gott moralische Beweggründe herzunehmen, als wir im Stande sind, etwas anzugeben, was Gott von uns fordert. In der Religion sind ferner alle Menschen verschieden, verketzern und verfolgen sich, dagegen in Ansehung der bürgerlichen Tugenden, weil der natürliche Menschenverstand Aller sie billigt, herrscht vollkommene Eintracht. Daher sollen die Geistlichen, den supernaturalistischen Kram und falschen Religionston aufgebend, als ehrliche Volkslehrer die Menschen anweisen, gute und rechtschaffene Bürger in der Gesellschaft zu sein, und das Himmelreich wird sich von selbst finden. Da nun S. im Alten Testamente das gerade Gegentheil seiner Paradoxieen vorfand, so ließ er seiner Schmähsucht gegen die Juden und ihren Gesetzgeber den freiesten Lauf. Moses, wahrscheinlich ein Kind der ersten unschuldigen Liebe einer ägyptischen Prinzessin und demzufolge, wie die Erfahrung insgemein für die Kinder einer zwangslosen Liebe bezeuget, mit sehr glücklichen Fähigkeiten geboren, suchte als tollkühner Aventurier die jüdische Zigeuner- und Räuberbande mit einem greulichen Hocuspocus von gottesdienstlichen Ceremonien zu berücken. Er hat bloß deshalb alle Untergötter verbannt, um sich selbst als Cabinetsminister der höchsten Gottheit dem Volke darzustellen. Er bediente sich der Leviten wie eines Garderegimentes, durch welche er die Leute, welche schwierig wurden, gleich niedermetzeln ließ. Durch Chymie konnte er besondere Feuer machen, die er des Herrn Feuer nannte und wodurch er die Herrlichkeit Jehovas erscheinen ließ. Der Glaube an den rachgierigen, blutdürstigen und mordlustigen Jehova, den eigentlichen Erfinder aller Menschenopfer, und überhaupt der Religionswahn hat den Erdboden mit unbeschreiblichem Elend überschwemmt und die Menschen auf demselben bis auf den heutigen Tag unglücklich gemacht. Mit Moses Mendelssohn, der die Gesetzgebung auf Sinai wundervoll und göttlich genannt, erbot sich S. nach einer Wetterscheide zu reisen, dort ein heraufziehendes Gewitter abzuwarten und ihm alsdann unter denselben Feierlichkeiten das Joch des Gesetzes wieder abzunehmen, unter welchen es ihm der alte Moses über den Hals geworfen. Jesus von Nazareth, der Natur auf ihrer bildenden Scheibe zum glücklichsten Genie gerathen, war ein großer Philosoph und Lehrer der natürlichen Moral, aber nicht Stifter irgend einer Religion. Die Straße, welche er uns zum Gewinn der Seligkeit nach dem Tode angewiesen, geht durchaus nicht durch den Religionswald, sondern einzig und allein durch das Gebiet einer redlichen Menschen- und Nächstenliebe. Seine Absicht ging dahin, die erschrecklichen Begriffe und Fabeln Mosis auszulöschen. In seinem ganzen Lehrvortrag findet man nicht einen einzigen bestimmten, deutlichen Begriff von der Natur und dem Wesen Gottes. Jesus soll nach S. gelehrt haben: Wenn ihr ja zur Erleichterung eurer Vorstellungen über den allgemeinen und nothwendigen Zusammenhang aller Dinge in der Natur den Begriff von einem besondern obern Wesen nöthig habt, so stellt euch dieses Wesen als einen himmlischen Vater vor. Wollt ihr mit aller Gewalt beten, so sprecht: Unser Vater etc. Uebrigens bekennt S. Jahre lang geschwankt zu haben, ob er Socrates oder Jesus den Vorzug geben solle. Ein Prediger mit diesen Ansichten und der nicht bloß Moses für einen Lügner und Betrüger hielt, sondern als „unerschrockener Wahrheitsfreund“ es auch als seine Pflicht ansah, das seinen Zuhörern zu sagen, konnte auch im Zeitalter der Toleranz nicht unangefochten bleiben. Semler und Bahrdt haben gegen ihn geschrieben, Andere ihn einen Sophisten und, wegen seiner unbändigen Grobheit, einen deistischen [747] Corporal und Aufklärungsdragoner genannt. Strenggläubige meinten, er müsse seine Schriften in einem Anfall von Raserei geschrieben haben. Selbst die Allgemeine Deutsche Bibliothek konnte nicht begreifen, wie ein so roher, unbilliger Naturalist, der die Religion als eine Gaukelei und Grimasse verspotte, noch immer als öffentlicher Lehrer ein Amt verwalten könne. Er war schon 1782 von seinem Hirschfelder Patron, dem v. Bismarck, wegen öffentlichen Vortrages solcher Lehren, die zum Fatalismo führen, desgleichen daß er im Haarzopf predige, angeklagt worden. S. motivirte die Ablegung der Perrücke, dieses im Zeitalter der Orthodoxie nothwendigen Stückes der geistlichen Amtstracht, mit Gesundheitsrücksichten. Fatalist sei er nicht, aber Determinist, und der Determinismus gehöre zu den Grundwahrheiten, die Jesus selbst gelehrt habe. Die Sache blieb auf sich beruhen, der Patron söhnte sich mit seinem Pfarrer nicht nur wieder aus, sondern stellte ihm auch für den Fall, daß er von seinem Posten verdrängt werden sollte, volle Versorgung in Aussicht. Vom Oberconsistorium wegen seiner „Sittenlehre für alle Menschen“ in Anspruch genommen, eröffnete das geistliche Departement (v. Zedlitz), den Schriftsteller vom Prediger trennend, S. habe die in seinem Buch enthaltenen philosophisch-speculativen Sätze nur gegen das Publicum zu verantworten, während das Oberconsistorium allein darauf zu sehen habe, daß der Prediger seine Gemeinde im Guten festhalte und nicht wankend mache. Eine Cabinetsordre, wahrscheinlich auf Anstiften des (nachmals selbst removirten) Berliner Predigers Brumbey erlassen, regte 1791 eine neue Untersuchung mit der Frage an, ob der schon längst berüchtigte S. weiter fortfahre, seitdem das Religionsedict erschienen, seine bekannten Irrthümer den Leuten vorzupredigen. Das Zeugniß der Gemeinden und des Erbherrn auf Gielsdorf, v. Pfuel, lautete für S. sehr günstig. Er selbst erklärte, er habe darauf abgezielt, die wahre Lehre Jesu unter dem Wust der irrigen Vorstellungen, wodurch sie in der Folge fast ganz erstickt worden, wieder hervorzuziehen. Das Kammergericht, an welches als Landescollegium die Consistorialacten zur Aburtheilung abgegeben wurden, legte dem Oberconsistorium die Frage vor: ob S. von den Grundwahrheiten der christlichen Religion überhaupt oder der lutherischen Confession abgewichen sei. Im Oberconsistorium wurde der zweite Theil der Frage bejaht, der erste unentschieden gelassen. Die Sentenz des Kammergerichts lautete: daß S. zwar für keinen lutherischen Prediger zu achten, dennoch aber als ein christlicher Prediger mit seinen christlichen Gemeinden zu dulden sei. Der König confirmirte den ersten Theil der Sentenz. S. wurde abgesetzt (1793), und seine Stelle, da der Patron keinen andern als S. präsentiren wollte, iure devolutionis vom Oberconsistorium wieder besetzt. Wegen des zweiten Theiles der Sentenz wurden den Räthen des Kammergerichts, sowie dem Propste Teller, der durch sein Votum sie verführt habe, vom erzürnten Könige Strafen (bestehend in dreimonatlicher Gehaltsentziehung ad pias causas) zuerkannt, aber über gethane Vorstellung, daß das Vertrauen auf gute Justiz verloren gehen würde, wenn die Richter Verschiedenheit der Meinungen mit kränkenden Vorwürfen, Zurücksetzung und Strafe büßen müßten, aus angeborner Milde erlassen. (L. Volkmar, Religionsproceß des Predigers Schulz. Lpz. 1846.) 1798 zog S. in die Nähe von Berlin, und die liberalere Regierung Friedrich Wilhelm III. gestattete eine Revision seines Processes, die mit dem Urtheil endete: daß, da das Religionsedict damals im ganzen Lande gesetzliche Kraft gehabt habe, die Richter schuldig gewesen seien, darnach zu erkennen. Aber der König sicherte ihm eine lebenslängliche Versorgung zu. S. wurde 1799 beim Fabriksdepartement als Inspector (nach anderer Lesart als Geschirrschreiber bei der Porcellanmanufactur) in Berlin angestellt, 1808 in den Ruhestand versetzt und starb 1823 im 84. Lebensjahr.