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ADB:Seebach, Marie

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Artikel „Seebach, Marie“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 298–301, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seebach,_Marie&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 20:45 Uhr UTC)
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Seebach: Marie S., Schauspielerin, wurde am 24. Februar 1829 zu Riga als Tochter des Komikers Friedrich Wilhelm S. und seiner Gattin Theona Blumauer geboren und am 11. Mai daselbst auf die Namen Maria Wilhelmina getauft. Als ihre Eltern im J. 1832 an das Königstädtische Theater in Berlin übersiedelten, kam sie mit ihnen dorthin. Nach dem frühen Tode ihrer Mutter im J. 1837 blieb sie unter Obhut einer unfreundlichen Magd an das wechselvolle Schicksal ihres Vaters gekettet, der sie schon im J. 1842 als Schutzgeist Jeriel in Haffner’s „Donauweibchen“ bei einem seiner Gastspiele in Kissingen auftreten ließ und im Juli 1845 mit nach Köln nahm, wo sie in verschiedenen Kinderrollen spielen mußte. Da sie eine schöne Stimme hatte, erhielt sie seit dem 1. September 1845 bei Heinrich Dorn, dem städtischen Capellmeister in Köln, Gesangsunterricht, doch zeigte es sich bald, daß ihr Organ nicht die nöthige Kraft und Höhe hatte und für hochdramatische Sopranpartien nicht ausreichen würde, weshalb sie sich, schweren Herzens, entschließen mußte, der Laufbahn einer Sängerin zu entsagen. Roderich Benedix ertheilte ihr noch in Köln den ersten dramatischen Unterricht und brachte sie bald so weit, daß sie am 27. September 1846 in Nürnberg die Julie in „Kean“ mit Erfolg spielen konnte. Ein Gastspiel der Jenny Lind, die in Nürnberg als Marie in der „Regimentstochter auftrat, ließ die Sehnsucht, Sängerin zu werden, mit erneuter Stärke in ihr aufleben. Ihr Wunsch ging jedoch nicht in Erfüllung. Sie folgte vielmehr ihrem Vater zu einem Engagement nach Regensburg und kehrte dann über Düsseldorf nach Köln zurück, wo sie im Frühjahr 1848 zwei Mal als Gast am Theater auftrat. Im October desselben Jahres reiste sie, nur begleitet von ihrer jüngeren Schwester Wilhelmina – der Vater blieb in Köln zurück – nach Lübeck, um eine Stelle am dortigen Stadttheater unter der Direction F. Engels anzutreten. Sie fand hier ausreichende künstlerische Beschäftigung und erntete in Rollen wie Abigail in Scribe’s „Glas Wasser“, Agnes Sorel in Schiller’s „Jungfrau“, Laura in Laube’s „Karlsschülern“ und Franziska in Lessing’s „Minna“ manchen schönen Erfolg. Besonderen Beifall errang sie sich aber als Lorle in Birchpfeiffer’s „Dorf und Stadt“, eine Rolle, die sie am 4. Februar 1849 zum ersten Male spielte. Auch auf dem Tivolitheater wurde sie mit lebhaftem Applaus begrüßt, trat aber auf ihm nur an neunundzwanzig Abenden auf, da sie durch den Hofrath Zöllner, den Intendanten des Schweriner Hoftheaters, an diese Bühne berufen wurde. Sie fand jedoch nur Gelegenheit, sich dem Badepublicum von Doberan, wo während der Sommermonate das Schweriner Hoftheaterpersonal beschäftigt wurde, vorzustellen, war aber von ihrer dortigen Thätigkeit so wenig befriedigt, daß sie Alles daran setzte, bald weiter zu kommen. Director Genée warb sie im September 1849 für seine Truppe an, führte sie zunächst nach Elbing und dann nach Danzig, wo sie sich bis zum 25. April 1850 überaus stark in Anspruch genommen sah. Die wichtigste Rolle, die ihr in dieser Zeit übertragen wurde, war die Luise in Schiller’s „Kabale und Liebe“. Hierauf erfolgte ein längeres Engagement am Hoftheater zu Kassel, und zwar vom 1. August 1850 bis zum 1. October 1851. Sie spielte auch hier hauptsächlich sentimentale und jugendliche Liebhaberinnenrollen, ließ sich aber durch Laube, den sie im Juli 1851 in Karlsbad aufsuchte, in ihrer Neigung, zum tragischen Fache überzugehen, bestärken. Nach Kassel zurückgekehrt, machte sie sich sofort an das Studium des Gretchen im „Faust“. Dann nahm sie Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans und Clärchen vor und vervollkommnete sich durch Fleiß und Beharrlichkeit so, daß sie nach einem dreimaligen erfolgreichen Gastspiel mit einem für die damalige Zeit höchst ansehnlichen Honorar für das Hamburger Stadttheater engagirt wurde. Hier nahm sich Chéri Maurice, [299] der sofort ihr Talent erkannt hatte, ihrer auf das wärmste an und ließ sie sowohl auf der Bühne des Stadttheaters, als auf der des Thaliatheaters, die beide unter seiner Leitung standen, in einer langen Reihe von jugendlichen Heldinnenrollen wie als Gretchen, Clärchen, Marie Beaumarchais u. s. w. auftreten und so den Grund zu ihrem Weltruhm legen. Sie gefiel dem Publicum mehr oder weniger in jeder, obwohl sie nicht immer mit ihren eigenen Leistungen zufrieden war, erntete aber bei weitem den stärksten Beifall, als sie am 8. Juni 1853 die Jane Eyre in der „Waise von Lowood“ der Birch-Pfeiffer zum ersten Male spielte. Sie mußte die Rolle bis zum 9. Juli in dreizehn Aufführungen darstellen und erhielt von Laube, der sie in diesem Stücke sah, die Aufforderung zu einem Gastspiel auf Engagement für das Wiener Burgtheater. Auch als Darstellerin von Salondamen und von Lustspielfiguren war sie am Platze und fand auch in ihnen reichlichen Beifall. Im April 1854 leistete sie dem Gastspielantrag Laube’s Folge. „Sie wurde,“ erzählt Laube darüber in seinem Buch über das Burgtheater, „sehr beifällig aufgenommen; ihr Gretchen machte Furore. Man sagte sich: endlich der Ton einer tragischen Liebhaberin, der schmerzlich-süße Nachtigallenton.“ Darüber einigte sich sofort die allgemeine Stimme. „Sie ist wohl nicht schön genug für eine erste Liebhaberin,“ sagten einige, gleichsam entschuldigend, „die Hände sind nicht angenehm und die Bewegungen oft zu jäh.“ Aber man sagte das nicht scharf; es sollte nur ein Beitrag zur Charakteristik sein, und die Entgegnung war auch sogleich da, und sie lautete: „Das ist ja so vortheilhaft an ihr, daß der ganze Körper ersichtlich theilnimmt an allen Bewegungen der Seele, und daß man ihrem Rücken entlang sogar die tragische Erschütterung vibriren sieht.“ Kurz, man meinte endlich eine echt tragische Liebhaberin gefunden zu haben, und ihr Engagement wurde nahezu einstimmig willkommen geheißen. Ehe die S. dieses Wiener Engagement antrat, begab sie sich im Juli 1854 nach München, um bei den von Dingelstedt veranstalteten Mustervorstellungen mitzuwirken. Sie wurde als „der Stern des Nordens“ gefeiert und galt seitdem als Deutschlands erste Tragödin. Am 9. October 1854 debütirte sie als Luise in Wien und erhielt schon nach ihrem sechsten Auftreten die Ernennung zum Mitglied des Burgtheaters. Sie bezog damals ein Gesammtjahreseinkommen von 7000 Gulden und hatte den Anspruch auf einen beträchtlichen Urlaub für Gastspielreisen. Sie machte von diesem Rechte ausgiebigen Gebrauch. In Wien aber konnte sie trotz alles Beifalls nicht recht heimisch werden. Sie verlangte ihre Entlassung und schied nach nur zweijähriger Thätigkeit am 30. September aus dem Verbande des Burgtheaters aus. Von Wien aus wandte sie sich nach Hannover, dessen Hoftheater sie vom 28. August 1857 an neun Jahre hindurch angehörte. Sie erhielt eine Jahresgage von 5000 Thalern und hatte auch von Hannover aus Gelegenheit zu häufigen Gastspielreisen, die ihr namentlich in Weimar und Berlin neue Triumphe bereiteten. In Hannover lernte sie den nachmals so berühmt gewordenen Sänger Albert Niemann kennen und verlobte sich am 1. Mai 1858 mit ihm. Am 31. Mai 1859 fand ihre Trauung in der Schloßkirche zu Hannover statt. Seitdem nannte sie sich als Schauspielerin Frau Niemann-S., einen Namen, den sie nach der Scheidung ihrer Ehe nie wieder anwendete, indem sie sich einfach wieder Frau Marie S. nannte. Bald nach ihrer Vermählung ging sie mit ihrem Gatten auf eine Gastspielreise. Niemann sang den Masaniello in Auber’s „Stummen von Portici“, während sie die Fenella darstellte. Als Niemann von Richard Wagner die Aufforderung erhielt, nach Paris zu kommen und dort den Tannhäuser zu singen, erhielt sie gleichfalls ein volles Jahr Urlaub, damit sie ihren Mann begleiten könnte. Der „Tannhäuser“ fiel jedoch glänzend durch. Damit war [300] die Hoffnung Niemann’s, ein Engagement an der großen Oper in Paris zu finden, vereitelt. Beide Gatten kehrten nach Hannover zurück, wo Marie am 31. Mai 1861 von einem gesunden Knaben entbunden wurde, der auf den Namen Oskar getauft wurde. Als ihr Contract abgelaufen war, verabschiedete sie sich am 14. Mai 1866 in der Rolle der Eboli von dem Hannöverschen Publicum. Sie folgte hierauf ihrem Gatten, der ein Engagement an der Kgl. Oper erhalten hatte, nach Berlin und begab sich sodann allein auf Gastspielreisen, die sie zwanzig Jahre hindurch an den verschiedensten größeren und kleineren Bühnen fortsetzte, und die sie sogar nach Amerika führten. Sie wurde von dem Impresario Grau gegen ein festes Honorar von 100000 Francs an die Spitze einer eigenen Gesellschaft gestellt und entfesselte im Herbst und Winter von 1870 namentlich in New-York als Gretchen und Maria Stuart wahre Stürme des Beifalls. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland schlug sie ihr Domizil in Dresden auf, da sie ihren Sohn auf das dortige Vitzthum’sche Gymnasium gebracht hatte. Auf ihren Gastspielreisen trat sie in jenen Jahren mit Vorliebe als „Maria Magdalena“ in Hebbel’s gleichnamigem Trauerspiel auf. Auch studirte sie sich die Rolle von Goethe’s „Stella“ ein, mit der sie im November 1875 im Dresdner Residenztheater eine mächtige Wirkung erzielte, so daß sie sich entschloß, es mit dieser Rolle auch auf auswärtigen Gastspielen zu versuchen. Allmählich fing sie an, in das Fach der feinkomischen Alten überzugehen, für das sie nach dem Tode ihrer Tante Minona Frieb-Blumauer im Jahre 1887 an das Berliner Hoftheater berufen wurde. Sie war aber nur mit halbem Herzen bei den ihr gestellten neuen Aufgaben, da sie noch immer an den Schöpfungen ihrer Jugend und Glanzzeit hing. Nach dem frühen Tode ihres Sohnes, der am 17. April 1893 in Nervi an der Schwindsucht starb, nachdem er den Beruf eines Sängers mit dem eines Malers vertauscht hatte, vereinsamte sie immer mehr. Ihr Vermögen, dessen der geliebte Sohn nicht mehr bedurfte, bestimmte sie zu einem „Heim für alte hülfebedürftige Schauspieler“, das dann als „Marie Seebach-Stift“ an der Tiefurter Allee in Weimar ins Leben gerufen wurde. Sie hatte noch im hohen Alter das Unglück, bei einem Ausgang von einem Lastwagen so überfahren zu werden, daß beide Beine brachen, erholte sich aber unter der ihr zu Theil werdenden vortrefflichen Pflege so rasch, daß sie bereits am 15. October 1894 wieder im Königlichen Schauspielhaus in Berlin auftreten konnte. Am 2. October des nächsten Jahres erfolgte in Weimar in ihrer Gegenwart die Einweihung des ihren Namen tragenden Hauses, zu dem der Großherzog Carl Alexander den Grund und Boden geschenkt hatte. Ihr letztes Auftreten erfolgte am 25. April 1897 als Esther in „Uriel Acosta“ auf der Bühne des neuen Operntheaters, dem ehemaligen Kroll’schen Etablissement in Berlin. Dann reiste sie nach St. Moritz im Engadin, das sie gerade dreißig Jahre früher zum ersten Male betreten und seitdem immer wieder mit besonderer Vorliebe aufgesucht hatte. Hier wurde sie ganz plötzlich von einer Lungenentzündung befallen, die ihrem Leben am 3. August 1897 ein Ende machte. Sie wurde auf dem Dreifaltigkeitskirchhof in Berlin beigesetzt, wo seit 1898 ihre von Carl Bernewitz entworfene Marmorbüste aufgestellt worden ist. Nach dem Urtheil vieler kunstverständiger Kritiker gehörte die S. zu den hervorragendsten deutschen Schauspielerinnen. Besonders hoch schätzt sie Karl Frenzel, der neben ihrem Gretchen, Clärchen und Luise keine andere mehr gelten lassen wollte und den Zauber ihrer ebenso natürlichen wie ergreifenden Darstellung nicht hoch genug preisen konnte. Aber auch Berthold Auerbach, Elise Polko und vor allem ihr College Friedrich Haase feierten sie in den höchsten Tönen. [301] Uebereinstimmend wird sie auch wegen ihrer sonstigen Eigenschaften als eine Frau von seltener Vortrefflichkeit bezeichnet.

Das Hauptwerk über die S., an das sich dieser Nekrolog in der Hauptsache anschließt, ist Otto Franz Gensichen’s, Aus Marie Seebach’s Leben. Berlin 1900. – Vgl. ferner Ludw. Eisenberg’s Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im 19. Jahrhundert. Leipzig 1903, S. 952, 953. – Illustrirte Zeitung. Leipzig 1855. Bd. 25, S. 251. – 1871. Bd. 57, S. 440. – Prachtalbum für Theater und Musik. Leipzig u. Dresden o. J., Bd. 2, S. 11. – 13. – Heinr. Laube, Das Burgtheater. Leipzig 1868, S. 272–276. – Wien 1848–1888. Wien 1888, Bd. 2, S. 373. – Ed. Wlassack, Chronik d. k. k. Hof-Burgtheaters. Wien 1876, S. 251–252. – Rud. Lothar, Das Wiener Burgtheater. Leipzig, Berlin u. Wien 1899, S. 112, 131. – 1898. Neuer Theateralmanach. 9. Jahrg. Berlin 1898, S. 194–197. – 1901. – Berlin 1901. Illustrationsbogen. – Friedr. Haase, Was ich erlebte. Berlin 1897, S. 53. – C. Sontag, Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser. Bühnen-Erlebnisse. Hannover 1875, S. 314–317. – Alexander Meyer im Biogr. Jahrbuch 1898, Bd. 2. – Karl Frenzel, Berliner Dramaturgie. Hannover 1877, Bd. 2, S. 313, 324. – Uhde, Das Stadttheater in Hamburg. Stuttgart 1879 (Register). – Ed. Noack, Hoftheater-Erinnerungen. Hannover 1902 (Register). – Ders., Intime P1audereien aus der Vergangenheit des Kgl. Hoftheaters zu Hannover. Hannover 1903, S. 26, 27, 33, 40, 49, 60, 66. – Feodor Wehl, Dramaturgische Bausteine. Herausgeg. von Eugen Kilian. Oldenburg u. Leipzig o. J., S. 75–104. – H. H. Houben, Emil Devrient. Frankfurt a. M. 1903 (Register). – Max Martersteig, Das Deutsche Theater im 19. Jahrhundert. Leipzig 1904, S. 464. – Ed. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Neu-Ausgabe. Berlin 1905. Bd. 2, 420.